1. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)
1.1. – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 18.10.2019 – L 21 AS 529/18
Verwertbarkeit eines selbstgenutzten Wohnhauses als Vermögen – Auszug von Personen unerheblich- keine besondere Härte
Orientierungssatz (Redakteur)
1. Das Vermögen ist nicht als selbst genutztes Hausgrundstück von angemessener Größe nach § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 SGB II von der Berücksichtigung ausgenommen und weder ist eine Verwertung offensichtlich unwirtschaftlich nach § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 Alt. 1 SGB II noch bedeutet die Verwertung eine besondere Härte i.S. von § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 Alt. 2 SGB II.
2. Die Wohnfläche des Hauses überschreitet die angemessene Größe. Für die Bemessung der Wohnflächengrenze ist es ohne Bedeutung, ob bei der Erbauung oder dem Bezug des Hauses wegen der größeren Zahl der Bewohner höhere Wohnflächengrenze gegolten haben (BSG, 12.10.2016 – B 4 AS 4/16 R).
3. Die Verwertung des Hausgrundstückes ist nicht offensichtlich unwirtschaftlich gemäß § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 Alt. 1 SGB II. Dass die Klägerin im September 2021 die Regelaltersrente erreicht, ist keine besondere Härte.
Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de
1.2 – LSG NRW, Urteil v. 09.10.2019 – L 7 AS 922/18
Orientierungssatz RA Jan Häußler, Essen
Durch eine verspätete Rechnungsstellung lassen sich die Gebühren für die Benutzung einer Flüchtlingsunterkunft nicht als Bedarfe in einen anderen Zeitraum verschieben. Die örtliche Zuständigkeit des SGB 2-Leistungsträgers bleibt bestehen, auch wenn die Bewohner der Unterkunft zum Zeitpunkt der Fälligkeit (also bei Erlass des Gebührenbescheides) bereits woanders wohnen.
Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de
2. Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)
2.1 – Sozialgericht Heilbronn, Urt. v. 11.10.2018 – S 15 AS 238/18, nicht rechtskräftig: Berufung ist beim Landessozialgericht Baden-Württemberg unter dem Az. L 7 AS 4054/18 anhängig
Mietobergrenzen im Landkreis Ludwigsburg rechtmäßig – „schlüssiges Konzept“ zur Bestimmung der Angemessenheitsgrenze geeignet!
weiter: sozialgericht-heilbronn.justiz-bw.de
zum Volltext
2.2 – SG Düsseldorf, Urt. v. 08.01.2019 – S 37 AS 3080/19
Pfandflaschensammlerin hat Anspruch auf Harz IV
Das SG Düsseldorf hat entschieden, dass eine 53-Jährige, die angegeben hatte, sich durch das Sammeln von Pfandflaschen über Wasser zu halten, Harz IV erhält.
Nach Auffassung des Sozialgerichts nach einer umfangreichen Beweisaufnahme ist die Klägerin wohnungslos und übernachtete häufiger auf dem Grundstück der Mutter ihres ehemaligen Lebensgefährten. Ihre Hilfebedürftigkeit stehe aber in jedem Falle fest. Sie habe weder Einkommen noch Vermögen, noch lebe sie in einer Bedarfsgemeinschaft mit einer anderen Person. Ihr stehe daher der Regelbedarf zu. Angerechnet werden dürfe nur das Kindergeld, das ihr grundsätzlich als Kindergeldberechtigte für ihre Tochter zur Verfügung gestanden habe. Die Einnahmen aus Pfandflaschensammeln seien so gering gewesen, dass sie in diesem Einzelfall haben anrechnungsfrei bleiben müssen. Denn die Lage der Klägerin werde dadurch nicht so günstig beeinflusst, dass daneben Leistungen vom Jobcenter nicht gerechtfertigt wären.
Das Urteil ist nicht rechtskräftig.
juris-Redaktion
Quelle: Pressemitteilung des SG Düsseldorf v. 08.01.2020
2.3 – SG Wiesbaden, Beschluss v. 16.12.2019 – S 20 AS 982/19 ER
EGV VA vor Feststellung der Hilfebedürftigkeit zu erlassen ist rechtswidrig.
Orientierungshilfe:
1. Nach den „Fachlichen Weisungen” der Bundesagentur für Arbeit zu § 15 SGB II ist ein Verwaltungsakt der eine Eingliederungsvereinbarung ersetzt (§ 15 Abs. 3 S. 3 SGB II) erst nach Feststellung der Hilfebedürftigkeit zu erlassen (vgl. Rn 15.42).
1. Ferner entspricht die Rechtsfolgenbelehrung des Bescheides vom 04.11.2019 bei Nichteinhaltung von Vertragspflichten nicht (mehr) den Vorgaben des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 05.11.2019 (Az.1 BvL 7/16).
3. Entscheidungen des Sozialgerichts zum Arbeitsförderungsrecht (SGB III)
3.1 – Sozialgericht Heilbronn, Beschluss v. 16.08.2019 – S 7 AL 2542/19 ER
Orientierungssatz (Redakteur)
Heiminterne Ausbildung zum Bäckereifachverkäufer ist von Bundesagentur für Arbeit vorläufig zu finanzieren.
Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de
4. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Sozialhilfe (SGB XII)
4.1 – Sächsisches Landessozialgericht, Beschluss v. 03.12.2019 – L 8 SO 94/19 B ER
Orientierungssatz (Redakteur)
Zur Übernahme von Kosten für einen Gebärdendolmetscher für einen behinderten Schüler, hier bejahend.
Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de
5. Entscheidungen der Landessozialgerichte und Sozialgerichte zum Asylrecht
5.1 – LSG Schleswig-Holstein, Beschluss v. 23.09.2019 – L 9 AY 171/19 8 ER
Kernaussage
Auch bei zugewiesenem Wohnraum sind die KdU so lange zu tragen, bis ein Mietkostensenkungsverfahren durchgeführt worden ist und ein Umzug in eine angemessene Wohnung (im Zweifel innerhalb der Zuweisungsgemeinde) auch anzumieten ist. Anderslautende Weisungen von Innenministerien sind unbeachtlich.
Hintergrund:
In SH werden insbesondere Migranten in winzige, maßlos überteuerte Wohnungen gesetzt, deren KdU oft nur kurze Zeit oder auch gar nicht in tatsächlicher Höhe berücksichtigt werden. Die Menschen bauen Schulden auf, die sie nicht verstehen und die sie auch nicht reduzieren können, weil ihnen die Anmietung anderen Wohnraumes nicht möglich ist.
Jedenfalls das LSG will keine Eilverfahren, so dass das Thema erst in Hauptsacheverfahren zu klären ist.
Wichtig: Wohnraumsuche vom ersten Tag an dokumentieren und möglichst zentriert sammeln.
Quelle: www.kanzlei-vollrath.de
5.2 – SG Neubrandenburg, Beschluss vom 06.08.2019 – S 6 AY 20/19 ER
Asylbewerberleistung – Anspruchseinschränkung – Befristung auf sechs Monate – Verlängerung gemäß § 14 Abs. 2 AsylbLG nur durch neuen ausdrücklichen Bescheid möglich, hier nicht geschehen – Bis zu einer erneuten Entscheidung über die Fortsetzung der Leistungskürzung gilt die bislang verfügte Leistungskürzung als fortbestehend
Orientierungssatz (Redakteur)
Der Bescheid über eine erstmalige Anspruchseinschränkung ist nach § 14 Abs. 1 AsylbLG zwingend auf sechs Monate zu befristen (LSG München, Beschl. vom 19.03.2018 – L 18 AY 7/18 B ER). Soll bei einer fortbestehenden Pflichtverletzung nach Ablauf der Frist von sechs Monaten die Anspruchseinschränkung fortgesetzt werden, hat die Verwaltung nach § 14 Abs. 2 AsylbLG im konkreten Einzelfall zu überprüfen, ob die Anspruchseinschränkung aufrechterhalten werden kann, und kann ggf. durch einen neuen Bescheid eine weitere zeitlich befristete Anspruchseinschränkung verfügen.
Quelle: www.landesrecht-mv.de
5.3 – SG Hannover, Beschluss v. 20.12.2019 – S 53 AY 107/19 ER
SG Hannover zu § 3a AsylbLG im Hinblick auf Alleinstehende in Gemeinschaftsunterkünften
Dazu Frederek Freckmann, Rechtsanwalt
Fachanwalt für Migrationsrecht
Nachdem das SG Landshut bereits Ende Oktober 2019 die Einstufung von erwachsenen alleinstehenden in Gemeinschaftsunterkünften untergebrachten Empfänger_innen von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) in die Regelbedarfsstufe 2 voraussichtlich für verfassungswidrig erachtete (dort: § 2 AsylbLG), meldet nun auch das SG Hannover erhebliche Zweifel daran an, ob diese Einstufung verfassungskonform ist (hier: § 3a AsylG). Das SG Hannover gewährt in diesen Fällen Eilrechtsschutz.
So führt das SG Hannover unter anderem aus: „(…) ist festzustellen, dass die Einführung der besonderen Bedarfsstufe des § 3 a Asylbewerberleistungsgesetz für Asylbewerber in Sammelunterkünften nicht auf einer realitätsgerechten und schlüssigen Berechnung gründen.“
Es sei daher weiterhin empfohlen, dass alleinstehende in Gemeinschaftsunterkünften wohnende Erwachsene, die Leistungen nach dem AsylbLG erhalten und denen die Leistungen faktisch durch die Einstufung in die Regelbedarfsstufe 2 eingestuft gekürzt worden sind, Widerspruch, Eilrechtsschutzantrag und – wenn nötig – Klage einzureichen.
Hinweis Redakteur Tacheles:
S. a. dazu: SG Freiburg, 03.12.2019 – S 9 AY 4605/19 ER – Kürzung der Regelbedarfe nach dem AsylbLG in Gemeinschaftsunterkünften und nun SH Hannover vom 20.12.2019 – S 53 AY 107/19 ER
Quelle: tacheles-sozialhilfe.de
6. Verschiedenes zu Hartz IV, zur Sozialhilfe, zum Asylrecht, Wohngeldrecht und anderen Gesetzesbücher
6.1 – Zu wenig Wohnkosten gezahlt Sozialgericht bestraft Jobcenter in Mühlhausen
In mehreren Fällen soll das Jobcenter in Mühlhausen Leistungsempfängern zu wenig Wohngeld gezahlt haben. Das Sozialgericht Nordhausen verhängte nun eine Geldstrafe und spricht von einem „selten praktizierten Vorgang“.
Das Jobcenter im Unstrut-Hainich-Kreis ist vom Nordhäuser Sozialgericht zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Weil es gegen Vorgaben des Bundessozialgerichts verstoßen hat, soll das Jobcenter in acht Fällen insgesamt 2.400 Euro sogenannte Missbrauchsgebühren an den Staat zahlen. Das Gericht nennt es einen “selten praktizierten Vorgang”.
Hintergrund: www.mdr.de
6.2 – Jede zweites Darlehen vom Jobcenter fehlerhaft
Die Bundesagentur für Arbeit heimst sich erneut Ärger bei ihrer Darlehensvergabe durch die Jobcenter ein. Diese hat der Bundesrechnungshof erneut kritisiert: Seit 2011 habe „sich die Bearbeitungsqualität der Jobcenter bei der Gewährung von Darlehen nicht verbessert“.
weiter bei Inge Hannemann
Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock
Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker