Amtsgericht Kassel – Urteil vom 08.10.2018 – Az.: 270 Cs – 1622 Js 18807/18

URTEIL

In der Strafsache

gegen        xxx,

wegen        Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz

hat das Amtsgericht Kassel — Strafrichter — in der öffentlichen Sitzung vom 08.10.2018, an der teilgenommen haben:
 

Richter am Amtsgericht xxx
als Strafrichter

Staatsanwältin xxx
als Beamtin der Staatsanwaltschaft

Rechtsanwalt Sven Adam
als Verteidiger

Justizhauptsekretär xxx
als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
 

für Recht erkannt:
Die Angeklagte wird freigesprochen.

Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der Angeklagten werden der Staatskasse auferlegt.
 

GRÜNDE
(abgekürzt gemäß § 267 Abs. 5 StPO)

I.

Der Angeklagten wird in dem Strafbefehl des Amtsgerichts Kassel vom 06.06.2018 vorgeworfen, am 31.03.2018 in Kassel als Leiterin einer Versammlung unter freiem Himmel, Auflagen nach § 15 Abs. 1 oder 2 Vereinsgesetz nicht nachgekommen zu sein.

Die Staatsanwaltschaft wirft der Angeklagten folgenden Sachverhalt zur Last:

Am 31.03.2018 fand im Bereich der Oberen Königsstraße/Opernplatz in der Zeit von 15:20 Uhr bis 15:58 Uhr außerhalb von Wohngebäuden eine Versammlung der demokratisch kurdischen Gesellschaft unter dem Motto „Solidarität für Afrin“ statt.

Die Angeklagte war Leiterin dieser Versammlung.

Der Angeklagten waren mit Verfügung der Stadt Kassel vom 13.03.2018 gemäß § 15 Abs. 1 Vereinsgesetz zur Durchführung der Versammlung unter anderem folgende Auflagen erteilt worden:
 

1. „Die Versammlung ist am 31. März 2018 zwischen 16.00 Uhr und 18.00 Uhr auf dem Opernplatz durchzuführen.“
2. „Plakate, Transparente, Banner, Flaggen, Kleidungsstücke und/oder ähnliche plakative Bekundungen sowie Skandierungen, die im Zusammenhang mit der Arbeiterpartei Kurdistans (Partiya Karkeren Kurdistan, PKK) stehen und/oder deren ideologische Ziele verfolgen, sind verboten.“
3. „Die Flugblätter müssen mit einem Impressum versehen sein.“
4. „Als verantwortliche Leiterin haben Sie das Ende der Versammlung am 31.03.2018 um spätestens 18 Uhr auf dem Opernplatz förmlich zu erklären.“
 

Die Angeklagte soll sich nicht an die sich aus diesen Auflagen ergebende Versammlungszeit gehalten haben.

Auch habe sie nicht das Ende der Versammlung erklärt.

Die auf der Versammlung verteilten Flugblätter seien nicht mit einem Impressum versehen. Gleichwohl sei die Angeklagte nicht gegen die Verteilung eingeschritten.

Zudem sei es während der Versammlung zu zahlreichen Skandierungen mit PKK-Bezug, wie „Bijia serok Apo“ (Es lebe unser Führer Apo (Abdullah Öcalan), „Sehid namerim“ (Märtyrer sterben nicht) sowie zum Singen des Liedes „cerxa -sorese“ von Xelil Xemgin gekommen, was die Angeklagte nicht unterbunden habe.
 

II.

Die Angeklagte hat in der Hauptverhandlung von ihrem Schweigerecht Gebrauch gemacht.

Nach Durchführung der Hauptverhandlung ist zwar festzustellen, dass die Angeklagte tatsächlich Leiterin der o.g. öffentlichen Versammlung war, die am fraglichen Tag auch durchgeführt wurde.

Soweit der Angeklagten zur Last gelegt wird, den Auflagen zu Ziff. 1, 3 und 4 nicht nachgekommen zu sein, hatte ein Freispruch jedoch bereits aus Rechtsgründen zu erfolgen, da der Bescheid der Stadt Kassel vom 13.03.2018 hinsichtlich dieser Auflagen bereits formell rechtswidrig ist und es damit für eine Verurteilung wegen eines Vergehens gem. § 25 Nr. 2 VersG an einer objektiven Bedingung der Strafbarkeit fehlt.

Der Bescheid lässt hinsichtlich dieser Auflagen die gemäß § 39 HessVwVfG erforderliche Begründung vermissen. Die Ausführungen der Verwaltungsbehörde beschränken sich diesbezüglich auf formel- und floskelhafte, völlig inhaltsleere und allgemeine Darlegungen, die einen wie auch immer gearteten Einzelfallbezug vermissen lassen. Die Ausführungen zur Begründung der Auflagen sind damit derart allgemein gehalten, dass sie den oder die Betroffenen – vorliegend die Angeklagte – nicht in die Lage versetzen, sich über einen eventuellen Rechtsbehelf schlüssig zu werden und ihn ggf. sachgerecht zu begründen (vgl. BeckOK VwVfG, § 39 Rn. 30 m.w.N.). Es handelt sich damit um Ausführungen, die nicht einmal den formalen Mindestanforderungen an eine Begründung i.S.d. § 39 HessVwVfG gerecht wird. Da der Bescheid insoweit formell rechtswidrig ist, fehlt es diesbezüglich an einer Rechtmäßigkeit der Beschränkungen und damit an einer objektiven Bedingung der Strafbarkeit.

Soweit der Angeklagten vorgeworfen wird, der Auflage zu Ziff. 2 nicht nachgekommen zu sein, lässt sich der Angeklagten nicht nachweisen, dass sie überhaupt Kenntnis von den Skandierungen mit Bezug zur PKK hatte. Ein durchaus naheliegender Vorhalt durch die Polizei, der nahegelegen hätte und insoweit im Strafverfahren für Gewissheit gesorgt hätte, ist nicht erfolgt. Auch sonst sind keine Umstände nachgewiesen, aus denen zu schließen ist, dass die Angeklagte die Skandierungen tatsächlich mitbekommen hat. Zwar hat der Zeuge xxx, der den Aufzug bzw. die Versammlung als Einsatzleiter der Polizei begleitet hat, bei seiner Einvernahme in der Hauptverhandlung bekundet, dass die Skandierungen deutlich zu vernehmen waren. Da die Angeklagte nicht ständig beobachtet wurde, lässt sich nicht feststellen, dass die Angeklagte sich zu dem Zeitpunkt, als die Skandierungen jeweils erfolgten, auch tatsächlich in „Hörweite“ der Skandierungen befand. Auch insoweit wäre ein Hinweis durch die vor Ort befindlichen Polizeikräfte sachdienlich gewesen. Doch selbst, wenn man unterstellen würde, dass die Angeklagte die Skandierungen mitbekommen hätte, wäre der Angeklagten aus denselben Gründen nicht mit der für eine Verurteilung erforderlichen Gewissheit nachzuweisen, dass sie nicht zumindest versucht hat, auf die Teilnehmer der Demonstration einzuwirken.

Der Freispruch erfolgte auf Kosten der Landeskasse, die auch die eigenen notwendigen Auslagen der Angeklagten zu tragen hat.