Tacheles Rechtsprechungsticker KW 42/2019

1.   Entscheidungen des Bundessozialgerichts zur Sozialhilfe (SGB XII)

1.1 – BSG, Urteil vom 18. Juli 2019 (B 8 SO 13/18 R):

Leitsatz Dr. Manfred Hammel
Aufwendungen für die Reparatur einer Brille sind nicht aus dem Regelbedarf heraus zu finanzieren, sondern vom Sozialhilfeträger gemäß § 31 Abs. 1 Nr. 3 SGB XII als ein einmaliger Bedarf anzuerkennen und im Wege einer gebundenen Entscheidung „gesondert“ zu erbringen.

Bei einem Austausch von Brillengläsern handelt es sich um keine Reparatur, sondern um eine Neuanschaffung, die mit den Mitteln des Regelbedarfs finanziert zu werden hat.

Die Ersetzung eines oder beider Brillengläser ist dann nicht als eine Reparatur aufzufassen, wenn dieser Vorgang wesentlich ursächlich aus Gründen der Anpassung an eine geänderte Sehstärke medizinisch indiziert ist. In diesem Fall stellt das bloße Zurückversetzen der Brille in einen funktionsfähigen Zustand, eine Reparatur durch einen Ersatz der beschädigten Gläser in der früheren Stärke, ein untaugliches Mittel dar, weil diese Maßnahme objektiv keine Eignung hat, die bestehende Sehbeeinträchtigung auszugleichen.

Wenn auf der Grundlage einer ärztlichen Verordnung die Anschaffung neuer Brillengläser zu erfolgen hat, muss typisierend davon ausgegangen werden, dass die Versorgung mit neuen Brillengläsern wesentlich ursächlich wegen der geänderten Sehstärke erforderlich ist, d. h. die Kosten für die neuen Brillengläser aus dem Regelbedarf – ggf. durch Inanspruchnahme eines Darlehens (§ 37 Abs. 1 SGB XII) – zu bestreiten sind.

2.     Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

2.1 – LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 18. September 2019 (L 15 AS 200/19 B ER):

Leitsatz Dr. Manfred Hammel
Ablehnung der Gewährung eines Zuschusses zum Erwerb eines Pkw bzw. der Gewährung eines hierzu dienenden Darlehens zur Erreichung und weiteren Erhaltung des Ausbildungsplatzes aus Mitteln des Vermittlungsbudgets (§ 16 Abs. 1 Satz 2 SGB II in Verbindung mit § 44 SGB III) oder im Wege der freien Förderung (§ 16 f SGB II), weil es als durchaus möglich und zumutbar eingeschätzt werden kann, auch an den Tagen, an denen bis 20 Uhr oder in Einzelfällen sogar bis 22 Uhr gearbeitet zu werden hat, die 5.5 km betragende Fahrstrecke zum nächstgelegenen Bahnhof mit dem Fahrrad zurückzulegen.

Auch in den Wintermonaten und nach 20 Uhr ist es erwachsenen Leistungsempfängern, die nicht mit gravierenden gesundheitlichen Problemen betroffen sind, möglich und zumutbar, ein- bis zweimal am Tag eine Wegstrecke von weniger als 10 km mit dem Fahrrad zurückzulegen.

Hinweis:
s. a. dazu: Fahrraddistanz von unter 10 km für Hartz-IV-Empfänger zumutbar
weiter: www.juris.de

2.2 – Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Beschluss v. 19.06.2019 – L 2 AS 150/19 B ER und L 2 AS 151/19 B – rechtskräftig

selbstständige Tätigkeit als Schrott- bzw Altmetallhändler – Anforderung an die Glaubhaftmachung eines Daueraufenthaltsrechts

Kein Aufenthaltsrecht als freizügigkeitsberechtigter selbständig tätiger Unionsbürger.

Orientierungssatz (Redakteur)
Anforderungen an die Glaubhaftmachung der Dauer des gewöhnlichen Aufenthalts für den Anspruch aus § 7 Abs 1 Satz 4 SGB II.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

Hinweis:
Leitsatz (Juris)
1. Zu den Anforderungen an die Ausgestaltung einer Tätigkeit als niedergelassener selbständiger Unionsbürger (hier: Schrotthändler/-sammler) durch die tatsächliche Nutzungsmöglichkeit eines Kraftfahrzeugs und die entsprechende Nutzungsberechtigung bei dem Vortrag, es werde mit dem Fahrzeug gesammelt.

2. Zu den Wirkungen einer Erlaubnis zur Nutzung eines in Bulgarien zugelassenen Fahrzeugs ohne Anhaltspunkte für dessen tatsächliche Nutzung.

3.   Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

3.1 – SG Wiesbaden, Urt. v. 16.08.2019 – S 5 AS 811/16

„Glücksspieler“ muss Hartz IV-Leistungen zurückzahlen.

Orientierungssatz (Redakteur)
Ein Hartz IV-Bezieher, der sein Haus wegen Glücksspielschulden verkauft, damit seine Hilfebedürftigkeit selbst herbeiführt, muss erhaltene Hartz IV-Leistungen zurückzahlen.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

4.   Entscheidungen der Landessozialgerichte u. Sozialgerichte zur Sozialhilfe (SGB XII)

4.1 – Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urt. v. 25.09.2019 – L 7 SO 4766/17

Leitsatz (Juris)
1. Als Einkommen i.S.d. § 82 Abs. 1 Satz 1 SGB XII gilt all das, was jemand in Form von Geld oder Geldeswert in der Bedarfszeit dazu erhält. Für die Frage, ob Einkommen vorliegt, spielt es grundsätzlich keine Rolle, welcher Art die Einnahmen sind, woher sie stammen, ob sie einen Rechtsgrund haben, wie sie geleistet wurden und ob und inwieweit die Einnahmen nach dem Einkommensteuergesetz steuerpflichtig sind.

2. Eine private Berufsunfähigkeitsrente kann Einkommen der versicherten Person darstellen, wenn die durch den (personenverschiedenen) Versicherungsnehmer abgeschlossene Berufsunfähigkeitsversicherung eine Versicherung für fremde Rechnung i.S.d. § 43 Abs. 1 VVG darstellt, sodass die Rechte aus diesem Versicherungsvertrag dem Versicherten zustehen (§ 44 Abs. 1 Satz 1 VVG).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

5.   Verschiedenes zu Hartz IV, zur Sozialhilfe, zum Asylrecht, Wohngeldrecht und anderen Gesetzesbüchern

5.1 – Anmerkung zu: BSG 11. Senat, Urteil vom 27.06.2019 – B 11 AL 14/18 R

Autor: Dr. Thomas Sommer, Vors. RiLSG

Reizthema: Sperrzeit bei Arbeitsablehnung und Rechtsfolgenbelehrung

Orientierungssatz zur Anmerkung
Zu den Anforderungen an eine Rechtsfolgenbelehrung bei einer Sperrzeit wegen Arbeitsablehnung mit einer Dauer von sechs bzw. zwölf Wochen.

weiter auf Juris

5.2 – Arbeitshilfe „Soziale Rechte für Geflüchtete – Das Asylbewerberleistungsgesetz“, von Kerstin Becker

Referentin Flüchtlingshilfe/-politik

Abteilung Migration und Internationale Kooperation

Der Paritätische Gesamtverband

Aufgrund der umfangreichen gesetzlichen Neuerungen im Bereich des Asylbewerberleistungsgesetzes, die am 21. August bzw. am 1. September 2019 in Kraft getreten sind, übersenden wir euch eine Kurz-Arbeitshilfe zum Asylbewerberleistungsgesetz. Hierbei handelt es sich um eine teilweise Vorabveröffentlichung unserer umfangreichen Arbeitshilfe „Soziale Rechte für Flüchtlinge“, die später in diesem Herbst in 3. Auflage erscheinen soll. Insbesondere die zahlreichen Sanktionen im Sozialleistungsbezug werden ausführlich behandelt.

Wir danken dem Autor, Claudius Voigt von der GGUA Münster herzlich für die Erarbeitung dieser Arbeitshilfe!

Ihr findet die Arbeitshilfe hier: www.der-paritaetische.de

Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock

Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker