Oberlandesgericht Celle – Beschluss vom 25.07.2019 – Az.: 2 Ss 84/19

BESCHLUSS

2 Ss 84/19
21 Ss 129/19 GenStA Celle
248 Cs 391/18 AG Hannover
1141 Js 71527/18 StA Hannover

In der Strafsache

gegen        xxx,

Verteidiger: Rechtsanwalt Sven Adam, Göttingen –

wegen        Beleidigung

hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts – Strafrichter — Hannover vom 05. März 2019 nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft durch den Richter am Oberlandesgericht xxx, den Richter am Oberlandesgericht xxx und den Richter am Landgericht xxx am 25.07.2019 beschlossen:

Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Hannover zurückverwiesen.

GRÜNDE

I.

Das Amtsgericht Hannover hat den Angeklagten am 5. März 2019 wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen verurteilt. Die tenorierte Tagessatzhöhe von 25 € hat das Gericht mit Beschluss vom 11. April 2019 wegen eines offensichtlichen Schreibfehlers auf Antrag der Staatsanwaltschaft auf 35 € korrigiert.

Gegen das Urteil richtet sich die Sprungrevision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Revision gemäß § 349 Abs. 2 StPO zu verwerfen.

 

II.

Die Revision ist zulässig und hat in der Sache — zumindest vorläufig — Erfolg.

Die vom Angeklagten erhobene Sachrüge führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils.

1.
Ausweislich der Feststellungen des amtsgerichtlichen Urteils kam es anlässlich einer Demonstration am 5. April 2018 in Hannover, an der der Angeklagte teilnahm, durch die eingesetzten Polizeibeamten zur Festnahme eines Versammlungsteilnehmers wegen eines Verstoßes gegen das Vereinsgesetz. Aufgrund dieser Festnahme bedrängten die Versammlungsteilnehmer die Polizeibeamten, was sich durch Schubsen bemerkbar machte. Die Versammlungsteilnehmer protestierten lautstark gegen die polizeilichen Maßnahmen und forderten die sofortige Freilassung der festgenommenen Person. Der Angeklagte, der sich inmitten der Versammlungsteilnehmer befunden habe, rief zunächst undeutliche Äußerungen in Richtung des Zeugen PK xxx, aufgrund derer der Zeuge PK xxx zum Angeklagten sagte, dass dieser sich zusammenreißen solle und sonst damit rechnen müsse, in eine Zelle zu kommen. Nun bezeichnete der Angeklagte den Zeugen PK xxx mindestens zweimal als „Wichser”.

Das Amtsgericht bewertete die Äußerung als Beleidigung im Sinne des § 185 StGB und hat sich sodann mit der Frage auseinandergesetzt, ob die Taten unter dem Gesichtspunkt der Wahrnehmung berechtigter Interessen nach § 193 StGB gerechtfertigt sein könnten. Das Amtsgericht kam zum Ergebnis, dass keine Wahrnehmung berechtigter Interessen vorgelegen habe.

Zwar habe der Angeklagte in aufgebrachter Stimmung im Rahmen einer zugelassenen Versammlung die Äußerung getätigt. Es sei aber nicht erkennbar, warum der Angeklagte zur Äußerung seiner politischen Meinung und zur Wahrnehmung seiner Versammlungsrechte den eingesetzten Polizeibeamten als „Wichser” bezeichnet haben könnte.

3.
Der Schuldspruch wegen Beleidigung hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

Das angefochtene Urteil hat die dem Angeklagten angelasteten Taten als Beleidigung gemäß § 185 StGB gewertet. Das Urteil stellt aber nicht sämtliche Umstände dar, die für die von dem Amtsgericht als rechtlich gebotene angesehene Auseinandersetzung mit der Frage, ob die Taten unter dem Gesichtspunkt der Wahrnehmung berechtigter Interessen nach § 193 StGB gerechtfertigt waren, erforderlich sein könnten und erweist sich insoweit als lückenhaft.

a.
Die Feststellung des Sachverhalts einschließlich des Wortlauts der gegenständlichen Äußerungen ist grundsätzlich Sache des Tatrichters (BayObLGSt 2004, 46 [48] = NStZ 2005, 215; OLG Nürnberg, BeckRS 2010, 01748). Bei der Auslegung der festgestellten Bekundungen ist von deren objektivem Sinngehalt (Erklärungsinhalt) auszugehen, wie ihn ein unbefangener verständiger Dritter bei der Berücksichtigung der konkreten Situation bzw. aller Begleitumstände versteht (BVerfGE 93, 266 = NJW 1995, 3303 [3305]; BGHSt 3, 346 [347] = NJW 1953, 271; BGHSt 16, 49 [52 ff.] = NJW 1961, 1222; BGHSt 19, 235 [237]; BayObLGSt 2002, 24 [26] = NStZ-RR 2002, 210; BayObLGSt 2004, 46 [48] = NStZ 2005, 215).

Einer nach § 193 StGB erfolgenden Abwägung des Persönlichkeitsrechts eines Geschädigten mit dem Grundrecht der Meinungsfreiheit des Äußernden ist eine als bloße Schmähung zu wertende Äußerung regelmäßig nicht zugänglich (KG Berlin, Beschluss vom 12.08.2005 (4) 1 Ss 93/04, NJW 2005, 2872, 2873 mwN.). Zur Schmähung wird eine Meinungsäußerung allerdings nicht schon wegen ihrer herabsetzenden Wirkung für Dritte. Auch eine überzogene und selbst eine ausfällige Kritik macht für sich genommen eine Äußerung noch nicht zur Schmähkritik. Dies gilt selbst dann, wenn diese in kränkender und zu missbilligender Art geäußert wird (vgl. OLG München, Beschluss vom 06.11.2014 – 5 OLG 13 Ss 535/14, juris Rn. 14). Eine herabsetzende Äußerung nimmt vielmehr erst dann den Charakter einer Schmähung an, wenn in ihr nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern allein die Diffamierung der Person im Vordergrund steht. Sie muss ihre Wirkung jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik in der Herabsetzung der Person entfalten (BVerfG, Beschluss vom 26.06.1990 -1 BvR 1165/89, juris Rn. 41 = BVerfGE 82, 272). Von einer bloßen Schmähkritik ist namentlich auszugehen, wenn ein sachlicher Anlass nur vorgegeben oder als Vorwand genutzt wird und eine Äußerung eine allein persönlich diffamierende und herabsetzende Zielrichtung hat (Fischer, StGB, 66. Aufl., § 193 Rn. 18). Gleiches gilt, wenn es sich um eine Äußerung handelt, deren diffamierender Gehalt so erheblich ist, dass sie in jedem denkbaren Sachzusammenhang als bloße Herabsetzung des Betroffenen erscheint und daher unabhängig von ihrem konkreten Kontext stets als persönliche diffamierende Schmähung aufgefasst werden muss, wie es insbesondere bei der Verwendung besonders schwerwiegender Schimpfwörter – etwa aus der Fäkalsprache – der Fall ist (sog. Formalbeleidigung, vgl.: OLG Koblenz, Beschluss vom 07.10.2009 – 2 Ss 130/09, juris Rn. 36; OLG Stuttgart, Urteil vom 07.02.2014 – 1 Ss 599/13, juris Rn. 18 mwN.).

Es wird jedoch aus den Urteilsgründen nicht deutlich, ob das Amtsgericht selbst von einer Schmähkritik ausgegangen ist. Hiergegen könnte sprechen, dass es nach der Feststellung des im Sinne des § 185 StGB tatbestandlichen Charakters der Äußerung eine Prüfung einer möglichen Wahrnehmung berechtigter Interessen im Sinne des § 193 StGB durchgeführt hat, die bei einer Formalbeleidigung gerade nicht erforderlich gewesen wäre (vgl. hierzu: OLG Zweibrücken, Beschluss vom 27. September 2018 —1 OLG 2 Ss 31/18 —, juris).

b.
Ehrenrührige Meinungsäußerungen sind im Rahmen der Prüfung der Voraussetzungen des § 193 StGB an dem Grundrecht auf Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG zu messen (vgl. OLG München, StV 2018, 163 mwN), das allerdings nur in den Schranken der allgemeinen Gesetze, zu denen auch die Strafgesetze gehören, gewährleistet ist. Es bedarf daher einer umfassenden und einzelfallbezogenen Güter- und Pflichtenabwägung (vgl. LK-StGB-Hilgendorf, 12. Aufl., § 193 Rdn. 6; Fischer, StGB, 65. Aufl., § 193 Rdn. 9, jeweils mwN).

Ob nach diesen Maßstäben eine Meinungsäußerung durch die Wahrnehmung berechtigter Interessen gerechtfertigt ist, ist eine reine Rechtsfrage. Sie kann durch das Revisionsgericht nur dann abschließend beantwortet werden, wenn der Tatrichter die hierfür bedeutsamen tatsächlichen Umstände ausreichend festgestellt hat. Daran fehlt es hier.

Das angefochtene Urteil teilt die Hintergründe der in Rede stehenden Äußerungen des Angeklagten nur ansatzweise mit. Dies war vorliegend auch nicht entbehrlich. Denn wie das Amtsgericht zutreffend feststellt, ist vorliegend von besonderer Bedeutung, dass die Äußerung im Rahmen einer zugelassenen Versammlung und damit in einem besonderen öffentlichen und politischen Kontext gefallen ist. Zudem ging der Äußerung die Festnahme eines Versammlungsteilnehmers voraus, hinsichtlich derer die näheren tatsächlichen Umstände vom Amtsgericht nicht mitgeteilt werden, sondern sich auf den Hinweis beschränkten, dass diese nach dem Vereinsgesetz erfolgt sei. Schließlich stellt das Amtsgericht selbst fest, dass die Äußerung des Angeklagten auf die Androhung des PK xxx erfolgt sei, der Angeklagte solle sich zusammenreißen und sonst damit rechnen müsse, in eine Zelle zu kommen.

Sofern die Beleidigung im Rahmen der Dienstausübung eines Polizeibeamten erfolgt sein sollte, sind regelmäßig weitere Mindestfeststellungen zum Vortatgeschehen und den Beweggründen und Zielen des Täters, etwa zur polizeilichen Maßnahmerichtung, ihrem Anlass und Ablauf sowie zu möglichen Rechtsgrundlagen und gegebenenfalls zur Rechtmäßigkeit der Diensthandlung, gegen die sich der Angeklagte verbal “zur Wehr gesetzt haben könnte”, unverzichtbar (OLG Nürnberg, Beschluss vom 04.10.2007 — 2 St OLG Ss 160/07 [bei juris]). Dabei gehört das Recht des Bürgers, Maßnahmen der öffentlichen Gewalt ohne Furcht vor staatlichen Sanktionen zu kritisieren, zum Kernbereich des Grundrechts auf freie Meinungsäußerung (BVerfG NJW 1992, 2815). Dies gilt umso mehr, wenn es sich um Werturteile im Rahmen von Auseinandersetzungen handelt, die sich auf staatliche Einrichtungen, deren Bedienstete und deren Vorgehensweise beziehen (OLG Düsseldorf NStZ-RR 2003, 316; BayObLG NJW 2005, 1291).

c.
Der aufgezeigte sachlich-rechtliche Mangel führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils nebst den getroffenen Feststellungen.

Der Senat vermag nicht auszuschließen, dass in einer neuen Hauptverhandlung weitere oder neue Feststellungen getroffen werden können, die eine Aufrechterhaltung der Verurteilung wegen Beleidigung begründen könnten. Die Sache ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Hannover zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 Satz 1 StPO).