Verwaltungsgericht Göttingen – Beschluss vom 13.02.2020 – Az.: 2 A 36/19

 

BESCHLUSS

In der Verwaltungsrechtssache

Herr xxx,

– Kläger –

Prozessbevollmächtigter:
Rechtsanwalt Adam,
Lange Geismarstraße 55, 37073 Göttingen

gegen

Landkreis Göttingen
vertreten durch den Landrat,
Reinhäuser Landstraße 4, 37083 Göttingen

– Beklagter –

wegen Heranziehung zu Kostenbeiträgen

hat das Verwaltungsgericht Göttingen – 2. Kammer – am 13. Februar 2020 beschlossen:

Dem Kläger wird Prozesskostenhilfe ab Antragstellung bewilligt und Rechtsanwalt Adam aus Göttingen beigeordnet.

GRÜNDE:

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt Adam ist begründet, weil der Kläger nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht in der Lage ist, die Kosten der Prozessführung zu tragen, und die Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

Rechtsgrundlage des mit der Klage angegriffenen Bescheides des Beklagten vom 03. Januar 2019, mit dem er vom Kläger für die Zeit vom 01. Januar bis 31. Dezember 2018 einen Kostenbeitrag für eine vollstationäre Jugendhilfemaßnahme in Höhe von 125,00 Euro monatlich verlangt, ist § 94 Abs. 1 und 6 SGB VIII. Der am xxx geborene eritreische Kläger ist seit dem 1. Oktober 2016 in einer stationären Jugendhilfeeinrichtung untergebracht. Aus einem Minijob erzielte er in der Zeit von März bis Dezember 2018 monatliche Nettoeinkünfte in Höhe von 200,00 Euro. Verteilt auf das ganze Jahr und unter Berücksichtigung des 75 %-igen Abzugs nach § 94 Abs. 6 Satz 1 SGB VIII errechnete der Beklagte den o.a. Kostenbeitrag.

Voraussichtlich zu Unrecht hat es der Beklagte bei der Berechnung des Kostenbeitrags abgelehnt, § 94 Abs. 6 Satz 2 SGB VIII zur Anwendung zu bringen. Nach dieser Vorschrift kann ein geringerer Kostenbeitrag erhoben oder gänzlich von der Erhebung des Kostenbeitrags abgesehen werden, wenn das Einkommen aus einer Tätigkeit stammt, die dem Zweck der Leistung dient.

Zu den Zwecken von Jugendhilfemaßnahmen gehört nach der Auffassung des Gesetzgebers, junge Menschen in die Gesellschaft zu integrieren und sie zu einem eigenständigen, selbstverantwortlichen Leben zu erziehen und zu motivieren (BT-Ds 17/13023, S. 15). Diesbezüglich ergibt sich aus den für die Hilfeplankonferenzen erstellten Entwicklungsberichten vom 24. Juni 2018 und 14. Januar 2019, dass eben diese Kompetenzen durch den Minijob erlernt und vertieft werden konnten. Es wird die Meinung vertreten, dass jede Art von Erwerbstätigkeit dem Zweck der Verselbständigung als Ziel der Jugendhilfemaßnahme dient (vgl. Schindler, in: Münder, Meysen, Trenczek (Hrsg.), Frankfurter Kommentar SGB VIII, 8. Aufl. § 94 Rn. 16). Schon dies würde die Bewilligung von Prozesskostenhilfe rechtfertigen.
Aber auch, wenn man mit dem Beklagten der Auffassung sein wollte, aus dem in § 94 Abs. 6 S. 3 SGB VIII enthaltenen Verweis, dass insbesondere Einkünfte aus sozialen und kulturellen Tätigkeiten, bei denen nicht die Erwerbstätigkeit, sondern das Engagement im Vordergrund stehe, folge, dass nicht jedes Erwerbseinkommen dem Zweck der Jugendhilfe diene, ist der Weg zur Anwendung des § 94 Abs. 6 Satz 2 SGB VIII nicht versperrt. Es erscheint zu eng, wenn der Beklagte in seiner rechtlichen Bewertung vor allem darauf abstellt, dass der Minijob eine Vorbereitung auf die Ausbildung des Klägers gewesen sei und daher wie diese zu behandeln sei. Dieser Rückschluss ergibt sich nicht aus den o.a. Entwicklungsberichten. Denn diese verweisen neben der Berufsqualifikation auf weitere Kompetenzen, die der Kläger durch die berufliche Tätigkeit erwerben konnte. Zudem ergibt sich aus diesen Berichten, dass der Kläger parallel zum Ausbildungsbeginn mit der Fahrschule begonnen hat, um einen Führerschein zu erwerben. Er hat hierauf am 05. September 2018 eine Anzahlung von 1.550,00 Euro geleistet (Beiakten 001, S. 226). Nach der Gesetzesbegründung zu § 93 Abs. 6 Satz 2 SGB VIII (BT-Ds 17/13023, S. 15) kann die Übernahme einer Tätigkeit z.B. als Zeitungsbote zur Finanzierung des Führerscheins im Einzelfall Ausdruck besonderer Eigenverantwortung sein. Daran knüpft die vom Gericht erbetene Stellungnahme des Klägers an, der mit Schriftsatz vom 28. Januar 2020 vorträgt, es sei ihm bei dem Minijob neben der Berufsorientierung um eine Kompetenzerweiterung und nicht um die Vorbereitung eines konkreten Ausbildungsverhältnisses gegangen. Ferner gibt er an, die Einnahmen aus dem Minijob zur Finanzierung seines Führerscheins verwendet zu haben. Es spricht daher viel dafür, dass der Anwendungsbereich des § 94 Abs. 6 Satz 2 SGB VIII eröffnet ist. Der Beklagte wird sein dort eröffnetes Ermessen auszuüben haben. Da es gut denkbar erscheint, dass der Beklagte bei Ausübung dieses Ermessens dazu kommt, von der Erhebung eines Kostenbeitrages gänzlich abzusehen, ist die Prozesskostenhilfe nicht auf die Neubescheidung des Klägers zu begrenzen, sondern für die auf vollständige Aufhebung des Bescheides vom 03. Januar 2019 gerichtete Klage zu bewilligen.

Dieser Beschluss ist für die Beteiligten des Verfahrens unanfechtbar (§ 166 VwGO, § 127 Abs. 2 Satz 1 ZPO).