Tacheles Rechtsprechungsticker KW 53/2019

1.   Entscheidungen des Bundessozialgerichts zur Sozialhilfe (SGB XII)

1.1 – BSG, Urt. v. 18.07.2019 – B 8 SO 6/18 R

Zu den Voraussetzungen einer lebenspartnerschaftsähnlichen Gemeinschaft

Orientierungssatz (Redakteur)
Einkommen und Vermögen einer lebenspartnerschaftsähnlichen Gemeinschaft sind nach § 43 Abs. 1 SGB XII auch für Zeiträume vor dem 01.01.2011 zu berücksichtigen.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

2.     Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

2.1 – Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Urt. v. 20.11.2019 – L 2 AS 154/19

Keine Kostenerstattung vom Jobcenter für eine Projektfahrt nach London.

Orientierungssatz (Redakteur)
Bei der Studienreise handelt es sich nicht um eine mehrtägige Klassenfahrt i.S.v. § 28 Abs. 2 Nr. 2 SGB II.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

Hinweis:
Jobcenter muss nicht für Schulreise im Rahmen einer Projektwoche zahlen

Das LSG Halle hat entschieden, dass das Jobcenter nicht die Kosten einer Schüler-Studienreise übernehmen muss, die als eines von mehreren Projekten im Rahmen einer Projektwoche angeboten wird.

Quelle: Pressemitteilung des LSG Halle Nr. 3/2019 v. 16.12.2019: www.juris.de

2.2 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 22.11.2019 – L 7 AS 1649/19 B – rechtskräftig

Ablehnung der Kostenübernahme für eine neu angeschaffte Gleitsichtbrille.

Orientierungssatz (Redakteur)
1. Keine Gewährung von PKH, denn bei einer – wie hier – medizinischen Indikation und grundsätzlichen Leistungsverpflichtung der Krankenkasse, hat sich der Versicherte an die Krankenkasse zu halten.

2. Der Senat hat zudem bereits entschieden, dass die Neuanschaffung einer Brille wegen der Veränderung der Sehstärke nicht unter § 24 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB II fällt (Urteil vom 07.08.2014 – L 7 AS 269/14).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

Anmerkung:
Das ist die Position eines LSG. Das BSG hat mit den Urteilen vom 08.05.2019 (Schulbuchurteilen, BSG v. 08.05.2019 – B 14 AS 6/18 R und B 14 AS 13/18 R) eine Öffnungsklausel geschaffen und bestimmt, dass zusätzliche Bedarfe, die in den Anschaffungskosten einmalig anfallen, aber als Bedarf fortlaufend bestehen, auch vom Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II gedeckt sind.

Es ist daher zu empfehlen, sich von dieser Entscheidung nicht abschrecken zu lassen, sondern weiter Brillen zu beantragen.

2.3 – Bayerisches Landessozialgericht, Urt. v. 19.11.2019 – L 16 AS 782/16

Zu den Voraussetzungen eines Ersatzanspruchs nach § 34 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II)

Orientierungssatz (Redakteur)
Zur Rechtsfrage, ob für den Ersatzanspruch nach § 34 Abs. 1 S. 1 SGB II in der Fassung vom 13.05.2016, die identisch mit § 34 Abs. 1 S. 1 SGB II in der Fassung vom 26.07.2016 ist, eine rechtmäßige Leistungsgewährung Voraussetzung ist.

Leitsatz (Juris)
1. Voraussetzung für den Ersatzanspruch nach § 34 SGB II ist, dass die Leistungen, für die ein Ersatz geltend gemacht wird, rechtmäßig gewährt wurden, d.h. mit dem materiellen Recht in Einklang standen. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut der Vorschrift, der Gesetzessystematik, einer historischen Auslegung sowie nach dem Willen des Gesetzgebers.

2. Ein Erstattungsanspruch besteht nicht, wenn die Leistung nicht zu gewähren war, weil der Kläger über verwertbares Vermögen verfügte. Auf die Frage, ob dem Kläger ein sozialwidriges Verhalten vorgeworfen werden kann, kommt es dann nicht an.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

3.   Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

3.1 – Sozialgericht Düsseldorf, Urt. v. 02.10.2019 – S 29 AS 3566/16

Solingen – Jobcenter müssen höhere Mieten zahlen

Orientierungssatz (Redakteur)
Für Solingen seien für einen 4-Personenhaushalt anstelle einer monatlichen Bruttokaltmiete von 578,55 € nunmehr maximal 803,00 € als angemessen zu berücksichtigen.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

Hinweis:
Sozialgericht Düsseldorf: Neuss, Remscheid, Solingen – Jobcenter müssen höhere Mieten zahlen

3.2 – Sozialgericht Köln, Urt. v. 18.03.2019 – S 30 AS 2193/17

Aufhebung und Erstattung von Leistungen nach dem SGB II rechtens- 1629a Abs. 1 Satz 1 BGB – Berücksichtigung unpfändbarer Sachen bei der Ermittlung des zum Eintritt der Volljährigkeit vorhandenen Vermögens

Orientierungssatz (Redakteur)
1. In Bezug auf die in § 1629a BGB geregelte Haftungsbeschränkung ist keine Anwendung der Pfändungsschutzregelungen in der Zivilprozessordnung (ZPO) zu berücksichtigen (aA. LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 28. September 2017 – L 2 AS 695/16 –, Rn. 43. Die hiergegen eingelegte Revision des Beklagten hat das BSG zurückgewiesen, vgl. Terminbericht des BSG Nr. 51/18 zur Grundsicherung für Arbeitsuchende).

2. Es ist nicht ersichtlich, dass wegen der mit § 1629a BGB beabsichtigten Schutzwirkung auch solches Vermögen außer Betracht gelassen werden soll, das in Form von Bargeld oder aber geldwerten Forderungen bestanden hat. Angesichts dessen kommt eine Anwendung entsprechender Regelungen der ZPO nicht in Betracht. Vielmehr hat das Bundessozialgericht bereits selbst entschieden, dass keine grundsätzlichen Einwände gegen die Reduzierung einer Erstattungsforderung auf ein bei Eintritt in die Volljährigkeit bestehendes – geringfügiges – Girokonto-Guthaben bestehen (BSG, Urteil vom 18. November 2014 – B 4 AS 12/14 R). Das Bundessozialgericht hat erst kürzlich bekräftigt, dass der gesetzlichen Konzeption des § 1629a BGB entsprechend die Höhe der Rückforderungssumme allein im Rahmen der Saldierung von Schuld und Vermögen zum Zeitpunkt der Vollendung des 18. Lebensjahres berücksichtigt wird (BSG, Urteil vom 28. November 2018 – B 4 AS 43/17 R).

3. Gemessen an diesen Grundsätzen sprechen weder die geringe Höhe der verbleibenden Forderung noch der Einwand, dass die für das Guthaben maßgebliche Zahlung von Berufsausbildungsbeihilfe bereits im fortdauernden Leistungsbezug vom Beklagten als Einkommen angerechnet worden und die weiter bewilligten Leistungen deshalb nur reduziert zur Auszahlung gelangt seien, der weiter geltend gemachten Erstattungsforderung des Beklagten entgegen.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

4.   Entscheidungen der Sozialgerichte zur Sozialhilfe (SGB XII)

4.1 – Sozialgericht Karlsruhe, Urt. v. 03.06.2019 – S 5 SO 3426/18

Orthopädische Arbeitsschuhe; Arbeitsbereich einer Werkstatt für behinderte Menschen; Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben; Leistungen der Eingliederungshilfe; Weiterleitung des Antrags; zuständiger Rehabilitationsträger; Erstattungsanspruch; angemessene Beschäftigung; Erwerbsfähigkeit

Leitsatz (Juris)
Benötigt ein Versicherter für seine Tätigkeit im Arbeitsbereich einer Werkstatt für behinderte Menschen orthopädische Sicherheitsschuhe, so ist für diese Leistung nicht der Rentenversicherungsträger zuständig, sondern der Sozialhilfeträger – selbst dann, wenn der Versicherte Rente wegen voller Erwerbsminderung bezieht.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

5.   Verschiedenes zu Hartz IV, zur Sozialhilfe, zum Asylrecht, Wohngeldrecht und anderen Gesetzesbücher

BSG 14. Senat, Urteil vom 11.07.2019 – B 14 AS 51/18 R

Autor: Dietrich Hengelhaupt, Direktor SG
Anforderungen an Wirksamkeit eines Antrages auf Leistungen der Grundsicherung per E-Mail und Beweislast für Zugang

Orientierungssatz zur Anmerkung
Die Rückwirkung von Leistungsanträgen gemäß § 37 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Sätze 1 und 2 SGB II auf den Monatsersten des Antragsmonats tritt bei Antragstellung per E-Mail auch ein, wenn mit Kenntnisnahme des Jobcenters nach den üblichen Dienstzeiten erst zu Beginn des Folgemonats gerechnet werden kann.

weiter: www.juris.de

Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock

Wir wünschen allen Menschen ein frohes, gesundes und vor allem friedliches Jahr 2020!

Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker