Tacheles Rechtsprechungsticker KW 08/2019

1.   Entscheidungen des Bundessozialgerichts zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

1.1 – BSG, Urt. v. 12.09.2018 – B 14 AS 7/18 R, B 14 AS 4/18 R,B 4 AS 39/17 R

§ 41a Abs 3 SGB II enthält keine Präklusionsregelung.

Orientierungssatz (Redakteur)
Im Widerspruchsverfahren vorgelegte Unterlagen zum Nachweis leistungserheblicher Tatsachen sind bei abschließenden Entscheidungen nach § 41a Abs 3 SGB II zu berücksichtigen.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

Hinweis:
S.a. dazu: BSG 4. Senat, Urteil vom 12.09.2018 – B 4 AS 39/17 R
Autor: Dr. Bettina Karl, Ri’inLSG

Karl, jurisPR-SozR 3/2019 Anm. 1 auf Juris: www.juris.de

1.2 – BSG, Urt. v. 12.09.2018 – B 14 AS 45/17 R

Höherer Bedarf an Heizstrom setzt keine technische Ermittlung des Verbrauchs voraus.

Orientierungssatz (Redakteur)
Anspruch auf Berücksichtigung eines Warmwassermehrbedarfs über die Warmwasserpauschale hinaus besteht, soweit die Aufwendungen für die Warmwassererzeugung durch die Warmwasserpauschale nicht vollständig gedeckt werden und sie nicht unangemessen sind.

Maßgebend dafür, ob ein abweichender Bedarf iS des § 21 Abs 7 Satz 2 Halbsatz 2 Alternative 1 SGB II besteht, sind die für die dezentrale Warmwassererzeugung tatsächlich anfallenden Aufwendungen; höhere Aufwendungen zur dezentralen Warmwassererzeugung als die Warmwasserpauschale sind als Warmwassermehrbedarf anzuerkennen, soweit diese angemessen sind (dazu im Einzelnen BSG vom 7.12.2017 – B 14 AS 6/17 R).

Diese Anerkennung eines abweichenden Warmwassermehrbedarfs setzt entgegen der Auffassung des LSG keine separate Verbrauchserfassung durch technische Einrichtungen wie zB einen Verbrauchszähler voraus, sondern erfordert grundsätzlich Ermittlungen und hierauf gestützte Feststellungen.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

2.   Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

2.1 – Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss v. 21.01.2019 – L 7 AS 24/19 B ER

Probewohnen im Maßregelvollzug – Probewohnen im Rahmen des Maßregelvollzugs schließt Leistungen nach dem SGB II nicht aus, wenn der Maßnahmeträger nicht mehr die Gesamtverantwortung für den Betroffenen innehatte.

Orientierungssatz (Redakteur)
1. Der Antragsteller ist nicht nach § 7 Abs. 4 Satz 2 iVm Satz 1 SGB II wegen Aufenthalts in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung von den Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen.

2. Denn ein “Probewohnen” im Rahmen des Maßregelvollzugs stellt keinen Aufenthalt auf Grund richterlicher Freiheitsentzugsentziehung im maßregelvollzugsrechtlichen Sinne dar und begründet keinen Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 4 (BayLSG, Urteil vom 17.09.2018, L 16 AS 813/13).

3. Obwohl eine förmliche Entlassung aus dem Maßregelvollzug nicht erfolgt ist, entfällt die Wirkung der richterlichen Anordnung durch die im Einvernehmen mit der Strafvollstreckungsbehörde gewährte Möglichkeit des Probewohnens außerhalb der Einrichtung. Der Proband wird nämlich dem Ordnungsregime der Vollzugsanstalt entzogen; er ist nunmehr für seine Lebensgestaltung und für seinen Lebensunterhalt selbst verantwortlich (Valgolio in Hauck/Noftz, SGB, 06/17, § 7 SGB II Rdz. 243a). Soweit ein Probewohnender dem Ordnungsregime der Vollzugsanstalt entzogen ist, befindet er sich nach der Rechtsprechung des BSG (vgl nur BSG Urteil vom 02.12.2014, B 14 AS 66/13 R) nicht mehr in einer Einrichtung iSv nach § 7 Abs. 4 Satz 2 iVm Satz 1 SGB II, mit der Folge, dass der Leistungsausschluss nicht greift.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

2.2 – Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 09.01.2019 – L 14 AS 524/13

Leitsatz (Juris)
In Fällen unangemessener Heizkosten, die durch unwirtschaftliches Heizverhalten verursacht wurden, bedarf es keiner vorherigen Kostensenkungsaufforderung, um einen Anspruch auf Übernahme einer Heizkostennachzahlung im Rahmen der Kosten der Unterkunft und Heizung auszuschließen.

Quelle: www.landesrecht-mv.de

2.3 – Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss. v. 21.01.2019 – L 1 AS 4370/18 ER-B

Orientierungssatz (Redakteur)
Übernahme von Kosten, die im Zusammenhang mit einem beruflich bedingten Umzug des Antragstellers angefallen sind, hier ablehnend.

Leitsatz (Juris)
Für einen wirksamen Antrag auf Zusicherung von Wohnungsbeschaffungs- und Umzugskosten bedarf es neben der konkreten Ankündigung des Umzugs zumindest der Benennung des Ortes der neuen Wohnung und der für die neue Wohnung und den Umzug anfallenden Kosten.

Einer nachträglichen Geltendmachung der Kosten für einen ohne vorherige Information des zuständigen SGB II-Trägers selbst durchgeführten Umzug als Leistungen zur beruflichen Eingliederung (Umzugskostenbeihilfe) steht § 44 Abs. 3 SGB III entgegen.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

3.   Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

3.1 – SG Reutlingen Urteil vom 6.12.2018 – S 7 AS 2010/18

Isolierte Anfechtung des Widerspruchsbescheides nach Verwerfung des Widerspruchs als unzulässig. Wirksamkeit einer elektronisch erteilten Vollmacht für einen Rechtsanwalt. Schriftlicher Nachweis der Bevollmächtigung im Widerspruchsverfahren durch Übersendung per Fax.

Leitsatz (Juris)
§ 79 Abs 2 VwGO ist im Sozialgerichtsprozess entsprechend anzuwenden. Das Jobcenter verletzt wesentliche Verfahrensrechte, wenn es zu Unrecht einen Widerspruch als unzulässig verwirft. Ein entsprechender Widerspruchsbescheid ist isoliert anfechtbar.

Die einem Rechtsanwalt ausgestellte Vollmacht ist nicht formgebunden und kann auch elektronisch erfolgen. Mit der Übersendung der (ausgedruckten) elektronischen Vollmacht per Fax erfolgt ein schriftlicher Nachweis im Sinne des § 13 Abs 1 Satz 3 SGB 10.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

3.2 – Sozialgericht Osnabrück, Urteil v. 14.01.2019 – S 29 AS 447/17

Orientierungssatz (Redakteur)
Zinsen eines Darlehensvertrages zur Finanzierung ihrer selbstgenutzten Wohnimmobilie sind vom Jobcenter zu übernehmen, unabhängig davon, wer Schuldner dieser Zinsforderung ist.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

3.3 – Sozialgericht Dresden, Urt. v. 20.01.2019 – S 20 AS 6498/15

Orientierungssatz (Redakteur)
Zum Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II für Fahrtkosten, die den mit dem Regelbedarf zu bestreitendem durchschnittlichem Bedarf deutlich überschreiten zur Physiotherapie und ambulanten Arztbesuchen, hier bejahend.

Leitsatz (Redakteur)
Übernahme von Fahrtkosten zur ambulanten Psychotherapie und ambulanten Arztbesuchen als Mehrbedarf im Rahmen der Grundsicherungsleistungen.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

Hinweis:
aA LSG Sachsen, 25.09.2013 – L 7 AS 83/12 NZB

4.   Entscheidungen der Sozialgerichte zum Asylrecht

4.1 – Sozialgericht Stade, Urteil vom 8. Januar 2019 (Az.: S 19 AY 11/18):

Leitsatz Dr. Manfred Hammel
Diejenigen Personen, denen trotz eines ihnen gewährten Aufenthaltsrechts eines anderen Mitgliedsstaats der Europäischen Union eine Duldung (§ 60a Abs. 2 AufenthG, § 1 Abs. 1 Nr. 4 AsylbLG) erteilt wurde, sind gerade nicht von einer Leistungseinschränkung (§ 1a AsylbLG) betroffen.

Wer wegen einer schweren Erkrankung für längere Zeit nicht reisefähig ist, dem ist ein Verlassen des Bundesgebiets nicht zuzumuten, weshalb keine Anspruchseinschränkung nach § 1a Abs. 3 AsylbLG verfügt werden kann.

Zeiten einer krankheitsbedingten Reiseunfähigkeit sind auf die Zeitspanne nach § 2 Abs. 1 AsylbLG anzurechnen, sofern keine Hinweise darauf bestehen, dass die Erkrankung selbst rechtsmissbräuchlich herbeigeführt wurde (§ 1a Abs. 3 Satz 1 AsylbLG).

5.   Verschiedenes zu Hartz IV, zur Sozialhilfe, zum Asylrecht, Wohngeldrecht und anderen Gesetzesbüchern

5.1 – LSG NRW, Urt. v. 29.11.2018 – L 9 AL 260/17

Kein Gründungszuschuss bei Vollzeitbeschäftigung
Das LSG Essen hat entschieden, dass ein Diplom-Ingenieur der Bundesagentur für Arbeit Gründungszuschuss in Höhe von rund 9.500 Euro erstatten muss, da neben seiner abhängigen Beschäftigung als Softwareentwickler in Vollzeit kein Raum für eine selbstständige Tätigkeit in Vollzeit ist.

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5.2 – Jobcenter muss keinen Abiball finanzieren

Das SG Düsseldorf hat entschieden, dass zwei Abiturientinnen keinen Anspruch auf Zahlung von jeweils etwa 200 Euro gegen das Jobcenter für einen “Abiball” haben.

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Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock

Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker