Tacheles Rechtsprechungsticker KW 50/2018

1.   Entscheidungen des Bundessozialgerichts zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

1.1 – BSG, Urt. v. 28.11.2018 – B 14 AS 48/17 R

Arbeitslosengeld II – Mehrbedarf – unabweisbarer laufender besonderer Bedarf – Aufwendungen für Besuchsfahrten zu dem im Ausland inhaftierten volljährigen Kind

Orientierungssatz (Redakteur)
1.Die Rechtsprechung zur Übernahme der Kosten des Umgangsrechts mit minderjährigen Kindern ist nach § 21 Abs 6 SGB II nicht auf Besuche zwischen Eltern und volljährigen Kindern zu übertragen.

2. Dennoch kann sich aus dem Härtefallmehrbedarf, da er der Realisierung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art 1 Abs 1 iVm Art 20 Abs 1 GG dient (BVerfG vom 9.2.2010 -1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09), in einer Sondersituation ein Anspruch auf Übernahme der Aufwendungen für den Besuch eines nahen Angehörigen, zB bei dessen Inhaftierung, ergeben und zwar auch im Ausland, nämlich hier nach § 73 SGB XII.

Quelle: www.bsg.bund.de

1.2 – BSG, Urt. v. 28.11.2018 – B 14 AS 47/17 R

Anspruch auf Arbeitslosengeld II; Mehrbedarf für Besuchsreisen zum im Ausland lebenden Ehegatten – kein Anspruch auf Übernahme der Kosten für einen jährlichen Besuch seiner in China lebenden Ehefrau.

Orientierungssatz (Redakteur)
1. Es ist nicht ersichtlich, dass die Kosten eines solchen Besuchs im Rahmen des SGB II als Teil seines aus dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art 1 Abs 1 iVm Art 20 Abs 1 GG folgenden existenznotwendigen Bedarfs zu übernehmen sind.

2. Der Kläger und seine Ehefrau sind darauf zu verweisen, durch Betreiben des gesetzlich vorgesehenen Visumverfahrens die räumliche Trennung zwischen ihnen zu beenden. Der Ehegattennachzug zu einem deutschen Staatsangehörigen richtet sich nach § 28 iVm § 30 AufenthG. Diese Vorschriften dienen dem Schutz von Ehe und Familie nach Art 6 Abs 1 GG und sind im Lichte dieses Grundrechts auszulegen. Sollte die Versagung des Nachzugs aufenthaltsrechtlich auch im Angesicht des Art 6 Abs 1 GG nicht zu beanstanden sein, ist ein aus § 21 Abs 6 SGB II folgender Anspruch auf einen Härtefallmehrbedarf ebenfalls zu verneinen.

Quelle: www.bsg.bund.de

2.   Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II) und zur Sozialhilfe (SGB XII)

2.1 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 28.09.2018 – L 21 AS 51/18 B- rechtskräftig

Orientierungssatz (Redakteur)
Bewilligung von Prozesskostenhilfe, denn es kann durchaus auch ortsüblich sein, unrenovierten Wohnraum mit der Notwendigkeit zur Einzugsrenovierung inkl. Tapezieren, Streichen und Verlegung von Fußbodenbelag für die gesamte Wohnungsgröße zu übernehmen (BSG vom 16.12.2008 – B 4 AS 49/07 R; LSG Nordrhein-Westfalen vom 23.02.2010 – L 1 AS 42/08).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

2.2 – Hessisches Landessozialgericht, Urt. v. 16.11.2018 – L 7 AS 330/17

Orientierungssatz (Redakteur)
1. Die Behörde kann gegen Ansprüche aus § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X mit Darlehensrückzahlungsansprüchen aufrechnen.

2. Die Regelungen der §§ 406, 412 BGB gelten auch im Falle eines gesetzlichen Forderungsübergangs nach § 9 BerhG (Dürbeck, in: Gottschalk/Dürbeck, Prozess- und Verfahrenskostenbeihilfe, Beratungshilfe, 8. Auflage, 2016, Rdnr. 1251; Pukal, in: Mayer/Kroiß, RVG, 7. Auflage, 2018, § 44 RVG Rdnr. 53; so auch SG Karlsruhe, Urteil vom 24. Oktober 2013, S 15 AS 3800/12).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

2.3 – Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 24.10.2018 – – rechtskräftig

Aufrechnungslage – Freistellungsanspruch – Kostenerstattungsanspruch – Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde bei höchstrichterlich bereits geklärter Rechtsfrage

Orientierungssatz (Redakteur)
Es ist höchstrichterlich geklärt, dass der Kostenerstattungsanspruch nach § 63 SGB X, solange der Erstattungsgläubiger den Vergütungsanspruch seines Rechtsanwaltes noch nicht beglichen hat, einen solchen Freistellungsanspruch darstellt (BSG, Urteil vom 2. Dezember 2014 – B 14 AS 60/13 R), jedenfalls soweit der Kostenerstattungsanspruch weder vom Erstattungsgläubiger an den Rechtsanwalt abgetreten noch ein Forderungsübergang aus sonstigen Gründen eingetreten ist. Entgegen der Ansicht des Beklagten resultiert ein (der) Freistellungsanspruch aus § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X, denn diese Vorschrift wird vom BSG in diesem Urteil ausdrücklich als Rechtsgrundlage benannt.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

3.   Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

3.1 – Sozialgericht Münster, Urt. v. 15.11.2018 – S 11 AS 584/16

Orientierungssatz (Redakteur)
Der Wunsch der Klägerin, aus einem (etwaigen) sog. sozialen Brennpunkt in einen anderen Stadtteil zu ziehen, kann nicht zu einer Notwendigkeit des Umzugs im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II führen.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

3.2 – SG Karlsruhe, Urt. v. 20.11.2018 – S 15 AS 2690/18

Einmalzahlung einer privaten Unfallversicherung ist Einkommen i.S.d. § 11 SGB II.

Kurzfassung:
Ausnahmetatbestände des § 11a SGB II seien nicht erfüllt: Die Zahlung stelle keine öffentlich-rechtlich anderweitig zweckbestimmte Leistung i.S.d. § 11a Abs. 3 S. 1 SGB II dar, denn sie sei nicht von einem Träger öffentlich-rechtlicher Verwaltung erbracht worden. Weil die Zahlung als (einmalige) Invaliditätsleistung auf der Basis einer ärztlichen Bescheinigung erbracht worden sei, handele es sich auch nicht um eine Leistung, die dem Ausgleich eines immateriellen Schadens zu dienen bestimmt sei. Es handele es sich daher auch nicht um eine Entschädigung/Schmerzensgeldzahlung i.S.d. § 11a Abs. 2 SGB II.

Quelle: www.sozialgericht-karlsruhe.de

4.   Entscheidungen der Sozialgerichte zur Sozialhilfe (SGB XII

4.1 – Sozialgericht Augsburg, Urt. v. 24.11.2015 – S 3 SO 57/15 – aufgehoben durch Bay LSG, Urt. v. 27.09.2018 – L 8 SO 18/16

Orientierungssatz (Redakteur)
1. Das Taschengeld aus dem Bundesfreiwilligendienst ist nach Abzug des Freibetrages einzusetzen.

2. Das Taschengeld aus dem Bundesfreiwilligendienst fällt nicht in den Anwendungsbereich des § 82 Abs. 3 Satz 4 SGB XII. Das Taschengeld gehört nicht zu den Einnahmen, die gemäß § 3 Nr. 12, 26, 26a, 26b EStG steuerfrei sind. Die Absetzung eines Betrages in Höhe von 30 % des Taschengeldes/Ein-kommens erfolgte in zutreffender Weise.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

Hinweis:
Bayerisches Landessozialgericht, Urt. v. 27.09.2018 – L 8 SO 18/16

Bundesfreiwilligendienst: Taschengeld nicht auf Sozialhilfe anrechenbar

Orientierungssatz (Redakteur)
1. Zur Anrechnung des Taschengeldes aus dem Bundesfreiwilligendienst im SGB XII.

2. Auch der Bezug von Taschengeld aufgrund eines Bundesfreiwilligendienstes stellt einen begründeten Fall von § 82 Abs. 3 Satz 3 SGB XII dar.

5.   Verschiedenes zu Hartz IV, zur Sozialhilfe, zum Asylrecht, Wohngeldrecht und anderen Gesetzesbüchern

5.1 – Anmerkung zu: LSG Darmstadt 4. Senat, Urteil vom 09.05.2018 – L 4 SO 244/16

Autor: Markus Maibach, RA und FA für Erbrecht

Zumutbarkeitsprüfung beim Anspruch auf Übernahme der Bestattungskosten

Orientierungssätze
1. Im Falle eines engen Verwandtschaftsverhältnisses und eines deutlich über der Grenze des § 85 SGB XII liegenden Einkommens des Bestattungspflichtigen nicht nur im Monat der Fälligkeit der Bestattungskosten, sondern auch darüber hinaus, erscheint es gerechtfertigt, die Übernahme der gesamten Bestattungskosten als zumutbar zu erachten.

2. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Bestattungskosten insgesamt in einem Zeitraum von lediglich vier Monaten durch einzusetzendes Einkommen gedeckt werden (vgl. LSG Schleswig, Urt. v. 09.03.2011 – L 9 SO 19/09 Rn. 51).

weiter: www.juris.de

Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock

Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker