1. Entscheidungen des Bundessozialgerichts zur Grundsicherung nach dem (SGB II) und zur Sozialhilfe (SGB XII)
1.1 – Bundessozialgericht, Urteil vom 21. März 2019 (B 14 AS 28/18 R):
Leitsatz Dr. Manfred Hammel
1. Der Geltungszeitraum einer Eingliederungsvereinbarung (EGV) kann im Rahmen des § 15 Abs. 3 Satz 1 SGB II flexibel vereinbart werden. Hiernach lässt sich eine unbefristete Geltungsdauer („bis auf weiteres“) ausdrücklich vereinbaren oder sich stillschweigend aus dem Fehlen einer fest fixierten Regelung zur Laufzeit ergeben.
2. Die Einzelheiten des in § 15 Abs. 3 Satz 1 SGB II gesetzlich vorgeschriebenen Überprüfungsrhythmus sind in der EGV im Einzelnen festzuschreiben.
3. Dies erfordert Regelungen zu den Anlässen oder Zeitpunkten für die gemeinsame Überprüfung während der Laufzeit der EGV.
4. Entsprechendes hat auch für den eine EGV ersetzenden Eingliederungsverwaltungsakt (§ 15 Abs. 3 Satz 3 SGB II) Gültigkeit. Spezifische Vorgaben zum Geltungszeitraum und zum Überprüfungsmechanismus für einen nach § 15 Abs. 3 Satz 3 SGB II erlassenen Verwaltungsakt gehen aus dem Gesetz nicht hervor. Diese Verfügung hat aber ebenfalls den aus § 15 Abs. 3 Satz 1 und 2 SGB II hervorgehenden Anforderungen zu entsprechen.
5. Ein Verwaltungsakt nach § 15 Abs. 3 Satz 3 SGB II hat als rechtswidrig aufgefasst zu werden, wenn aus dieser Verfügung keine konkrete Regelung eines Überprüfungs- und Fortschreibungsmechanismus hervorgeht, der auf den Geltungszeitraum abgestimmt ist.
6. Die vom Jobcenter innerhalb eines Eingliederungsverwaltungsakts verfügte Bestimmung „bis auf weiteres“ erfordert, dass diese Entscheidung von hinreichenden Ermessenserwägungen getragen ist.
7. Es reicht nicht aus, wenn dort lediglich pauschal vorgegeben wird, dass die Inhalte dieser Verfügung regelmäßig überprüft und ggf. fortgeschrieben werden, ohne dass an gleicher Stelle eine konkrete Frist für die notwendige Kontrolle festgelegt, d. h. näher bezeichnet wird, wann und nach welchem Verfahren die Bestimmungen des Verwaltungsakts nach § 15 Abs. 3 Satz 3 SGB II überprüft und ggf. geändert werden können.
Quelle: www.rechtsprechung-im-internet.de
1.2 – BSG, Urteil vom 8. Mai 2019 (B 14 AS 13/18 R):
Leitsatz Dr. Manfred Hammel
1. Kosten für notwendige Schulbücher, die bedürftige Oberstufenschüler mangels Lernmittelfreiheit selbst kaufen müssen, sind durch das Jobcenter als Härtefallmehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II anzuerkennen.
2. Diese Rechtsgrundlage findet in dieser Sondersituation unmittelbare Anwendung, ohne dass es einer Analogie bedarf.
3. Die vom Jobcenter gemäß § 28 Abs. 3 SGB II für die Ausstattung mit persönlichem Schulbedarf zu leistende Pauschale umfasst nicht die Ausstattung mit Schulbüchern, sondern in Bezug auf diese Bedarfslage ist auf den Regelbedarf (§ 20 SGB II) verwiesen.
4. In diesem Richtsatz ist dieser Bedarf der Höhe nach für Schüler, die mangels Lernmittelfreiheit ihre Schulbücher selbst kaufen müssen, strukturell nicht realitätsgerecht und der Höhe nach zu niedrig eingestellt.
5. Zur Deckung des Bedarfs an Schulbücher kann weder auf den Regelbedarf (§ 20 SGB II) und die mit ihm verbundene Ansparkonzeption noch auf ein Darlehen gemäß § 24 Abs. 1 SGB II verwiesen werden.
6. Dies setzt voraus, dass ein Bedarf bei der Ermittlung des Regelbedarfs in strukturell realitätsgerechter Weise zutreffend erfasst worden ist und nicht nur ein individuell von diesem Richtsatz abweichender Bedarf besteht.
7. Hieran fehlt es bei einer zu niedrigen Regelbedarfsermittlung für Schulbücher bei fehlender Lernmittelfreiheit.
8. An dieser Stelle muss deshalb eine unzureichende Deckung existenzsichernder Bedarfe festgestellt werden und kann § 21 Abs. 6 SGB II zur Anwendung gelangen.
9. Der Bedarf für Schulbücher verkörpert bei verfassungskonformer Auslegung einen existenznotwendigen Bedarf, der als unabweisbar im Sinne des § 21 Abs. 6 Satz 2 SGB II eingeschätzt werden muss, weil er seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht, wenn z. B. für die gymnasiale Oberstufe keine Lernmittelfreiheit besteht.
10. Hier besteht deshalb nicht nur ein einmaliger, sondern ein laufender Bedarf, der während des Schulbesuchs und in Abhängigkeit von dessen Verlauf fortlaufend entsteht.
Quelle: www.rechtsprechung-im-internet.de
1.3 – BSG, Urteil vom 8. Mai 2019 (B 14 AS 20/18 R):
Leitsatz Dr. Manfred Hammel
1. Aufwendungen für eine jährliche Heizmaterialbevorratung sind vom Jobcenter im Fälligkeitsmonat auch dann in tatsächlicher Höhe als Bedarf für Heizung (§ 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II) anzuerkennen, wenn nicht zu erwarten ist, dass antragstellerseitig über den gesamten Zeitraum hinweg Leistungen nach dem SGB II bezogen werden.
2. Ein Bedarf nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II kann für unregelmäßige oder in größeren Zeitabständen entstehende Zahlungsverpflichtungen grundsätzlich in gleicher Weise wie für fortlaufend entstehende Kosten geltend gemacht werden.
3. Einmalige unterkunftsbezogene Aufwendungen sind von § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II ebenfalls mit umfasst, als tatsächlicher Bedarf im Monat ihrer Fälligkeit anzuerkennen und vom Jobcenter nicht auf längere Zeiträume zu verteilen.
4. Dies gilt auch bei einem nur kurzzeitigen Leistungsbezug.
5. Für den Leistungsanspruch nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II ist grundsätzlich von maßgeblicher Bedeutung, inwieweit in dem für die Leistungshöhe bedeutsamen Zeitraum die währenddessen entstandenen unterkunfts- und heizungsbezogenen Zahlungsverpflichtungen mit dem antragstellerseitig zu berücksichtigenden Einkommen und Vermögen gedeckt werden können.
6. Hier hat das Monatsprinzip Gültigkeit. Eine Unterdeckung innerhalb dieses Zeitraums begründet den Leistungsanspruch für diesen Monat.
Quelle: www.rechtsprechung-im-internet.de
1.4 – BSG, Urt. v. 18.07.2019 – B 8 SO 2/18 R
Orientierungssatz (Redakteur)
1. Schulische Inklusion: Anspruch auf Schulbegleitung nicht nur in der „Regelschule“, sondern auch beim Besuch einer Förderschule („Sonderschule“).
2. Der ausschließlich nach Maßgabe des Sozialhilferechts eng am Unterricht und der Unterrichtsgestaltung zu bestimmende Kernbereich gilt für Regelschulen wie für Schulen mit besonderem Förderschwerpunkt gleichermaßen. Für Assistenzleistungen außerhalb dieses Kernbereichs kann der Kläger grundsätzlich nicht auf eine vorrangige Zuständigkeit des Schulträgers verwiesen werden.
Quelle: www.bsg.bund.de
1.5 – BSG, Urt. v. 18.07.2019 – B 8 SO 4/18 R
Sie hat keinen Anspruch auf Übernahme der Kosten für die Anschaffung einer Brille als Leistung zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft.
Orientierungssatz (Redakteur)
1. Allein „positive Auswirkungen“ bei einer Versorgung mit einer Brille auf die Lebensumstände der Klägerin lassen keinen sozialen Teilhabebedarf erkennbar werden.
2. Eine Brille, die – wie hier – zur Korrektur einer Sehschwäche in allen Bereichen des täglichen Lebens gleichermaßen benötigt wird, stellt auch kein Hilfsmittel zur Teilhabe am Arbeitsleben dar, sondern unterfällt allein der medizinischen Rehabilitation, wird dort aber der Eigenverantwortung des Versicherten zugerechnet.
3. Ein Anspruch nach den Vorschriften über die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung besteht ebenfalls nicht. Die Kosten für die Neubeschaffung einer Brille sind vom Regelbedarf umfasst, sodass auch Leistungen nach § 73 SGB XII ausscheiden. Kann der Bedarf auf keine andere Weise gedeckt werden, kommen Leistungen nur als Darlehen in Betracht.
Quelle: www.bsg.bund.de
2. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)
2.1 – Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Urt. v. 18.10.2018 – L 5 AS 295/18
Zur Frage, ob bei der Gewährung von Leistungen für eine Mietkaution das Kopfteilprinzip Anwendung findet.
Bewilligung eines Mietkautionsdarlehens – Aufteilung bei einer Mehrheit von Mietern – Kopfteilprinzip findet keine Anwendung bei Mietkaution
Orientierungssatz (Redakteur)
Wer aus einem Mietvertrag nicht zur Zahlung der Miete und der Kaution verpflichtet ist, hat auch keinen Anspruch gegen den Grundsicherungsträger auf Übernahme der Mietkaution nach § 22 Abs. 6 SGB II. Das Kopfteilsprinzip führt bei einer gemeinsam bewohnten Wohnung nicht zu einer anderen Betrachtungsweise, denn ein nicht am Mietvertrag Beteiligter würde sonst für unerfüllte Mietvertragsforderungen mithaften und wäre durch Rückzahlungsverpflichtungen nach § 42a Abs. 1 Satz 3 SGB II belastet (vgl. Sächsisches LSG, Beschluss vom 27. August 2018 – L 7 AS 705/18 B ER; Lauterbach, in: Gagel, SGB II/SGB III, § 22 SGB II Rn. 126 (Stand: Oktober 2016); a.A.: Kemper, in: Eicher/Luik, SGB II, 4. Auflage 2017, § 42a Rn. 26; Bender, in: Gagel, a.a.O., § 42a Rn. 11 (Stand: März 2018)).
Leitsatz (Juris)
1. Begehrt ein Kläger als Leistung für eine Mietkaution iSv § 22 Abs 6 SGB II einen Zuschuss anstelle eines Darlehens, ist statthafte Klageart die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage. Eine isolierte Anfechtungsklage ist unzulässig.
2. Auf die Gewährung von Leistungen für eine Mietkaution findet das sog Kopfteilprinzip keine Anwendung. Leistungsberechtigt ist grundsätzlich nur derjenige, der nach dem Mietvertrag Schuldner der Mietsicherheit ist.
Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de
2.2 – Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Urt. v. 07.02.2019 – L 5 AS 725/17
Arbeitslosengeld II – Unterkunft und Heizung – Übernahme der Unterkunftskosten für die bisherige Wohnung während eines Aufenthalts im Frauenhaus bis zum Ablauf der Kündigungsfrist – Abgrenzung von Wohnungsbeschaffungskosten
Anspruch auf Übernahme der doppelten Mietkosten – sog. Überschneidungskosten – § 22 Abs. 6 SGB II
Orientierungssatz (Redakteur)
Die Kosten der bisherigen Wohnung nach der Aufnahme der Klägerin in ein Frauenhaus sind vom JC als Kosten der Unterkunft nach § 22 Abs. 1 SGB II zu übernehmen.
Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de
Anmerkung:
Jobcenter muss bei Flucht ins Frauenhaus doppelt Miete zahlen
weiter: www.epd.de
2.3 – Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Urt. v. 15.02.2019 – L 4 AS 165/12, L 4 AS 164/12
Leitsatz (Juris)
1. Die Gutschrift einer Versicherungssumme im laufenden Leistungsbezug ist als einmalige Einnahme nach § 11 Abs 3 SGB II zu verteilen. Ein Verbrauch während des Verteilzeitraums ist im Aufhebungs- und Erstattungsfall unbeachtlich.
2. Zu den Anforderungen an den Nachweis von Vermögenslosigkeit im Rahmen der Minderjährigenhaftungsbeschränkung.
Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de
2.4 – Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 26.06.2019 – L 13 AS 189/18
Arbeitslosengeld II – Bedarfe für Unterkunft und Heizung – umzugsbedingte Doppelmieten – Wohnungsbeschaffungskosten – fehlende Zusicherung
Leitsatz (Juris)
Kosten für doppelte Mietzahlungen anlässlich eines Umzugs sind als Wohnungsbeschaffungskosten i. S. des § 22 Abs. 6 SGB II zu qualifizieren.
Quelle: www.rechtsprechung.niedersachsen.de
Anmerkung:
Rechtsfrage anhängig beim BSG – LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 13. September 2018 – L 6 AS 2540/16 -, anhängig beim BSG – B 14 AS 2/19 R
2.5 – Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 03.06.2019 – L 7 AS 5/17 B
Leitsatz (Juris)
1. Wartezeiten sind generell nicht geeignet, die Verfahrensgebühr nach der Nr. 3102 VV RVG oder die Termingebühr nach der Nr. 3106 VV RVG zu erhöhen.
2. Soweit Wartezeiten und Vorhaltezeiten die Abwesenheit des Anwalts vom Kanzleisitz verlängern, sind sie im Rahmen der Bemessung des Tage- und Abwesenheitsgelds nach der Nr. 7005 VV RVG zu berücksichtigen.
3. Eine weitere gesonderte Berücksichtigung des Faktors „Zeit“ hat der Gesetzgeber im Rahmen der auf Verfahrenspauschgebühren beruhenden Vergütungsstruktur nach dem RVG nicht vorgesehen.
Quelle: www.rechtsprechung.niedersachsen.de
3. Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)
3.1 – Sozialgericht Schleswig, Gerichtsbescheid vom 2. Juli 2019 (S 1 AS 111/17):
Leitsatz Dr. Manfred Hammel
Ein vom Jobcenter auf § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X gestützter Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid ist rechtswidrig, wenn dieser Verwaltungsakt erst über ein Jahr nach der Meldung der Arbeitsaufnahme durch den Leistungsbezieher erging.
§ 48 Abs. 4 Satz 1 SGB X in Verbindung mit § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X schreiben hier eine Ausschlussfrist von einem Jahr seit Kenntnisnahme von den die Rücknahmeentscheidung rechtfertigenden Tatsachen vor.
Dem steht nicht entgegen, dass der Alg II-Bezieher der vom Jobcenter an ihn gerichteten Aufforderung zur Vorlage von Nachweisen über das bezogene Arbeitseinkommen nicht nachkam, d. h. hier in keiner Weise entsprechend den §§ 60 ff. SGB I mitwirkte.
Quelle: westkuestenanwalt.com
4. Entscheidungen der Landessozialgerichte und Sozialgerichte zur Sozialhilfe (SGB XII)
4.1 – Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 17.06.2019 – L 15 SO 145/19 B ER – rechtskräftig
Pflegegrad 1; fehlende Öffnungsklausel; Angehörige
Leitsatz (Juris)
Ob bei Vorliegen lediglich eines Pflegegrades von 1 weitere Leistungen bewilligt werden können, die an sich der Pflege zuzurechnen sind, und falls ja, auf welcher Rechtsgrundlage, ist fraglich und umstritten. Im einstweiligen Anordnungsverfahren sind die notwendigen Leistungen ggfs. im Wege der Folgenabwägung zu bewilligen.
Quelle: www.gerichtsentscheidungen.berlin-brandenburg.de
4.2 – Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 19.06.2019 – L 15 SO 152/19 B PKH – rechtskräftig
Prozesskostenhilfe; Mehrkostenverbot; Rechtsanwalt; Kanzleisitz außerhalb des Gerichtsbezirks; Anordnung der Beiordnung „zu den Bedingungen einer im Gerichtsbezirk ansässigen Kanzlei“
Leitsatz (Juris)
Erfüllen außerhalb des Gerichtsbezirks ansässige Verfahrensbevollmächtigte die Bedingungen des Mehrkostenverbots nach § 121 Abs. 3 ZPO, weil ihr Kanzleisitz vom Ort des Gerichtssitzes nicht weiter entfernt ist als der am weitesten entfernte Ort innerhalb des Gerichtsbezirks, werden sie durch die Anordnung einer Beiordnung „zu den Bedingungen einer im Gerichtsbezirk ansässigen Kanzlei“ materiell nicht beschwert. Die Anordnung ist jedoch zur Vermeidung des Rechtsscheins aufzuheben, dass mit ihr gebührenrechtliche Einschränkungen verbunden sind.
Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de
4.3 – Sozialgericht Nürnberg, Beschluss v. 03.06.2019 – S 20 SO 82/19 ER
Pflegeleistungen nach dem SGB XII im einstweiligen Rechtsschutz
Leitsatz (Juris)
1. Ist der Antragsteller nicht pflegeversichert, eröffnet § 61 Abs. 1 SGB XII die Möglichkeit auf Pflegeleistungen. (Rn. 57) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Antragsgegnerin hat einen klaren gesetzgeberischen Auftrag, aufgrund der Rechtsänderung zum 1.1.2017 die Pflegebedürftigkeit der Antragsteller von Amts wegen unter Zuhilfenahme des MDK zu überprüfen. (Rn. 65) (redaktioneller Leitsatz)
3. § 138 SGB XII sichert dem jeweiligen bisherigen Pflegebedürftigen einerseits die Weitergewährung der bisherigen Leistungen über den 1.1.2017 hinaus bis zum Abschluss des Neufeststellungsverfahrens, schützt vor Rückforderungen von Überzahlungen und garantiert im Sinne des Meistbegünstigungsgrundsatzes auch rückwirkend gegebenenfalls eine Nachzahlung. (Rn. 66) (redaktioneller Leitsatz)
4. § 138 SGB XII ist dabei teleologisch zu reduzieren, dass die Norm nur einen Rechtsgrund für das endgültige Behaltendürfen der bisherigen Leistungen bis zur ersten Neufeststellungsentscheidung der Verwaltung bietet. (Rn. 67 – 70 und 81) (redaktioneller Leitsatz)
Quelle: www.gesetze-bayern.de
4.4 – Sozialgericht Hildesheim, Urteil vom 7. Juni 2019 (S 34 SO 13/19):
Leitsatz Dr. Manfred Hammel
Aufgrund der weitreichenden Folgen einer vorläufigen Leistungsgewährung (§ 44a SGB XII), die eine spätere endgültige Festsetzung und Erstattung von Leistungen ohne Vertrauensschutztatbestände ermöglicht, sind an diese Entscheidung formal hohe Anforderungen zu stellen. Im Zweifel ist hier von einer vorbehaltlosen Bewilligung von Leistungen auszugehen.
Aus einem Bescheid nach § 44a SGB XII hat deshalb klar und unmissverständlich hervorzugehen, ob es sich hier um eine vorläufige oder abschließende Entscheidung handelt.
Die endgültige Berechnung der anerkennungsfähigen Kosten der Unterkunft (§ 35 Abs. 1 Satz 1 SGB XII) kann nicht von einem in dieser Angelegenheit noch gefällten Gerichtsurteil abhängig gemacht werden. Hier handelt es sich um keinen eine vorläufige Bewilligung rechtfertigenden Rechtsgrund.
Bei einer Bewilligung gemäß § 44a SGB XII darf dieser Verwaltungsakt nicht auf eine Entscheidung in Sachen der Kosten der Unterkunft beschränkt werden, sondern diese Verfügung hat einheitlich in Bezug auf den gesamten Leistungsanspruch zu erfolgen.
Quelle: herbertmasslau.de
5. Verschiedenes zu Hartz IV, zur Sozialhilfe, zum Asylrecht, Wohngeldrecht und anderen Gesetzesbüchern
5.1 – Entzug der SGB-II-Leistungen aufgrund versäumter Meldetermine rechtswidrig, ein Beitrag von Rechtsanwalt Franz-Emanuel Bosin
Ein vollständiger Entzug der Leistungen nach dem SGB II aufgrund versäumter Meldetermine (§ 32 SGB II) gestützt auf § 66 SGB I ist rechtswidrig und sollte mit entsprechendem Widerspruch angegriffen und die Leistungsgewährung im Eilverfahren erwirkt werden.
weiter: www.anwalt.de
Rechtstipp:
Sozialgericht München, Beschluss v. 18.04.2019 – S 46 AS 785/19 ER
Drei Meldeversäumnisse sind nicht automatisch ein Grund, die Hilfebedürftigkeit in Frage zu stellen. Mitwirkungspflichten neben Sanktionsregelungen
5.2 – Hartz IV-Leistungen trotz Auslandsimmobilie
Das LSG Celle-Bremen hat das Jobcenter aufgrund einer akuten Notlage zur vorläufigen Gewährung von Hartz IV-Leistungen an ein Ehepaar verpflichtet, obwohl die Ehefrau ein Einfamilienhaus in Thailand besitzt.
Zur Begründung hat das Gericht zwar betont, dass Grundsicherungsleistungen nur dann erbracht würden, wenn kein Vermögen mehr vorhanden sei. Eine Auslandsimmobilie müsse selbst dann verkauft werden, wenn sie im Heimatland des Leistungsbeziehers von Familienangehörigen bewohnt werde oder später Altersruhesitz sein solle. Wenn die Immobilie jedoch nicht als „bereites Mittel“ verfügbar sei, müsse eine Notlage vorläufig vom Jobcenter abgedeckt werden. Denn das gesamte Barvermögen sei inzwischen verbraucht.
Für die Zukunft hat das Gericht die Eheleute darauf hingewiesen, dass sie die Leistungen ggf. später erstatten müssen: Sie hätten nicht glaubhaft gemacht, das Haus ernstlich verkaufen zu wollen. Zwar hätten sie angeblich ein Schild („sale/hire“) aufgestellt. Dies sei jedoch wenig erfolgversprechend, da das Haus an einer kaum frequentierten Anliegerstraße liege, an der kein Durchgangverkehr fahre und deren Zustand so desolat sei, dass nicht einmal die Müllabfuhr dort fahren könne. Durch solch unzureichende Verkaufsbemühungen hätten sie ihre Hilfebedürftigkeit vorwerfbar aufrechterhalten. Dies könne zu einem Erstattungsanspruch des Jobcenters führen.
Quelle: Pressemitteilung des LSG Celle-Bremen Nr. 17/2019 v. 16.07.2019
Anmerkung:
S. a. dazu Leitsatz Dr. Manfred Hammel
LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 22. Mai 2019 (L 11 AS 209/19.B.ER):
1. Ein in Thailand sich befindendes, im Eigentum einer Antragstellerin stehendes Einfamilienhaus stellt ein vom Jobcenter gemäß § 12 Abs. 1 SGB II prinzipiell zu berücksichtigendes Vermögen dar.
2. Diese Liegenschaft ist insbesondere als kein von in Deutschland lebenden Antragstellern selbst genutztes Hausgrundstück von angemessener Größe und deshalb nach § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 SGB II privilegiertes Vermögen auszufassen.
3. Bei dieser Auslandsimmobilie handelt es sich aber im Antragszeitpunkt um kein sog. „bereites Mittel“, aus dem Antragsteller ihren aktuellen Lebensunterhalt finanzieren können.
4. Einzig die Möglichkeit der Veräußerung von Auslandsvermögen führt nicht zu einer tatsächlichen Zahlung des Kaufpreises und den vollständigen Transfer des Verkaufserlöses zu den in Deutschland lebenden Antragstellern, d. h. zu einer Verneinung der aktuell tatsächlich bestehenden Hilfebedürftigkeit dieser Personen (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II in Verbindung mit § 9 Abs. 1 SGB II).
5. Das Jobcenter darf bei fehlenden bereiten Mitteln nicht auf ein lediglich fiktiv vorhandenes Einkommen (§ 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II) verweisen.
6. In dieser Situation berechtigen unzureichende Verkaufsanstrengungen der Antragsteller das Jobcenter nicht zu einer vollständigen Ablehnung des von diesen Personen nach den §§ 19 ff. SGB II gestellten Leistungsantrags.
7. Der SGB II-Träger kann hier ggf. Ersatzansprüche bei sozialwidrigem Verhalten gemäß § 34 SGB II geltend machen.
5.3 – LSG Essen 19. Senat, EUGH-Vorlage vom 14.02.2019 – L 19 AS 1104/18
Autor: Prof. Dr. Yasemin Körtek, RA’in und FA’in für Sozialrecht
Zitiervorschlag: Körtek, jurisPR-SozR 14/2019 Anm. 1 Zitiervorschlag
EuGH-Vorlage zum Leistungsausschluss für Ausländer bei Aufenthalt zur Arbeitsuche
Orientierungssätze
Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Ist der Ausschluss von Unionsbürgern, die über ein Aufenthaltsrecht aus Art. 10 EUV 492/2011 verfügen, vom Bezug von Sozialhilfeleistungen i.S.v. Art. 24 Abs. 2 EGRL 38/2004 mit dem Gleichbehandlungsgebot aus Art. 18 AEUV i.V.m. Art 10 und Art 7 EUV 492/2011 vereinbar?
a) Stellt eine Sozialhilfeleistung i.S.v. Art. 24 Abs. 2 EGRL 38/2004 eine soziale Vergünstigung i.S.v. Art. 7 Abs. 2 EUV 492/2011 dar?
b) Findet die Schrankenregelung des Art. 24 Abs. 2 EGRL 38/2004 auf das Gleichbehandlungsgebot aus Art. 18 AEUV i.V.m. Art. 10 und Art. 7 EUV 492/2011 Anwendung?
2. Ist der Ausschluss von Unionsbürgern vom Bezug von besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen i.S.v. Art. 3 Abs. 3, Art. 70 Abs. 2 EGV 883/2004 mit dem Gleichbehandlungsgebot aus Art. 18 AEUV i.V.m. Art. 4 EGV 883/2004 vereinbar, wenn diese über ein Aufenthaltsrecht aus Art. 10 EUV 492/2011 verfügen und in einem Sozialversicherungssystem oder Familienleistungssystem i.S.d. Art. 3 Abs. 1 EGV 883/2004 eingebunden sind?
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Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock
Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker