1. Entscheidungen des Bundessozialgerichts zur Grundsicherung nach dem (SGB II)
1.1 – BSG, Urt. v. 14.05.2020 – B 14 AS 7/19 R
Jobcenter dürfen Kontoauszüge und andere wichtige Unterlagen über die Einkommensverhältnisse der Hartz-IV-Empfänger zehn Jahre lang speichern.
Orientierungshilfe (Redakteur)
1. Das Jobcenter hatte die zur Leistungsakte genommenen Kontoauszüge der Klägerin noch nicht zu löschen.
2. Jobcenter dürfen Kontoauszüge und andere wichtige Unterlagen über die Einkommensverhältnisse der Hartz-IV-Empfänger zehn Jahre lang speichern.
Kurzfassung:
Allerdings beurteilt sich das nach der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) und nicht nach der Rechtslage im Zeitpunkt der Behördenentscheidung. Seit Geltungsbeginn der DSGVO am 25. Mai 2018 richtet sich die weitere Verarbeitung von Sozialdaten etwa durch fortdauernde Speicherung ausschließlich nach der DSGVO und dem ergänzenden nationalen Recht. Ob die Klägerin die Entfernung der in der Leistungsakte gespeicherten Kontoauszüge verlangen kann, bestimmt sich deshalb nach dem Recht auf Löschung aus Art 17 DSGVO. Danach sind Kontoauszüge zu löschen, sofern sie bereits zu Beginn unbefugt verarbeitet wurden oder die Befugnis zur weiteren Speicherung inzwischen weggefallen ist.
Beides ist nicht der Fall, weil sich der Beklagte seit Beginn der Erhebung auf ausreichende Verarbeitungsbefugnisse stützen konnte und im Zeitpunkt der Revisionsentscheidung weiter kann. Jobcenter dürfen Sozialdaten erheben, speichern oder auf andere Weise verarbeiten, wenn dies für ihre Aufgaben erforderlich ist und beim Speichern der Erhebungszweck gewahrt ist (§ 67a Abs 1 Satz 1, § 67c Abs 1 Satz 1 SGB X). Danach dürfen Sozialdaten verarbeitet werden, soweit sie für die Aufgabenerfüllung des Jobcenters nicht ungeeignet sind und ihm zumutbar keine andere Mittel zur Verfügung stehen, die den Betroffenen weniger belasten. Danach beansprucht es der Beklagte zu Recht, sich bei Antragstellung Kontoauszüge vorlegen zu lassen und Kontoauszüge mit Angaben zu Zahlungseingängen für einen Zeitraum von zehn Jahren nach Bekanntgabe der Leistungsbewilligung zu speichern.
Quelle: www.bsg.bund.de
Hinweis:
Jobcenter dürfen Kontoauszüge und andere wichtige Unterlagen über die Einkommensverhältnisse der Hartz-IV-Empfänger zehn Jahre lang speichern.
Dies ist auch nach der EU-Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) gerechtfertigt, weil es über diesen Zeitraum noch zu Änderungen kommen kann
weiter: de.nachrichten.yahoo.com
1.2 – BSG, Urt. v. 14.05.2020 – B 14 AS 10/19 R
Grundsicherung für Arbeitsuchende – sozialrechtliches Verwaltungsverfahren – Überprüfungsverfahren – Aufhebungs- und Erstattungsbescheid – Anwendbarkeit des § 40 Abs 1 S 2 SGB 2 nF auf vor dem 1.8.2016 gestellte Überprüfungsanträge – hinreichende Bestimmtheit
§ 40 Abs 1 S 2 SGB 2 in der ab dem 1.8.2016 geltenden Fassung ist auf Überprüfungsanträge, die bis zum 31.7.2016 gestellt wurden, nicht anwendbar.
Orientierungshilfe (Redakteur)
Einem vor dessen Inkrafttreten gestellten Überprüfungsantrag steht die Ausschlussregelung des § 40 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB II nicht entgegen und der streitbefangene Aufhebungs- und Erstattungsbescheid ist aufzuheben.
Kurzfassung:
Mit der zum 1.8.2016 eingeführten Regelung des § 40 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB II hat der Gesetzgeber nach Entstehungsgeschichte, Regelungssystematik und den Gesetzgebungsmaterialien auf die Rechtsprechung des BSG reagiert, wonach die vorher eingeführte zeitliche Begrenzung der Überprüfung von Bewilligungsbescheiden nach dem SGB II nur für nachträglich zu erbringende Geldleistungen gilt. Mit der Neuregelung hat er auch die Möglichkeit beschränkt, sonstige rechtswidrige Bescheide nach dem SGB II zeitlich unbegrenzt zur Überprüfung zu stellen. Das kommt einer materiellen Rechtsänderung gleich und ist deshalb auf vor Inkrafttreten der Regelung gestellte Überprüfungsanträge nur anzuwenden, wenn das im Übergangsrecht klar zum Ausdruck kommt. Das ist nicht der Fall, weil die Vorschrift des § 77 Abs 13 SGB II die Änderungen zum 1.8.2016 durch das 9. SGB II-ÄndG nicht betreffen und die Übergangsregelung des § 80 SGB II zum 9. SGB II-ÄndG keine Vorgabe zu § 40 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB II trifft.
Quelle: www.bsg.bund.de
2. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)
2.1 – LSG München, Urteil v. 24.09.2019 – L 7 AS 417/19
Leitsatz (Juris)
Krankheitsmehrkosten können ein Abwägungselement bei der Ermessensentscheidung über die Rückforderung eines Mietkautionsdarlehens darstellen.
Quelle: www.gesetze-bayern.de
2.2 – Bayerisches Landessozialgericht, Urteil v, 29.04.2020 – L 11 AS 656/19 – Revision zugelassen
Zur Frage der Übernahme von Garagenkosten.
Zur Frage, ob Kosten für Unterkunft und Heizung überhaupt vorliegen, danach zu beantworten ist, ob der Leistungsberechtigte die Wohnung ohne die anderen Bestandteile wie Garage oder Stellplatz anmieten oder behalten kann, während die Untervermietung eine – ggf. zeitlich beschränkte – Kostensenkungsmöglichkeit darstellt.
Orientierungshilfe (Redakteur)
1. In einem ersten Schritt ist zu überprüfen, ob Kosten einer Garage oder eines (Tiefgaragen-)Stellplatzes, die grundsätzlich nicht zu den Bedarfen für Unterkunft und Heizung rechnen, weil Stellplätze nicht Wohnzwecken dienen, diesen Bedarfen ausnahmsweise doch, und zwar deshalb zuzuschlagen sind, weil die konkret im Streit stehende Wohnung nur zusammen mit der Garage oder dem Stellplatz anmietbar ist („fehlende Abtrennbarkeit“). Stellen die Aufwendungen für Garage oder Stellplatz solcherart ausnahmsweise Unterkunftsbedarfe im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II dar, hat bei der Prüfung der Übernahmefähigkeit dieser Aufwendungen im zweiten Schritt konsequenterweise auch zu gelten, dass sie anerkannt werden, soweit die Gesamtaufwendungen für die untrennbar verbundenen Gegenstände des Mietvertrages (Wohnung mit Stellplatz) angemessen sind (dies folgt direkt aus § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II), und dass im Falle, dass diese Gesamtaufwendungen sich als unangemessen darstellen, das Verfahren nach § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II anzuwenden ist. Erst in diesem Rahmen und nicht bei der Frage der Abtrennbarkeit ist die Möglichkeit der Untervermietung zu prüfen.
2. Die Untervermietung ist keine Maßnahme zur Herstellung der Abtrennbarkeit der Garagenmiete von der Wohnungsmiete. Der Gegenauffassung des LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 21.09.2018 – L 12 AS 346/18 -), die dieses zuerst im Hinblick auf § 42 Nr. 4 i.V.m. § 35 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) entwickelt hat (Urteil vom 10.12.2014 – L 2 SO 4042/14 -, zitiert nach juris), überzeugt jedenfalls im Kontext des SGB II nicht.
Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de
Hinweis: Leitsatz (Juris)
Aufwendungen für eine Garage oder einen (Tiefgaragen-) Stellplatz stellen ausnahmsweise Unterkunftsbedarfe gem. § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II dar, wenn die konkret im Streit stehende Wohnung nur zusammen mit der Garage oder dem Stellplatz angemietet oder behalten werden kann („fehlende Abtrennbarkeit“). Die rechtliche oder tatsächliche Möglichkeit der Untervermietung von Garage oder (Tiefgaragen-) Stellplatz gehört systematisch nicht zur Frage der Abtrennbarkeit in diesem Sinne, sondern zur Frage, ob der Leistungsberechtigte im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II zur Kostensenkung verpflichtet ist. Sind die Gesamtaufwendungen für die Bruttokaltmiete inklusive der nicht abtrennbaren Aufwendungen für eine Garage oder einen (Tiefgaragen-) Stellplatz angemessen, sind diese vom Träger der Grundsicherung nach dem SGB II zu übernehmen.
2.3 – Sächsisches Landessozialgericht, Urt. v. 06.02.2020 – L 3 AS 741/17
Zusicherung für erforderlichem Umzug – neue Zusicherung sei nicht wegen einer geänderten Sach- und Rechtslage entfallen, hier Inkrafttreten eines neuen schlüssigen Konzepts
Orientierungshilfe (Redakteur)
Die Bindung des Beklagten an die Zusicherung sei nicht wegen einer geänderten Sach- und Rechtslage entfallen. Denn diese sei nicht auf der Grundlage eines schlüssigen Konzepts zur Ermittlung von KdU-Angemessenheitsgrenzen, sondern im Hinblick auf den durch den Städteumbau geschuldeten kurzfristigen Wohnungsbedarf erteilt worden. Das Inkrafttreten eines neuen schlüssigen Konzepts habe daher die der Zusicherung zugrundeliegenden Sachlage nicht geändert.
Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de
3. Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)
3.1 – SG Dortmund, Beschluss vom 16.04.2020 – S 33 AS 2069/19
Orientierungshilfe (RA Johannes Christian Heemann, 01099 Dresden):
Bei einem Wohnortwechsel kann das Jobcenter bewilligte Leistungen nicht ohne Weiteres entziehen. Dies ergibt sich aus § 2 Abs. 3 S. 1 SGB X, wonach bei einem Wechsel der örtlichen Zuständigkeit die bisher zuständige Behörde die Leistungen noch solange zu erbringen hat, bis sie von der nunmehr zuständigen Behörde fortgesetzt werden.
Rechtstipp:
Schleswig-Holsteinisches LSG, Urteil vom 12.04.2011 – L 6 AS 45/10; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 27.01.2015 – L 4 AS 969/13 NZB; SG Berlin, Beschluss vom 11.09.2014 – S 147 AS 20920/14; SG Berlin, Beschluss vom 01.10.2018 – S 123 AS 9514/18 ER.
Zum SGB XII: Sozialgericht Konstanz, Urteil vom 17.11.2015 – S 8 SO 1418/15 – rechtskräftig
4. Entscheidungen der Sozialgerichte zum Arbeitsförderungsrecht (SGB III)
4.1 – Sozialgericht Karlsruhe, Urt. v. 30.01.2020 – S 11 AL 3366/18
Arbeitslosenversicherung: Verhängung einer Sperrzeit wegen Ablehnung einer beruflichen Eingliederungsmaßnahme – wichtiger Grund – Unzumutbarkeit der Teilnahme an Maßnahme
Leitsatz (Juris)
Auch unter Berücksichtigung vorhandener Vorkenntnisse sind an die Eignungsprognose der zugewiesenen Maßnahme keine überspannten Anforderungen zu stellen.
Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de
5. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Sozialhilfe (SGB XII)
5.1 – Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss v. 14.04.2020 – L 18 SO 153/18 NZB
Orientierungshilfe (Redakteur)
Sozialamt muss keine Kosten übernehmen für nicht verschreibungspflichtige Medikamente wie Gelomyrtol forte Kapseln und Legalon forte Kapseln sowie für die Beschaffung der nicht verschreibungspflichtigen Teststreifen zur Blutzuckermessung.
Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de
6. Entscheidungen der Verwaltungsgerichte zum Asylrecht
6.1 – VG Münster, Beschluss v. 12.05.2020 – 5 L 399/20
Orientierungshilfe (Redakteur)
Verpflichtung des Asylbewerbers, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen, kann aus Gründen der öffentlichen Gesundheitsvorsorge beendet werden.
Quelle: ggua.de
7. Verschiedenes zu Hartz IV, zur Sozialhilfe, zum Asylrecht, Wohngeldrecht und anderen Gesetzesbücher
7.1 – Anmerkung zu: BSG 14. Senat, Urteil vom 30.10.2019 – B 14 AS 2/19 R
Autor: Dr. Bettina Karl, Ri’in LSG
Übernahmefähigkeit von Doppelmieten im Umzugsmonat
Orientierungssatz zur Anmerkung
Im Ausnahmefall ist vom Leistungsträger eine Doppelmiete für den Monat des Umzugs in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen für den ganzen Monat nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II zu über-nehmen.
Die Regelungen nach § 22 Abs. 1 und Abs. 6 SGB II stehen hinsichtlich der Unterkunftsbedarfe in Umzugssituationen nicht in einem Entweder-Oder-Verhältnis. Abgrenzungsmerkmal ist die tatsächliche Nutzung der Unterkunft im Umzugsmonat.
Quelle: www.juris.de
7.2 – Sozialgericht Konstanz, Beschluss v. 02.04.2020 – S 1 AS 560/20 ER
Notbevorratung ist kein Mehrbedarf
Anmerkung von Wiss. Mitarbeiterin Madeleine Beul, Plagemann Rechtsanwälte Partnerschaft mbB, Frankfurt am Main
weiter: rsw.beck.de
7.3 – Arbeitshilfe zu Unionsbürgerinnen: SGB-II-Leistungsansprüche für unverheiratete Eltern mit gemeinsamen Kindern
Diese Arbeitshilfe als pdf gibt es hier: ggua.de
7.4 – Corona-Krise: Schwangere Asylsuchende muss nicht in Aufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge wohnen
Das VG Münster hat in einem Eilverfahren entschieden, dass eine schwangere Asylsuchende wegen Corona-Ansteckungsgefahr nicht weiter in einer Aufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge wohnen muss.
weiter: www.juris.de
7.5 – EuGH-Generalanwalt zum SGB II-Leistungsausschluss für „EU-Ausländer“
Generalanwalt Giovanni Pitruzzella ist der Auffassung, dass der Leistungsausschluss von Unionsbürgern, die über ein Aufenthaltsrecht aus Artikel 10 VO (EU) 492/2011 verfügen, gegen das unionsrechtliche Gleichbehandlungsgebot verstößt.
weiter: www.juris.de
S. a. dazu:
Deutschem Jobcenter droht Niederlage vor dem EuGH
weiter: www.finanzen.net
7.6 – Die Sanktionen nach dem SGB II – Karlsruhe locuta, causa finita? von Prof. Dr. Marc Sieper, Mag. rer. publ., JM 5/2020,202
weiter: www.juris.de
Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock
Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker