Tacheles Rechtsprechungsticker KW 44/2018

1.   Entscheidungen des Bundessozialgerichts vom 14.06.2018 und 09.08.2018 zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

1.1 – BSG, Urteil v. 14.06.2018 – B 14 AS 37/17 R

Grundsicherung für Arbeitsuchende – Einkommensberücksichtigung – Kinderwohngeld – Berücksichtigung als Einkommen beim Kind trotz Wohngeldberechtigung des Elternteils – Kindergeldüberhang – Anrechnung beim Einkommen des Kindergeldberechtigten

Orientierungssatz (Redakteur)
1. Das der Klägerin für ihren Sohn bewilligte (Kinder)Wohngeld ist bei dem Sohn als Einkommen zu berücksichtigen. Dies folgt aus systematischen Zusammenhängen innerhalb des WoGG und dessen Verhältnis zum SGB II.

2. Der Kindergeldüberhang ist bei der Klägerin in voller Höhe als Einkommen zu berücksichtigen. Dem steht § 1612b BGB (Deckung des Barbedarfs durch Kindergeld) nicht entgegen, weil dies eine rein unterhaltsrechtliche Regelung ist, die im Übrigen nach der Rechtsprechung des BGH (BGH vom 14.12.2016 – XII ZB 207/15) ebenso wie nach § 74 EStG zu einem Auskehranspruch des Kindes führen kann.

Quelle: www.bsg.bund.de

1.2 – BSG, Urteil v. 09.08.2018 – B 14 AS 32/17 R

Grundsicherung für Arbeitsuchende – Leistungsausschluss für Ausländer bei Aufenthalt zur Arbeitsuche – Sozialhilfe – Hilfe zum Lebensunterhalt – Leistungsausschluss für dem Grunde nach Leistungsberechtigte nach dem SGB II – Anwendbarkeit des EuFürsAbk – erlaubter Aufenthalt – Leistungsausschluss nach § 23 Absatz 3 Satz 1 SGB XII – Leistungsgewährung nach § 23 Absatz 1 Satz 3 SGB XII – Ermessensreduzierung auf Null bei mehr als sechsmonatigem Aufenthalt

Orientierungssatz (Redakteur)
BSG zu Sozialleistungen für EU-Ausländer: Sozialhilfe auch ohne Aufenthaltsrecht.

Quelle: www.bsg.bund.de

2.   Entscheidungen des Bundessozialgerichts vom 25.10.2018 zum Asylrecht

2.1 – BSG, Urteil v. 25.10.2018 – B 7 AY 2/18 R

Orientierungssatz (Redakteur)
1. § 44 Sozialgesetzbuch Erstes Buch – Allgemeiner Teil – sei im AsylbLG weder unmittelbar noch analog anzuwenden, weil es jedenfalls an einer planwidrigen Regelungslücke fehle.

2. Doch stehen den Klägern in entsprechender Anwendung des § 291 BGB Prozesszinsen ab Rechtshängigkeit der ursprünglichen Klagen auf höhere Kosten der Unterkunft zu. Unter Berücksichtigung des gesetzgeberischen Verständnisses des AsylbLG als im Kern ausländerrechtlichem Regelungswerk schließt sich der Senat insoweit der Rechtsprechung des BVerwG an, wonach für öffentlich-rechtliche Geldforderungen Prozesszinsen zu entrichten sind, wenn das jeweils einschlägige Fachrecht – hier also das AsylbLG – keine gegenteilige Regelung trifft.

Quelle: www.juris.de

2.2 – BSG, Urteil v. 25.10.2018 – B 7 AY 1/18 R

Orientierungssatz (Redakteur)
Zur Frage der Gewährung eines Mehrbedarfs für Alleinerziehende bei Asylbewerbern.

Leitsatz (Redakteur)
1. Der Lebenssachverhalt der Alleinerziehung ist im Ausgangspunkt zwar auch bei Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG für die Existenzsicherung relevant. Bezogen auf diese Lebenslage lässt sich nämlich nicht per se feststellen, dass sich spezifische Minderbedarfe bei einem nur kurzfristigen, nicht auf Dauer angelegten Aufenthalt im Inland ergeben. Es ist aber zulässig, für Leistungsberechtigte nach dem AsylbLG solche Bedarfe im Grundsatz nicht durch eine pauschale Geldleistung, sondern nur anknüpfend an konkret erkennbar werdende Bedarfslagen und dabei im Regelfall als Sachleistung zu gewähren. Bedarfe im Einzelnen hat die Klägerin aber nicht geltend gemacht.

Quelle: www.juris.de

3.   Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

3.1 – Sächs. LSG, Urt. v. 14.09.2018 – L 7 AS 1167/15

Orientierungssatz (Redakteur)
Konzept der Landeshauptstadt Dresden zu Bedarfen für Unterkunft im Wesentlichen bestätigt.

Hinweis Gericht:
1. Nach Auffassung des Landessozialgerichts erfüllt auch das dem Stadtratsbeschluss der Landeshauptstadt Dresden vom 30.05.2013 zugrunde liegende, im IWU II vom 27.03.2013 niedergelegte und nach dem Wortlaut des Beschlusses für Zeiträume ab 01.01.2013 geltende Konzept grundsätzlich die nach der Rechtsprechung des BSG an ein “schlüssiges Konzept” zu stellenden Anforderungen. Es verbleibe daher bei folgenden Angemessenheitsgrenzen (Bruttokaltmiete nach IWU II): Ein-Personen-Haushalt: 304,79 Euro, Zwei-Personen-Haushalt: 377,61 Euro, Drei-Personen-Haushalt: 454,11 Euro, Vier-Personen-Haushalt: 522,31 Euro, Fünf-Personen-Haushalt: 630,51 Euro.

2. Entgegen dem Sozialgericht erwachse eine Unschlüssigkeit von IWU I und IWU II nicht daraus, dass bei der Ermittlung der Angebotsmieten die Neuvertragsmieten aus dem Mietspiegeldatensatz des qualifizierten Mietspiegels mit dem Mietpreisindex im Verbraucherpreisindex für das Land Sachsen inflationiert worden sind.

3. Das Landessozialgericht hat – anders als noch bei seiner ersten Entscheidung zu den Unterkunftskosten in Dresden – die Revision nicht zugelassen.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

3.2 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 06.09.2018 – L 7 AS 744/17

Arbeitslosengeld II – Unterkunfts- und Heizkosten – Ermittlung des Wohnflächenbedarfs bei temporären Bedarfsgemeinschaften – Ausübung des Umgangsrechtes – Einzelfallprüfung –

Orientierungssatz (Redakteur)
1. Für die Frage, ob bei einer temporären Wohngemeinschaft ein zusätzlicher Wohnbedarf anzunehmen ist, kommt es entscheidend auf die Umstände des Einzelfalles an. Ein höherer Wohnbedarf kann nur ausnahmsweise anerkannt werden, wenn sonst die Wohnverhältnisse evident zum Besuch des Kindes/der Kinder ungeeignet sind, ist hier nicht gegeben.

2. Für das Umgangsrecht mit seiner vierjährige Tochter (Besuch an zwei Wochenenden je Monat) genügt für den Kläger ein Wohnraum von maximal 50 m².

3. Ein Mehrbedarf hinsichtlich der Wohnungsgröße folgt in dieser Konstellation nicht daraus, dass für das Kind ein eigenes Kinderzimmer bereitgehalten werden müsste. Gerade bei jüngeren Kindern beschränkt sich die Notwendigkeit einer räumlichen Trennung des Elternteils von dem Kind bei Besuchskontakten auf die Abend- und Nachtstunden, wenn das Kind schläft. Die Nachtruhe des Kindes kann ohne weiteres im Schlafzimmer des Elternteils gewährleistet werden. Es ist weder üblich, noch würde es dem Kindeswohl entsprechen, dass sich das Kind tagsüber alleine in einem eigenen Kinderzimmer aufhält. Besonderer Stauraum ist nicht erforderlich, da Wechselbekleidung und Waschutensilien für Wochenendbesuche eines Kleinkindes ohne weiteres im Schlafzimmer und Bad untergebracht werden können. Sperrige Gegenstände, wie ggf. Fahrräder, Musikinstrumente etc. können ebenfalls regelmäßig übers Wochenende auch in einem Singlehaushalt untergebracht werden bzw. bei Bedarf in der naheliegenden Wohnung der Kindesmutter abgeholt und untergebracht werden (zum Entfernungskriterium der Wohnung des anderen Elternteils schon LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 17.06.2008 – L 20 B 225/07 AS ER; ebenso LSG Schleswig-Holstein Beschluss vom 04.08.2010 – L 11 AS 105/10 B PKH).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

3.3 – Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Beschluss v. 17.09.2018 – L 4 AS 414/18 B – rechtskräftig

Angelegenheiten nach dem SGB II (AS) – Rechtsanwaltsvergütung

Leitsatz (Juris)
1. Wenn im Grundsicherungsrecht nach dem SGB II eine Rechtsfrage (Aufteilung der KdUH) über mehrere Bewilligungszeiträume hinweg (mit-)streitgegenständlich ist und vom Leistungsträger mehrere Bescheide für die verschiedenen Zeiträume erlassen werden, ist in der Regel nicht vom Vorliegen derselben Angelegenheit iSv § 15 Abs 2 RVG auszugehen.

2. Hat der Leistungsträger mehrere gesonderte Bescheide erlassen und auch das SG keinen Anlass für eine Verbindung der anhängigen Verfahren gesehen, besteht kein Anlass für den Vorhalt, der Bevollmächtigte habe einen einheitlichen Lebenssachverhalt willkürlich in mehrere Prozessmandate aufgeteilt.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

3.4 – Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Beschluss v. 07.09.2018 – L 4 AS 312/18 NZB – rechtskräftig

Arbeitslosengeld II – Unterkunft und Heizung – Heizkostenrückzahlung – Übernahme nur angemessener Heizkosten im Abrechnungszeitraum – Ansparung eines Teils der Heizkostenvorauszahlung aus der Regelleistung – Minderung der Leistungen für Unterkunft und Heizung

Orientierungssatz (Redakteur)
1. Erst mit der Änderung des § 22 Abs. 3 SGB II zum 1. August 2016 bleiben neben den Rückzahlungen, die sich auf Kosten für Haushaltsenergie beziehen auch jene außer Betracht, die sich auf nicht anerkannte Aufwendungen für Unterkunft und Heizung beziehen. Die Neuregelung beansprucht keine Vorwirkung (vgl. BSG, Urteil vom 14. Juni 2018 – B 14 AS 22/17 R; im Ergebnis ebenso Senatsurteil vom 1. Dezember 2016 – L 4 AS 610/15).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

4.   Entscheidungen der Sozialgerichte zur Sozialhilfe (SGB XII)

4.1 – Sozialgericht Hamburg, Beschluss v. 09.10.2018 – S 28 SO 409/18 ER

Orientierungssatz (Redakteur)
1. Kein Kopfteilprinzip bei den Kosten der Unterkunft bei Leistungsausschluss des Partners wegen stationärer Unterbringung in einem Pflegeheim.

Leitsatz (Redakteur)
1. Für die Anwendung des Kopfteilprinzips ist auch in Bezug auf den im Pflegeheim lebenden Ehemann der Klägerin kein Raum. Die Aufteilung der Kosten der Unterkunft und Heizung nach dem Kopfteilprinzip setzt nach der Rechtsprechung des BSG voraus, dass die Wohnung gemeinsam mit anderen Personen genutzt wird, also den aktuellen Unterkunftsbedarf weiterer Personen abdeckt. Daran fehlt es, wenn ein Mitglied der Bedarfsgemeinschaft die Wohnung über einen Zeitraum nicht nutzt, der auch zu einem Ausschluss von Leistungen nach § 7 Abs 4, 4a SGB II führt (vgl. BSG Urteil vom 16.04.2013 B 14 AS 71/12).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

5.   Entscheidungen der Sozialgerichte zum Asylrecht

5.1 – Sozialgericht Landshut, Beschluss v. 17.10.2018 – S 11 AY 153/18 ER

Antrag auf Sozialleistungen für einen Asylbewerber ohne Anspruchseinschränkung – Leistungsverkürzung erfordert konkretes Fehlverhalten des Leistungsberechtigten

Orientierungssatz (Redakteur)
1. Wegen einer pflichtwidrigen Einreise ist eine Einschränkung nach § 1a Abs. 4 S. 2 AsylbLG nur für maximal sechs Monate möglich, wenn danach das Verbleiben in Deutschland wegen einer Aufenthaltsgestattung nicht pflichtwidrig ist.

Leitsatz (Redakteur)
1. Soweit § 1a Abs. 4 AsylbLG, jedenfalls dem Wortlaut nach, eine Anspruchseinschränkung ohne Anknüpfung an ein Fehlverhalten vorsieht, widerspricht dies dem bisherigen Sanktionssystem sowohl im AsylbLG als auch in der Grundsicherung für Arbeitsuchende (Zweites Buch Sozialgesetzbuch – SGB II) und der Sozialhilfe (Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch – SGB XII), wonach die Kürzung der Leistungen stets ein bestimmtes, vorwerfbares Verhalten oder Unterlassen des Leistungsberechtigten zur Voraussetzung hat. Demnach muss es der Leistungsberechtigte selbst in der Hand haben, eine Leistungskürzung zu vermeiden bzw. zu beenden (vgl. Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 17. September 2018 – L 8 AY 13/18 B ER).

2. Nach dem Ablauf der ersten Sanktion für den Zeitraum von sechs Monaten ist vorliegend eine weitere Sanktionierung nicht mehr möglich. Wegen der pflichtwidrigen Einreise ist eine Einschränkung nach § 1a Abs. 4 S. 2 AsylbLG nur für maximal sechs Monate möglich (§ 14 Abs. 1 AsylbLG). § 14 Abs. 2 AsylbLG lässt zudem keine befristeten Kettenanspruchseinschränkungen zu; die Norm ist keine Rechtsgrundlage für Daueranspruchseinschränkungen (Oppermann in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 14 AsylbLG 1. Überarbeitung, Rn. 14  ; a. A. Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 20. September 2018 – L 23 AY 19/18 B ER -).

3. Es kann hier somit dahinstehen, ob die Antragstellerin an der Ausreise wegen des Vaters des dritten Kindes gehindert ist und ob für das Beispiel Italien im einstweiligen Rechtsschutz existenzsichernde Leistungen in vollem Umfang bereits deshalb zu gewähren sind, weil die Abschiebung in einen anderen EU-Staat wegen einer dort drohenden unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art 3 EMRK nicht möglich ist (so SG Lüneburg, Beschluss vom 06. Juni 2017 – S 26 AY 10/17 ER -; Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit SG München, S 42 AY 114/18 ER).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

6.   Verschiedenes zu Hartz IV, zur Sozialhilfe, zum Asylrecht, Wohngeldrecht und anderen Gesetzesbüchern

6.1 – Anmerkung zu: BGH 3. Zivilsenat, Urteil vom 02.08.2018 – III ZR 466/16

Autor: Prof. Dr Gabriele Nellissen
Erscheinungsdatum: 25.10.2018

Anforderungen an eine Beratung nach § 14 SGB I

Leitsatz
Zu den Anforderungen an die Beratungspflicht des Trägers der Sozialhilfe gemäß § 14 SGB I, wenn bei Beantragung von laufenden Leistungen der Grundsicherung wegen Erwerbsminderung ein dringender rentenversicherungsrechtlicher Beratungsbedarf erkennbar ist.

weiter: www.juris.de

6.2 – Sächsisches Oberverwaltungsgericht v. 25.10.2018 – Az.: 5 A 51/16.A, 5 A 1150/17.A

Kein Flüchtlingsschutz für Asylbewerber aus Libyen
Das OVG Bautzen hat entschieden, dass Asylbewerber aus Libyen keinen Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Flüchtlingsschutzes haben.

In zwei Verfahren hatte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) die Asylanträge von zwei Asylbewerbern aus Libyen (Kläger) abgelehnt. Den Klägern wurde vom BAMF auch die Flüchtlingseigenschaft und der subsidiäre Schutzstatus nicht zuerkannt. Weiter wurde vom BAMF festgestellt, dass bei ihnen keine Abschiebungsverbote vorliegen. Sie wurden zur Ausreise aufgefordert und ihnen wurde die Abschiebung nach Libyen angedroht.

Die dagegen von den Klägern zu den VG Leipzig und VG Dresden erhobenen Klagen hatten keinen Erfolg.

Das OVG Bautzen hat die Berufungen der Kläger gegen die Urteile der Verwaltungsgerichte zurückgewiesen.

weiter: www.juris.de

6.3 – Hartz-IV-Empfängerin aus Göttingen droht Obdachlosigkeit – ihr Anwalt Sven Adam rechnet mit den Ämtern ab

Adam wirft dem Landkreis Göttingen vor, die Wohnkosten für Hartz-IV-Empfänger zu niedrig angesetzt zu haben.

weiter: www.huffingtonpost.de

Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock

Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker