Sozialgericht Kassel – Urteil vom 18.09.2019 – Az.: S 12 AY 34/19

URTEIL

In dem Rechtsstreit

xxx,

Kläger,

Prozessbevollm.: Rechtsanwalt Sven Adam,
Lange Geismarstraße 55, 37073 Göttingen,

gegen

Werra-Meißner-Kreis, vertreten durch den Kreisausschuss Fachdienst Recht 3.1,
Schlossplatz 1, 37269 Eschwege,

Beklagte,

hat die 12. Kammer des Sozialgerichts Kassel auf die mündliche Verhandlung vom 18. September 2019 durch den Vorsitzenden, Richter am Sozialgericht xxx, sowie die ehrenamtlichen Richter Herr xxx und Frau xxx für Recht erkannt:

 

  1. Der Bescheid vom 8. Februar 2018 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 17. April 2019 wird aufgehoben und der Beklagte verpflichtet, dem Kläger, soweit die Bescheide bereits vollzogen worden sind, die bisher für den Zeitraum vom 1. März 2018 bis 20. Juni 2018 nicht ausgezahlten Leistungen nachträglich auszuzahlen.
     
  2. Der Beklagte hat dem Kläger die Kosten des Rechtsstreites zu erstatten.

TATBESTAND

Zwischen den Beteiligten ist die Leistungsgewährung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) für den Zeitraum vom 1. März 2018 bis 20. Juni 2018 im Streit.

Der 1970 geborene, aus Georgien stammende Antragsteller wurde dem Beklagten im Jahr 1997 als Asylbewerber zugewiesen. Er erhält seither seitens des Beklagten Leistungen nach § 3 AsylbLG, wobei ihm mit Bescheid vom 9. Mai 2016 rückwirkend vom 23. Januar 2016 in der Bedarfsstufe 1 monatlich 563,00 € bewilligt worden waren. Davon waren 364,00 € monatlich (145,00 € + 219,00 €) auf Leistungen nach § 3 Absatz 1 S. 5 und § 3 Abs. 2 S. 2 AsylbLG entfallen. Mit Änderungsbescheid vom 15. Juni 2016 betrug die monatliche Leistungshöhe ab Juni 2016 dann 553,00 €, wobei auf die vorgenannten Leistungen 354,00 € (135,00 € + 219,00 €) entfielen und die entsprechenden Leistungen dann auch unbefristet und laufend fortgezahlt worden waren. Überwiesen worden waren die vorgenannten Leistungen auf das Konto des Klägers bei der Sparkasse xxx, die darüber hinausgehenden Kosten der Unterkunft (KdU) waren direkt an den Träger/Vermieter der vom Kläger bewohnten Unterkunft überwiesen worden.

Nachdem die Duldung des Klägers schließlich am 8. Juni 2017 ausgelaufen, der Kläger schließlich eine neue Duldung beantragt hatte, diese ausweislich eines diesbezüglichen Aktenvermerks auch entsprechend verlängert worden war, der Kläger sie dann beim Ausländeramt aber zunächst nicht abgeholt hatte, kam es zwischen dem 1. März 2018 und dem 20. Juni 2018 zu einer Leistungsunterbrechung insoweit, als der Beklagte dem Kläger mit ohne Rechtsmittelbelehrung versehenem Bescheid vom 8. Februar 2018 mitgeteilt hatte, dass ihm zur abschließenden Klärung seiner Anspruchsberechtigung seine Sozialleistungen allein noch zur Abholung in der Stabsstelle Migration des Beklagten bereitgestellt würden, ohne dass der Kläger diese Leistungen dann in der Folge abgerufen/abgeholt hätte. Gleichzeitig hatte der Kläger gegen den Bescheid vom 8. Februar 2018 dann aber auch bereits am 19. April 2018 durch seinen Prozessbevollmächtigten Wiederspruch eingelegt und dann am 23. April 2018 beim Sozialgericht Kassel unter dem Az. S 11 AY 1/18 ER den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt, was mit Beschluss vom 29. Mai 2018 abgelehnt worden war.

Eine Wiederaufnahme der Gewährung der dem Kläger nach § 3 Absatz 1 S. 5 und § 3 Abs. 2 S. 2 AsylbLG bewilligten Leistungen in bar war dann anschließend ab dem 21. Juni 2018 erfolgt, nachdem der Kläger an diesem Tag persönlich beim Beklagten vorgesprochen und eine bis 8. Juli 2018 laufende Duldung vorgelegt hatte. Die Wiederaufnahme der Leistungsgewährung erfolgte in bar, weil der Kläger zwischenzeitlich über kein Konto mehr verfügte, auf das die Leistungen hätten überwiesen werden können. Gleichzeitig war die Wiederaufnahme der Leistungsgewährung bei gleichbleibender Höhe ohne erneuten schriftlichen Bescheid erfolgt; auch die zunächst nicht abgerufenen Leistungen für den Zeitraum vom 1. März 2018 bis 20. Juni 2018 waren dem Kläger insoweit nicht nachgezahlt worden. Insoweit lediglich fortgezahlt worden waren auch für den vorgenannten Zeitraum der Leistungsunterbrechung die KdU unmittelbar an den Einrichtungsträger/Vermieter der vom Kläger bewohnten Unterkunft.

Den insoweit ausdrücklich aufrechterhaltenen Widerspruch wies das Regierungspräsidium Kassel als zuständige Widerspruchsbehörde mit Widerspruchsbescheid vom 17. April 2019 als unbegründet zurück. Die Leistungen seien zu keinem Zeitpunkt eingestellt worden. Es sei lediglich die Art der Auszahlung der Leistungen von einer Kontoüberweisung auf Barauszahlung umgestellt worden. Diese Vorgehensweise sei nicht zu beanstanden, da, vor dem Hintergrund, dass der Kläger über Monate nicht die von ihm beantragte Duldung bei der Ausländerbehörde abgeholt gehabt hätte und er in der Vergangenheit schon häufiger auch über längere Zeiträume unbekannten Aufenthalts gewesen sei, begründete Zweifel daran bestanden hätten, dass er sich überhaupt noch im Zuständigkeitsbereich des Beklagten aufhalten würde. Bei der Barauszahlung handele es sich im Gegensatz zur Überweisung auf ein Bankkonto zudem um die vom AsylbLG vorgesehene Zahlungsweise, was sich aus § 3 Abs. 6 S. 1 AsylbLG ergebe, wonach Leistungen in Geld oder Geldeswert dem Leistungsberechtigten oder einem volljährigen berechtigten Mitglied des Haushalts persönlich ausgehändigt werden sollten. Über die Umstellung der Leistungsgewährung auf Barzahlung sei der Kläger am 8. Februar 2018 informiert worden. Es habe ihm freigestanden, regelmäßig die für ihn bereitgestellten Leistungen bei der Behörde abzuholen. Zwar bestreite er, dass er das Schreiben vom 8. Februar 2008 erhalten gehabt habe. Doch führe dieser Vortrag nicht zu einem anderen Ergebnis. Dies deshalb, weil der Kläger im Rahmen seiner Vorsprache am 22. Juni 2018 selbst ausgeführt habe, dass er seit Februar 2018 nicht mehr über ein Bankkonto verfügt habe. Demnach hätte ihn selbst im Falle fortgesetzter Kontoüberweisungen das Geld nicht mehr erreichen können. Es habe insoweit in seinem eigenen Interesse gelegen, den Beklagten frühzeitig über den Wegfall des Bankkontos zu informieren und um Barauszahlungen zu bitten. Dass er dies nicht getan habe, zeige bereits, dass er der Leistungen nach dem AsylbLG offenbar gar nicht bedurft habe. Zweifel an seiner Hilfebedürftigkeit gingen zulasten desjenigen, der die Bedürftigkeit behaupte. Insofern bestehe auch kein Anlass, die Leistungen, welche der Kläger im Zeitraum vom 1. März 2018 bis 20. Juni 2018 nicht abgeholt habe, nachdrücklich an ihn auszuzahlen.

Der Kläger hat am 20. Mai 2019 Klage vor dem Sozialgericht in Kassel erhoben, mit der er zuletzt an einer nachträglichen Auszahlung der ihm bewilligten Leistungen auch noch für den Zeitraum vom 1. März 2018 bis 20. Juni 2018 ausdrücklich festgehalten hat, was der Beklagte dem Kläger im Anschluss an die Klageerhebung im Wesentlichen unter Wiederholung der Ausführungen im angefochtenen Widerspruchsbescheid vom 17. April 2019 weiterhin verwehrt hat. Dies auch auf die rechtlichen Hinweise des Gerichts in der mündlichen Verhandlung vom 18. September 2019.

Insoweit sind die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung seitens des Gerichts unter anderem darauf hingewiesen worden, dass sich das Schreiben des Beklagten vom 8. Februar 2018 dergestalt als Bescheid darstelle, als der Beklagte mit diesem ohne vorherige Anhörung des Klägers und ohne ihn zuvor konkret auf seine Mitwirkungspflichten hingewiesen zu haben, einen Eingriff zwar nicht in die Anspruchsberechtigung des Klägers, aber einen Eingriff in eine laufende, unbefristete Leistungsgewährung vorgenommen habe. Dies mit der Folge, dass sich die Klage wiederum als reine Anfechtungsklage darstellen dürfte, wobei sich der Beklagte in seinem Verwaltungshandeln dann aber auch selbst widersprüchlich verhalten habe, wenn er einerseits im Nachhinein die Leistungsberechtigung des Klägers in Zweifel ziehe, ihm andererseits dann aber dennoch Kosten der Unterkunft weiterhin gewährt habe. Dies zwar nicht unmittelbar an ihn, aber den Einrichtungsträger bzw. Vermieter der Unterkunft, so dass sich mit den vorgenannten Hinweisen die Leistungsverweigerung danach zumindest im Ergebnis als rechtswidrig darstellen dürfte.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid vom 8. Februar 2018 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 17. April 2019 aufzuheben und den Beklagten, nachdem der angefochtene Bescheid bereits vollzogen ist, zu verurteilen, dem Kläger die ihm für den Zeitraum vom 1. März 2018 bis 20. Juni 2018 zuvor bewilligten Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz unter Berücksichtigung der zumindest teilweise erfolgten Leitungswährung nachträglich auszuzahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten, insbesondere wegen des jeweiligen weiteren Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte insgesamt; ebenso wird Bezug genommen auf die beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten, deren wesentlicher, den vorliegenden Rechtsstreit betreffender Inhalt gleichfalls Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE

Die Klage zulässig. Sie ist insbesondere form- und fristgerecht von dem zuständigen Gericht erhoben worden (§§ 87, 90 Sozialgerichtsgesetz – SGG), wobei sich die Klage mit den o.a. rechtlichen Hinweisen der Kammer und dem danach verbliebenen Klageantrag auch zu Recht allein zulässig als Anfechtungsklage darstellt und sich die Zulässigkeit des darüber hinausgehend gestellten Antrages auf Beseitigung der Vollzugsfolgen aus § 131 SGG ergibt.

Die Klage ist in diesem Sinne auch begründet.
Die angefochtenen Bescheide sind insoweit rechtswidrig, als der Beklagte mit diesen dem Kläger bis zuletzt eine Auszahlung der ihm auch für den Zeitraum der “Leistungsunterbrechung” vom 1. März 2018 bis 20. Juni 2018 zuvor unter anderem nach § 3 Abs. 1 S. 5 und § 3 Abs. 2 S. 2 AsylbLG bewilligten Leistungen weiterhin verwehrt, nachdem den vorgenannten Zeitraum betreffend bis zuletzt zu keinem Zeitraum eine Aufhebung der Leistungsgewährung im rechtlichen Sinne erfolgt war und ist und auch der Bescheid vom 8. Februar 2018, ohne dass dies näherer rechtlicher Erläuterung bedarf, rechtlich auch keine wirksame Versagung oder Entziehung der dem Kläger zuvor bewilligten Leistungen im Sinne von § 66 Abs. 1 Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil (SGB I) beinhalten würde. Insoweit bleibt der Beklagte auch für den Unterbrechungszeitraum vom 1. März 2018 bis 20. Juni 2018 leistungsverpflichtet, unabhängig davon, ob sich der Kläger die Leistungen “abgeholt” hat oder nicht. Insoweit gilt nichts anderes als in den Fällen, in denen Geldleistungen wegen einer Kontoauflösung einem Konto zunächst nicht mehr gutgeschrieben werden können. Auch dies lässt den Fortbestand der Leistungsverpflichtung und den hieraus resultierenden Zahlungsanspruch des Leistungsempfängers solange unberührt, wie der der Leistungsbewilligung zu Grunde liegende Bescheid als solcher nicht wirksam aufgehoben worden ist. Hieran ändert sich auch nichts dadurch, dass der Beklagte zuletzt die Hilfebedürftigkeit des Klägers selbst in Zweifel gezogen hat, wofür der Beklagte dann auch nicht nur beweispflichtig wäre, auch insoweit wäre er letztlich allein auf ein Vorgehen nach den §§ 45, 48 Sozialgesetzbuch – Verwaltungsverfahren (SGB X) oder zunächst nach § 66 SGB I zu verweisen gewesen. Gleichzeitig müsste sich der Beklagte dann aber auch fragen lassen, warum er dann dennoch dem Träger/Vermieter der Unterkunft des Klägers weiterhin/dennoch die Kosten dieser Unterkunft überwiesen hat.

Der Klage war nach alledem stattzugeben.

Die Kostenentscheidung folgt § 193 GG.

Eine Entscheidung über die Zulassung der Berufung bedurfte es nicht, nachdem der Wert des Beschwerdegegenstandes 750 € übersteigt.

Es folgt die Rechtsmittelbelbelehrung.