Verwaltungsgericht Lüneburg – Urteil vom 11.09.2020 – Az.: 5 A 236/18

URTEIL

In der Verwaltungsrechtssache
1. xxx
2. xxx,

– Kläger –

Prozessbevollmächtigter:
zu 1-2: Rechtsanwalt Adam,
Lange Geismarstraße 55, 37073 Göttingen

gegen

Polizeidirektion Lüneburg,
Auf der Hude 2, 21339 Lüneburg – 22 – 22.21 –

– Beklagte –

wegen Hausdurchsuchung,

hat das Verwaltungsgericht Lüneburg – 5. Kammer – ohne mündliche Verhandlung am 11. September 2020 durch den Richter am Verwaltungsgericht xxx als Einzelrichter für Recht erkannt:

Es wird festgestellt, dass die von Beamten der Beklagten durchgeführte Hausdurchsuchung bei den Klägern in den frühen Morgenstunden des 19. September 2018 rechtswidrig war

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.

TATBESTAND

Die Kläger, die ein Haus in der xxx in xxx bewohnen, begehren die Fest-stellung, dass ein Polizeieinsatz in ihrer Wohnung am 19. September 2018 rechtswidrig war.

Mit Schreiben vom 14. August 2018 stellte die Landesaufnahmebehörde Niedersachsen an die Beklagte Vollzugshilfeersuchen, um drei nigerianische Asylbewerber am 19. September 2019 nach Italien abschieben zu können. Die Flüge sollten um 7.30 Uhr bzw. 8.00 Uhr ab Hamburg starten.

Am 19. September 2018 suchten fünf Polizeibeamten zusammen mit zwei Mitarbeitern der Landesaufnahmebehörde Niedersachsen sowie einer Mitarbeiterin der zuständigen Ausländerbehörde gegen 1.45 Uhr die den Ausländern zugewiesene Flüchtlingsunterkunft im xxx in xxx auf. Die Ausländer wurden dort nicht angetroffen. Im Eingangsbereich wurde ein schriftlicher Hinweis festgestellt, dass sich mindestens einer der Ausländer bei „xxx“ in der xxx in xxx aufhalten solle.

Im Anschluss suchten die Polizisten zusammen mit den Mitarbeitern der Landesaufnahmebehörde und der Ausländerbehörde die Wohnanschrift der Kläger auf. Zunächst öffnete der Mitbewohner der Kläger die Tür, bevor der Kläger zu 2. mit den Polizisten sprach. In Absprache mit der Klägerin zu 1. wurde den Polizisten der Zutritt zur Wohnung nicht gewährt. Die Polizisten betraten daraufhin die Wohnung und nahmen die Innenräume und das Hofgelände um das Haus herum in Augenschein. Die gesuchten Personen konnten dort nicht festgestellt werden.

Die Kläger haben am 7. Oktober 2019 Klage erhoben.

Sie tragen vor, der Polizeieinsatz sei rechtswidrig gewesen. Weder ihr Mitbewohner noch sie selbst hätten den Polizisten gegenüber geäußert, dass sich die drei Ausländer in ihrer Wohnung aufhielten. Zudem habe in ihrer Wohnung keine Tür geklappt, da im hinteren Bereich niemand gewesen sei. Die Klage sei gegen die Beklagte zu richten, da nicht die Wohnung der Abzuschiebenden, sondern ihre Wohnung durchsucht worden sei. Auch hätten die Beamten nicht mitgeteilt, in Vollzugshilfe für die Ausländerbehörde tätig zu sein. Auch die Art und Weise der Durchsuchung sei rechtswidrig gewesen, da insgesamt sieben Polizeibeamte die Wohnung durchsucht hätten. Dies sei nicht erforderlich gewesen.

Die Kläger beantragen schriftsätzlich,

festzustellen, dass die von Beamten der Beklagten durchgeführte Hausdurchsuchung bei ihnen in den frühen Morgenstunden des 19. September 2018 rechtswidrig war.

Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,

die Klage abzuweisen.

Sie trägt vor, die Klage sei bereits unzulässig, da sie gegen die Landesaufnahmebehörde Niedersachsen hätte gerichtet werden müssen. Diese sei zuständig für die Durchführung der Abschiebung, sie selbst habe lediglich Amtshilfe geleistet. Originär polizeiliche Maßnahmen seien nicht angewandt worden. Das Betreten der Wohnung habe zu der Grundmaßnahme, der Durchführung der Abschiebung, gehört. Richtiger Klagegegner für die Grundmaßnahme sei die Fachbehörde. Es seien zwei Mitarbeiter der Landesaufnahmebehörde Niedersachsen und eine Mitarbeiterin der Ausländerbehörde vor Ort gewesen. Das Handeln der Polizeivollzugsbeamten sei kein selbständiger Eingriff in eine Rechtsposition der Kläger gewesen. Zudem bestehe kein Feststellungsinteresse, da nicht von einer Wiederholungsgefahr auszugehen sei. Die Klage sei zudem unbegründet, da es sich lediglich um ein Betreten der Wohnung und nicht um eine Durchsuchung gehandelt habe. Dieses sei nach § 24 Abs. 5 Nr. 2 NSOG rechtmäßig und jederzeit möglich gewesen. Ein ziel-  und zweckgerichtetes Suchen habe nicht stattgefunden, weshalb es sich nicht um eine Durchsuchung gehandelt habe. Aufgrund der Information in der Flüchtlingsunterkunft sowie Aussagen des Mitbewohners und der Kläger selbst hätten die eingesetzten Polizisten davon ausgehen dürfen und seien davon überzeugt gewesen, in der Wohnung die Ausländer anzutreffen. Zudem hätten sie während des Gesprächs mit den Klägern Türgeräusche im hinteren Teil der Wohnung vernommen. Es habe jedoch kein Sichtkontakt mit den Betroffenen bestanden. Aufgrund der Geräusche seien die Polizisten davon ausgegangen, dass die Ausländer aus der ebenerdigen Wohnung flüchten wollten. Zwecks Nachschau sei die Wohnung betreten worden, wobei zu Eigensicherungszwecken die direkt anliegenden Wohnbereiche, ein offener unübersichtlicher Flur mit Vorhang sowie der Wohnbereich durch die eingesetzten Kräfte in Augenschein genommen worden sei. Auch das angrenzende Gartengrundstück sei betreten worden. Die Einsatzleiterin habe die eingesetzten Kräfte zu Beginn der Maßnahme darauf hingewiesen, dass keine Durchsuchung der Wohnung stattfinden dürfte. Die Ausländer seien nicht angetroffen worden. Sofern von einer Durchsuchung der Wohnung auszugehen sei, hätte Gefahr im Verzug vorgelegen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen.

 

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE

Die Klage hat Erfolg.

Über die Klage konnte der Einzelrichter ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten ihr Einverständnis hierzu erklärt haben (§ 101 Abs. 2 VwGO). Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 4. Mai 2020 ihr „Einverständnis mit der beabsichtigten Übertragung des Rechtsstreits auf die Einzelrichterin sowie zu deren Entscheidung ohne mündliche Verhandlung“ erklärt. Die Kläger haben sich mit Schreiben vom 4. September 2020 ebenfalls mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung ein-verstanden erklärt. Unbeachtlich ist insoweit, dass die Beklagte ihr Einverständnis mit Schriftsatz vom 8. September 2020 widerrufen hat. Sie hat dies begründet mit rechtlichen Hinweisen des Einzelrichters, insbesondere dem rechtlichen Hinweis vom 24. August 2020, durch den sich eine neue Prozesslage ergeben habe.

Das Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung ist als Prozesshandlung grundsätzlich unwiderruflich und unanfechtbar (Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 26. Aufl. 2020, § 101 Rn. 5; BVerwG, Beschl. v. 04.06.2014 – 5 B 11/14 -, juris, Rn. 11). Der Verzicht auf mündliche Verhandlung bezieht sich seinem Inhalt nach lediglich auf die nächste Entscheidung des Gerichts und wird – wenn diese kein abschließendes Urteil ist – dadurch verbraucht. Er ist deshalb dann nicht mehr wirksam, wenn nach diesem Verzicht ein Beweisbeschluss ergeht, den Beteiligten durch einen Auflagenbeschluss eine Stellungnahme abgefordert wird oder Akten zu Beweiszwecken beigezogen oder sonst neue Erkenntnismittel in den Prozess eingeführt werden. Eine Änderung der Prozesslage führt hingegen im Verwaltungsprozess weder von selbst zur Unwirksamkeit eines einmal erklärten Verzichts auf mündliche Verhandlung noch – wie in § 128 Abs. 2 Satz 1 ZPO vorgesehen – zu dessen Widerruf-barkeit (BVerwG, Beschl. v. 04.06.2014 – 5 B 11.14 -, juris, Rn. 11). Das Verfahren der Entscheidung ohne mündliche Verhandlung hat in § 101 Abs. 2 VwGO für den Verwaltungsprozess eine eigenständige Regelung erfahren, weshalb für eine Anwendung des § 128 ZPO über § 173 VwGO daneben kein Raum ist (BVerwG, Beschl. v. 13.12.2013 – 6 BN 3.13 -, juris, Rn. 10). Zwar steht es im Ermessen des Gerichts, ob es trotz wirk-samen Verzichts ohne mündliche Verhandlung entscheidet. Das Gericht hat in diesem Zusammenhang dafür einzustehen, dass trotz der unterbleibenden mündlichen Verhandlung das rechtliche Gehör der Beteiligten nicht verletzt wird. Danach kann etwa die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung erforderlich sein, wenn ein Beteiligter geltend macht, eine wesentliche Änderung der Prozesslage erfordere unter dem Gesichtspunkt seines rechtlichen Gehörs deren Durchführung (BVerwG, Beschl. v. 13.12.2013 – 6 BN 3.13 -, juris, Rn. 12).

Eine solche Lage liegt hier nicht vor. Eine wesentliche Änderung der Prozesslage kommt sowohl bei einer Änderung der für die Urteilsfällung maßgeblichen materiellen Rechtslage als auch bei einer (etwa durch neuen Vortrag bedingten) Änderung des entscheidungserheblichen Sachverhalts in Betracht (Störmer, in: Fehling/Kastner/Störmer (Hrsg.), Verwaltungsrecht, 4. Aufl. 2016, § 101 VwGO Rn. 9). Ein für den Kläger ungünstiger Ausgang einer Beweiserhebung stellt hingegen keine wesentliche Änderung der Prozesslage dar, weil in der Natur der Sache liegt, dass die Beweiserhebung zu einem entsprechenden Ergebnis führen kann (OVG Lüneburg, Beschl. v. 16.12.2003 – 13 LA 355/03 -, juris, Rn. 2 f.). Vorliegend hat sich weder die materielle Rechtslage noch der entscheidungserhebliche Sachverhalt geändert. Vielmehr hat der Einzelrichter lediglich am 3. Juni 2020 und 24. August 2020 rechtliche Hinweise erteilt, um auf seine vorläufige rechtliche Einschätzung hinzuweisen und den Beteiligten – zur Wahrung rechtlichen Gehörs – die Möglichkeit der Stellungnahme hierzu zu geben. Von dieser Möglichkeit hat die Beklagte auch Gebrauch gemacht. Insbesondere der Hinweis in dem rechtlichen Hinweis vom 24. August 2020 auf ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts Hamburg, das über eine ähnliche Fragestellung zu entscheiden hatte, stellt entgegen der Ansicht der Beklagten keine Änderung der Prozesslage dar. Durch das Urteil ändert sich die maßgebliche materielle Rechtslage nicht. Eine bloße, in einem Hinweis mitgeteilte Abweichung der Rechtsauffassung des Einzelrichters von der Rechtsauffassung eines Prozessbeteiligten stellt hingegen keine wesentliche Änderung der Prozesslage dar. Die Beklagte hatte hinreichend Möglichkeit, ihre Rechtsauffassung schriftlich vorzutragen – wovon sie auch Gebracht gemacht hat -, weshalb die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht notwendig gewesen ist.

Die Klage ist zulässig und begründet.

Sie ist als Feststellungsklage gemäß § 43 Abs. 1 VwGO zulässig. Nach § 43 Abs. 1 VwGO kann durch eine Klage die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt werden, wenn die Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung haben. Diese Voraussetzungen liegen vor. Das nach § 43 Abs. 1 VwGO erforderliche Feststellungsinteresse folgt aus dem Gesichtspunkt der Re-habilitation, weil in ein besonders gewichtiges Grundrecht, den Schutz der Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 GG), eingegriffen worden ist. Auch bei – wie hier – in der Vergangenheit liegenden Maßnahmen ist das Feststellungsinteresse insbesondere bei tiefgreifenden Grundrechtseingriffen zu bejahen, wenn eine gerichtliche Entscheidung vor Beendigung der in die Grundrechte eingreifenden Maßnahme nicht zu erlangen war (BVerfG, Beschl. v. 31.01.2017 – 1 BvR 1259/16 -, juris, Rn. 14). Ob darüber hin-aus eine Wiederholungsgefahr vorliegt, ist deshalb unbeachtlich.

Die Beklagte ist zudem die richtige Klagegegnerin. Sie und nicht die zuständige Ausländerbehörde ist passivlegitimiert. Die Beklagte handelte unmittelbar gegenüber den Klägern, indem die Polizeibeamten der Beklagten die Wohnung der Kläger betraten. Eine Passivlegitimation der Ausländerbehörde folgt nicht daraus, dass sie die Beklagte um Amtshilfe bei der Abschiebung ersuchte. Soweit eine Amtshilfehandlung in einem selbständigen Eingriff in Rechtspositionen des Bürgers bestehen, können sie selbständig angefochten und einer gerichtlichen Überprüfung zugeführt werden (Ramsauer, in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, 21. Aufl. 2020, § 7 Rn. 12a; Shirvani, in: Mann/Senne-kamp/Uechtritz, VwVfG, 2. Aufl. 2019, § 7 Rn. 16; s. auch VG Oldenburg, Urt. v. 06.06.2012 – 11 A 3099/12 -, juris, Rn. 16). Dies folgt auch aus § 51 Abs. 2 Satz 1 des Niedersächsischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (Nds. SOG) vom 19. Januar 2005 (Nds. GVBl. S. 9), in der zum Zeitpunkt der Hausdurchsuchung geltenden Fassung vom 25. Mai 2018 (Nds. GVBl. S. 66). Danach ist die Polizei im Rahmen der Vollzugshilfe nur für die Art und Weise der Durchführung verantwortlich. Dies entspricht der Regelung in § 7 Abs. 2 Satz 2 VwVfG, nach der bei der Amtshilfe die ersuchte Behörde für die Durchführung der Amtshilfe verantwortlich ist. Die ersuchende Behörde, hier: die zuständige Ausländerbehörde, ist somit verantwortlich für die Hauptmaßnahme, weshalb die durch die Hauptmaßnahme betroffenen Personen ihre Recht grundsätzlich gegenüber der hierfür verantwortlichen ersuchenden Behörde geltend machen müssen. Die ersuchte Behörde, hier: die Beklagte, ist hingegen verantwortlich für die Rechtmäßigkeit der Rechtshilfemaßnahme als solche (vgl. Ramsauer, in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, 21. Aufl. 2020, § 7 Rn. 12 f.). Vorliegend geht es aber gerade nicht um die Rechtmäßigkeit der Hauptmaßnahme, also die Rechtmäßigkeit der Abschiebung. Dies gilt insbesondere, da die Kläger nicht Adressaten der Hauptmaßnahme waren und sich nicht gegen die Abschiebung der Ausländer hätten wenden können. Die Kläger waren ausschließlich von der Rechtshilfemaßnahme in Form des Einsatzes der Polizisten in ihrer Wohnung betroffen, weshalb sich die Kläger mit ihrer Feststellungsklage unmittelbar gegen die Beklagte, die diese Maßnahme durchführte, wenden können. Dabei ist unerheblich, dass bei dem Einsatz ebenfalls Mitarbeiter der zuständigen Ausländerbehörde beteiligt waren. Denn der Einsatz in der Wohnung wurde durch die Beamten der Beklagten durchgeführt und letztlich auch verantwortet. So ergibt sich aus dem Einsatzprotokoll der beteiligten Polizeihauptkommissarin, dass die gesuchten Personen nicht im Sichtbereich festgestellt werden konnten und die Maßnahme daraufhin durch sie abgebrochen wurde. Dies zeigt, dass die Beamten der Beklagten die Wohnung betraten und über diesen Teil des Einsatzes entschieden, nicht aber die Ausländerbehörde.

Die Feststellungsklage ist auch begründet. Die Beklagte war nicht berechtigt, die Wohnung der Kläger in den frühen Morgenstunden des 19. September 2018 zu durchsuchen.

Die Ermächtigungsgrundlage für das Betreten und das Durchsuchen einer Wohnung sind in § 24 Nds. SOG geregelt. § 24 Abs. 5 Nr. 2 Nds. SOG ermöglicht ein jederzeitiges Betreten einer Wohnung, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich dort Personen aufhalten, die gegen aufenthaltsrechtliche Strafvorschriften verstoßen. § 24 Abs. 1 bis 4 Nds. SOG regeln hingegen die rechtlichen Voraussetzungen für das Durchsuchen einer Wohnung.

Die Maßnahme der Beklagten kann nicht auf die spezialgesetzliche Grundlage des § 58 Abs. 5 oder Abs. 6 AufenthG in der zum Zeitpunkt der Entscheidung des Einzelrichters geltenden Fassung gestützt werden. Zwar ermächtigt § 58 Abs. 5 AufenthG dazu, soweit der Zweck der Durchführung der Abschiebung es erfordert, die Wohnung des abzuschiebenden Ausländers zu dem Zweck seiner Ergreifung zu betreten, wenn Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass sich der Ausländer dort befindet, und ermächtigt § 58 Abs. 6 AufenthG die die Abschiebung durchführende Behörde, soweit der Zweck der Durchführung der Abschiebung es erfordert, eine Durchsuchung der Wohnung des abzuschiebenden Ausländers und, wenn Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass der Ausländer sich in den zu durchsuchenden Räumen befindet, die Durchsuchung der Wohnung eines Dritten zum Zwecke seiner Ergreifung vorzunehmen. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist jedoch das tatsächliche Handeln der Beklagten, da dies der Zeitpunkt ist, für den die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Maßnahme begehrt wird (vgl. OVG Hamburg, Urt. v. 18.08.2020 – 4 Bf 160/19 -, juris, Rn. 28). § 58 Abs. 4 bis 10 AufenthG wurden allerdings erst mit dem am 21. August 2019 in Kraft getretenen Zweiten Gesetz zur besseren Durchführung der Ausreisepflicht (v. 15.8.2019, BGBl. I S. 1294) und damit nach der streitgegenständlichen Maßnahme am 19. September 2018 eingefügt.

Die polizeiliche Maßnahme am 19. September 2018 zur Abschiebung der drei Ausländer stellte nach Auffassung des Einzelrichters eine Hausdurchsuchung dar, so dass die Voraussetzungen von § 24 Abs. 1 bis 4 Nds. SOG vorgelegen haben müssten. Dies war jedoch nicht der Fall.

Das Oberverwaltungsgericht Hamburg hat in seinem Urteil vom 18. August 2020 (Az. 4 Bf 160/19 -, juris, Rn. 33) zu der Abgrenzung zwischen dem Betreten und der Durchsuchung ausgeführt:

„b) Die Maßnahme der Beklagten stellte eine Durchsuchung dar. Für eine Durchsuchung im Sinne des Art. 13 Abs. 2 GG ist das ziel- und zweckgerichtete Suchen staatlicher Organe nach Personen oder Sachen oder zur Ermittlung eines Sachverhalts kennzeichnend. Zweck der Durchsuchung ist es, etwas aufzuspüren, was der Inhaber der Wohnung von sich aus nicht herausgeben oder offenlegen will (BVerfG, Beschl. v. 18.9.2008, 2 BvR 683/08, ZIP 2008, 2027, juris Rn. 17; Beschl. v. 5.5.1987, 1 BvR 1113/85, BVerfGE 75, 318, juris Rn. 26). Durchsuchungen sind danach Mittel zum Auffinden und Ergreifen einer Person, zum Auffinden, Sicherstellen oder zur Beschlagnahme einer Sache oder zur Verfolgung von Spuren; „Durchsuchen“ bedeutet in diesem Zusammenhang, in der Wohnung etwas nicht klar zutage Liegendes, vielleicht Verborgenes aufzudecken oder ein Geheimnis zu lüften (BVerwG, Beschl. v. 7.6.2006, 4 B 36.06, NJW 2006, 2504, juris Rn. 3). Die Durchsuchung erschöpft sich nicht in einem Betreten der Wohnung, sondern umfasst als zweites Element die Vornahme von Handlungen in den Räumen (BVerfG, Beschl. v. 16.6.1987, 1 BvR 1202/84, BVerfGE 76, 83, juris Rn. 26; OVG Hamburg, Beschl. v. 23.10.1996, Bf V 21/96, NJW 1997, 2193, juris Rn. 12). Deshalb handelt es sich nicht immer schon dann um eine Durchsuchung, wenn bei dem Betreten und der Besichtigung einer Wohnung Dinge wahrgenommen werden, die offen zutage liegen, die der Wohnungsinhaber aber vor den zuständigen Behörden geheim halten möchte (BVerwG, Beschl. v. 7.6.2006, 4 B 36.06, NJW 2006, 2504, juris Rn. 4). Eine Durchsuchung liegt daher nicht vor, wenn der Eingriff in die Unverletzlichkeit der Wohnung nicht über ein Betreten und das Besichtigen offenliegender Gegenstände hinausgeht, auch wenn der Inhaber der Wohnung diese lieber dem Blick entzogen hätte (OVG Hamburg, Beschl. v. 23.10.1996, Bf V 21/96, NJW 1997, 2193, juris Rn. 12). Die Betretungs- und Besichtigungsrechte der Bauaufsichtsbehörden (BVerwG, Beschl. v. 7.6.2006, 4 B 36.06, NJW 2006, 2504, ju-ris Rn. 4) sowie der Überwachungsbehörden auf den Gebieten des Apotheken-, Handwerks-, Lebensmittel- und Wohnraumschutzrechts (vgl. BVerfG, Urt. v. 13.2.1964, 1 BvL 17/61 u.a., BVerfGE 17, 232, juris Rn. 70; Beschl. v. 13.10.1971, 1 BvR 280/66, BVerfGE 32, 54, juris Rn. 48; BVerwG, Urt. v. 5.11.1987, 3 C 52.85, BVerwGE 78, 251, juris Rn. 25; OVG Hamburg, Beschl. v. 23.10.1996, Bf V 21/96, NJW 1997, 2193, juris Rn. 13) sind deshalb von der Rechtsprechung nicht als Durchsuchung eingeordnet worden.“

Dieser Abgrenzung schließt sich der Einzelrichter an.

In Anwendung dieses Maßstabs stellte die Maßnahme der Beklagten ein Durchsuchen der Wohnung dar. Der Beklagten ging es – den von ihr geschilderten Sachverhalt zu-grunde gelegt – nicht darum, die Wohnung der Kläger lediglich zu betreten und zu besichtigen, sondern gezielt darum, die in der Wohnung vermuteten Ausländer aufzufinden. Sie griff dabei in einer für Durchsuchungen typischen Weise in das private Leben der Kläger und ihre räumliche Sphäre ein, denn der Gegenstand der Ermittlung der Beklagten war der private Lebensbereich der Kläger und die sich dort ggf. aufhaltenden Personen. Die Feststellung, ob sich die Ausländer in der Wohnung aufhalten, geschah nicht nur „nebenbei“ in Ausübung eines anderen Zwecken dienenden behördlichen Besichtigungs- und Betretungsrechts, sondern war das unmittelbare und einzige Ziel der Maßnahme. Die Beklagte betrat die Wohnung der Kläger nicht nur, um darin zu verweilen und einen bestimmten Sachverhalt festzustellen, sondern einen – wenn auch nach eigenem Vorbringen geringen – Aufwand betrieben, indem sie die Räumlichkeiten der Kläger in Augenschein nahm, um festzustellen ob sich die Kläger in der Wohnung befinden oder nicht (vgl. OVG Hamburg, Urt. v. 18.08.2020 – 4 Bf 160/19 -, juris, Rn. 34 m.w.N.; LG Verden, Beschl. v. 06.07.2004 – 6 T 120/04 -, InfAuslR 2004, 453 (454)).

Im Normalfall wird bei Betretungen im Zuge der Durchsetzung einer nicht angekündigten Abschiebung regelmäßig eine Durchsuchung vorliegen, da zielgerichtet nach der abzuschiebenden Person gesucht wird, die dann ergriffen werden soll. Etwas anderes mag gelten, wenn sich – anders als vorliegend – der ausreisepflichtige Ausländer ohne Weiteres durch den Eintritt in die Wohnung feststellen lässt, insbesondere weil der Wohnungsinhaber diesen nicht zu verbergen beabsichtigt (vgl. VG Oldenburg, Urt. v. 06.06.2012 – 11 A 3099/12 -, juris, Rn. 22).

Zwar ging die Beklagte davon aus, dass sich die Ausländer in der Wohnung aufhielten, denn nach ihrem Vorbringen war ihnen dies zuvor von den Klägern und ihrem Mitbewohner bestätigt worden. Angesichts der von der Beklagten geschilderten Wahrnehmung der eingesetzten Beamten, dass sie im hinteren Teil der Wohnung Türgeräusche gehört hätten und dass sie vermuteten, die Ausländer würden in diesem Moment versuchen, die Wohnung durch den vom Haupteingang abgewandten Bereich über das dort anschließende Grundstück zu verlassen, um sich – wie es aus Erfahrungen anderer ähnlicher Einsätze bekannt gewesen sei – der Maßnahme zu entziehen, war den Beamten nach der eigenen Schilderung des Sachverhalts nicht bekannt, ob sie die Ausländer in der Wohnung (noch) antreffen würden. Zudem sei für sie, wie die Beklagte mitgeteilt hat, nicht erkennbar gewesen, ob die Vereitelung der Maßnahme auf Wunsch der Betroffenen oder nur aus Initiative der Kläger erfolgen sollte, da ein Gespräch mit den Ausländern nicht möglich gewesen sei und auch kein Sichtkontakt bestanden habe. Für die Maßnahme sei der „offene[..] unübersichtliche[…] Flur mit Vor-hang sowie der Wohnbereich“ in Augenschein genommen worden. Dies zeigt, dass es der Beklagten gerade darum ging, etwas nicht offen zutage Liegendes aufzudecken, von dem die Beklagte nicht sicher sein konnte und auch, wie das eigene Vorbringen zeigt, nicht sicher war, ob sie dies tatsächlich vorfinden würde. Durch die – immerhin durch fünf Polizeibeamte durchgeführte – Inaugenscheinnahme des unübersichtlichen Flurs sowie des Wohnbereichs wird auch das zweite Tatbestandsmerkmal der Hausdurchsuchung – die Vornahme von Handlungen in den Räumen – erfüllt. Die Maßnahme erschöpfte sich nicht in einem reinen Betreten der Wohnung, sondern erforderte, da sich die Ausländer nicht in dem zuerst von den Beamten betretenen Zimmer befanden, ein gezieltes Umschauen, um sichergehen zu können, ob sich die Ausländer in der Wohnung aufhielten. Der Zweck des Betretens der Wohnung, das Auffinden der Ausländer, konnte nicht durch ein reines Betreten erfüllt werden, vielmehr bedurfte es eines zielgerichteten – wenn auch lediglich oberflächlichen – Suchens innerhalb der Wohnung der Kläger. Das Vorbringen, dass die eingesetzte Polizeihauptkommissarin xxx die eingesetzten Kräfte mehrmals darauf hingewiesen habe, dass keine Durchsuchung der Wohnung stattfinden dürfe, führt nicht zu einer anderen Bewertung. Auch wenn die eingesetzten Beamte davon ausgegangen sein mögen, die Wohnung lediglich zu betreten, ist in dem Betreten der Wohnung zum Auffinden der Ausländer und der Inaugenscheinnahme des unübersichtlichen Flurs sowie der Wohnräume, wie oben dargestellt, rechtlich ein Durchsuchen zu sehen.

Einer von der Beklagten angeregten Beweisaufnahme bedarf es nicht, da das tatsächliche Vorbringen der Beklagten als wahr unterstellt wird.

Die Durchsuchung der Wohnung der Kläger war rechtswidrig. Unabhängig davon, ob eine richterliche Anordnung wegen Gefahr in Verzug entbehrlich war (§ 25 Abs. 1 Nds. SOG), war die Durchsuchung wegen Verstoßes gegen § 24 Abs. 4 Nds. SOG rechtswidrig. Danach ist während der Nachtzeit das Betreten und Durchsuchen einer Wohnung nur in den Fällen des Absatzes 2 Nr. 3 und 4 und in den Fällen des Absatzes 3 zulässig. Vorliegend wurde die Wohnung gegen 3 Uhr durchsucht, also zur Nachtzeit i.S.d. § 104 Abs. 3 StPO. Die genannten Ausnahmen lagen nicht vor, da die Durchsuchung nicht zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person oder für Sachen von bedeutendem Wert erforderlich war (Abs. 2 Nr. 3), von der Wohnung keine Emissionen ausgingen, die nach Art, Ausmaß oder Dauer geeignet waren, die Gesundheit in der Nachbarschaft wohnender Personen zu beschädigen (Abs. 2 Nr. 4) und keine Tatsachen die Annahme rechtfertigten, dass sich in dem Gebäude eine Person befand, die widerrechtlich festgehalten wird oder hilflos ist und für die dadurch Gefahr für Leib oder Leben besteht (Abs. 3).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711, 709 Satz 2 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Berufung gemäß § 124 a Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder 4 VwGO durch das Verwaltungsgericht liegen nicht vor.

Es folgt die Rechtsmittelbelehrung.