Verwaltungsgericht Braunschweig – Urteil vom 19.12.2018 – Az.: 5 A 150/17

URTEIL

In der Verwaltungsrechtssache

Herr xxx,
– Kläger –

Prozessbevollmächtigter:
Rechtsanwalt Sven Adam,
Lange Geismarstraße 55, 37073 Göttingen

gegen

Land Niedersachsen, vertreten durch den Polizeidirektion Braunschweig,
Friedrich-Voigtländer-Straße 41, 38104 Braunschweig – 22.1-05213-20/17 –
– Beklagter –

wegen Polizeirecht

– Platzverweis –

hat das Verwaltungsgericht Braunschweig – 5. Kammer – auf die mündliche Verhandlung vom 19. Dezember 2018 durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgericht xxx als Einzelrichter für Recht erkannt:

Es wird festgestellt, dass der am 25.06.2016 gegenüber dem Kläger ausgesprochene Platzverweis rechtswidrig war.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Hinsichtlich der Kostenentscheidung ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des festzusetzenden Kostenerstattungsbetrages abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.
 

TATBESTAND

Der Kläger wendet sich mit einer Fortsetzungsfeststellungsklage gegen einen von der Polizei in Braunschweig ausgesprochenen Platzverweis.

Für den 25.06.2016 hatte die AfD versammlungsrechtlich für die Zeit von 10:00 bis 16:00 Uhr einen Informationsstand vor dem Gebäude der Hof-Apotheke (Schuhstraße 4) angemeldet.

Nach dem Bericht des Einsatzleiters für den Bereich Schuhstraße/Ringerbrunnen POK xxx vom 28.06.2016 (Beiakte 001) erschien der Versammlungsleiter der AfD-Veranstaltung Herr xxx gegen 13:50 Uhr persönlich auf der Wache des PK Braunschweig Mitte und teilte mit, dass mehrere Gegendemonstranten den Infostand blockierten. Vor Ort sei von der Polizei festgestellt worden, dass etwa 15 Personen, augenscheinlich dem sogenannten „linken Spektrum“ zugehörig, eine Kette vor dem Infostand gebildet hätten. Die Kette habe den Infostand in südlicher und westlicher Richtung umschlossen. Die Personen hätten in etwa 1 m Abstand zum Infostand gestanden und großflächige Transparente mit den Aufschriften „Refugees welcome and bring your families“ und „Anschläge und Hetze gegen Flüchtlinge stoppen“ hochgehalten, so dass kein Zugang zum Infostand mehr möglich gewesen sei. Der bezeichnete Bereich der Fußgängerzone sei stark frequentiert gewesen. Ein direkter Kontakt zu den Personen vor dem AfD-Stand sei durch lautstarke Parolen verhindert worden. Vor diesem Hintergrund habe er um 13:57 Uhr eine Lautsprecherdurchsage an die Personen gerichtet und ihnen eröffnet, dass ihr Verhalten als versammlungsrechtliche Veranstaltung in Form einer Spontanversammlung gewertet werde. Weiterhin würden die Versammlungsteilnehmer gebeten, einen Leiter zu benennen, damit mit diesem im Rahmen eines Kooperationsgesprächs der weitere Verlauf abgesprochen werden könne. Zudem seien die Personen aufgefordert worden, sich 20 m von dem Infostand der AfD zu entfernen. Da keine Reaktion erfolgte, sei die Lautsprecherdurchsage mit identischem Sinngehalt um 14:01 Uhr wiederholt worden. Die Teilnehmer der Spontanversammlung zeigten auch darauf keine Reaktion. Sie seien einer Kontaktaufnahme durch die Polizei unzugänglich gewesen, weshalb kein Kooperationsgespräch möglich gewesen sei. Die erhebliche Störung der versammlungsrechtlichen Aktion der AfD habe weiterhin angedauert. Um 14:09 Uhr sei die erste Auflösungsverfügung an die Personen ergangen. In der Lautsprecherdurchsage seien die Personen aufgefordert worden, sich in Richtung Ringerbrunnen zu entfernen. Zwangsmittel seien angedroht worden. Um 14:11 Uhr und um 14:16 Uhr seien eine zweite und eine dritte Auflösungsverfügung mit erneuter Androhung von Zwangsmitteln ergangen. Da alle drei Aufforderungen ignoriert worden seien, seien die erforderlichen Maßnahmen gegen die Personen getroffen worden. Die Maßnahmen seien videographisch dokumentiert worden. Die Personen vor dem Infostand seien unter Anwendung von Zwang in Form von einfacher körperlicher Gewalt, hier Schieben und Ziehen mit den Händen im Oberkörperbereich, abgedrängt worden. Die Personen hätten dabei noch ihre Transparente festgehalten und sich theatralisch fallen gelassen. Es seien Parolen wie „Deutsche Polizisten schützen die Faschisten“ zu hören gewesen. Eine Person, der Kläger im Parallelverfahren 5 A 151/17 xxx, sei wegen Widerstands gegen Polizeivollzugsbeamte festgenommen und zum PK Mitte gebracht worden. Vor Ort seien die Personalien der festgehaltenen Personen der zuvor aufgelösten Gegenveranstaltung festgestellt worden. Nach dem Hinweis von Teilnehmern des AfD-Standes seien auch von zwei weiteren Personen im unmittelbaren Nahbereich die Personalien festgestellt worden, da diese als Initiatoren der Störaktionen bezeichnet worden seien. Nach Abschluss der Personalienfeststellung sei den Personen ein Platzverweis für den Bereich der Innenstadt bis 24:00 Uhr ausgesprochen worden. Anschließend seien die Personen vor Ort entlassen worden.

Die Staatsanwaltschaft Braunschweig stellte ein Strafverfahren u. a bzgl. des Klägers wegen einer Straftat nach dem Versammlungsgesetzt oder einer Nötigung mit Verfügung vom 22.07.2016 gem. § 170 Abs. 2 StPO ein, weil zwar unbestritten sei, dass Passanten sich aufgrund der direkt vor dem Infostand postierten „Gegendemonstranten“ nicht an den Infostand herangetraut hätten, eine vollständige, 100%ige Blockade auf dem Video aber nicht zu erkennen sei. Der Stand sei in südlicher und westlicher Richtung umstellt worden. Theoretisch habe die Möglichkeit bestanden, von Norden an den Stand zu treten. Die „Blockade“ habe darüber hinaus – dank des schnellen Eingreifens der Beamten – auch noch in einem überschaubaren Zeitraum stattgefunden.

Die Beklagte erließ daraufhin u. a. gegen den Kläger einen Bußgeldbescheid vom 27.10.2016, mit dem ihm Verstöße gegen das Versammlungsgesetz (§ 21 Abs. 1 Nr. 3, 10, 11 VersG) vorgeworfen wurden. Festgesetzt wurde eine Geldbuße in Höhe von 150,00 EUR. Auf den Einspruch des Klägers kam es am 16.03.2017 zu einer mündlichen Verhandlung beim Amtsgericht Braunschweig. Das Strafverfahren endete mit einem Freispruch. Das Gericht stellte fest, die Tat könne dem Kläger nicht nachgewiesen werden. In einem Vermerk des erkennenden Richters vom 17.03.2017 hat dieser festgehalten, es habe sich nicht um eine „Versammlung der AfD“, sondern um einen Infostand gehandelt. Außerdem habe keine Person versucht, zu dem Stand zu gelangen. Von Norden sei der Stand frei zugänglich gewesen.

Der Kläger hat am 22.03.2017 Klage erhoben. Er trägt vor, die polizeiliche Maßnahme des Platzverweises sei rechtswidrig gewesen. Es habe bereits keine Gefahr im Sinne des Nds. SOG vorgelegen, da der Infostand der AfD nicht nennenswert beeinträchtigt worden sei. Ein Zugang sei von Norden weiterhin möglich gewesen. Die Demonstranten hätten sich nur sehr kurz vor dem Stand befunden. Der Kläger sei auch gar nicht bei den Personen gewesen, denen die Polizei nunmehr vorwerfe, den Stand gestört zu haben. Jedenfalls sei der Platzverweis zu unbestimmt gewesen. Es sei vom Empfängerhorizont aus nicht eindeutig abzugrenzen gewesen, was unter Innenstadt zu verstehen sei. Innenstadt sei ferner kein Ort im Sinne des § 17 Abs. 1 Nds. SOG, sondern ein Bereich im Sinne des § 17 Abs. 4 Nds. SOG, dessen Voraussetzungen aber nicht vorgelegen hätten, weil keine Tatsachen erkennbar gewesen seien, welche die Annahme rechtfertigten, dass der Kläger im Bereich der Innenstadt noch am selben Tag eine Straftat begehen werde. Schließlich sei der Platzverweis unverhältnismäßig gewesen, weil eine Erstreckung auf die Zeit bis 24:00 Uhr nicht notwendig gewesen sei.

Der Kläger beantragt,

festzustellen, dass der gegenüber ihm ausgesprochene Platzverweis der Beklagten vom 25.06.2016 für den Bereich der Innenstadt von Braunschweig bis 24:00 Uhr rechtswidrig war.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist der Auffassung, der Platzverweis sei rechtmäßig gewesen. Die Voraussetzungen des § 17 Absatz 4 Satz 1 Nds. SOG hätten vorgelegen. Die Gegendemonstranten hätten den Stand der AfD so blockiert, dass dieser angesichts der Umschließung von Westen und Süden nicht hätte aufgesucht werden können. Die Grundrechtsausübung der AfD sei unmöglich gemacht worden, selbst wenn die Blockade sich nicht auf den nördlichen Zugang bezogen hätte. Der Kläger sei zweifelsfrei bei den Störern gewesen. Es handelte sich bei ihm nicht um eine der beiden Personen, die als Initiatoren der Blockade später noch festgehalten worden wären. Auch sei ausgeschlossen, dass er als Unbeteiligter zufällig kontrolliert worden sei. Vielmehr müsse er bei den Demonstranten vor dem Stand gewesen sein. Die zur Verfügung stehenden Polizeikräfte hätten nur dafür gereicht, bei diesen Personen die Personalien festzustellen. Es habe der begründete Verdacht bestanden, dass der dem linken Spektrum zuzuordnende und polizeibekannte Kläger im Bereich des Kundgebungsortes Straftaten begehen werde. Es sei zu vermuten gewesen, dass es zu unfriedlichen Aktionen und Straftaten seitens des Klägers kommen würde. Was unter Innenstadt zu verstehen sei, sei für den Kläger als Braunschweiger ohne weiteres zu erkennen gewesen. Angesichts der Gesamtlage, die aufgrund der Fußballeuropameisterschaft und anderer Veranstaltungen zahlreiche Polizeikräfte gebunden hätte, habe die Polizei sicher gehen wollen, dass bis Mitternacht von den Stören keine weitere Gefahr ausgehe.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch eine Inaugenscheinnahme der für das Verfahren maßgeblichen Teile des Polizeivideos zu den Ereignissen vor dem AfD-Stand. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 19.12.2018 Bezug genommen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsvorgänge der Beklagten, die dem Gericht vorgelegen haben, verwiesen.

 

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE

Die Klage ist als Fortsetzungsfeststellungsklage im Sinne des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO in entsprechender Anwendung zulässig. Ein berechtigtes Interesse hat der Kläger dadurch geltend gemacht, dass er sich darauf beruft, aufgrund des Platzverweises als Störer diskriminiert worden zu sein, sodass eine Rehabilitation nur durch eine gerichtliche Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Polizeimaßnahme zu erlangen sei. Ein Rehabilitationsinteresse begründet ein Feststellungsinteresse dann, wenn es bei vernünftiger Würdigung der Verhältnisse des Einzelfalls als schutzwürdig anzuerkennen ist. Dies kann insbesondere der Fall sein, wenn der Kläger durch die streitige Maßnahme in seinem Persönlichkeitsrecht objektiv beeinträchtigt ist. Eine solche Beeinträchtigung kann sich auch aus der Begründung der streitigen Verwaltungsentscheidung ergeben (vgl. BVerwG, Beschl. v. 04.10.2006 – BVerwG 6 B 64/06 -, juris, Rn. 10, m.w.N.). Ein berechtigtes ideelles Interesse an einer Rehabilitierung besteht nur, wenn sich aus der angegriffenen Maßnahme eine Stigmatisierung des Betroffenen ergibt, die geeignet ist, sein Ansehen in der Öffentlichkeit oder im sozialen Umfeld herabzusetzen. Diese Stigmatisierung muss Außenwirkung erlangt haben und noch in der Gegenwart andauern (Nds. OVG, Urt. v. 26.04.2018 – 11 LC 288/16 -, juris Rn. 27 unter Verweis auf BVerwG, Urt. v. 16.5.2013 – BVerwG 8 C 14.12 -, juris, Rn. 25, m.w.N.) Diese Voraussetzungen liegen (knapp) vor.

Die Klage ist auch begründet.

Der gegenüber dem Kläger am 25.06.2016 nach Auflösung der Blockade des AfD-Stands und Feststellung der Personalien ausgesprochene Platzverweis für die Braunschweiger Innenstadt bis 24:00 Uhr war rechtswidrig. Für diese polizeiliche Maßnahme bestand keine hinreichende Rechtsgrundlage.

Soweit sich die Beklagte auf das Aufenthaltsverbot in § 17 Abs. 4 Satz 1 Nds. SOG, also einen qualifizierten bzw. erweiterten Platzverweis, bezieht, lagen die Voraussetzungen dieser Vorschrift nicht vor. Rechtfertigen danach Tatsachen die Annahme, dass eine bestimmte Person in einem bestimmten örtlichen Bereich eine Straftat begehen wird, so kann ihr für eine bestimmte Zeit verboten werden, diesen Bereich zu betreten oder sich dort aufzuhalten, es sei denn, sie hat dort ihre Wohnung.

Örtlicher Bereich im Sinne des Satzes 1 ist ein Ort oder ein Gebiet innerhalb einer Gemeinde oder auch ein gesamtes Gemeindegebiet (§ 17 Abs. 4 Satz 2 Nds. SOG). Die Braunschweiger Innenstadt ist ein örtlicher Bereich im Sinne des § 17 Abs. 4 Satz 2 Nds. SOG, wobei für einen Braunschweiger Bürger erkennbar war, dass der Bereich innerhalb des Okerumflutgrabens zu meiden war.

Darüber hinaus ist festzustellen, dass der Kläger zur Überzeugung des Gerichts an der Blockade des AfD-Standes teilgenommen hat. Dies ergibt sich insbesondere aus der Darstellung des Einsatzleiters EPHK xxx, der sich in der mündlichen Verhandlung nachvollziehbar zum Ablauf der Polizeimaßnahmen geäußert hat (siehe das Sitzungsprotokoll). Danach war es ausgeschlossen, dass der Kläger als Nichtstörer zufällig in die Gruppe derjenigen Personen geraten ist, deren Personalien aufgenommen wurden. EPHK xxx hat dargelegt, nur die Personen vor dem Stand seien festgehalten worden. Polizeikräfte für weitere Kontrollen seien gar nicht vor Ort gewesen. Damit steht fest, dass der Kläger in rechtswidriger Weise die Grundrechtsausübung der AfD beeinträchtigt hat. Er hat nämlich den Stand zusammen mit anderen so abgeschirmt, dass Interessenten nicht dorthin gelangen konnten. Dies geschah auch nicht nur für einen unwesentlich kurzen Zeitraum. Es ist insoweit unerheblich, ob es tatsächlich Versuche gab, den Stand zu erreichen. Nach dem Polizeivideo war auf dieser – schmalen – Seite des Tisches faktisch keine Zugangsmöglichkeit, die ein unbeteiligter Passant vernünftigerweise in Anspruch genommen hätte. Der Kläger war daher ordnungsrechtlich Störer (§ 6 Abs. 1 Nds. SOG) und hat die Grundregeln der Demokratie, zu der Toleranz gegenüber anderen Meinungen gehört, in rechtswidriger Weise missachtet. Mit von ihm als radikal empfundenen Meinungen musste er sich in einer Weise auseinandersetzen, die deren Äußerung nicht unterbindet. Dazu hatte die Polizei die Sicherung einer Gegendemonstration in Form einer Spontanversammlung in der Nähe des Standes angeboten.

Die polizeiliche Reaktion auf das rechtswidrige Verhalten des Klägers entsprach indessen nicht § 17 Abs. 4 Satz 1 Nds. SOG, weil keine Tatsachen vorlagen, nach denen die Beklagte im Rahmen ihrer Gefahrenprognose annehmen musste, der Kläger werde am selben Tag in der Innenstadt eine Straftat begehen.

Ob die Voraussetzungen eines Aufenthaltsverbots vorliegen, ist nach der sogenannten ex-ante-Sicht zu klären. Danach kommt es darauf an, ob nach den Verhältnissen und dem möglichen Erkenntnisstand zum Zeitpunkt des Erlasses der Maßnahme eine Gefahrenlage i. S. d. § 17 Abs. 4 Satz 1 Nds. SOG vorlag. Da die Prognose das Vorliegen von „Tatsachen“ erfordert, reichen reine Vermutungen oder subjektive Einschätzungen nicht aus. Es müssen vielmehr nachprüfbare, dem Beweis zugängliche Geschehnisse vorliegen, aus denen mit der erforderlichen Sicherheit auf die bevorstehende Begehung von Straftaten gerade durch die betreffende Person geschlossen werden kann. Die Tatsachen müssen geeignet sein, eine hinreichende Wahrscheinlichkeit der Begehung der Straftat oder des Beitrags zu ihrer Begehung zu begründen, wobei der Grad der gebotenen Wahrscheinlichkeit von der Wertigkeit der im Einzelfall zu schützenden Rechtsgüter abhängt. In zeitlicher Hinsicht setzt § 17 Abs. 4 Satz 1 Nds. SOG grundsätzlich die Feststellung von Vorfällen auch aus jüngerer Zeit voraus. Dies schließt allerdings nicht aus, dass auch zeitlich weiter zurückliegende Vorfälle die Annahme einer weiterhin hinreichend konkreten Gefährdungslage im Sinne dieser Vorschrift rechtfertigen können. Eine starre zeitliche Grenze besteht insoweit nicht (Nds. OVG, Urt. v. 26.04.2018 – 11 LC 288/16 -, juris Rn. 31, 32, 36).

Tatsachen für die Begehung von Straftaten des Klägers im Innenstadtbereich lagen nicht vor. Weder die Teilnahme an der Störung der AfD-Veranstaltung noch die dem Gericht bekannten polizeilichen Erkenntnisse zu Ordnungswidrigkeiten in der Vergangenheit (s. Bußgeldbescheid vom 07.06.2016 zu Störung einer Versammlung am 02.11.2015, Bl. 24 BA 001) begründeten eine hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass der Kläger am selben Tag eine Straftat und nicht nur weitere Ordnungswidrigkeiten begehen werde. Insbesondere war eine gemeinschaftliche Tat nach § 20 Abs. 1 Nr. 2 NVersG oder eine Nötigung nach § 240 StGB nach der Auflösung der Blockade nicht realistisch. Darüber hinaus haben die Vertreter des Beklagten und Herr xxx in der mündlichen Verhandlung keine konkreten Tatsachen benannt. Der Kläger hat auch nicht die Begehung von Straftaten angekündigt. Allein die Zugehörigkeit zur linken Szene genügt nicht. (vgl. zum Vorstehenden auch Nds. OVG, Urt. v. 28.06.2013, Beschl. v. 28.06.2013 – 11 LA 27/13 -, juris Rn. 14).

Der Platzverweis kann auch nicht auf § 17 Abs. 1 Satz 1 Nds. SOG gestützt werden. Danach können die Verwaltungsbehörden und die Polizei zur Abwehr einer Gefahr jede Person vorübergehend von einem Ort verweisen oder ihr das Betreten eines Ortes verbieten. Diese Vorschrift setzt lediglich eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung im Sinne des § 2 Nr. 1a Nds. SOG voraus. Diese lag vor, weil die Polizei zumindest davon ausgehen durfte, dass der Kläger nach Feststellung der Personalien erneut zu dem Stand begibt und auf diesen (in geringfügiger Weise) störend einwirkt.

Das Tatbestandsmerkmal des Ortes ist indessen enger gefasst als das Tatbestandsmerkmal Bereich in § 17 Abs. 4 Satz 1 Nds. SOG. Der Begriff Ort in Abs. 1 ist eng auszulegen, weil Abs. 4 mit seinem qualifizierten („erweiterten“) Platzverweis gerade räumlich großflächigere Bereiche erfasst (Saipa, Nds. SOG, Stand: August 2017, § 17 Rn 1). Bei einem „Ort“ handelt es sich bei entsprechenden landesrechtlichen Regelungen um einen räumlich eng begrenzten Ort. Ein Platzverweis soll nicht für das gesamte Gemeindegebiet, sondern zum Beispiel nur für ein Straßenstück, ein Grundstück oder einen Gebäudeteil zulässig sein. Großflächige Platzverweisungen im Sinne des § 17 Abs. 1 Nds. SOG sind mit der Schaffung der Sonderregelung für Platzverweise zur Verhütung von Straftaten nicht mehr zulässig, da die Rechtslage mit der Einführung der Sonderregelung im Übrigen keine Änderung erfahren hat (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 23.04.2018 – 3 L 85/16 –, juris Rn 61 zu § 30 Abs. 1 Hess. SOG und ausdrücklich auch zu § 17 Nds. SOG). Die Beklagte hätte dem Kläger daher auf der Grundlage des § 17 Abs. 1 Nds. SOG einen Platzverweis beispielsweise für den Ort Schuhstraße am Ringerbrunnen erteilen dürfen. Sie durfte sich jedoch nur auf der Grundlage des § 17 Abs. 4 Satz 1 und 2 Nds. SOG auf die Braunschweiger Innenstadt als ein Gebiet innerhalb der Gemeinde beziehen.

Ein Rückgriff auf die Generalklausel des § 11 Nds. SOG dürfte schon wegen der Spezialregelung in § 17 Nds. SOG ausgeschlossen sein. Die Beklagte hat ihr Ermessen jedenfalls nur im Hinblick auf einen Platzverweis gem. § 17 Nds. SOG ausgeübt, wobei aufgrund der Bezugnahme auf Abs. 4 des § 17 Nds. SOG schon fraglich ist, ob die Ermessensbetätigung auch eine Anwendung des Abs. 1 des § 17 Nds. SOG gedeckt hätte. Darauf kommt es aber nicht mehr an.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO in Verbindung mit § 108 Nr. 11,711 ZPO.

Der Streitwert ist nach § 52 Abs. 2 GKG festgesetzt worden (vgl. auch Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, NVwZ, Beil. 2/2013 zu Nr. 35.1).

Es folgt die Rechtsmittelbelehrung.