Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht – Urteil vom 28.02.2019 – Az.: 11 LB 665/18


URTEIL

11 LB 665/18
10 A 1242/17

In der Verwaltungsrechtssache
des Herrn xxx,

– Klägers und Berufungsklägers –

Prozessbevollmächtigter:
Rechtsanwalt Sven Adam,
Lange Geismarstraße 55, 37073 Göttingen,

gegen

die Polizeidirektion Hannover,
Waterloostraße 9, 30169 Hannover,

– Beklagte und Berufungsbeklagte –

wegen Feststellung der Rechtswidrigkeit einer polizeilichen Observation

hat das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht – 11. Senat – ohne mündliche Verhandlung am 28. Februar 2019 durch den Vizepräsidenten des Oberverwaltungsgerichts xxx, die Richterin am Oberverwaltungsgericht xxx, die Richterin am Oberverwaltungsgericht xxx sowie die ehrenamtliche Richterin xxx und den ehrenamtlichen Richter xxx für Recht erkannt:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover – 10. Kammer – vom 12. Dezember 2017 aufgehoben.

Die Sache wird an das Verwaltungsgericht Hannover zurückverwiesen.

Die Kostenentscheidung bleibt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts vorbehalten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

TATBESTAND

Der Kläger begehrt die Feststellung der Rechtswidrigkeit einer polizeilichen Observation.

Der Kläger ist aktiver Unterstützer des „Unabhängigen Jugendzentrums Kornstraße“ (im Folgenden: UJZ Korn), in dem er früher auch als Geschäftsführer und Büroleiter tätig war. Nach Angabe der Beklagten lagen ihr Hinweise vor, dass im UJZ Korn Treffen von Unterstützern der sog. Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) – einer in der Bundesrepublik Deutschland verbotenen und als terroristische Vereinigung eingestuften Organisation – geplant waren. Daraufhin führten Beamte des Staatsschutzes der Beklagten am 27. Juli 2014, am 8. März 2015 und am 26. Juli 2015 jeweils für ca. sechs Stunden aus einem gegenüberliegenden Gebäude verdeckte Observationen durch. Einige der während der Observation am 26. Juli 2015 angefertigten Lichtbilder zeigen den Kläger im Kontakt mit Personen, die die Beklagte der Unterstützung der PKK verdächtigte.

In der Folgezeit leitete die Staatsanwaltschaft Lüneburg gegen den Kläger sowie gegen die drei Vorstandsmitglieder des Trägervereins des UJZ Korn – dem „Verein zur Förderung politischer Jugendkulturen e.V.“ – strafrechtliche Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Verstoßes gegen § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 VereinsG ein. Im Rahmen dieser Ermittlungsverfahren ordnete das Amtsgericht Lüneburg mit Beschluss vom 4. Februar 2016 die Durchsuchung des UJZ Korn an, die am 15. Februar 2016 stattfand.

Am 6. Februar 2017 hat der Kläger vor dem Verwaltungsgericht Klage erhoben. Zur Begründung hat er im Wesentlichen vorgetragen, dass die Observation dazu geführt habe, dass gegen ihn ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden sei. Auch fehle es an einer einschlägigen Rechtsgrundlage für die Observation. Zu beanstanden sei zudem, dass die Beklagte ihre angeblichen Erkenntnisse, die zur Anordnung der Observationen geführt hätten, nicht aktenkundig gemacht habe. Ihr Verhalten sei damit nicht nachvollziehbar und daher rechtswidrig.

Der Kläger hat beantragt,

festzustellen, dass die Observation des Gebäudes des Unabhängigen Jugendzentrums in der Kornstraße 28, 30167 Hannover, am 26. Juli 2015 rechtswidrig war.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

In der am 14. Juni 2017 vor dem Verwaltungsgericht durchgeführten mündlichen Verhandlung hat der Kläger Beweisanträge gestellt. Die Kammer hat daraufhin beschlossen, dass auf den Beweisantrag des Klägers „Beweis über die anlassgebenden Umstände der beklagten Observation des Jugendzentrums Kornstraße nach gefahrenabwehrrechtlichen Bestimmungen erhoben werden soll.“ Mit Verfügung vom 6. Oktober 2017 hat die Kammer eine weitere mündliche Verhandlung für den 12. Dezember 2017 anberaumt und dafür zwei an der Observation beteiligte Polizeibeamte als Zeugen geladen. Mit Schriftsatz vom 15. November 2017 hat der Kläger auf entsprechende Nachfrage der Kammer mitgeteilt, dass das gegen ihn eingeleitete strafrechtliche Ermittlungsverfahren durch Verfügung der Staatsanwaltschaft nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden sei. In der sodann am 12. Dezember 2017 vor dem Verwaltungsgericht durchgeführten mündlichen Verhandlung hat die Vertreterin der Beklagten der Kammer die Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft Lüneburg vom 2. Oktober 2017 überreicht. Die Kammer hat die Sitzung daraufhin für eine Beratung unterbrochen. Anschließend hat die Kammer den Beweisbeschluss vom 14. Juni 2017 aufgehoben und die Beweisanträge des Klägers vom 14. Juni 2017 abgelehnt. Als wesentliche Gründe der Ablehnung der Beweisanträge hat der Berichterstatter den Beteiligten ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung mitgeteilt, dass es sich um Ausforschungsbeweise handele und der Beweiserhebung die fehlende Zulässigkeit der Klage entgegenstehe.

Mit dem angefochtenen Urteil hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Klage unzulässig sei. Zwar bestehe ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis, es fehle aber an dem für die Zulässigkeit der Klage erforderlichen qualifizierten Rechtsschutzinteresse des Klägers. Ein solches ergebe sich nicht aus einer Wiederholungsgefahr, weil weder dargelegt noch ersichtlich sei, dass es alsbald erneut zu einer vergleichbaren Observation komme. Ein Rehabilitationsinteresse bestehe nicht, weil die Observation verdeckt durchgeführt worden sei und ihr daher kein nach außen dringendes ethisch-moralisches Unwerturteil innegewohnt habe. Ein Feststellungsinteresse ergebe sich auch nicht aus der Einleitung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens, da dieses zwischenzeitlich eingestellt und eine Wiederaufnahme nicht zu erwarten sei. Die Annahme eines Feststellungsinteresses wegen eines schwerwiegenden Grundrechtseingriffs scheide aus, weil sich ein Eingriff in die Rechte des Klägers lediglich als marginal und nicht als schwerwiegend darstelle, da weder er selbst noch seine Handlungen erkennbar Anlass oder Ziel der Beobachtung gewesen seien.

Gegen dieses Urteil hat der Kläger die Zulassung der Berufung beantragt, die der Senat mit Beschluss vom 17. Dezember 2018 – 11 LA 66/18 – wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung zugelassen hat. Zur Begründung hat der Senat im Wesentlichen ausgeführt, dass entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts ein qualifiziertes Rechtschutzinteresse zu bejahen sei.

Zur Begründung der Berufung bezieht sich der Kläger auf seinen Vortrag im Zulassungsverfahren.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover vom 12. Dezember 2017 aufzuheben und festzustellen, dass die Observation des Gebäudes des Unabhängigen Jugendzentrums in der Kornstraße 28, 30167 Hannover, am 26. Juli 2015 rechtswidrig war, sowie die Sache zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht Hannover zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt sinngemäß,

die Berufung zurückzuweisen.

Es fehle bereits an einem feststellungsfähigen Rechtsverhältnis, jedenfalls aber an einem für die begehrte Feststellung der Rechtswidrigkeit erforderlichen Feststellungsinteresse. Wenn der Kläger die Rechtmäßigkeit der Datenerhebung im Hinblick auf das strafrechtliche Ermittlungsverfahren klären wolle, hätte er diese Klärung im Ermittlungsverfahren herbeiführen müssen.

Die Beteiligten haben mit Schriftsätzen vom 9. und 10. Januar 2019 jeweils ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die Beiakten verwiesen.

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE

Das Gericht entscheidet gemäß § 125 Abs. 1 i.V.m. § 101 Abs. 2 VwGO im Einverständnis der Beteiligten ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung.

Auf den entsprechenden Antrag des Klägers ist die Sache nach § 130 Abs. 2 Nr. 2 VwGO an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen.

Nach § 130 Abs. 2 Nr. 2 VwGO darf das Oberverwaltungsgericht die Sache, soweit ihre weitere Verhandlung erforderlich ist, unter Aufhebung des Urteils und des Verfahrens an das Verwaltungsgericht zurückverweisen, wenn das Verwaltungsgericht noch nicht in der Sache selbst entschieden hat und ein Beteiligter die Zurückverweisung beantragt. Vorliegend hat das Verwaltungsgericht – wie im Zulassungsbeschluss vom 17. Dezember 2018 näher ausgeführt – zu Unrecht das Vorliegen des für die Zulässigkeit einer auf ein vergangenes Rechtsverhältnis bezogenen Feststellungsklage erforderlichen qualifizierten Rechtsschutzinteresses verneint. Es hat die Klage daher als Prozessurteil abgewiesen und nicht in der Sache selbst entschieden. Damit liegt ein Fall des § 130 Abs. 2 Nr. 2 Halbsatz 1 VwGO vor (vgl. Blanke, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 130, Rn. 11; Rudisile, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: Mai 2018, § 130, Rn. 8; Happ, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 130, Rn. 12, jeweils m.w.N.). Auch die weiteren Voraussetzungen für eine Zurückverweisung – ein entsprechender Antrag eines Verfahrensbeteiligten sowie die fehlende Entscheidungsreife der Streitsache – sind vorliegend erfüllt. Die fehlende Entscheidungsreife ergibt sich dabei daraus, dass das Verwaltungsgericht in der mündlichen Verhandlung vom 14. Juni 2017 die Durchführung einer Beweisaufnahme angeordnet hatte, um die anlassgebenden Umstände der streitgegenständlichen Observation – also materiell-rechtliche Kriterien – weiter aufzuklären. Zur Durchführung dieser Beweisaufnahme ist es jedoch bisher deshalb nicht gekommen, weil die Kammer rechtsfehlerhaft davon ausgegangen ist, dass nach Einstellung des Ermittlungsverfahrens gemäß § 170 Abs. 2 StPO durch Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 2. Oktober 2017 kein qualifiziertes Rechtsschutzinteresse mehr besteht. Das Gebot des effektiven Rechtsschutzes verlangt bei sich – wie hier – typischerweise kurzfristig erledigenden Maßnahmen, dass der Betroffene die ihn belastende Maßnahme unabhängig von der Schwere des damit verbundenen Rechtseingriffs in einem gerichtlichen Hauptsacheverfahren überprüfen lassen kann (siehe dazu ausführlich: Senatsbeschl. v. 17.12.2018 – 11 LA 66/18 -). Ist demnach vorliegend ein qualifiziertes Rechtsschutzinteresse des Klägers an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der am 26. Juli 2015 durchgeführten Observation zu bejahen, bedarf es der weiteren Aufklärung durch das Verwaltungsgericht, ob die materiellrechtlichen Voraussetzungen für die streitgegenständliche Observation vorlagen.

Die damit eröffnete Möglichkeit der Zurückverweisung steht nach § 130 Abs. 2 Nr. 2 VwGO im Ermessen des Berufungsgerichts. Bei dieser Ermessensentscheidung sind insbesondere die Gesichtspunkte der Prozessökonomie, der Verkürzung des Rechtswegs, der Zweckmäßigkeit einer Überprüfung in zwei Instanzen und der Beschleunigung des Verfahrens zu berücksichtigen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 4.9.2014 – 4 B 30/14 -, juris, Rn. 16; VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 2.6.2017 – NC 9 S 1244/17 -, juris Rn. 6; Bayerischer VGH, Beschl. v. 16.3.2011 – 12 B 10/2407 -, juris, Rn. 27; Eyermann, a.a.O., § 130, Rn. 15; Roth, in: Posser/Wolff, BeckOK VwGO, Stand: 1.1.2019, § 130, Rn. 9). Davon ausgehend übt das Gericht sein Ermessen vorliegend dahingehend aus, dass es die Sache zur erneuten Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverweist. Das Verwaltungsgericht hat bisher – wie ausgeführt – keine Überprüfung der materiell-rechtlichen Voraussetzungen der streitgegenständlichen Observation vorgenommen, so dass dem Kläger bei einer „Durchentscheidung“ des Berufungsgerichts eine Tatsacheninstanz genommen würde. Zudem ist im Rahmen der Überprüfung der materiell-rechtlichen Voraussetzungen der streitgegenständlichen Observation – wie dargelegt – eine weitere Aufklärung des Sachverhalts erforderlich, die das Verwaltungsgericht durch die Anordnung einer Beweisaufnahme begonnen, aber nicht abgeschlossen hat. Im Hinblick darauf und in Anbetracht der Aufgabenverteilung zwischen der Berufungs- und der Eingangsinstanz hält das Berufungsgericht eine Zurückverweisung für angemessen. Auch eine Verkürzung des Rechtswegs wird so vermieden (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 2.6.2017 – NC 9 S 1244/17 -, juris, Rn. 7; derselbe, Urt. v. 7.2.2014 – 9 S 2518/13 -, juris, Rn. 30). Demgegenüber tritt hier der Gesichtspunkt der Verfahrensbeschleunigung ausnahmsweise zurück, zumal dieser auch von den Beteiligten nicht in den Vordergrund gestellt wird (vgl. Bayerischer VGH, Beschl. v. 16.3.2011 – 12 B 10/2407 -, juris, Rn. 28).

Mit der Zurückverweisung der Sache wird die erste Instanz mit Rechtskraft dieser Entscheidung erneut eröffnet. Das Verfahren wird dort mit der in § 130 Abs. 3 VwGO vorgeschriebenen Bindungswirkung fortgesetzt.

Die Entscheidung über die Kosten ist der Entscheidung des Verwaltungsgerichts vorbehalten (Nds. OVG, Beschl. v. 23.11.2017 – 13 LB 239/17 -, Veröff. n.b.; VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 2.6.2017 – NC 9 S 1244/17 -, juris, Rn. 8; Happ, in: Eyermann, a.a.O., § 130, Rn. 19).

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.

Es folgt die Rechtsmittelbelehrung.