Bundessozialgericht – Urteil vom 25.10.2018 – Az.: B 7 AY 2/18 R

 

URTEIL
in dem Rechtsstreit
 

BSG Az.: B 7 AY 2/18 R
LSG Niedersachsen-Bremen 26.04.2018 – L 8 AY 40/16
SG Hildesheim 08.04.2016 – S 42 AY 5/16

1. xxx,
2. xxx,
3. xxx,
alle wohnhaft xxx, xxx,

Kläger und Revisionskläger,

Prozessbevollmächtigter zu 1. bis 3.:

Rechtsanwalt Sven Adam,
Lange Geismarstraße 55, 37073 Göttingen,

 

g e g e n
 

Landkreis Göttingen,
Reinhäuser Landstraße 4, 37083 Göttingen,
 

Beklagter und Revisionsbeklagter.

Der 7. Senat des Bundessozialgerichts hat auf die mündliche Verhandlung vom 25. Oktober 2018 durch den Vorsitzenden Richter xxx, die Richterinnen xxx und xxx sowie die ehrenamtlichen Richter xxx und xxx für Recht erkannt:
 

Auf die Revisionen der Kläger wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 26. April 2018 geändert. Der Beklagte wird verurteilt, an die Kläger fünf Prozent Zinsen über dem Basiszinssatz jeweils aus 261,25 Euro ab dem 15. August 2013 zu zahlen. Im Übrigen werden die Revisionen zurückgewiesen.

Der Beklagte hat drei Viertel der außergerichtlichen Kosten der Kläger für das Verfahren zu erstatten.

G R Ü N D E
I.

Im Streit ist ein Anspruch auf Verzinsung für den Zeitraum von Juni 2009 bis Dezember 2010 nachgezahlter Kosten der Unterkunft in Höhe von noch 783,75 Euro.

Die Kläger sind algerische Staatsangehörige, der Kläger zu 3 ist der 1985 geborene Sohn der Kläger zu 1 und 2. Sie halten sich ohne wesentliche Unterbrechungen seit 1992 im Bundesgebiet auf; nach erfolglos durchgeführten Asylverfahren sind sie im Bundesgebiet geduldet (§ 60a des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet – Aufenthaltsgesetz <AufenthG>) und erhalten Grundleistungen nach § 3 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG). Die Kläger zu 1 und 2 bewohnten von Juni 2009 bis Dezember 2011 eine Wohnung in xxx im Landkreis Göttingen, der Kläger zu 3 lebte dort bis Juni 2011. Ausländerrechtlich waren sie zur Wohnsitznahme in der Samtgemeinde xxx verpflichtet.

Der Beklagte hat sich in einem von den Klägern zu 1 bis 3 und ihrer Tochter xxx, der früheren Klägerin zu 4, geführten Klageverfahren (Az: S 42 AY 86/13; Klageerhebung am 14.8.2013) bereit erklärt, höhere Unterkunftskosten für die Zeit von Juni 2009 bis Dezember 2010 „im Wege der Regelung § 12 WoGG plus 10 %“ zu zahlen. Diese Erklärung nahmen die Kläger als Anerkenntnis an und erklärten den Rechtsstreit für erledigt. In Umsetzung dieser Erklärung bewilligte der Beklagte weitere Unterkunftskosten in Höhe von monatlich 55 Euro, insgesamt 1045 Euro (bestandskräftiger Bescheid vom 11.3.2015, adressiert an die Kläger zu 1 und 2).

Den Antrag, diesen Betrag zu verzinsen, lehnte der Beklagte ab (Bescheid vom 2.12.2015; Widerspruchsbescheid vom 10.12.2015, beide adressiert an den Rechtsanwalt der Kläger).

Das Sozialgericht (SG) Hildesheim hat den Beklagten unter Abänderung der angegriffenen Bescheide verurteilt, den der früheren Klägerin zu 4 gewährten Nachzahlungsbetrag gemäß § 44 Sozialgesetzbuch Erstes Buch – Allgemeiner Teil – (SGB I) zu verzinsen, bezogen auf die Kläger zu 1 bis 3 die Klage aber abgewiesen (Urteil vom 8.4.2016). Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen hat die Berufung der Kläger zurückgewiesen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, § 44 SGB I sei im AsylbLG weder unmittelbar noch analog anzuwenden, weil es jedenfalls an einer planwidrigen Regelungslücke fehle. Aus demselben Grund scheide auch die Gewährung von Prozesszinsen in analoger Anwendung des § 291 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) aus. Verfassungsrechtliche Bedenken stünden dem vollständigen Ausschluss von Zinsleistungen im AsylbLG nicht entgegen (Urteil vom 26.4.2018). Der Beklagte hat für die frühere Klägerin zu 4 ein Viertel des Nachzahlungsbetrags (261,25 Euro) entsprechend der Entscheidung des SG verzinst.

Mit ihren Revisionen machen die Kläger einen Verstoß gegen § 44 SGB I bzw § 291 BGB geltend. Die strukturelle Gleichwertigkeit der Existenzsicherungssysteme nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II), dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch – Sozialhilfe – (SGB XII) und dem AsylbLG gebiete es, nachgezahlte Leistungen nach dem AsylbLG genauso zu verzinsen wie solche nach dem SGB II oder dem SGB XII. Das Bundessozialgericht (BSG) habe gerade mit der Gleichwertigkeit der Systeme ua die analoge Anwendung des § 116a SGB XII im AsylbLG begründet.

Die Kläger beantragen,

die Urteile des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 26. April 2018 und des Sozialgerichts Hildesheim vom 8. April 2016 sowie den Bescheid vom 2. Dezember 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. Dezember 2015 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, die ihnen nachgezahlten Leistungen in Höhe von jeweils 261,25 Euro mit wenigstens vier vom Hundert zu verzinsen.
 

Der Beklagte beantragt,

die Revisionen zurückzuweisen.

Er hält die angefochtenen Entscheidungen für zutreffend.

 

II.

Die Revisionen sind zulässig und überwiegend begründet (§ 170 Abs 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz <SGG>). Ein Zinsanspruch in unmittelbarer oder entsprechender Anwendung des § 44 SGB I besteht zwar nicht. Den Klägern steht aber ein Anspruch auf Verzinsung der auf sie anteilig entfallenen Nachzahlung in Höhe von je 261,25 Euro ab Rechtshängigkeit der ursprünglichen Zahlungsklage (Prozesszinsen) dem Grunde nach zu.

Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 2.12.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.12.2015 (§ 95 SGG), mit dem der Beklagte die Verzinsung des auf die Kläger entfallenden Nachzahlungsbetrags von 783,75 Euro abgelehnt hat. Dagegen wenden sich die Kläger zutreffend mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 und 4, § 56 SGG), gerichtet auf den Erlass eines Grundurteils (§ 130 Abs 1 Satz 1 SGG).

Der geltend gemachte Anspruch auf Verzinsung des Nachzahlungsbetrags kann, auch soweit er auf die Zahlung von Prozesszinsen (§ 291 BGB) dem Grunde nach gerichtet ist, zulässigerweise selbständig und unabhängig von der Hauptforderung (Nachzahlung von Kosten der Unterkunft) zum Gegenstand eines Rechtsstreits gemacht werden (vgl nur Bundesarbeitsgericht <BAG> Urteil vom 25.4.2007 – 10 AZR 195/06; Bundesgerichtshof <BGH> Urteil vom 14.1.1987 – Ivb ZR 3/86 = FamRZ 1987, 352; BVerwGE 38, 49, juris RdNr 11; Bundesverwaltungsgericht <BVerwG> Urteil vom 24.9.1987 – 2 C 27/84 = NJW 1988, 1682). Die Kläger mussten sich nicht bereits im Verfahren um die Hauptforderung weitergehende Ansprüche vorbehalten (BGHZ 34, 337, 340). Dafür, dass die Kläger mit der allein auf nachzuzahlende Unterkunftskosten gerichteten Klage zugleich auf die Geltendmachung von Prozesszinsen verzichtet hätten, gibt es keine Anhaltspunkte.

Der Zulässigkeit der Klage des Klägers zu 3 steht nicht dessen fehlende Klagebefugnis (§ 54 Abs 1 SGG) entgegen. Wie bereits das LSG zutreffend ausgeführt hat, ist der Kläger zu 3 durch die angefochtenen Bescheide beschwert. Mit dem Bescheid vom 11.3.2015 (Bewilligung weiterer Kosten der Unterkunft in Höhe von 1045 Euro) hat der Beklagte sein Anerkenntnis im Verfahren S 42 AY 86/13, den Klägern höhere Kosten der Unterkunft zu zahlen, umgesetzt. Auch wenn dieser Bescheid nur an die Kläger zu 1 und 2 adressiert war, konnte der Kläger zu 3 diesen Bescheid nach Maßgabe des objektiven Empfängerhorizonts (vgl zu dieser Voraussetzung bei der Auslegung von Verwaltungsakten nur: BSG SozR 4-1500 § 77 Nr 1 RdNr 15; Senatsurteil vom 17.6.2008 – B 8 AY 8/07 R – RdNr 12; Engelmann in von Wulffen/Schütze, Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdaten-schutz – <SGB X>, 8. Auf 12014, § 31 RdNr 25 mwN) als Ergebnis des auch von ihm geführten Klageverfahrens nur so verstehen, dass auch ihm gegenüber eine Entscheidung getroffen werden sollte. Den Antrag auf Verzinsung hat der Prozessbevollmächtigte der Kläger deshalb (folgerichtig) für die gesamte „Familie Harti/Sardi“ gestellt, also auch für den Kläger zu 3. Dieser konnte mithin auch den Bescheid vom 2.12.2015 und den Widerspruchsbescheid vom 10.12.2015 nur als Ablehnung auch ihm gegenüber verstehen. Diese Bescheide sind gegenüber allen Klägern durch Zustellung an ihren Bevollmächtigten wirksam bekannt gegeben geworden (§ 1 Abs 1 Niedersächsisches Verwaltungsverfahrensgesetz <NVwVfG> vom 3.12.1976 – Nds GVBI 1976, 311, zuletzt in der Fassung des Gesetzes vom 24.9.2009 – Nds GVBI 2009, 361 – iVm § 43 Abs 1 Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes <VwVfG>, § 41 Abs 1 Satz 2 VwVfG bzw § 41 Abs 5 VwVfG, § 1 Abs 1 Niedersächsisches Verwaltungszustellungsgesetz <NVwZG> vom 23.2.2006 – Nds GVBI 2006, 72 – iVm §§ 5, 7 Abs 1 Verwaltungszustellungsgesetz des Bundes <VwZG>).

Den Klägern steht kein Anspruch auf Verzinsung nach § 44 SGB I bereits nach Ablauf eines Kalendermonats nach dem Eintritt der Fälligkeit der Hauptforderung zu. § 44 SGB I ist im AsylbLG weder unmittelbar noch entsprechend anwendbar. Nach § 44 Abs 1 SGB I sind Ansprüche auf Geldleistungen nach Ablauf eines Kalendermonats nach dem Eintritt ihrer Fälligkeit bis zum Ablauf des Kalendermonats vor der Zahlung mit vier vom Hundert zu verzinsen. Von § 44 SGB I werden allerdings nur diejenigen Leistungen erfasst, die dem Einzelnen als Sozialleistungen iS des § 11 SGB I zustehen (BSGE 71, 72, 75 = SozR 3-7610 § 291 Nr 1 S 4; BSG SozR 4100 § 56 Nr 21 S 62), also Leistungen, die in einem der Bücher des SGB aufgeführt sind oder als dessen besondere Teile (§ 68 SGB I) gelten. Hierzu zählen jedoch nicht die an Asylleistungsberechtigte erbrachten Leistungen nach dem AsylbLG, denn sie sind weder als Sozialleistungen in den §§ 18 ff SGB I aufgeführt, noch enthält § 68 SGB I eine Regelung, wonach das AsylbLG als besonderer Teil des SGB gilt. Auch das AsylbLG sieht eine (ausdrückliche) Anwendung des § 44 SGB I nicht vor. § 9 Abs 3 AsylbLG ordnet lediglich eine (entsprechende) Anwendung der Bestimmungen des SGB I über die Mitwirkung von Leistungsberechtigten an (§§ 60 bis 67 SGB I; dazu auch unten).

Auch eine analoge Anwendung des § 44 SGB I scheidet aus. Eine Analogie, also die Übertragung einer gesetzlichen Regelung auf einen Sachverhalt, der von der betreffenden Vorschrift nicht erfasst wird, ist geboten, wenn dieser Sachverhalt mit dem geregelten vergleichbar ist und nach dem Grundgedanken der Norm und damit dem mit ihr verfolgten Zweck dieselbe rechtliche Bewertung erfordert (vgl: BSGE 116, 80 = SozR 4-5910 § 89 Nr 1; BSG SozR 3-2500 § 38 Nr 2 S 10). Daneben muss eine planwidrige Regelungslücke vorliegen (BVerfGE 82, 6, 11 ff mwN; BSGE 77, 102, 104 = SozR 3-2500 § 38 Nr 1 S 3; BSGE 89, 199, 202 f = SozR 3-3800 § 1 Nr 21 S 95 f mwN). An dieser Voraussetzung fehlt es hier. Unter Berücksichtigung der Gesetzeshistorie und dem mit dem AsylbLG verfolgten Gesetzeszweck ist vielmehr davon auszugehen, dass der Gesetzgeber bewusst auf die Aufnahme des § 44 SGB I in das AsylbLG verzichtet hat.

Mit der Schaffung des AsylbLG durch das Gesetz zur Neuregelung der Leistungen an Asylbewerber (Gesetz vom 30.6.1993 – BGBI I 1074) und der damit erfolgten Herauslösung der Existenzsicherung für bestimmte Gruppen von Ausländern aus dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) wollte der Gesetzgeber ein eigenständiges Leistungsrecht für Ausländer mit einem nur kurzen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland schaffen (zur grundsätzlichen Verfassungsmäßigkeit, für Asylbewerber ein eigenes Konzept zur Sicherung ihres Lebensbedarfs zu entwickeln und dabei auch Regelungen über die Gewährung von Leistungen abweichend vom Recht der Sozialhilfe zu treffen vgl BVerfGE 116, 229; BSGE 101, 49 = SozR 4-3520 §.2 Nr 2, RdNr 30). Dabei verstand er das AsylbLG – unter Berücksichtigung fürsorgerischer Elemente – im Kern als Regelung des Aufenthalts- und Niederlassungsrechts von Ausländern nach dem Asylverfahrensgesetz (AsylVfG; BT-Drucks 12/4451 S 5) und hat deshalb seine Gesetzgebungskompetenz nicht allein auf Art 74 Abs 1 Nr 7 Grundgesetz (<GG>; öffentliche Für- sorge), sondern auch auf Art 74 Absl Nr 4 GG (Aufenthalts- und Niederlassungsrecht der Ausländer) gestützt. Leistungsrechtlich war das AsylbLG zudem vorrangig auf die Verschaffung von Sachleistungen gerichtet. Schon deshalb und unter Berücksichtigung der Vorstellung des Gesetzgebers, ein Gesetz für Personen mit nur kurzem Aufenthalt im Bundesgebiet zu schaffen, ist davon auszugehen, dass im AsylbLG bewusst von einer Regelung zur Verzinsung von (nach dem Verständnis des Gesetzgebers nur ausnahmsweise denkbaren) Geldansprüchen abgesehen worden ist. Ein anderes Verständnis ist nicht etwa deshalb anzunehmen, weil Ansprüche auf Sozialhilfe nach dem BSHG (als Geldleistungen) nach § 44 SGB I zu verzinsen waren (vgl nur BVerwGE 66, 90) und folglich auch nachgezahlte Sozialhilfeleistungen an (ab 1.11.1993 nach dem AsylbLG leistungsberechtigte) Ausländer nach § 120 BSHG in der bis 31.10.1993 geltenden Fassung der Verzinsung nach § 44 SGB I unterlagen. Denn der Gesetzgeber wollte mit dem AsylbLG gerade eine systematische Trennung und in der Sache eine deutliche Abkehr vom Leistungssystem nach dem BSHG erreichen. Dies wird auch daran deutlich, dass er mit der Herauslösung der Ansprüche dieser Personengruppe aus dem BSHG insbesondere der Rechtsprechung des BVerwG begegnen wollte (vgl BVerwG Urteil vom 26.9.1991 – 5 C 61.88), das für Ausländer einen Rechtsanspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach § 120 Abs 2 BSHG bejaht hatte, der nur aufgrund von Besonderheiten des Einzelfalles auf das zum Lebensunterhalt Unerlässliche eingeschränkt werden konnte. Der sozialhilferechtliche Grundsatz individueller Bedarfsdeckung mit dem Ziel existenzieller Sicherung und sozialer Integration sollte deshalb durch ein vereinfachtes und auf die Bedürfnisse eines in aller Regel nur kurzen, vorübergehenden Aufenthaltes ausgerichtetes System ersetzt und dadurch das Leistungsrecht wesentlich dem Ausländer- und Asylrecht angepasst werden (BT-Drucks 12/4451 S 5).

In der weiteren Entwicklung des AsylbLG ist der Gesetzgeber von diesem Verständnis nicht abgerückt. Durch das 1. Änderungsgesetz zum AsylbLG (Gesetz vom 26.5.1997 – BGBI I 1130) wurden zwar ua in § 7 Abs 4 AsylbLG (in der bis 28.2.2015 geltenden Fassung, seitdem § 9 Abs 3 AsylbLG) die entsprechende Anwendung der §§ 60 bis 67 SGB I angeordnet und der damalige § 9 Abs 3 AsylbLG (jetzt: § 9 Abs 4 AsylbLG) um die entsprechende Anwendung der §§ 44 bis 50 SGB X erweitert. Dass dabei versehentlich eine Einbeziehung des § 44 SGB I unterblieben ist, ist schon nach der Gesetzesbegründung (vgl BT-Drucks 13/2746 S 17) auszuschließen. Der Gesetzgeber war sich bewusst, dass auf das AsylbLG die Vorschriften des SGB I nicht anzuwenden waren. Er sah nämlich (allein) wegen aus seiner Sicht unzureichender Regelungen über die Mitwirkung von Leistungsberechtigten in den (für das Verwaltungsverfahren an sich maßgeblichen) Verwaltungsverfahrensgesetzen der Länder (zur Anwendbarkeit der Verwaltungsverfahrensgesetze der Länder im Bereich des AsylbLG BSG SozR 4-1300 § 44 Nr 22 RdNr 21) die Notwendigkeit, die entsprechende Anwendung der §§ 60 bis 67 SGB I anzuordnen. Des Verweises auf einzelne Vorschriften des Sozialverwaltungsverfahrens hätte es nicht bedurft, wenn der Gesetzgeber davon ausgegangen wäre, mit dem AsylbLG im Kern materielles Sozialrecht geschaffen zu haben; vielmehr hätte dann eine Einbeziehung des AsylbLG in den Katalog des § 68 SGB I nahegelegen.

Nach Inkrafttreten des AsylbLG hat der Gesetzgeber auch Änderungen des § 68 SGB I selbst nicht zum Anlass genommen, dieses als besonderen Teil des Sozialgesetzbuchs in § 68 SGB I einzubeziehen. Dies hätte jedenfalls mit Einführung des SGB XII zum 1.1.2005 (Gesetz zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27.12.2003, BGBI 13022, 3054; BT-Drucks 15/1514 S 71) und der Begründung des Rechtswegs zu den Sozialgerichten auch im Anwendungsbereich des AsylbLG nahegelegen. Doch hat er mit diesem Gesetz lediglich die bis dahin in § 68 Nr 11 SGB I normierte Geltung des BSHG als besonderen Teil des SGB ersatzlos gestrichen.

Änderungen des AsylbLG in der Zeit ab 2015 rechtfertigen keinen anderen Schluss. Selbst wenn spätestens seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zur (verfassungswidrig zu niedrigen) Höhe der Grundleistungen nach § 3 AsylbLG (BVerfG Urteil vom 18.7.2012 – 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 – BGBI 12012, 1715 f = SozR 4-3520 § 3 Nr 2 RdNr 90) geklärt ist, dass es sich bei den Leistungen nach dem AsylbLG um materielles Sozialrecht handelt, weil die Leistungssysteme nach dem SGB II, dem SGB XII und dem AsyIbLG zwar teilweise sachlich unterschiedlich ausgestaltet sind, aber gleichwertig der Sicherung des Existenzminimums dienen (vgl dazu nur BSGE 114, 20 = SozR 4-3520 § 9 Nr 4; BSGE 119, 164 = SozR 4-4200 § 11 Nr 73, insbesondere RdNr 24), hat der Gesetzgeber in Umsetzung der Entscheidung des BVerfG durch das Gesetz zur Änderung des AsylbLG und des SGG (vom 10.12.2015, in Kraft getreten am 1.3.2015 – BGBI I 2187) an seinem strukturellen Grundverständnis festgehalten. Noch in der Gesetzesbegründung (vgl BT-Drucks 18/2592 S 20 zu § 3) wurden die durch das Sachleistungsprinzip bedingten Systemunterschiede zwischen SGB XII/SGB II und dem AsylbLG betont. Zwar ist gerade dieser Systemunterschied durch das zeitgleich ebenfalls am 1.3.2015 in Kraft getretene Gesetz zur Verbesserung der Rechtsstellung von asylsuchenden und geduldeten Ausländern (vom 23.12.2014 – BGBI I 2439) aufgegeben und bei einer Unterbringung außerhalb von Aufnahmeeinrichtungen in § 3 AsylbLG ein vorrangiger Geldleistungsanspruch geschaffen worden. Zur Begründung stellte der Gesetzgeber allerdings im Wesentlichen nur darauf ab (BT-Drucks 18/3144 S 12), dass nach einer Erhebung aus dem Jahr 2013 bundesweit durchschnittlich schon in 49 % aller Fälle Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Form von Geldleistungen gewährt worden seien und bei Ländern und Kommunen die Abschaffung des Vorrangs des Sachleistungsprinzips folglich zu einer Verwaltungsvereinfachung und einer Verringerung des Erfüllungsaufwands führe.

Nichts anderes gilt in Bezug auf die weiteren Änderungen des AsylbLG in den Jahren 2015 und 2016 durch das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz (AsylVfBeschIG vom 20.10.2015, in Kraft getreten am 24.10.2015 – BGBI 11722), das Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren (EBeschlAsylVfG vom 11.3.2016, in Kraft getreten am 17.3.2016 – BGBI I 390) und das Integrationsgesetz (IntG vom 31.7.2016, in Kraft getreten am 6.8.2016 – BGBI I 1939). Schließlich ist seit 2015 auch § 9 AsylbLG mehrfach geändert worden (der in seinem Abs 3 bereits einen Verweis auf die Regelungen der §§ 60 bis 67 SGB I enthält, dazu oben). Durch das Neunte Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch – Rechtsvereinfachung – sowie zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht (InsoAntrAussG/SGB II ÄndG 9 vom 26.7.2016 – BGBI I 1824) ist § 9 Abs 4 Satz 2 AsylbLG neu gefasst und durch das IntG vom 31.7.2016 § 9 Abs 5 AsylbLG um § 117 SGB XII ergänzt worden. Eine Einbeziehung des § 44 SGB I ist allerdings auch insoweit unterblieben.

Mit diesem Ergebnis setzt sich der Senat nicht in Widerspruch zu der von ihm bejahten analogen Anwendung des § 116a SGB XII im AsylbLG (BSGE 114, 20 = SozR 4-3520 § 9 Nr 4), in der neben einer vergleichbaren Interessenlage in den Existenzsicherungssystemen nach dem SGB II, SGB XII und AsyIbLG auch von einer durch das Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (RBEG/SGB II/SGB XII ÄndG vom 24.3.2011 – BGBl I 453) entstandenen planwidrigen Regelungslücke ausgegangen worden ist. Denn anders als bei den hier ua im Streit stehenden Zinsansprüchen nach § 44 SGB I hat der Gesetzgeber selbst – bewusst (dazu BSGE 113, 231 = SozR 4-3250 § 9 Nr 1) – die Anwendung des § 44 SGB X im AsylbLG angeordnet (§ 9 Abs 4 Satz 1 Nr 1 AsylbLG in der seit 1.3.2015 geltenden Normfassung, zuvor § 9 Abs 3 AsylbLG), dabei allerdings zunächst die bereits für die übrigen Existenzsicherungssysteme (vgl § 40 Abs 1 SGB II und § 116a SGB XII) geltende Modifikation des § 44 Abs 4 SGB X, nämlich die Begrenzung der Nachzahlung von Leistungen auf ein Jahr anstelle der in § 44 Abs 4 SGB X vorgesehenen vier Jahre, nicht im AsylbLG nachvollzogen. Dass die damit geschaffene Besserstellung von Leistungsberechtigten nach § 1 AsylbLG (im Verhältnis zu Leistungsberechtigten nach dem SGB II und dem SGB XII) durch den Gesetzgeber nicht planvoll beabsichtigt war, hat der Senat wiederum – wie hier – mit der Entstehungsgeschichte des Gesetzes und dem damit verfolgten Ziel einer leistungsrechtlichen Schlechterstellung des erfassten Personenkreises begründet.

Den Klägern steht ab Rechtshängigkeit der Hauptforderung (§ 94 SGG) allerdings ein Anspruch auf Prozesszinsen in entsprechender Anwendung des § 291 BGB zu. Nach. § 291 BGB hat der Schuldner eine Geldschuld von dem Eintritt der Rechtshängigkeit an zu verzinsen, auch wenn er nicht im Verzug ist; wird die Schuld erst später fällig, so ist sie von der Fälligkeit an zu verzinsen. Auch der unbezifferte Geldanspruch – hier auf höhere Kosten der Unterkunft – ist ab Rechtshängigkeit zu verzinsen (zum unbezifferten Schmerzensgeldanspruch vgl BGH Urteil vom 5.1.1965 – VI ZR 24/64 – NJW 1965, 531). Die Zinspflicht beginnt dabei wegen § 187 Abs 1 BGB mit dem Folgetag der Rechtshängigkeit, hier am 15.8.2013 (Grüneberg in Palandt, BGB, 77. Aufl 2018, § 291 RdNr 6). Die Vorschriften des § 288 Abs 1 Satz 2, Abs 2 und 3 und des § 289 Satz 1 BGB finden entsprechende Anwendung. Der Zinssatz beträgt danach für das Jahr fünf Prozentpunkte über dem Basiszinssatz (§ 288 Abs 1 Satz 2 BGB). Der Basiszinssatz (§ 247 BGB) ist seit dem 1.1.2013 allerdings unter Null gesunken (Toussaint in jurisPK-BGB, 8. Aufl 2017, § 247 BGB RdNr 12), sodass der Zinssatz im Ergebnis unterhalb des Wertes von 5 % liegt (Seichter in jurisPK-BGB, 8. Aufl 2017, § 288 BGB RdNr 11): Dass der Zinssatz mit einer bestimmten Anzahl von. Prozentpunkten „über“ dem Basiszinssatz definiert ist, bedeutet nicht, dass Anspruch auf eine Mindestverzinsung in Höhe der Fest Zahl besteht (Toussaint, aaO, RdNr 13; Coen, NJW 2012, 3329, 3332; DNotl-Report 2013, 21, 22; str, aA Klose, NJ 2014, 13).

Die Verzinsungspflicht nach § 291 BGB bildet nicht nur einen Unterfall der Verzinsung wegen Verzugs (§ 288 BGB), der ggf in einem „erst-recht-Schluss“ im Geltungsbereich des AsylbLG auch den Ausschluss von Prozesszinsen rechtfertigen könnte. Vielmehr ist selbständiger Rechtsgrund von Prozesszinsen allein die Rechtshängigkeit einer Forderung, dh der Schuldner wird schon deshalb einer Zinspflicht unterworfen, weil er es zum Prozess hat kommen lassen und für das eingegangene Risiko einstehen soll (BGH Urteil vom 14.1.1987 – IVb ZR 3/86 -juris RdNr 3 mwN; stRspr). Der Sache nach ist der Anspruch auf Prozesszinsen mithin eine rein prozessuale, aus dem Prozessrechtsverhältnis erwachsende Nebenforderung (BAG Urteil vom 25.4.2007 – 10 AZR 586/06 – juris RdNr 11 mwN), also ein vom Verschulden unabhängiger, reiner Risikozuschlag, den der Schuldner zu zahlen hat, wenn er sich auf einen Prozess einlässt und unterliegt (Ernst in Münchener. Komm zum BGB, 7. Auf 12016, § 291 RdNr 1).

Unter Berücksichtigung des dargestellten gesetzgeberischen Verständnisses des AsylbLG als im Kern ausländerrechtliches Regelungswerk schließt sich der Senat insoweit der Rechtsprechung des (ua für das Ausländer- und Asylrecht zuständigen) BVerwG an, wonach zwar Verzugszinsen nur aufgrund ausdrücklicher gesetzlicher Regelung gewährt werden (BVerwG Urteil vom 4.7.2003 – 7 B 130/02 – mwN), für öffentlich-rechtliche Geldforderungen Prozesszinsen hingegen unter sinngemäßer Anwendung des § 291 BGB zu entrichten sind, wenn das jeweils einschlägige Fachrecht wie hier das AsylbLG – keine gegenteilige Regelung trifft (stRspr; vgl nur BVerwGE 114, 61 mwN). Mit vergleichbaren Überlegungen ist in der Rechtsprechung des BSG auch bei der Frage der Anerkennung von Prozesszinsen für Entschädigungsansprüche wegen überlanger Gerichtsverfahren von einer Übertragbarkeit der Rechtsprechung des BVerwG ausgegangen worden (vgl nur BSG SozR 4-1720 § 198 Nr 4 RdNr 61), weil Entschädigungsansprüche nach § 198 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) außerhalb des Systems sozialrechtlicher Ansprüche stünden (so auch zum Haftungsanspruch nach Art 104a Abs 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG BSGE 105, 100 = SozR 4-1100 Art 104a Nr 1, RdNr 56). Darauf, dass ein Anspruch auf Prozesszinsen auf Forderungen aus dem Sozialrecht in ständiger Rechtsprechung des BSG nur dann bejaht wird, wenn ein solcher entweder im SGB selbst oder in einer spezialgesetzlichen Regelung ausdrücklich vorgesehen ist (vgl BSG SozR 3-7610 § 291 Nr 1 mwN) oder wenn einer der von der Rechtsprechung mittlerweile anerkannten Ausnahmefälle bei Ansprüchen im Gleichordnungsverhältnis vorliegt (vgl nur BSGE 97, 23 = SozR 4-2500 § 129 Nr 3; BSGE 95, 141 = SozR 4-2500 § 83 Nr 2; BSGE 92, 223 = SozR 4-2500 § 39 Nr 1; BSG SozR 4-4200 § 6b Nr 4; BSG Urteil vom 3.3.2009 – B 1 KR 7/08 R), kommt es deshalb nicht an. Zu verzinsen ist vorliegend nur der jeweils auf die Kläger entfallende Teil der Nachzahlung in Höhe von 261,25 Euro (je ein Viertel von 1045 Euro). Dementsprechend haben die Kläger ihren Anspruch auf Zinsen aus diesem Betrag konkretisiert.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt einerseits den überwiegenden Erfolg der Klage, nämlich Prozesszinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit, andererseits das teilweise Unterliegen im Hinblick auf die geforderten Verzugszinsen, die schon ab Fälligkeit, wenn auch in geringerer Höhe (4 %) zu zahlen gewesen wären.