Tacheles Rechtsprechungsticker KW 46/2018

1.   Entscheidungen des Bundessozialgerichts zur Sozialhilfe (SGB XXII) und zum SGB II

1.1 – BSG, Urteil vom 28.08.2018 – B 8 SO 9/17 R

Zur Übernahme von PKW-Reparaturkosten als Leistungen der Eingliederungshilfe.

Orientierungssatz (Redakteur)
Anspruch auf Sozialhilfe Übernahme von PKW-Reparaturkosten im Wege der Eingliederungshilfe Anforderungen an den Kenntnisgrundsatz beim Einsetzen der Sozialhilfe.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

1.2 – BSG, Urteil v. 14.06.2018 – B 4 AS 23/17 R

Kann ein Leistungsberechtigter, der mit seiner Ehefrau in Bedarfsgemeinschaft zusammenlebt, den Regelbedarf für Alleinstehende gemäß § 20 Absatz 2 Satz 1 SGB II beanspruchen und bei der Verteilung der Unterkunftskosten eine Ausnahme von der Anwendung des Kopfteilprinzips verlangen, wenn die Ehefrau wegen ihres eingeschränkten Aufenthaltstitels (Erlöschen bei Bezug öffentlicher Leistungen) einen ihr grundsätzlich zustehenden Leistungsanspruch nach dem SGB II nicht realisiert?

Orientierungssatz (Redakteur)
Gründe, vom Kopfteilprinzip abzuweichen (vgl näher BSG vom 14.2.2018 – B 14 AS 17/17 R), sind nicht zu erkennen. Denn der damaligen Ehefrau wurde nur deswegen kein Kopfteil vom Beklagten gezahlt, weil sie keinen Antrag gestellt hatte. Dies ist mit der Minderung oder dem Entfallen des Leistungsanspruchs wegen einer sog Sanktion nicht vergleichbar.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

1.3 – BSG, Urteil v. 09.08.2018 – B 14 AS 38/17 R

Orientierungssatz (Redakteur)
Hat der Grundsicherungsträger auf Antrag des Leistungsberechtigten entschieden, dass der auf Unterkunft und Heizung entfallende Anteil an den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts direkt an den Vermieter auszuzahlen ist, begründet dies nach Wortlaut, Systematik und Regelungsintention ausschließlich eine von § 42 SGB II abweichende Empfangsberechtigung des Vermieters. Einen eigenständigen, selbständig einklagbaren Anspruch erwirbt ein Vermieter deshalb nur aus einer ausdrücklichen Schuldübernahmeerklärung, durch die sich das Jobcenter unabhängig von der Direktzahlungsentscheidung nach § 22 Abs 7 Satz 1 SGB II ihm gegenüber zur Zahlung der von den Leistungsberechtigten geschuldeten Miete verpflichtet. Eine solche Erklärung hat der Beklagte nach dem Vorbringen auch des Klägers selbst allerdings nicht abgegeben.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

2.   Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

2.1 – Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urt. v. 10.10.2018 – L 31 AS 462/16

Krankengeld – Einmalzahlung – laufende Leistung

Leitsatz
Das nachgezahlte Krankengeld stellt sich als laufende Einnahme dar, die sich nur im Zuflussmonat bedarfsmindernd auswirkt.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

2.2 – Landessozialgericht Hamburg, Urt. v. 10.09.2018 – L 4 AS 316/15

Orientierungssatz (Redakteur)
„Für eine Erhöhung der Betriebseinnahmen anhand eines Rohgewinnaufschlags entsprechend den Richtsätzen des Bundesministeriums der Finanzen, wie sie der Antragsgegner im Ablehnungsbescheid zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht hat, ist kein Raum. Es handelt sich um Richtsätze, die nicht für Zwecke der Einkommensberechnung nach dem SGB II, sondern als Hilfsmittel für die Finanzverwaltung erstellt werden, und die zudem eine weite Spanne (Richtsätze 2016 für Imbissbetriebe: Rohgewinnaufschlag 144 % – 376 %) aufweisen. Zudem lässt sich aus einer Abweichung der klägerischen Einnahmen von diesen Richtsätzen nicht darauf schließen, dass tatsächlich ein höheres Einkommen erzielt wird als angegeben. Hierfür fehlt es an jeglichen sonstigen Anhaltspunkten und eine Abweichung von den Richtsätzen kann auch schlicht Abbild der Unwirtschaftlichkeit der Betriebsführung sein.“

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

2.3 – Landessozialgericht Hamburg, Urt. v. 22.02.2018 – L 4 AS 401/16

Orientierungssatz (Redakteur)
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, welcher der Senat insoweit folgt, sind Untervermietungen von Teilen der angemieteten Unterkunft als Kostensenkungsmaßnahmen bei der Bedarfsberechnung der Kosten der Unterkunft zu berücksichtigen. Untermietzahlungen stellen regelmäßig kein Einkommen i.S.d. § 11 SGB II dar (BSG, Urteil vom 6.8.2014 – B 4 AS 37/13 R; ebenso LSG Schleswig-Holstein, Urteil vom 12.4.2011 – L 6 AS 37/10, nachfolgend BSG, Urteil vom 29.11.2012 – B 14 AS 161/11, dort diese Frage offen lassend; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 22.2.2008 – L 28 AS 1965/07; a.A. SG Potsdam, Urteil vom 26.3.2014 – S 38 AS 1542/13 WA, jedenfalls für den Fall, dass die Angemessenheit der Unterkunftskosten nicht in Streit stehe).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

2.4 – Landessozialgericht Hamburg, Urt. v. 27.09.2018 – L 4 AS 258/17

Orientierungssatz (Redakteur)
Zur Frage, ob das JC die Kosten eines amtsgerichtlichen Zahlungs- und Räumungsklageverfahren, zu deren Erstattung die Klägerin durch Kostenfestsetzungsbeschluss verpflichtet wurde, übernehmen muss, hier verneinend.

Die Kosten des amtsgerichtlichen Verfahrens gehören nicht zu den Bedarfen für Unterkunft und Heizung im Sinne von § 22 Abs. 1 SGB II.

Die Kosten des Zahlungs- und Räumungsklageverfahrens sind weder durch die Beschaffung noch durch die laufende Nutzung der Wohnung durch die Klägerin entstanden. Es handelt sich auch nicht um Kosten, deren Tragung erforderlich ist, um die Wohnung für die Klägerin zu erhalten. Denn es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass die Vermieterin die Weiternutzung der Wohnung durch die Klägerin an die Begleichung dieser Kosten geknüpft hätte (so war die Sachlage in dem Fall, der dem Urteil des BSG vom 17.6.2010 – B 14 AS 58/09 R zugrunde lag).

Eine Übernahme von Kosten einer Räumungsklage als „Annex“ zu den Leistungen nach § 22 Abs. 1 SGB II (zu dieser grundsätzlichen Möglichkeit vgl. BSG, Urteil vom 24.11.2011 – B 14 AS 15/11, Rn. 19; ebenso LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 27.6.2017 – L 9 AS 1742/14) kommt vorliegend ebenfalls nicht in Betracht.

Auch eine auf § 22 Abs. 8 SGB II gestützte Übernahme der Kosten des amtsgerichtlichen Verfahrens als Schulden der Klägerin kommt nicht in Betracht. Es dürfte sich bei den Kosten schon nicht um Schulden im Sinne von § 22 Abs. 8 SGB II, sondern um einen während der Hilfebedürftigkeit der Klägerin eingetretenen, tatsächlich noch nicht gedeckten Bedarf handeln (zur Abgrenzung von Schulden zu Aufwendungen/ungedeckten Bedarfen vgl. BSG, Urteil vom 22.3.2010 – B 4 AS 62/09 R).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

3.   Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

3.1 – Sozialgericht Berlin, Urt. v. 07.09.2018 – S 37 AS 6994/18 – rechtskräftig

Grundsicherung für Arbeitsuchende – abschließende Entscheidung nach vorläufiger Leistungsbewilligung – Zugrundelegung des Durchschnittseinkommens im Bewilligungszeitraum – Einkommensberechnung bzw -bereinigung

Leitsatz (Juris)
1. § 41a Abs. 4 SGB 2 schreibt nach vorläufiger Bewilligung auch dann eine Verteilung des im Bewilligungszeitraum erzielten Einkommens über sechs Monate hinweg vor, wenn nur in einem Monat Einkommen erzielt wurde.

2. Für eine einschränkende Auslegung der Norm fehlt angesichts des Gesetzgebungsverfahrens die Rechtfertigung. Eine Korrektur unerwünschter Ergebnisse bleibt dem Gesetzgeber vorbehalten.

Wie im Fall der Durchschnittsbildung nur in einem Monat erzielten Erwerbseinkommens die Einkommensbereinigung zu erfolgen hat, kann offenbleiben. Eine der Verteilung vorausgehende Bereinigung nach § 11b SGB 2 ist jedenfalls nicht zu beanstanden.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

3.2 – Sozialgericht Berlin, Urt. v. 26.09.2018 – S 142 AS 6068/18

Leitsatz (Juris)
Im Rahmen der abschließenden Feststellung des Leistungsanspruchs nach vorangegangener vorläufiger Bewilligung ist gemäß § 41a Abs. 4 SGB 2 auch dann ein Durchschnittseinkommen für den gesamten Bewilligungszeitraum zu bilden, wenn die Erwerbstätigkeit nur in Teilen des Bewilligungszeitraums ausgeübt wurde und daher Einkommenszuflüsse nur in Teilen des Bewilligungszeitraums erfolgt sind; ob der Grund für die vorläufige Bewilligung schwankendes Einkommen war, ist entgegen der fachlichen Hinweise der Bundesagentur für Arbeit zu § 41a SGB 2 (Rz. 41a.27) irrelevant:

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

3.3 – Beantragen Sie eine Erwerbsunfähigkeitsrente!, ein Beitrag von RA Kay Füßlein zu SG Berlin, Beschluss vom 25.10.208 – S 121 AS 10417/18 ER

Meinem Eindruck nach kommt es nach längerer Krankheit und Arbeitsunfähigkeit von Leistungsbeziehern nach dem SGB XII fast schon reflexhaft vom JobCenter zum Aufforderungsschreiben, eine Erwerbsminderungsrente zu beantragen.

Leider geht da von Seiten der Behörde einiges durcheinander, da Arbeitsunfähigkeit und erwerbsunfähig vollkommen andere Voraussetzungen haben. Auch wurden schon Leistungsbezieher aufgefordert, die gar keinen Anspruch auf eine Erwerbsminderungsrente haben, weil diese ga nicht in die Rentenversicherung eingezahlt haben.

Um dies zu klären, sieht das Gesetz in § 44a SGB II ein besonderes Verfahren vor, welches aber in der Praxis kaum angewandt wird.

M.a.W.: diese Aufforderungsschreiben sind in der Regel rechtswidrig. Gleichfalls rechtswidrig ist der unterschwellige Druck, der vermittelt wird, dass eventuell Leistungen nicht weitergezahlt werden.

Das SG Berlin hat in seinem Beschluss vom 25.10.208 – S 121 AS 10417/18 ER- nun nochmals betont, dass das Verfahren nach § 44a SGB II einzuhalten ist:

Eingangs ist der Verweis auf Leistungen nach dem SGB XII nichtzutreffend:

Quelle: www.ra-fuesslein.de

4.   Entscheidungen der Landessozialgerichte und Sozialgerichte zum Arbeitsförderungsrecht  (SGB III)

4.1 – Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 27.08.2018 – L 2 AL 29/18 B ER

Zur Bewilligung von Berufsausbildungsbeihilfe für einen Ausländer.

Quelle: www.landesrecht-mv.de

5.   Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Sozialhilfe (SGB XII)

5.1 – Bayerisches Landessozialgericht, Urt. v. 12.07.2018 – L 18 SO 29/18

Orientierungssatz (Redakteur)
Zur Frage der Erforderlichkeit von Fahrtkosten als Maßnahmen der Eingliederungshilfe – auch mit Blick auf die Entscheidungen des BVerwG vom 14.10.1994, 5 B 114/93 und des LSG Baden-Württemberg vom 29.06.2017, L 7 SO 5382/14.

Leitsatz (Juris)
Als Eingliederungshilfemaßnahme in Betracht kommen grundsätzlich alle Maßnahmen, die im Zusammenhang mit der Ermöglichung einer geeigneten Schulbildung erforderlich sind, um die Behinderungsfolgen zu beseitigen oder zu mindern und so das im Gesetz formulierte Ziel der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu erreichen. Die Übernahme von Fahrtkosten als Eingliederungshilfemaßnahme zur Vorbereitung der angemessenen Schulbildung setzt aber eine Prüfung der Erforderlichkeit im konkreten Fall voraus. Der Fahrtkostenaufwand kann z.B. dann nicht erforderlich sein, wenn es andere wohnsitznähere geeignete Kindertageseinrichtungen gibt, in denen die Vorbereitung einer angemessenen Schulbildung möglich ist, woran auch das Wahlrecht nach § 9 Abs. 2 SGB XII nichts ändert, und wenn der Fahrtkostenaufwand nicht behinderungsbedingt ist. Bei Fehlen der konkreten Erforderlichkeit ist eine Übernahme der Fahrtkosten auch nicht als „Annexleistung“ zu sonstigen Eingliederungshilfemaßnahmen geboten.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

6.   Verschiedenes zu Hartz IV, zur Sozialhilfe, zum Asylrecht, Wohngeldrecht und anderen Gesetzesbüchern

6.1 – BGH: Unterkunftskosten bei Zwangsvollstreckung, ein Beitrag von Herbert Masslau

weiter: www.herbertmasslau.de

6.2 – Wie Jobcenter gerichtliche Eilverfahren vermeiden können – und wie nicht, ein Beitrag v. RA Helge Hildebrandt

weiter: sozialberatung-kiel.de

6.3 – Bayerischer VGH, Beschluss vom 27. Dezember 2017 (Az.: 3 CS 17.1450):

Leitsatz Dr. Manfred Hammel
Eine obdachlosenrechtlich untergebrachte Person hat grundsätzlich keinen Rechtsanspruch darauf, in der ihr einmal zugewiesenen Unterkunft auf Dauer zu bleiben, sondern muss es hinnehmen, behördlicherseits in eine andere Unterkunft verlegt zu werden.

Die Einweisung in die bisherige Unterkunft kann aus sachlichen Gründen amtlicherseits jederzeit widerrufen und die eingewiesene Person zur Räumung aufgefordert werden.

Obdachlose Menschen haben grundsätzlich einen Anspruch auf eine ganztägige Unterbringung. Die bloße Zurverfügungstellung einer Schlafmöglichkeit für die Nacht beseitigt – unabhängig von den Witterungsverhältnissen – die Obdachlosigkeit der betr. Person nicht. Auch die aus einem unangepassten, sozialschädlichen Verhalten des Obdachlosen folgende „Unterbringungsunfähigkeit“ in einer Gemeinschaftseinrichtung ändert an der grundsätzlichen Verpflichtung der Sicherheitsbehörde zur Gefahrenabwehr nichts.

Bei festgestellter Selbst- oder Fremdgefährdung kommt allerdings vorrangig eine Unterbringung nach dem Unterbringungsgesetz des Landes in Betracht.

Für eine dreiköpfige Familie ist eine ihr zugewiesene Obdachlosenunterkunft mit einer Größe von 46,42 qm ausreichend. Obdachlose Personen haben keinen Anspruch auf eine „Sozialwohnung“ mit den hierfür geltenden Anforderungen hinsichtlich der Wohnfläche.

6.4 – Sozialgericht Schleswig, Urteil vom 27. August 2018 (Az.: S 15 SO 150/15.VR):

Leitsatz Dr. Manfred Hammel
Anknüpfungspunkt für die konkrete Angemessenheit von Kosten der Unterkunft ist § 35 Abs. 2 Satz 1 SGB XII, soweit diese Norm bestimmt, dass Aufwendungen, die den der Besonderheit des Einzelfalls angemessenen Umfang übersteigen, als Bedarf – zeitlich begrenzt durch die Regelfrist des § 35 Abs. 2 Satz 1 SGB XII – anzuerkennen sind.

Besondere persönliche Lebensumstände der leistungsberechtigten Person können auch zu einem verstärkten Schutz des sozialen Umfelds im Vergleich zu Leistungsberechtigten ohne persönliche Besonderheiten führen. Solche Umstände für individuelle, konkret von den Bedarfen anderer Leistungsberechtigter abweichende Bedarfe sind z. B. gesundheitliche Aspekte.

Dies liegt dann vor, wenn die gesetzliche Betreuerin der erwerbsgeminderten Antragstellerin mit dieser Leistungsbezieherin im gleichen Haus lebt, wodurch die gesetzliche Betreuung erleichtert und gefördert wird.

Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock

Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker