Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen – Beschluss vom 25.07.2019 – Az.: L 8 AY 13/19 B

BESCHLUSS

L 8 AY 13/19 B
S 42 AY 17/19 ER Sozialgericht Hildesheim

In dem Beschwerdeverfahren

xxx,

– Antragsteller und Beschwerdeführer –

Prozessbevollmächtigter:
Rechtsanwalt Sven Adam,
Lange Geismarstraße 55, 37073 Göttingen

gegen

Stadt Göttingen, Referat Recht,
Hiroshimaplatz 1 – 4, 37083 Göttingen

– Antragsgegnerin –

hat der 8. Senat des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen am 25. Juli 2019 in Celle durch die Richterin xxx, den Richter xxx und die Richterin xxx beschlossen:
 

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Hildesheim vom 12. März 2019 aufgehoben, soweit hiermit der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt worden ist.

Dem Antragsteller wird für das erstinstanzliche Verfahren Prozesskostenhilfe ab Antragstellung bewilligt und Rechtsanwalt Adam, Göttingen, beigeordnet. Ratenzahlung wird nicht angeordnet.

Außergerichtliche Kosten sind für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

GRÜNDE
I.

Der Antragsteller wendet sich gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe (PKH) für ein Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, in dem er einen Anspruch auf höhere Leistungen nach dem AsylbLG verfolgt.

Der Antragsteller, der nach seinen Angaben 19xx geboren und somalischer Staatsangehöriger ist, reiste vermutlich im Juni 2016 nach Deutschland ein und stellte einen Asylantrag. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) lehnte den Antrag mit der Begründung ab, dass dem Antragsteller bereits in Italien internationaler Schutz gewährt worden sei. Zugleich stellte das BAMF das Nichtvorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG fest, forderte den Antragsteller zum Verlassen Deutschlands auf, drohte die Abschiebung nach Italien an und stellte fest, dass keine Abschiebung nach Somalia erfolgen darf (Bescheid vom 22. November 2017). Die gegen diesen Bescheid vom Antragsteller erhobene Klage blieb erfolglos (Urteil des Verwaltungsgerichts Göttingen vom 15. Oktober 2018 – 3 A 745/17 -). Der Antragsteller ist, soweit ersichtlich, seit April 2019 im Besitz einer Duldung.

Seit August 2016 gewährte die Antragsgegnerin dem Antragsteller Grundleistungen nach § 3 AsylbLG, wobei dies teilweise auf der Grundlage von schriftlichen Bescheiden für einen Monat oder mehrere Monate und teilweise ohne schriftlichen Bescheid erfolgte. Bezogen auf die Leistungen für die Zeit von August 2018 bis Februar 2019 erließ die Antragsgegnerin, soweit ersichtlich, keine schriftlichen Leistungsbescheide.

Am 26. September 2018 erhob der Antragsteller Widerspruch gegen die Leistungsbewilligung für die Zeit ab dem 1. August 2018. Er verwies zur Begründung darauf, dass die Leistungen zu niedrig seien, weil die gesetzlich vorgeschriebene Fortschreibung nicht berücksichtigt worden sei (Schreiben vom 31. Dezember 2018). Außerdem stellte er klar, dass sich der Widerspruch auf die Monate August und September 2018 beziehe, und erhob gesondert Widerspruch gegen die Leistungsbewilligungen für die Monate Oktober 2018 bis Februar 2019 (Schreiben vom 20. Februar 2019). Weitere Widersprüche richteten sich gegen den Bescheid vom 18. Februar 2019, mit dem die Antragsgegnerin Leistungen für März 2019 in Höhe von 323,76 € bewilligte, sowie gegen die Leistungsbewilligungen für April bis Mai 2019. Die Widersprüche wies die Antragsgegnerin mit Widerspruchsbescheiden vom 25. April und 9. Mai 2019 zurück. Insoweit sind beim Sozialgericht (SG) Hildesheim mehrere Klageverfahren anhängig. Der Antragsteller hat mitgeteilt, dass er auch gegen die Leistungsbewilligung für Juni 2019 Widerspruch erhoben habe und über diesen noch nicht entschieden sei (Schreiben vom 10. Juni 2019).

Bereits am 20. Februar 2019 hat der Antragsteller beim SG Hildesheim einen auf höhere Leistungen nach dem AsylbLG gerichteten Eilantrag sowie unter Vorlage einer Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse einen Prozesskostenhilfeantrag für das Eilverfahren gestellt. Er hat vorgetragen, dass nicht ersichtlich sei, aus welchem Grund er keine Leistungen nach § 2 AsylbLG erhalte. Im Übrigen seien die Grundleistungen nach § 3 AsylbLG entsprechend der gesetzlichen Vorgabe fortzuschreiben.

Mit Beschluss vom 12. März 2019 hat das SG den Eilantrag und zugleich den Prozesskostenhilfeantrag abgelehnt. Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung lägen nicht vor, weil der Antragsteller mit Blick auf die geringe Differenz zwischen den Grundleistungen nach § 3 AsylbLG und den Analogleistungen nach § 2 AsylbLG keinen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht habe.

Gegen den Beschluss vom 12. März 2019 richtet sich die am 18. März 2019 eingelegte Beschwerde des Antragstellers, die sich ausdrücklich sowohl gegen die Ablehnung des Eilantrages als auch gegen die des Prozesskostenhilfeantrages richtet. Das die Versagung von Eilrechtsschutz betreffende Beschwerdeverfahren wird unter dem Aktenzeichen L 8 AY 12/19 B ER geführt.
 

II.

Die Beschwerde gegen die Ablehnung von PKH ist zulässig, insbesondere statthaft (§ 172 SGG).

Sie ist – entgegen der Auffassung des SG – nicht nach § 172 Abs. 3 Nr. 2 c) SGG ausgeschlossen. Das SG hat in der Sache nicht durch einen Beschluss entschieden, gegen den die Beschwerde ausgeschlossen ist. Die gegen die Versagung von Eilrechtsschutz gerichtete Beschwerde ist statthaft, weil der Beschwerdeausschluss nach § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG insoweit nicht eingreift. Nach § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG ist die Beschwerde in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ausgeschlossen, wenn in der Hauptsache die Berufung der Zulassung bedürfte. Maßgeblich ist danach in erster Linie, ob der Wert des Beschwerdegegenstandes 750,00 € übersteigt (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG). Dies ist vorliegend der Fall, der Wert des Beschwerdegegenstandes liegt bei mindestens 840,00 €.

Bei einem Eilv1erfahren, das die Gewährung von laufenden existenzsichernden Leistungen betrifft, ist nach der Rechtsprechung des Senats grundsätzlich von einem streitigen Zeitraum von (maximal) zwölf Monaten auszugehen (vgl. etwa Senatsbeschluss vom 17. August 2017 – L 8 AY 17/17 B ER – juris Rn. 4 m.w.N.). Vorliegend besteht keine Veranlassung, einen kürzeren Zeitraum zugrunde zu legen. Für die Bestimmung des streitigen Zeitraums ist es unerheblich, dass die Antragsgegnerin die Leistungen zumeist nur für einen Monat – entweder durch einen schriftlichen Bescheid oder konkludent durch Auszahlung der Leistungen (BSG, Urteil vom 17. Juni 2008 – B 8/9b AY 1/07 R – juris Rn. 11) – bewilligt. Auch aus anderen Umständen ergibt sich vorliegend keine Zäsur, die zu einer Begrenzung des streitigen Zeitraums auf unter zwölf Monate führen kann.

Das Vorbringen des Antragstellers, der keinen bezifferten Antrag gestellt hat, kann dahin ausgelegt werden, dass er einen Leistungsanspruch in Höhe von zumindest 70,00 € monatlich geltend macht. Die ihm aktuell gewährten Grundleistungen nach § 3 AsylbLG belaufen sich auf 323,76 € monatlich. Bei Gewährung von sogenannten Analogleistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG liegt der Regelbedarf nach Regelbedarfsstufe 1 bei 424,00 € (Anlage zu § 28 SGB XII), woraus sich eine monatliche Differenz von 100,24 € ergäbe. In Betracht kommt zwar wegen der ergänzenden Erbringung von Sachleistungen auch eine abweichende Regelsatzfestsetzung wegen anderweitiger Bedarfsdeckung (§ 27a Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB XII). Hieraus kann sich aber allenfalls – entsprechend der Berechnung der Antragsgegnerin in den Leistungsbescheiden – eine Reduzierung um 30,24 € ergeben.

Die Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Das SG hat den Antrag auf Bewilligung von PKH zu Unrecht abgelehnt.

Nach § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Bei der Beurteilung der Erfolgsaussicht ist auf die ex-ante-Perspektive eines verständigen, unbemittelten Rechtssuchenden abzustellen. Für die Entscheidungen über den Eilantrag einerseits und den Prozesskostenhilfeantrag andererseits gelten also unterschiedliche Maßstäbe (BVerfG, Beschluss vom 8. Juli 2016 – 2 BvR 2231/16 – juris Rn. 14).

Für den Eilantrag besteht eine hinreichende Erfolgsaussicht. Er ist als Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 SGG zulässig. Zudem spricht Vieles dafür, dass er zumindest teilweise begründet ist, was davon abhängt, ob und inwieweit der Antragsteller einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund glaubhaft macht (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).

Bezogen auf den Anordnungsanspruch kann offenbleiben, ob die Leistungsvoraussetzungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG erfüllt sind. Sollte dies nicht der Fall sein, stellt sich die Frage, ob die Grundleistungen fortzuschreiben sind (§ 3 Abs. 4 AsylbLG). Es handelt sich hierbei um eine schwierige und ungeklärte Rechtsfrage, die nicht im Prozesskostenhilfeverfahren zu beantworten ist. Im Übrigen tendiert der Senat dazu, dass die Bedarfssätze nach § 3 Abs. 1 Satz 8, Abs. 2 Satz 2 AsylbLG auch ohne Bekanntgabe durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (§ 3 Abs. 4 Satz 3 AsylbLG) fortzuschreiben sind (Senatsurteil vom 23. Mai 2019 – L 8 AY 49/18 -).

Zudem ist nicht fernliegend, dass dem Antragsteller die Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes gelingt. Die Beurteilung ist insoweit von den konkreten Umständen des Einzelfalles abhängig (BVerfG, Beschluss vom 1. August 2017 – 1 BvR 1910/12 – juris Rn. 15). Bei einem Streit um existenzsichernde Leistungen wird zwar verbreitet angenommen, dass ein Anordnungsgrund erst bei Überschreiten einer Bagatellgrenze bestehen kann (vgl. Burkiczak in jurisPK-SGG, 1. Auflage 2017, § 86b Rn. 364ff m.w.N.). Eine feste Grenze kann es insoweit aber nicht geben. Unter Berücksichtigung der hier streitigen Leistungen dürfte eine Bagatellgrenze ohnehin überschritten sein, zumal die mögliche Bedarfsunterdeckung zeitlich nicht begrenzt ist.

Der Antragsteller ist prozesskostenarm.

Die Beiordnung des Rechtsanwalts beruht auf § 121 Abs. 2 ZPO.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 127 Abs. 4 ZPO.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).