Tacheles Rechtsprechungsticker KW 43/2018

1.   Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

1.1 – Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil v. 01.10.2018 – L 1 AS 3306/16

Orientierungssatz (Redakteur)
Das tarifliche Sterbegeld ist einzusetzendes Einkommen.

Leitsatz (Redakteur)
1. Bei dem Sterbegeld handelte es sich umlaufendes Einkommen, nicht um Vermögen.

2. Wie nachgezahltes Arbeitsentgelt (vgl. BSG vom 24.04.2015 – B 4 AS 32/14 R -) und die bei einem arbeitsgerichtlichen Vergleich vereinbarte Abfindung wegen Verlustes des Arbeitsplatzes (BSG vom 03.03.2009 – B 4 AS 47/08 R) ist auch Sterbegeld des Arbeitgebers als einzusetzendes Einkommen zu berücksichtigen.

3. Bei den von der Klägerin getragenen Bestattungskosten handelt es sich im Hinblick auf das tarifliche Sterbegeld auch nicht um mit der Erzielung des Einkommens verbundene notwendige Ausgaben i.S.d. § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 SGB II (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 09.02.2015 – L 11 AS 1356/14 B ER -, Rn. 12, nach juris und LSG Hamburg, Urteil vom 23.02.2017 – L 4 AS 277/16, weil hier das Sterbegeld nicht teil der Erbschaft ist).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

1.2 – Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urt. v. 20.09.2018 – L 34 AS 2310/17

Grundsicherung für Arbeitsuchende – abschließende Feststellung des Leistungsanspruchs – Einkommensbegriff – Bildung des Durchschnittseinkommens

Orientierungssatz (Redakteur)
1. § 41a Abs. 4 SGB II finde nach dem ausdrücklichen Wortlaut der Norm, die von “Einkommen” spreche, auch auf Kindergeld Anwendung. Auch aus der Gesetzesbegründung zu § 41a Abs. 4 SGB II lasse sich eine Begrenzung auf Erwerbseinkommen nicht entnehmen.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

1.3 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 21.06.2018 – L 7 AS 834/16

Orientierungssatz (Redakteur)
Zahlungen aus einer Restschuldversicherung sind nicht als Einkommen anzurechnen.

Leitsatz (Redakteur)
1. Bei der Zahlung der Restschuldversicherungsbeträge handelt es sich nicht um Einkommen.

2. Die Versicherungsleistungen aus der Restschuldversicherung sind nicht als bereite Mittel zur Existenzsicherung anzusehen, da die Zahlung der Beträge nur zur Begleichung der Raten des Kredits vorgesehen und durch das tatsächliche Zusammenwirken von U-Bank und U-Versicherung sichergestellt war, dass die Mittel nicht zur Existenzsicherung eingesetzt werden konnten.

3. Die Vereinbarung einer Restschuldversicherung bei Kreditvertragsabschluss stellt indes keine Verwendungsentscheidung über zu beanspruchendes Einkommen in diesem Sinne dar. Der vorliegende Sachverhalt unterscheidet sich von den Fallgestaltungen, die den Entscheidungen des BSG zur Unbeachtlichkeit von Dispositionen bei der Einkommensverwendung zugrunde lagen. Sowohl bei der Rückführung eines Arbeitgeberdarlehens (Fallgestaltung bei BSG Urteil vom 24.05.2017 – B 14 AS 32/16 R) als auch bei der Rückführung eines Dispositionskredits (Fallgestaltung bei BSG Urteil vom 29.04.2015 – B 14 AS 10/14 R) war zunächst zur freien Verfügung zustehendes Einkommen betroffen. Dies trifft auf die Zahlungen aus der Restschuldversicherung nicht zu. Das Einkommen aus der Restschuldversicherung wird überhaupt nur erzielt, um Verbindlichkeiten zu tilgen.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

1.4 – Sächsisches Landessozialgericht, Beschluss v. 24.09.2018 – L 7 AS 734/18 B ER – rechtskräftig

Orientierungssatz (Redakteur)
1. Die Kaufpreisraten sind ebenso wie Tilgungsraten im Ausnahmefall zu berücksichtigen, hier im Einzelfall bejahend, denn 93 % der Kaufpreissumme wurden schon getilgt.

2. Es kommt nicht darauf an, dass der Antragsteller bereits Eigentümer des von ihm bewohnten Hauses geworden ist. Maßgeblich ist vielmehr, ob die an die vormalige Grundstückseigentümerin gerichteten Zahlungen wie die Tilgung eines Darlehens zur Wohnraumfinanzierung oder eine Kaufpreisschuld zu werten sind oder ob sie einer (Miet-)Zahlung für die Wohnraumgebrauchsüberlassung gleichstehen. Dies beurteilt sich allein danach, wie der zugrunde liegende Vertrag konkret ausgestaltet ist (vgl. BSG, Urteil vom 04.06.2014 – B 14 AS 42/13 R; Bayerisches LSG, Beschluss vom 27.09.2017 – L 7 BK 6/15).

3. Insbesondere im Rahmen einer im einstweiligen Rechtsschutz durchzuführenden Folgenabwägung tritt in diesem Fall der Aspekt der Wohnraumsicherung in den Vordergrund. Nach Abzahlung des Kaufpreises lägen die Kosten der Unterkunft trotz der Größe des vorhandenen Wohnhauses deutlich unter der Angemessenheitsgrenze aus der Richtlinie des Landkreises.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

2.   Entscheidungen der Landessozialgerichte und Sozialgerichte zur Arbeitsförderung (SGB III)

2.1 – Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urt. v. 28.09.2018 – L 8 AL 2497/18

Leitsatz (Juris)
1. Eine neue ständige Rechtsprechung im Sinne von § 330 Absatz 1 SGB III kann erst dann entstehen, wenn das Revisionsgericht eine Rechtsfrage in einem bestimmten Sinn beantwortet hat, wobei nach Sinn und Zweck der Vorschrift schon eine Entscheidung des Revisionsgerichts genügen kann, wenn die zu beurteilende Rechtsfrage damit hinreichend geklärt ist.

2. Soweit nachgehende Entscheidungen von Instanzgerichten eine erweiternde Auslegung der der bisherigen Rechtsprechung des Revisionsgerichts unterliegenden Norm vornehmen, ist dies ein Versuch der Rechtsfortbildung und nicht zwingend Ausdruck einer noch unklaren Rechtslage, was daher der Bejahung des Tatbestandsmerkmals in § 330 SGB III einer “ständigen Rechtsprechung” zur einschlägigen Rechtsfrage nicht entgegensteht.

3. Entscheidungen des Revisionsgerichts, die die Rechtsfortentwicklung als unvereinbar mit der Gesetzeslage beurteilen, begründen daher auch keine neue ständige Rechtsprechung mit der Folge, dass Verwaltungsakte nur mit Wirkung ab dem Zeitpunkt des Ergehens dieser Entscheidung aufzuheben sind (hier Aufhebung der Sperrzeitentscheidungen bei nicht unmittelbar nach Ablauf einer Altersteilzeitvereinbarung erfolgtem Antrag auf Altersrente im Anschluss zu BSG 12.09.2017 – B 11 AL 25/16 R -)

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

2.2 – Sozialgericht Karlsruhe, Urt. v. 30.07.2018 – S 11 AL 4346/17

Eintritt einer Sperrzeit wegen des Abschlusses eines Aufhebungsvertrages – gesundheitliche Gründe

Gesundheitliche Beeinträchtigungen können Lösung des Beschäftigungsverhältnisses rechtfertigen, hier nicht gegeben.

Orientierungssatz (Redakteur)
1. Zwar können gesundheitliche Beeinträchtigungen eine Lösung des Beschäftigungsverhältnisses rechtfertigen. Dies ist dann der Fall, wenn die gesundheitlichen Gründe so schwerwiegend sind, dass die bisherige Beschäftigung aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr hätte ausgeübt werden können (vgl. Bayer. LSG, Urteil vom 13. März 2014 – L 9 AL 253/10) oder das körperliche oder geistige Leistungsvermögen die künftige Ausübung der bisherigen Tätigkeit zumindest erschweren würde. Voraussetzung ist jedenfalls, dass die gesundheitlichen Gründe so schwerwiegend sind, dass es einem Arbeitnehmer nicht mehr zugemutet werden kann, am Beschäftigungsverhältnis festzuhalten. Abzustellen ist hierbei auf den jeweiligen Einzelfall (Sächsisches Landessozialgericht, Urteil vom 30. Juni 2016 – L 3 AL 130/14).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

3.   Entscheidungen der Landessozialgerichte und Sozialgerichte zur Sozialhilfe (SGB XII)

3.1 – Sächsisches Landessozialgericht, Beschluss v. 22.05.2018 – L 8 SO 121/17 B ER – rechtskräftig

Orientierungssatz (Redakteur)
Sozialamt muss monatlich 50 Euro für das Andicken von Getränken für Heimbewohner zahlen.

Leitsatz (Redakteur)
1. Im vorliegenden Fall kommt eine Übernahme der Kosten für das Dickungspulver als weiterer notwendiger Lebensunterhalt nach § 27b Abs. 2 SGB XII in Betracht, weil es nach Maßgabe des Leistungserbringungsrechts im Pflegeheim des Beigeladenen nicht als notwendiger Lebensunterhalt im Sinne des § 27b Abs. 1 SGB XII zu erbringen ist.

2. Dem Anordnungsanspruch kann der Nachranggrundsatz des § 2 Abs. 1 SGB XII (dazu BSG, Urteil vom 30.06.2016 – B 8 SO 7/15 R; Urteil vom 19.05.2009 – B 8 SO 32/07 R –) schon deshalb nicht entgegengehalten werden, weil keine vorrangige Leistungspflicht der beigeladenen Krankenkasse besteht.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

3.2 – Sozialgericht Frankfurt, Urteil v. 08.05.2018 – S 27 SO 274/15 – rechtskräftig

Orientierungssatz (Redakteur)
1. Zur Anrechnung von Vermögen bei der Gewährung von Heim- Pflegeleistungen nach dem SGB XII – Bestattungsvorsorge-Treuhandvertrag kein verwertbares Vermögen der Klägerin wegen der Härteregelung des § 90 Abs. 3 SGB XII.

2. Die angemessene finanzielle Vorsorge für den Todesfall unterliegt dem Vermögensschutz des § 90 Abs. 3 SGB XII (vgl. SG Gießen, 25.07.2017 – S 18 SO 160/16).

Leitsatz (Redakteur)
1. Im vorliegenden Einzelfalle, in dem ein Bestattungsvorsorgevertrag über nominell 8.500,00 EUR abgeschlossen wurde, erscheint dieser Betrag angemessen insbesondere im Hinblick auf den gerichtlichen Vergleich vor dem HLSG vom 24. Februar 2015 (L 4 SO 19/15), dort waren es 9.000,00 EUR.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

Rechtstipp: ebenso bei 8000,00 EUR, SG Düsseldorf, Urt. v. 18.04.2018 – S 17 SO 572/17

4.   Entscheidungen der Sozialgerichte zum Asylrecht

4.1 – Sozialgericht Osnabrück, Beschluss v. 04.09.2o018 – S 44 AY 12/18 ER

Asylbewerberleistung – sonstige Leistungen – Unerlässlichkeit zur Sicherung der Gesundheit – Schmerztherapie – verfassungskonforme Auslegung – Erforderlichkeit

Orientierungssatz (Redakteur)
Zur Gewährung eines Krankenscheins für eine Schmerztherapie.

Leitsatz (Juris)
1. Bei einem verfestigten Aufenthalt ist § 6 Abs. 1 Satz 1 Var. 2 AsylbLG grundsätzlich erweiternd verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass bezüglich des Leistungsumfangs von Maßnahmen zur Sicherung der Gesundheit eine Angleichung an den Leistungskatalog des SGB V erfolgt (Anschluss an: Hessisches Landessozialgericht, Beschluss vom 11. Juli 2018 – L 4 AY 9/18 B ER).

2. Auch unter Berücksichtigung dieser verfassungskonformen Auslegung ist aber die Erforderlichkeit der begehrten medizinischen Behandlung durch das Gericht zu prüfen. Eine Übertragung der hierfür im SGB V vorgesehenen Mechanismen auf das AsylbLG ist nicht möglich, sondern dem Gesetzgeber vorbehalten.

3. Bestehen bezüglich einer Schmerztherapie an der geltend gemachten Diagnose posttraumatische Belastungsstörung Zweifel und wurde zur gleichen Eignung einer von amtsärztlicher Seite vorgeschlagenen Alternative zur begehrten Therapie (Mobilisierung durch Krankengymnastik) nicht vorgetragen, so ist die Erforderlichkeit der Maßnahme zu verneinen.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

5.   Verschiedenes zu Hartz IV, zur Sozialhilfe, zum Asylrecht, Wohngeldrecht und anderen Gesetzesbüchern

5.1 – VG Trier vom 16.10.2018 – Az. 7 L 5184/18.TR

Abschiebung zweier Sudanesen im “Hunsrück-Kirchenasyl” vorerst untersagt

Das VG Trier hat im Streit um mehrere ins Kirchenasyl geflohene sudanesische Asylbewerber im Rhein-Hunsrück-Kreis im Eilverfahren entschieden, dass Asylbegehrende, die sich im Kirchenasyl befinden, nicht als “flüchtig” gelten.

weiter: www.juris.de

5.2 – Hochsauerlandkreis: Schlüssiges Konzept zur Feststellung der angemessenen Unterkunftskosten bestätigt – LSG NRW, Urt. v. 16.08.2018 – L 19 AS 2334/17

Das LSG Essen hat entschieden, dass die Beurteilung der Angemessenheit der Unterkunftskosten im Hochsauerlandkreis weiterhin auf der Grundlage des von der Firma Analyse & Konzepte geschaffenen Konzepts erfolgen darf.

Quelle: Pressemitteilung des LSG Essen v. 19.10.2018: www.juris.de

Hinweis:
s.a. dazu: Tacheles Rechtsprechungsticker KW 40/2018, Punkt 1.3

weiter: tacheles-sozialhilfe.de

Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock

Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker