Tacheles Rechtsprechungsticker KW 42/2018

1.   Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

1.1 – LSG Saarland, Urt. v. 22.06.2018 – L 9 AS 11/17

Sozialgerichtliches Verfahren – Urteilsergänzung nach § 140 SGG – Verstreichen der Frist – Unzulässigkeit der Berufung – Anfechtungsklage – Grundsicherung für Arbeitsuchende – Verweigerung ärztlicher bzw psychologischer Untersuchungen – Verletzung von Mitwirkungspflichten – Leistungsversagung nach § 66 SGB 1 – Verhältnis zu anderen Sanktionsnormen)

Leitsatz (Juris)
1. Es spricht vieles dafür, das Urteilsergänzungsverfahren nach § 140 SGG bei versehentlich übergangenen Ansprüchen als einzige Möglichkeit anzusehen, um unerkannte oder verdeckte Teilurteile zu korrigieren bzw zu vervollständigen. Ein Rechtsmittel kann nur eingelegt werden, wenn das anzufechtende Urteil als inhaltlich falsch bewertet wird. Hat das Gericht jedoch über den geltend gemachten Anspruch ganz oder teilweise nicht entschieden, liegt eine Nichtentscheidung vor, die einer Berufung dem Grunde nach überhaupt nicht zugänglich ist. Das Rechtsschutzbedürfnis für eine Berufung gegen eine unterlassene Entscheidung fehlt, da eine dafür notwendige Beschwer nicht erkennbar ist. Mit dem Verstreichen der Frist für den Antrag auf Urteilsergänzung ist die Rechtshängigkeit des vom SG versehentlich übergangenen Anspruchs erloschen, so dass eine gegen das Urteil eingelegte Berufung, soweit sie diesen Anspruch betrifft, unzulässig ist. (Rn.46)

2. In Fällen, in denen wegen Verletzung der in §§ 60 ff SGB I statuierten Mitwirkungspflichten eine beantragte Leistung – hier Alg II – gem § 66 SGB I versagt wird, ist grundsätzlich nur die reine Anfechtungsklage gegeben. Fordert das Jobcenter den Bezieher von Alg II gem § 59 SGB II iVm § 309 Abs 1 S 1 SGB III auf, sich einer ärztlichen Untersuchung zu unterziehen, und kommt der Leistungsbezieher dieser Aufforderung ohne wichtigen Grund nicht nach, kann das Jobcenter die Leistung auch gem §§ 62, 66 SGB I zumindest teilweise versagen; die Sanktionsnormen der §§ 31 Abs 2 Nr 4, 31a SGB II iVm §§ 159 Abs 1 S 2 Nr 6, 309 SGB III stellen keine die Anwendung der §§ 60 – 66 SGB I ausschließende Spezialregelung dar (Anschluss an BSG vom 14.5.2014 – B 11 AL 8/13 R = SozR 4- 4300 § 309 Nr 2). (Rn.55)

Quelle: Juris

1.2 – Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urt. v. 30.08.2018 – L 32 AS 1423/15

§ 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II a. F.

Orientierungssatz (Redakteur)
1. Die Beiträge zur Kfz-Haftpflichtversicherung als gesetzlich vorgeschriebene Beiträge sind zu dem Zeitpunkt zu berücksichtigen, zu dem sie zu zahlen sind, also fällig werden (Anlehnung an BSG vom 25. April 2013 – B 8 SO 8/12 R). Für eine monatliche Verteilung mit einem Zwölftel des Jahresbetrages gibt das Gesetz keine Grundlage.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

1.3 – Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urt. v. 07.06.2018 – L 10 AS 2660/16 – rechtskräftig

Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren – Erstattung von Kosten im Vorverfahren – Freistellungsanspruch – Bedarfsgemeinschaft – Gesamtschuldner – Gesamtgläubiger

Orientierungssatz (Redakteur)
1. Die Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft sind – Gesamtgläubiger – iSv § 428 BGB eines Kostenerstattungsanspruchs nach § 63 SGB X.

Leitsatz (Juris)
1. Erwirken zwei Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft (Mutter und minderjähriger Sohn) gemeinsam einen Kostenfestsetzungsbescheid nach § 63 Abs 3 SGB X über einen einheitlichen Betrag, der keine Angaben zu den Beteiligungsverhältnissen enthält, so sind sie hinsichtlich des Kostenerstattungsanspruchs Gesamtgläubiger (vgl BGH, Urteil vom 20. Mai 1985 – VII ZR 209/84).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

Rechtstipp:
aA LSG Sachsen-Anhalt, 28.02.2017 – L 2 AS 390/15 – Die Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft sind nicht Gesamtgläubiger iSv § 428 BGB eines Kostenerstattungsanspruchs nach § 63 SGB X.

1.4 – Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urt. v. 13.09.2018 – L 15 AS 19/16

LSG NSB bestätigt die in Bremerhaven im Rahmen des Bezugs von SGB II-Leistungen (“Hartz IV”) geltenden Mietkostengrenzen.

Orientierungssatz (Redakteur)
1. Die Angemessenheit einer Betriebskostennachzahlung kann nur unter Berücksichtigung der im Abrechnungszeitraum monatlich entstandenen Kosten bestimmt werden. Ein auf § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II gestützter Anspruch auf Übernahme der Nachzahlung scheidet aus, wenn den leistungsberechtigten Personen innerhalb des Abrechnungszeitraums bereits durchgehend Unterkunftskosten in angemessener Höhe bewilligt worden sind.

Leitsatz (Juris)
1. Der von dem Magistrat der Stadt Bremerhaven für seine zum 1. Juli 2011 in Kraft getretene Fachliche Weisung zu den Leistungen für Unterkunft und Heizung nach dem SGB II und SGB XII herangezogene Mietspiegel 2011/2012 für Bremerhaven entspricht den Anforderungen an ein schlüssiges Konzept.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

S. a. dazu Vorinstanz:
4.2 – Sozialgericht Bremen, Urteil vom 27. Oktober 2015 (Az.: S 28 AS 1545/12):

weiter: tacheles-sozialhilfe.de

Rechtstipp:
Bremerhavener Unterkunftskosten für Hartz IV-Empfänger rechtmäßig

Das LSG Celle-Bremen hat erstmalig entschieden, dass die Verwaltungsanweisung der Stadt Bremerhaven zu den Leistungen für Unterkunft und Heizung nach dem örtlichen Mietspiegel einem “schlüssigen Konzept” entspricht.

weiter: www.juris.de

Hinweis:
Leitsatz Dr. Manfred Hammel

LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 13. September 2018 (AZ:. L 15 AS 19/16):

1. § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II erfasst nicht nur laufende, sondern auch einmalige Kosten der Unterkunft.

2. Soweit eine Nebenkostennachforderung in einer Summe fällig wird, dann ist sie als tatsächlicher, aktueller Bedarf im Zeitpunkt ihrer Fälligkeit zu berücksichtigen, nicht aber auf längere Zeiträume zu verteilen. Zu tätigende Nachzahlungen gehören demzufolge zum aktuellen Bedarf im Fälligkeitsmonat.

3. Grund und Höhe des geltend gemachten Anspruchs beurteilen sich einzig nach den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen des Zeitraums, dem die Betriebskostennachforderung nach ihrer Entstehung im tatsächlichen Sinne zuzuordnen ist.

4. Zu den Anforderungen an ein schlüssiges Konzept zur Bestimmung der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II, das auf der Grundlage des auf Ortsebene erstellten Mietspiegels (§ 558c BGB) beruht.

1.5 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 06.09.2018 – L 7 AS 195/18 NZB – rechtskräftig

Orientierungssatz (Redakteur)
1. Die Rechtsfrage, ob der Regelbedarf für einen Alleinstehenden ab Januar 2016 iHv 404 EUR bzw. ab Januar 2017 iHv 409 EUR noch den Anforderungen des BVerfG in dem Beschluss vom 23.07.2014 genügt, ist nicht klärungsbedürftig.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

Rechtstipp:
Ebenso LSG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 22.08.2018 – L 18 AS 267/18

2.   Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

2.1 – SG Saarbrücken, Urteil v. 22.06.2018 – S 21 AS 770/17

Grundsicherungsrelevanter Mietspiegel im Landkreis Neunkirchen entspricht Anforderungen des BSG

Das SG Saarbrücken hat entschieden, dass der grundsicherungsrelevante Mietspiegel des Landkreises Neunkirchen von November 2014 den Anforderungen der Rechtsprechung des BSG an ein schlüssiges Konzept zur Ermittlung und Gewährung der Bedarfe für die sogenannte Bruttokaltmiete (Kaltmiete und kalte Nebenkosten) nach dem SGB II entspricht.

Kurzfassung:
Nach Auffassung des Sozialgerichts ist darauf abzustellen, dass im streitgegenständlichen Zeitraum die genannten Zahlen, die sich aus dem Konzept des Beklagten aus dem von der Firma R.&P. im November 2014 erarbeiteten und vom Kreistag des Landkreises Neunkirchen letztlich zur Bemessung der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung gemäß § 22 SGB II beschlossenen grundsicherungsrelevanten Mietspiegel ergeben, bei der Berechnung des Anspruchs des Klägers zugrunde gelegt werden konnten. Gemäß den Vorgaben des BSG zur Konkretisierung der Angemessenheitsgrenze seien die abstrakt angemessene Wohnungsgröße und der Wohnungsstandard gemäß § 10 WoFG bestimmt worden, sowie in einem zweiten Schritt festgelegt worden, auf welchen räumlichen Vergleichsmaßstab für die weiteren Prüfungsschritte abzustellen sei, mit dem Ergebnis, dass drei Vergleichsräume ermittelt werden konnten (1. Stadt Neunkirchen/ 2. Gemeinden Eppelborn, Illingen, Merchweiler, Ottweiler, Schiffweiler/ 3. Gemeinde Spiesen-Elversberg) und schließlich hiervon ausgehend ermittelt und abgeleitet, wie viel ein Hilfebedürftiger im Schnitt aufwenden müsse, um eine nach Größe und Standard abstrakt als angemessen eingestufte Wohnung auf dem für ihn maßgeblichen Wohnungsmarkt bewohnen zu können. Dabei seien insbesondere die Datenerhebung an sich sowie der Erhebungszeitraum und die Methodik der Datenauswertung nicht zu beanstanden gewesen. Die Überprüfung der Validität der erhobenen und zugrunde gelegten Daten sei letztlich dadurch sichergestellt, dass auch eine tatsächliche Überprüfung der Verfügbarkeit dieser Wohnungen auf dem Wohnungsmarkt im Vergleichsraum stattgefunden habe. Diese Ermittlung habe ergeben, dass es im Gebiet des Beklagten und insbesondere innerhalb der einzelnen Vergleichsräume ein erhebliches Wohnraumangebot im Rahmen der Angemessenheitsgrenzen gebe, das sogar teilweise diese Grenzen unterschreite.

juris-Redaktion
Quelle: Pressemitteilung des SG Saarbrücken v. 10.10.2018: www.juris.de

3.   Entscheidungen der Landessozialgerichte und Sozialgerichte zur Arbeitsförderung (SGB III)

3.1 – Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 20.07.2018 – L 2 AL 7/18 B ER

Orientierungssatz (Redakteur)
1. Zum Anspruch eines Ausländers (ukrainischer Staatsbürger) auf Gewährung von Berufsausbildungsbeihilfe (hier verneinend).

Quelle: www.landesrecht-mv.de

3.2 – SG Lübeck, Beschluss v. 09.10.2018 – S 36 AL 172/18 ER

SG Lübeck: BAB für afghanischen Asylsuchenden mit Aufenthaltsgestattung

Mal eine positive Entscheidung in Sachen Ausbildungsförderung für Menschen mit Aufenthaltsgestattung:

Das Sozialgericht Lübeck hat in einem Eilverfahren einem Menschen aus Afghanistan mit Aufenthaltsgestattung Berufsausbildungsbeihilfe zugesprochen. Das Sozialgericht stellt fest, dass eine rein abstrakte Betrachtung der „guten Bleibeperspektive“ allein anhand der Gesamtschutzquote „nicht zur generellen Maxime aufwerten“ lasse. „Schon rein sprachlich knüpft die Erwartung des rechtmäßigen und dauerhaften Aufenthalts in § 132 Abs. 1 Satz 1 SGB III nicht an das Herkunftsland, sondern an die Person des die Leistung nachsuchenden Ausländers an. Dies macht zwar generelle Betrachtungen, wie die vorstehende der Gesamtschutzquote (…) nicht von vornherein wertlos, eine individuelle Betrachtung erübrigt sich dadurch gleichwohl nicht.“

Nach Überzeugung des Gerichts ergibt sich die „gute Bleibeperspektive“, schon aus der Tatsache der Ausbildung selbst. Denn „Es ist davon auszugehen, dass der Antragsteller sich auch für den Fall einer negativen Gerichtsentscheidung über seinen Asylantrag weiter rechtmäßig für die Dauer seiner Ausbildung (und ggf. nach § 18a Abs. 1a AufenthG auch über die Ausbildung hinaus) in Deutschland aufhalten darf. Die Voraussetzungen von § 132 Abs. 1 Satz 1 SGB III sind damit erfüllt.“

Quelle: Claudius Voigt

Projekt Q – Büro für Qualifizierung der Flüchtlings- und Migrationsberatung Gemeinnützige Gesellschaft zur Unterstützung Asylsuchender e.V. (GGUA Flüchtlingshilfe) Hafenstraße 3-5, 48153 Münster

4.   Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Sozialhilfe (SGB XII)

4.1 – Hessisches Landessozialgericht, Urt. v. 09.05.2018 – L 4 SO 244/16 – Berufung anhängig BSG – B 8 SO 10/18 R

Orientierungssatz (Redakteur)
1. Zu der Frage der Heranziehung eines Einkommensüberhangs über den Bedarfsmonat hinaus bei Übernahme von Bestattungskosten nach § 74 SGB XII.

Leitsatz (Redakteur)
1. Da es sich um einen lediglich einmaligen Bedarf handelt, ist die Übernahme der gesamten Kosten der Bestattung durch den bestattungsverpflichteten Kläger als zumutbar zu erachten. Dies gilt jedenfalls, wenn – wie hier – die Bestattungskosten insgesamt in einem Zeitraum von lediglich vier Monaten durch einzusetzendes Einkommen gedeckt werden können (vgl. zur Heranziehung des Einkommensüberhangs von vier Monaten i. E. ähnlich: LSG Schleswig-Holstein, Urteil vom 9. März 2011 – L 9 SO 19/09).

2. Neben einem Sarggesteck unterfällt auch ein Kranz (vgl. hierzu Berlit in: LPK-SGB XII, 10. Auflage 2015, § 74 Rn. 13) noch den Kosten, die üblicherweise für eine würdige, den örtlichen Gepflogenheiten entsprechende einfache Bestattung anfallen (BSG, Urteil vom 25. August 2011 – B 8 SO 20/10 R). Unangemessen sind aber die Kosten für vier Handsträuße in Höhe von je 3,50 Euro, denn zum einen entspricht die Verwendung von Handsträußen nicht mehr den Gegebenheiten an eine einfache Bestattung und zum anderen wären allenfalls Kosten für zwei Handsträuße, nämlich für den Kläger und seine Ehefrau erforderlich.

3. Die in Literatur und Rechtsprechung nicht abschließend geklärte Frage kann offen bleiben, ob die Bedürftigkeitsprüfung allein auf die zur Bestattung verpflichteten Personen zu beziehen ist oder ob die Regelungen über die Einstandsgemeinschaft auch in den Fällen des § 74 SGB XII uneingeschränkt gelten (für die Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen jedenfalls des vom Bestattungspflichtigen nicht getrennt lebenden Ehegatten: Schleswig-Holsteinisches LSG, Urteil vom 9. März 2011 – L 9 SO 19/09; LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 20. Juni 2013 – L 8 SO 365/10; LSGt Baden-Württemberg, Urteil vom 25. Februar 2016 – L 7 SO 262/15; Berlit: in LPK-SGB XII, 11. Auflage 2018, § 74 Rn. 13; a. A. Greiser/Eicher in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 74 SGB XII, Rn. 68; Schlette in: Hauck/Noftz, SGB, 05/13, § 74 SGB XII, Rn. 12) mit der Folge der Berücksichtigung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Ehefrau des Klägers, weil § 19 Abs. 3 SGB XII für alle besonderen Leistungen des SGB XII uneingeschränkt Anwendung finde.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

5.   Entscheidungen der Sozialgerichte zur Sozialhilfe (SGB XII)

5.1 – Sozialgericht Düsseldorf, Urt. v. 18.04.2018 – S 17 SO 572/17

Orientierungssatz (Redakteur)
1. Zur Übernahme ungedeckter Heimpflegekosten bei Berücksichtigung eines Bestattungsvorsorgevertrages bei der Berechnung des klägerischen Vermögens.

Leitsatz (Redakteur)
1. Die Höhe des Bestattungsvorsorgevertrages ist hier mit 8.000,00 EUR nicht unangemessen hoch.

2. Die Verwertung des bei der Deutschen Bestattungsvorsorge Treuhand AG hinterlegten Vermögens in Höhe von 8.000,00 EUR stellt eine Härte im Sinne von § 90 Abs. 3 Satz 1 SGB XII dar, weil es sich um Vermögen aus einem angemessenen Bestattungsvorsorgevertrag handelt.

Hinweis Gericht:
Zur Bestimmung der Angemessenheit einer Bestattungsvorsorge ist zunächst auf die Kosten abzustellen, die die örtlich zuständige Behörde als erforderliche Kosten der Bestattung nach § 74 SGB XII zu übernehmen hat (Grundbetrag), denn insofern wird örtlichen Besonderheiten wie unterschiedlichen Friedhofskosten Rechnung getragen. Dabei ist hinsichtlich der Art der Bestattung (Erdbestattung, Feuerbestattung, etc.) in der Regel die Entscheidung des Heimbewohners zugrunde zu legen. Der sich hieraus ergebende Kostenbetrag, der lediglich den einfachsten Standard repräsentiert, ist unter Berücksichtigung etwaiger Gestaltungswünsche des Heimbewohners bis zur Grenze der Angemessenheit zu erhöhen (Erhöhungsbetrag). Dabei können die Kosten einer durchschnittlichen Bestattung als Richtschnur dienen (so: OVG NRW, Urteil vom 16.11.2009 – 12 A 1363/09).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

5.2 – Sozialgericht Münster, Beschluss v. 05.04.2018 – S 11 SO 60/18 ER

Zum Mehrbedarf f. Ernährung bei koscher Ernährung, hier verneinend.

Orientierungssatz (Redakteur)
1. Allein der Wunsch des Antragstellers, sich koscher zu ernähren, begründet nicht die medizinische Notwendigkeit einer solchen Kostform.

2. In Betracht käme hier allenfalls eine Erhöhung des Regelbedarfs gem. § 27 a Abs. 4 Satz 1 SGB XII, aber es lässt sich nach dem bisherigen Vorbringen des Antragstellers nicht feststellen, dass dieser unabweisbar auf koschere Nahrung angewiesen ist. Bislang ist nicht belegt, dass der Antragsteller sich in Bezug auf die koschere Ernährung tatsächlich in einer Zwangslage befindet, d.h. dass er zwanghaft meint, auf jeden Fall diese Kostform zu sich nehmen zu müssen.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

6.   Entscheidungen der Landessozialgerichte zum Asylrecht

6.1 – Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 20.09.2018 – L 23 AY 19/18 B ER – rechtskräftig

Leistungseinschränkung – sog. “Kettenanspruchseinschränkung” – Dauer – verhaltensbedingte Kürzung

Zu den Voraussetzungen des § 1a Abs. 1 AsylbLG, hier gegeben – § 14 AsylbLG steht der Leistungskürzung nicht entgegen –

Orientierungssatz (Redakteur)
1. Im Fall des § 1a Abs. 1 AsylbLG ist nur eine einmalige Leistungseinschränkung von 6 Monaten möglich (a.A. jurisPK -SGB XII/Oppermann Rn. 13).

2. Die Anwendung des § 1a AsylbLG ist im vorliegenden Fall nicht im Hinblick auf Art. 1 i.V.m. Art. 20 Grundgesetz (GG) ausgeschlossen.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

7.   Verschiedenes zu Hartz IV, zur Sozialhilfe, zum Asylrecht, Wohngeldrecht und anderen Gesetzesbüchern

7.1 – OVG Koblenz v. 24.09.2018 – Az. 7 A 10300/18.OVG

Kein Unterhaltsvorschuss bei mangelnder Mitwirkung der ALG II beziehenden Kindesmutter an Bestimmung des Kindesvaters.

Das OVG Koblenz hat entschieden, dass ein Anspruch auf Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz ausscheidet, wenn die Kindesmutter nicht das ihr Mögliche und Zumutbare unternimmt, um die Person des Kindesvaters bestimmen zu können.

weiter: www.juris.de

Rechtstipp:
Zum SGB 2: aA SG Speyer, Urteil v. 25.10.2016 – S 6 AS 1011/15

Kein Ausschluss von Hartz IV durch Geheimhaltung des Kindsvaters

Leitsatz (Redakteur)
1. Der Anspruch eines Kindes auf Leistungen zur Grundsicherung nach dem SGB II ist nicht dadurch ausgeschlossen, dass die Mutter den Namen des Vaters des Kindes geheim hält.

Rechtstipp:
a. A. SG Trier, Gerichtsbescheid v. 03.08.2015 – S 5 AS 150/15 – Versagung von ALG 2 bei unbegründeter Weigerung der Kindesmutter zur Benennung des Kindesvaters

7.2 – Das JobCenter Berlin-Reinickendorf will anonyme VERTRAUENSPERSONEN BEI PERSÖNLICHEN VORSPRACHEN offenbar nicht akzeptieren (siehe unten, Foto von einem Info-Zettel)

Beitrag von RA Volker Gerloff, Berlin via Facebook (rae-gerloff-gilsbach.de)

Aus meiner Sicht ist die “Identifizierungspflicht” für begleitende Vertrauenspersonen nicht rechtens. Die zitierte Entscheidung des SG Stuttgart ändert daran nichts, denn die Begründung kann nicht überzeugen:

Sich auszuweisen ist eine Identitätsfeststellung. Das wiederum ist ein Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Daher muss es eine konkrete Rechtsgrundlage geben:

1) § 60 SGB I taugt nicht, da die Identität des Beistandes für die Leistungsgewährung völlig unerheblich ist.

2) § 13 SGB X taugt auch nicht. Die Erwägungen des SG Stuttgart überzeugen aus folgenden Gründen nicht:

a) Identität und Beziehung zwischen Leistungsbezieher und Vertrauensperson sei wichtig, um prüfen zu können, ob der Beistand verbotene Rechtsdienstleistung erbringt

– Wenn der Beistand erklärt, er tut das aus Nachbarschaftshilfe oder aus Freundschaft, dann ist klar, dass es keine verbotene Rechtsdienstleistung sein kann; außerdem kommt diese Frage ohnehin erst auf, wenn die Vertrauensperson etwas sagt (oft geht es ja “nur” darum, jemanden dabei zu haben)

b) Identität sei wichtig, um prüfen zu können, ob die Vertrauensperson in der Lage ist, sachgerecht vorzutragen

– Das JobCenter kann die rhetorischen Fähigkeiten einer Person am Namen erkennen? Chapeau! Wenn die Vertrauensperson nur zusammenhangloses dummes Zeug redet, möge diese Person hinausgeworfen werden – die Kenntnis der Identität ist dafür entbehrlich.

c) Identität sei wichtig, um die Geschäftsfähigkeit zu prüfen

– Wenn jemand wegen einer psychischen Erkrankung geschäftsunfähig ist, wird das JobCenter diesen Umstand schnell erkennen, auch ohne Identität der Person – die Kenntnis der Identität dagegen dürfte auch hier wenig hilfreich sein.

– Wenn die Vertrauensperson minderjährig aussieht, dann könnte eine Identitätsfeststellung gerechtfertigt sein…

3) Hausrecht taugt auch nicht, da die Behörde ein öffentliches Gebäude ist. Wenn es für das JobCenter tatsächlich notwendig wäre, die Identität aller Personen zu kennen, die sich in ihren Räumen aufhalten (so das SG Stuttgart), dann wären Einlasskontrollen am Eingang unumgänglich – das dürfte aber eine recht absurde Idee sein…

4) Weitere mögliche Rechtsgrundlagen sind nicht erkennbar, so dass eine Identitätsfeststellung auf Einzelfälle beschränkt werden muss, bei denen Anhaltspunkte dafür bestehen, dass ein Zurückweisungsgrund vorliegen könnte (Beistand sieht minderjährig aus; ist nicht in der Lage, ganze Sätze zu sprechen; o.ä.)

ALSO: Wenn Sie mit einer Vertrauensperson zum JobCenter gehen und diese Vertrauensperson ihre Identität nicht preisgeben will, dann Folgendes:

– Nach Rechtsgrundlage für die Identitätsfeststellung fragen

– Nach konkreten Anhaltspunkten fragen, warum von einem Zurückweisungsgrund i.S.d. § 13 Abs. 5, 6 SGB X ausgegangen wird
– ggf. verlangen, dass der Vertrauensperson zunächst sämtliche Informationen nach DSGVO über die geplante Datenverarbeitung seiner Identitätsdaten in verständlicher Form ausgehändigt werden (vor allem Art. 15 DSGVO; Art. 21 Abs. 4 DSGVO: Hinweis auf Widerspruchsrecht muss erfolgen!)

– Eine schriftliche Zurückweisungsentscheidung verlangen – damit zum Anwalt

Die Drohung, einen Meldetermin als versäumt anzusehen, wenn man mit „anonymem“ Beistand erscheint, ist abenteuerlich. Wenn das passieren sollte: ab zum Anwalt!

Zum Schluss noch ein etwas naiver Gedanke: Sollte in einem demokratischen Rechtstaat die Verwaltung nicht bürgerfreundlich gestaltet sein? Sollten die Mitarbeiter*innen einer Behörde nicht den vornehmsten Zweck ihrer Arbeit darin sehen, dem Bürger/der Bürgerin zu dienen? Nur mal so ‘ne Schnapsidee am Abend

Anmerkung:
SG Stuttgart, Beschl. V. 28.11.2014 – S 4 AS 6236/14 ER (https://dejure.org/2014,37332)

Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren – Ausweispflicht eines Beistands gegenüber dem Grundsicherungsträger

Leitsätze
Das Jobcenter ist berechtigt, von einem Beistand Personalien zu erheben und sich von diesem den Ausweis vorlegen zu lassen.

Kommentare dazu bei Facebook bspw. von Harald Thomé: „Da hat der Kollege vollkommen recht!“
Und von Frau Prof. Dr. Maria Wersig, FH Dortmund: „Unglaublich!“

Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock

Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker