Sozialgericht Hildesheim – Beschluss vom 10.02.2020 – Az.: S 42 AY 195/19 ER

 

BESCHLUSS

In dem Rechtsstreit
xxx,

– Antragsteller –

Prozessbevollmächtigter:
Rechtsanwalt Sven Adam,
Lange Geismarstraße 55, 37073 Göttingen

gegen

Stadt Göttingen, vertreten durch den Oberbürgermeister,
Hiroshimaplatz 1-4, 37083 Göttingen

– Antragsgegnerin –

hat die 42. Kammer des Sozialgerichts Hildesheim am 10. Februar 2020 durch den Richter am Sozialgericht xxx beschlossen:

 

  1. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig unter dem Vorbehalt der Rückforderung für die Zeit vom 06. bis zum 30. November 2019 weitere privilegierte Leistungen nach § 2 Absatz 1 AsylbLG i.V.m. SGB XII analog in Höhe von 112,– Euro und für Dezember 2019 weitere 131,20 Euro zu gewähren.
  2. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
  3. Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller seine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

GRÜNDE

Der Antrag auf Gewährung höherer privilegierter Leistungen im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes hat weit überwiegend Erfolg für die noch streitige Zeit vom 06. November bis zum 31. Dezember 2019.

Nach § 86 b Absatz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache, soweit ein Fall des Abs. 1 nicht vorliegt, auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechtes des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das Gericht der Hauptsache ist das Gericht des I. Rechtzuges.

Voraussetzung für den Erlass der begehrten Regelungsanordnung nach § 86 b Absatz 2 Satz 2 SGG ist neben einer besonderen Eilbedürftigkeit der Regelung (Anordnungsgrund) ein Anspruch des Antragstellers auf die begehrte Regelung (Anordnungsanspruch). Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch sind glaubhaft zu machen (§ 86 b Absatz 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Absatz 2 Zivilprozessordnung (ZPO)). Dabei ist, soweit im Zusammenhang mit dem Anordnungsanspruch auf die Erfolgsaussichten abgestellt wird, die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen (vgl. Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes vom 12. Mai 2005 – 1 BvR 569/05 -). Die Glaubhaftmachung bezieht sich im Übrigen lediglich auf die reduzierte Prüfungsdichte und die nur eine überwiegende Wahrscheinlichkeit erfordernde Überzeugungsgewissheit für die tatsächlichen Voraussetzungen des Anordnungsanspruches und des Anordnungsgrundes (vgl. Beschlüsse des Hessischen Landessozialgerichtes (LSG) vom 29. Juni 2005 – L 7 AS 1/05 ER -, und vom 12. Februar 1997 – L 7 AS 225/06 ER -; Berlit, info also 2005, 3, 8).

Der Antragsteller hat sowohl Anordnungsanspruch als auch Anordnungsgrund glaubhaft dargelegt. Zur Überzeugung der Kammer hat er Anspruch auf höhere privilegierte Leistungen für die Zeit vom 06. bis zum 30. November 2019 und für Dezember 2019. Unstreitig zwischen den Beteiligten ist die Leistungsberechtigung nach § 2 Absatz 1 AsylbLG, zumal der Antragsteller die 15- bzw. 18-monatige Wartefrist erfüllt und die Dauer seines Aufenthalts im Bundesgebiet nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst hat. Vom Einkommen aus dem Bundesfreiwilligendienst ist ein Freibetrag von 200,– Euro abzusetzen. Die Kammer folgt dem Urteil des Bayerischen LSG vom 27. September 2018 – L 8 SO 18/16 -, welches § 82 Absatz 3 Satz 3 SGB XII anwendet, wobei das Ermessen insoweit auf Null reduziert ist, dass der Freibetrag von 200,– Euro abzusetzen ist. Der Gesetzgeber hat diese planwidrige Regelungslücke mit Änderung des § 82 Absatz 2 Satz 2 SGB XII ab dem 01. Januar 2020 geschlossen.

Dies zugrunde gelegt, sind vom zugeflossenen Einkommen des Antragstellers von 345,26 Euro im November 2019 die 200,– Euro zuzüglich 58,58 Euro (§ 82 Absatz 3 Satz 1 SGB XII) und die Arbeitsmittelpauschale von 5,20 Euro abzusetzen, so dass 131,48 Euro anrechenbar sind. Die Antragsgegnerin hat zu Unrecht 271,48 Euro angerechnet, so dass der Differenzbetrag von 140,– Euro zu 24/30 nach zu gewähren ist. Im Dezember 2019 erzielte der Antragsteller 245,26 Euro, wovon 200,– Euro, 13,58 Euro und 5,20 Euro abzusetzen sind, so dass 26,48 Euro als bereinigtes Einkommen verbleiben. Bei einem Regelbedarf von 424,– Euro verringert sich dieser auf 397,52 Euro, wovon die gewährten 212,32 Euro und anderweitig geleisteten 14,– und 40,– Euro abzusetzen sind, so dass ein Nachzahlungsanspruch in Höhe von 140,– Euro verbleibt.

Eine besondere Eilbedürftigkeit besteht zur Überzeugung der Kammer und ist durch den nicht unerheblichen Leistungsanspruch indiziert, zumal die Absetzung der Freibeträge eine Motivationsfunktion für denjenigen haben, der den Bundesfreiwilligendienst leistet.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Absatz SGG analog. Aufgrund des Teilanerkenntnisses und des geringfügigen Unterliegensanteils war keine Kostenquote zu bilden.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 172 Absatz 1 Nr. 3, 144 Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 SGG), weil die Beschwer für die nach dem Teilanerkenntnis streitige Zeit vom 06. November bis zum 31. Dezember 2019 weniger als 750,– Euro beträgt.