BESCHLUSS
In dem Ermittlungsverfahren
gegen xxx,
wegen Verdachts des Verstoßes gegen das Kunsturhebergesetz
hat das Amtsgerichts Kassel durch den Richter am Landgericht xxx am 24. Februar 2020 beschlossen:
Es wird festgestellt, dass die am 07.09.2018 polizeilich angeordnete Beschlagnahme des Smartphones „Huawei” des Antragstellers rechtswidrig gewesen ist.
GRÜNDE
I.
Am Freitag, den 07.09.2018 fand eine Wahlkampfveranstaltung der Partei AfD in der Schauenburghalle in Schauenburg-Hoof statt. Der Antragsteller nahm an einer Gegenveranstaltung teil.
Das Smartphone „Huawei” des Antragstellers wurde beschlagnahmt, nachdem dieser mit dem ihm gehörenden Smartphone Portraitaufnahmen von Polizeibeamten anfertigte.
Vor Ort wurde ein formularmäßiger „Kurzbericht“ gefertigt, in dem u.a. Folgendes notiert wurde:
„Beginn der Maßnahme: 19:52
Ort der Maßnahme: Schauenburghalle, Schauenburg
(…)
Tatvorwurf/Ereignis: Verstoß Urheberrecht
Tatort/Ereignisort: Schauenburghalle, Wahlgemeinde 21
Tatzeit/Ereigniszeit: 07.09.18, 18:00
BS fertigte im Rahmen einer Gegenveranstaltung Teilnehmer und Polizeibeamte im einzelnen und im Portrait. Die Aufnahmen der Teilnehmer der AFD-Veranstaltung wurden mit dem Handy des BS direkt in eine „Cloud” hochgeladen.
Zeugen: xxx, PK; xxx, PK“
Der Zeuge xxx führt in seinem Vermerk vom 02.10.2018 zur Maßnahme weiter aus:
„Im Rahmen der AFD-Wahlkampfveranstaltung am 07.09.2018 in der Schauenburg-Hoof war der UZ. (…) als BeSi-Beamter eingesetzt.
Gegenüber der Schauenburghalle fand eine Gegenveranstaltung statt, die durch Gitter von der Wahlkampfveranstaltung abgetrennt, war. Uz. wurde von weiteren Polizeikräften darauf hingewiesen, dass eine männliche Person, -die sich direkt hinter dem Absperrgitter befand, Teilnehmer des Wahlkampfs sowie Polizeikräfte mit seinem Smartphone auffällig foto- und videografisch aufzeichne. Laut Aussage des PF bestand der Verdacht, dass diese männliche Person insbesondere Portraitaufnahmen zur späteren Veröffentlichung fertigte und auf Grund dessen einer späteren Kontrolle unterzogen werden sollte.
Im weiteren Verlauf konnte Uz. mit der dienstlich gelieferten Videoausrüstung videografiache Aufzeichnungen der besagten männlichen Person, dem xxx (…) anfertigen. (…).
Der BS xxx wurde, in“ der Ablaufphase der Gegenveranstaltung durch PK Feldmann und PH Heidebauer (…) einer Kontrolle unterzogen. Im Zuge dieser Kontrolle wurden durch Uz. mit der dienstliche gelieferten Videoausrüstung Lichtbilder des BS xxx angefertigt. (…)
Seitens des Zu. fand keine Einsichtnahme des Smartphone des BS statt.“
Im Vermerk von 10.10.2018 führt der Zeuge PK xxx zum Vorwurf aus:
„Während dieser Veranstaltung fertigte der Beschuldigte xxx (…) Portraitaufnahmen von den eingesetzten Polizeibeamten.
Der Polizeibeamte xxx, PK führte gegen Ende der Gegendemonstration zusammen mit den Beamten xxx, PK die vorläufige Festnahme des Beschuldigten durch.
Der Beschuldigte xxx wurde im Anschluss der Festnahme durch den Polizeibeamten xxx, PK als Beschuldigter einer Straftat belehrt. Ihm wurde vorgeworfen, dass er Portraitaufnahmen von Polizeibeamten fertigte.
Nach erfolgter und verstandener Belehrung, äußerte sich der Beschuldigte wie folgt zum, Sachverhalt:
Ich gebe zu, dass ich Portraitaufnahmen von Polizeibeamten gefertigt habe. Mit den weiteren Straftaten, welche im Zusammenhang der Gegendemonstration ausgeübt worden sind, habe ich nichts zu tun.
Daraufhin fragte der Beamte xxx, PK, ob der Beschuldigte eine „Cloud“ besäße und ob die angefertigten Portraitaufnahmen automatisch auf diese hochgeladen werden.
Der Beschuldigte bejahte diese Frage.
Die Einsichtnahme des Mobiltelefons fand nicht vor Ort statt.”
In einem weiteren Kurzbericht vom 07.09.2018 wurde das Muster zum Entsperren des Smartphones grafisch notiert.
Ausweislich des Schlussberichts vom 29.12.2018 wurde das Smartphone ausgelesen und durch den Zeugen KOK xxx eingesehen, der sich dabei lediglich auf Bild- und Videodaten beschränkte. Die Auswertung ergab, dass der Antragsteiler insgesamt 64 Lichtbilder der Wahlkampfveranstaltung fertigte. Dabei handelte es sich überwiegend um die Teilnehmer bzw. Veranstalter der Veranstaltung. Videodateien sind durch den Antragsteller an diesem Tag nicht gefertigt worden. Insbesondere konnte auch eine Bild- bzw. Videodatei, die an diesem Tag von einer unbekannten Person öffentlich in Snapchat hochgeladen wurde, nicht aufgefunden werden. Bei der Auswertung konnte nicht festgestellt werden, dass überhaupt die App Snapchat auf dem Smartphone vorhanden war.
In einem Vermerk des PK xxx vorn 18.12.2018 machte dieser aktenkundig, dass er während des laufenden Einsatzes von einem namentlich benannten Bekannten ein Foto übersendet bekommen habe, auf dem er und PK xxx deutlich zu erkennen gewesen seien. Dieses Foto sei aus einem Video entstanden, welches bei Snapchat von einem „haite_heckspoiler“ hochgeladen worden sei. Der Bekannte habe das Video auf Snapchat gesehen, einen Screenshot gemacht und PK xxx gefragt, ob er das in diesem Video gewesen sei. Er, der Beamte, habe dies im Anschluss dem Kollegen xxx gezeigt. Dieser habe sich um weitere Schritte kümmern wollen. Das Foto habe zunächst nicht an den Kollegen xxx weitergegeben werden sollen. Der zur Akte gereichte Screenshot lässt als Uhrzeit „20:51“ erkennen.
Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 08.10.2018 beantragte der Antragsteller die „gerichtliche Entscheidung hinsichtlich der erfolgten Beschlagnahme“.
Im Folgenden stellte sich heraus, dass der Vorgang bereits in dem beigezogenen Verfahren 2660 Js 4058/19 durch die Staatsanwaltschaft bearbeitet und das Verfahren dort am 25.01.2019 gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden war, da dem Antragsteller nicht mit der für eine Anklageerhebung erforderlichen Sicherheit habe nachgewiesen werden können, dass er Portraitaufnahmen von Polizeibeamten anderen Personen zugänglich gemacht habe. Unter dem 29.01.2019 gab die Staatsanwaltschaft das Smartphäne zur Herausgabe an den Antragsteller frei.
Die Staatsanwaltschaft ist der Ansicht, dass die- Maßnahme am 07.09.2018 rechtmäßig gewesen sei, da zumindest ein Anfangsverdacht für eine Straftat nach dem Kunsturhebergesetz vorgelegen habe.
II.
Die von den Polizeibeamten angeordnete Beschlagnahme des Smartphones war rechtswidrig.
Auf der Grundlage der aktenkundigen Vermerke, der mit der Sache befassten Polizeibeamten und dem sich hieraus ergebenden objektiven Geschehensablauf lässt sich bereits nicht feststellen, dass zum maßgeblichen Zeitpunkt der Anordnung der Beschlagnahme der Anfangsverdacht einer Straftat durch den Antragsteller bestand.
Insbesondere bestand zum hier maßgeblichen Zeitpunkt der Beschlagnahmeanordnung nicht der Anfangsverdacht für die Begehung einer verfolgbaren Straftat gemäß. § 33 des Kunsturhebergesetzes (KunstUrhG).
Ein Anfangsverdacht gemäß § 152 Abs. 2 StPO muss sich auf zureichende tatsächliche Anhaltspunkte, das heißt auf konkrete Tatsachen stützen, die dafürsprechen, dass gerade der zu untersuchende Lebenssachverhalt eine Straftat enthält (vgl. BGH NStZ 1994, 499 m.w.N.). Bloße, nicht durch konkrete Umstände belegte Vermutungen oder rein denktheoretische Möglichkeiten reichen nicht aus.
Im Zusammenhang mit der Anfertigung von Lichtbildern von Polizeibeamten bei einer Demonstration ist zu beachten, dass das Filmen und Fotografieren polizeilicher Einsätze grundsätzlich zulässig ist. Selbst dann, wenn Nahaufnahmen von den Polizeibeamten gefertigt werden, gilt, dass gemäß §§ 22, 23 KunstUrhG i.V.m. § 33 KunstUrhG lediglich ein Verbreiten und öffentliches Zurschaustellen, nicht aber das Herstellen von Bildnissen strafbar ist. Dabei kann davon ausgegangen werden, dass im Sinne von §§ 22, 23 KunstUrhG unzulässig erstellte Bildaufnahmen nicht auch stets verbreitet werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. Juli 2015, 1 BvR 2501/13, Tz 14; BVerwG, Urteil vom 14. Juli 1999 – 6 C 7/98, Tz. 27 = BVerwGE. 109, 203 = NVwZ 2000, 63). Es darf nicht von vornherein und ohne weitere Anhaltspunkte zukünftiges rechtswidriges Verhalten unterstellt werden (Vgl. VGH Baden-Württemberg, Urt. V. 19. August 2010 – 1 S 2266/09, Tz. 36 m.w.N.). Die Annahme, dass im Einzelfall die konkrete Gefahr besteht, eine solche unzulässige Verbreitung sei ebenfalls zu befürchten, bedarf vielmehr hinreichend tragfähiger Anhaltspunkte (vgl. BVerfG, a.a.O., Tz. 14). Insbesondere, wen Versammlungsteilnehmer, die von der Polizei gefilmt oder videografiert werden, ihrerseits Ton- und Bildaufnahmen von den eingesetzten Beamten anfertigen, kann nicht ohne nähere Begründung von einem zu erwartenden Verstoß gegen § 33 Abs. 1 KunstUrhG und damit von einer konkreten Gefahr für ein polizeiliches Schutzgut ausgegangen werden. Vielmehr ist hier zunächst zu prüfen, ob eine von § 33 Abs. 1 KunstUrhG sanktionierte Verbreitung oder öffentliche Zurschaustellung der angefertigten Aufnahmen tatsächlich zu erwarten ist oder ob es sich bei der Anfertigung der Aufnahmen nicht etwa lediglich um eine bloße Reaktion auf die polizeilicherseits gefertigten Bild- und Tonaufzeichnungen etwa zur Beweissicherung mit Blick auf etwaige Rechtsstreitigkeiten handelt (vgl. BVerfG, a.a.O., Tz. 15).
Erforderlich sind somit tragfähige Anhaltspunkte, das zum Zeitpunkt der Beschlagnahme im Einzelfall die konkrete Gefahr bestand, dass eine unzulässige Verbreitung der durch den Antragsteller angefertigten Lichtbilder zu besorgen war. Derartige tragfähige tatsächliche Anhaltspunkte lassen sich der Akte indes nicht entnehmen.
Aus den zeugenschaftlichen Angaben des Zeuge PK xxx ergibt sich lediglich, dass dieser von weiteren Polizeikräften darauf hingewiesen worden sei, dass eine später wohl als der Antragsteller identifizierte männliche Person sich direkt hinter dem Absperrgitter befunden habe, die Teilnehmer des Wählkampfs sowie Polizeikräfte mit seinem Smartphone „auffällig“ foto- und videografisch aufgezeichnet“ haben soll. Laut Polizeiführer sollte der Verdacht bestehen, dass diese männliche Person insbesondere Portraitaufnahmen zur späteren Veröffentlichung gefertigt habe, weshalb die Anordnung erfolgt sei, dass dieser einer späteren Kontrolle unterzogen werden solle. Der Vermerk beschränkt sich insoweit lediglich darauf, dass aus nicht näher dargelegten Gründen der Polizeiführer zu dem Schluss gelangt ist, dass eine männliche Person – später als der Antragsteller identifiziert- – insbesondere Portraitaufnahmen zur späteren Veröffentlichung gefertigt habe. Konkrete und hinreichend tragfähige tatsächliche Anhaltspunkte, auf Grund derer nach kriminalistischer Erfahrung zu vermuten war, dass der Antragsteller Bildnisse entgegen §§ 22, 23 KunstUrhG verbreitet oder öffentlich zur Schau gestellt und sich damit eines Vergehens gemäß §§ 33 Abs. 1 KunstUrhG schuldig gemacht haben könnte, lassen sich diesen pauschalen Ausführungen indes nicht entnehmen. Denn sie beschränken sich in der Sache auf die bloße Wiedergabe einer Schlussfolgerung des Polizeiführers, deren tatsächlichen Grundlagen in der Akte nicht dokumentiert sind. Auf Welcher tatsächlichen Grundlage der Polizeiführer zu seiner Einschätzung gelangt ist, ist indes nicht erkennbar.
Im Übrigen ist festzustellen, dass auf der Grundlage der von dem Zeugen PK xxx dokumentierten Einschätzung des Polizeiführers lediglich zu befürchten war, dass die zu diesem Zeitpunkt noch unbekannte männliche Person – mithin der Antragsteller – insbesondere Portraitaufnahmen zur späteren Veröffentlichung fertigte, nicht aber, dass eine nach § 33 Abs. 1 KunstUrhG strafbewehrte Verbreitung oder öffentliche Zurschaustellung der angefertigten Aufnahmen bereits erfolgt war. Der Verdacht der bloßen Vorbereitung einer solchen Handlung begründet jedoch nicht den Anfangsverdacht einer verfolgbaren Straftat gemäß § 33 Abs. 1 KunstUrhG.
Für den Fall, dass, auf Grund hinreichend tragfähiger Anhaltspunkte polizeilicherseits davon ausgegangen werden konnte, dass im Einzelfall tatsächlich die konkrete Gefahr bestand, dass eine solche unzulässige Verbreitung zu befürchten sei, mag unter Beachtung der Eingriffsvoraussetzungen polizeirechtlicher Befugnisnormen ggf. ein präventivpolizeiliches Einschreiten gerechtfertigt sein. Ob ein solches hier überhaupt Gegenstand des Verfahrens und damit Prüfungsmaßstab für die gerichtliche Entscheidung sein kann, kann dahinstehen, da im vorliegenden Fall keine hinreichend tragfähigen tatsächlichen Anhaltspunkte dafür dokumentiert sind, dass eine öffentliche Zurschaustellung von unter Verstoß gegen §§ 22, 23 KunstUrhG erlangten Lichtbildern oder Videoaufzeichnungen konkret zu befürchten war.
Der bloße Umstand, dass die Aufnahmen – wie vorliegend – mittels eines Smartphones und damit eines Gerätes, erfolgten, das es einem Versammlungsteilnehmer ermöglicht, etwaige Aufnahmen bei bestehender Internetverbindung unmittelbar zu verbreiteten bzw. zu veröffentlichen, stellt für sich genommen keinen tragfähigen tatsächlichen Anhaltspunkt dafür dar, dass im Einzelfall auch die konkrete, Gefahr bestand, dass eine solche unzulässige Verbreitung oder Veröffentlichung konkret zu befürchten war. Dies gilt im vorliegenden Fall umso mehr, da hier die ernstzunehmende Möglichkeit bestand, dass es sich bei der Anfertigung der Aufnahmen durch den Antragstellerum eine bloße Reaktion auf die durch die Polizei gefertigten Bild- und Tonaufzeichnungen handelte.
Auch aus den Angaben des Zeugen PK xxx lassen sich zureichende tatsächliche Anhaltspunkte, die den, Anfangsverdacht eines strafbewehrten Verstoßes gegen § 33 KunstUrhG begründen, nicht entnehmen. Insbesondere folgt ein solcher Anfangsverdacht auch nicht aus den eigenen Angaben des Antragstellers vor Ort. So soll der Antragsteller was von ihm bestritten wird – nach Belehrung zwar eingeräumt haben, dass er Portraitaufnahmen von Polizeibeamten gefertigt habe und eine „Cloud“ „besitze“, in welche die Aufnahmen automatisch hochgeladen würden. Auch ein solches Hochladen in die eigene Cloud stellt indes grundsätzlich kein gemäß § 33 KunstUrhG strafbewehrtes Verbreiten oder öffentliches zur Schaustellen von Bildnissen dar.
Schließlich lässt sich ein auf Tatsachen basierter Verdacht einer nach § 33 Abs. 1 KunstUrhG strafbaren Handlung durch den Antragsteller auch in Ansehung der mit Vermerk vom 18.12.2018 mehr als dreieinhalb Monate nach der Veranstaltung aktenkundig gemachten Wahrnehmungen des PK xxx nicht feststellen. Der Akte lässt sich nicht entnehmen, dass das hierin geschilderte Geschehen, mithin die Veröffentlichung eines Lichtbilds des PK xxx und PK xxx über die App Snapchat, zum Zeitpunkt der Durchführung der hier im Raum stehenden Maßnahme überhaupt bereits polizeilich bekannt war. Eher gegen eine solche Annahme spricht der Umstand, dass in diesem Fall zu erwarten gewesen wäre, dass sich auch der unmittelbar betroffene Zeuge PK xxx bereits in seinem Vermerk vom 10.10.2018 hierzu verhalten hätte. Auch der Umstand, dass der zur Akte gereichte Screenshot der Aufnahme als Uhrzeit „20:51″ erkennen lässt, spricht gegen die Vermutung, dass diese Erkenntnisse den die Beschlagnahme anordnenden Polizeibeamten zum maßgeblichen Zeitpunkt bereits vorlagen.