Tacheles Rechtsprechungsticker KW 45/2020

1.   Entscheidungen des Bundessozialgerichts zur Grundsicherung nach dem (SGB II)

1.1 – Bundessozialgericht, Urt. v. 03.09.2020 – B 14 AS 43/19 R

Entzug der Fahrerlaubnis und Schadensersatz nach § 34 SGB II – Cannabiskonsum im Job muss nicht sozialwidrig sein

Orientierungshilfe (Redakteur)
Zum Entzug der Fahrerlaubnis und damit Anlass für die Kündigung seines Arbeitsverhältnisses als Taxifahrer gebende Personenbeförderung durch den Kläger unter Cannabiseinfluss hiernach als sozialwidrig anzusehen ist, wurde offengelassen.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

Rechtstipp:
S. a. Dazu aktuell: SG Hamburg, Gerichtsbescheid v. 30.09.2020 – S 49 AS 3784/18

Hinweis:
Cannabiskonsum im Job muss nicht „sozialwidrig“ sein
Nach dem Verlust des Arbeitsplatzes wegen Cannabiskonsums dürfen Jobcenter nicht generell gezahlte Hartz-IV-Leistungen wegen „sozialwidrigen Verhaltens“ später zurückfordern.

weiter: www.stuttgarter-nachrichten.de

2.   Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

2.1 – Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Beschluss v. 27.08.2020 – L 2 AS 361/20 B ER

Ersatzbeschaffung von Möbeln nach Kakerlakenbefall

Orientierungshilfe (Redakteur)
Kakerlakenbefall ist kein Grund für neue Möbel vom Jobcenter, denn anstatt diese Möbel in den Sperrmüll zu schmeißen, können diese auch gründlich gereinigt und dann weiterverwendet werden.

Leitsatz (Juris)
Grundsätzlich besteht kein Bedarf für die Ersatzbeschaffung von Möbeln, wenn diese von Kakerlaken befallen sind.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

Hinweis Redakteur
SG Reutlingen, Beschluss vom 13.11.2019 – S 4 AS 2464/19 ER

Schädlingsbekämpfung, Bettwanzen, Kosten der Unterkunft

Leitsatz
Kosten für die Schädlingsbekämpfung in einer Wohnung stellen Kosten der Unterkunft dar.

2.2 – Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Urt. v. 17.06.2020 – L 4 AS 709/15 – rechtskräftig

Zur Fortsetzungsfeststellungsklage bei einem erledigten Sanktionsbescheid (hier: Rehabilitationsinteresse)

Leitsatz (Redakteur)
Minderungsbescheids über 10 % der Regelleistung wegen eines nicht wahrgenommenen Meldetermin – nicht rechtswidrig -, denn der Irrtum über das Datum des Meldetermins stellt keinen wichtigen Grund für das Nichterscheinen dar. Es handelt sich um ein Versäumnis in der Sphäre des Klägers, um eine Nachlässigkeit, die ihm vorzuwerfen ist.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

Hinweis Redakteur:
Sozialgericht Chemnitz, Urteil vom 6. Oktober 2011 – S 21 AS 2853/11

Vergessener Termin beim Jobcenter muss nicht Sanktion zur Folge haben, denn es lag ein Versagen vor, wie es jedem trotz entsprechender Vorkehrungen einmal passieren kann.

Vergesslichkeit ohne Folgen – Junge Mutter vergaß Termin bei Jobcenter – Hartz-IV-Kürzung aufgehoben

dem LSG Sachsen-Anhalt folgend: LSG Niedersachsen-Bremen 13. Senat, Urteil vom 18.12.2013, L 13 AS 161/12 – Eine daneben im Gesetz nicht vorgesehene Verhältnismäßigkeitsprüfung in Fällen des irrtümlichen Übersehens des Meldetermins ist nicht erlaubt.

2.3 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 14.10.2020 – L 12 AS 1345/20 B ER u. L 12 AS 1345/20 B – rechtskräftig

Zur Anschaffung eines digitalen Endgeräts nebst Zubehör für die Teilnahme am Schulunterricht.

Leitsatz (Redakteur)
1. Keiner Behandlung bedarf die Frage, inwieweit es sich bei dem geltend gemachten überhaupt um einen laufenden Bedarf im Sinne des § 21 Abs. 6 S. 1 SGB II handelt (dafür LSG NRW Beschluss vom 22.05.2020, L 7 AS 719/20 B ER; Landessozialgericht Schleswig-Holstein Beschluss vom 11.01.2019, L 6 AS 238/18 B ER (nicht veröffentlicht)), wenn kein Anordnungsgrund vorliegt.

2. Vorliegend ist nicht ersichtlich, weshalb es dem Antragsteller zumindest derzeit nicht zumutbar sein sollte, den Ausgang des Hauptsacheverfahrens abzuwarten. Zum einen ergibt sich aus der Auskunft des Schulleiters, dass die Ausstattung des Antragstellers mit dem begehrten digitalen Endgerät jedenfalls derzeit nicht zwingend erforderlich ist, um dessen erfolgreiche Teilnahme am Schulunterricht zu gewährleisten.

3. Dass im Fall einer erneuten Schulschließung ggf. eine andere Beurteilung angezeigt ist (vgl. dazu LSG NRW Beschluss vom 22.05.2020, L 7 AS 719/20 B ER), ist vorliegend ohne Belang. Zwar weist auch der Schulleiter in seiner Stellungnahme darauf hin, dass die Situation bei einer erneuten Schließung der Schule oder einer Quarantäne ganzer Klassen anders aussähe; dann könnten die Lehrkräfte bei entsprechender technischer Ausstattung der Schülerinnen und Schüler online mit ihren Klassen in Kontakt treten. Eine erneute Schulschließung wie auch eine Quarantäne gerade der Klasse des Antragstellers kann in der aktuellen Pandemielage zwar nicht ausgeschlossen werden, steht aber auch nicht konkret zu erwarten.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

2.4 – Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urt. v. 27.08.2020 – L 31 AS 818/18

selbst genutztes Hausgrundstück

Leitsatz (Juris)
1. Solange der Hilfebedürftige in einem Haus von angemessener Größe wohnt, greift der Vermögensschutz nach § 12 Abs. 3 Nr. 4 SGB II, selbst wenn es sich um eine Luxusimmobilie handelt.

2. Dieser großzügig ausgestaltete Schutzzweck entfällt mit dem Verkauf der Immobilie. Der daraus erzielte Gewinn ist nur nach den allgemeinen Vermögensfreibeträgen geschützt.

3. Eine „Nahtlosigkeitsregelung“ bis zum Erwerb einer neuen Immobilie findet im geltenden Recht keine Stütze.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

2.5 – Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 17.08.2020 – L 14 AS 870/20 B – rechtskräftig

Ordnungsgeld gegen Beteiligten; Ermessen; Kostenentscheidung bei Beschwerde gegen Festsetzung eines Ordnungsgeldes

Leitsatz (Juris)
1. Für die Prüfung, ob das Gericht sein Ermessen bei der Festsetzung eines Ordnungsgeldes gegenüber einem Beteiligten pflichtgemäß ausgeübt hat, muss seinem Beschluss zu entnehmen sein, dass es seinen Ermessensspielraum erkannt hat und von welchen Ermessensgesichtspunkten es – unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalls und des (auch) aus dem Rechtsstaatsprinzip resultierenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes – sowohl im Hinblick auf die Anordnung des persönlichen Erscheinens als auch auf die Festsetzung eines Ordnungsgeldes ausgegangen ist.

2. Wenn das Gericht in einem früheren Verfahrensstadium darauf hingewiesen hat, es sei eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid beabsichtigt, und/oder wenn das Ordnungsgeld erst nach einer in-stanzabschließenden Entscheidung festgesetzt wird, sind diese Um-stände im Rahmen der Ermessensausübung zu würdigen.

3. Hat die Beschwerde gegen einen Beschluss, durch den gegen einen Beteiligten ein Ordnungsgeld festgesetzt wurde, Erfolg, sind die Kosten des Beschwerdeführers der Staatskasse aufzuerlegen.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

3.   Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

3.1 – Sozialgericht Düsseldorf, Urt. v. 26.06.2020 – S 15 AS 413/19

Fahrtkosten, die dem Vater anlässlich seiner Fahrten zu seinem in einem Fußballinternat wohnenden Sohn entstehen, müssen vom Jobcenter übernommen werden

Leitsatz (Redakteur)
1. Die Fahrtkosten des Vaters zu seinem im Internat wohnenden Sohn stellen einen besonderen Bedarf i.S.d. § 21 Abs. 6 SGB II dar.

2. Bei den Fahrtkosten zur Ausübung des Umgangsrechts ist nach höchstrichterlicher Rechtsprechung von einem besonderen Bedarf ungeachtet der Tatsache auszugehen, dass im Regelbedarf ein Anteil für Fahrtkosten enthalten ist.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

Anmerkung:
LSG Baden-Württemberg, Beschluss v. 04.02.2020 – L 2 AS 3963/19 ER-B – Fahrtosten für die Besuche des Sohnes bei der erkrankten Mutter im Klinikum muss das Jobcenter übernehmen.

3.2 – Sozialgericht Nordhausen, Urteil vom 28. September 2020 – S 13 AS 1667/18

Leitsatz Rechtsanwältin Claudia Zimmermann
Der Ansatz der Geschäftsgebühr in Höhe der Schwellengebühr für ein Widerspruchsverfahren, in denen mit Ausnahme der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers sämtliche Bemessungskriterien durchschnittlich sind, ist nicht unbillig i.S.d. § 14 Abs. 1 Satz 4 RVG (Anschluss an Bundessozialgericht, Urteil vom 12. Dezember 2019, B 14 AS 48/18 R; Anschluss an Sozialgericht Halle, Gerichtsbescheid vom 3. April 2020, S 22 AS 3790/17).

Quelle: www.razimmermann.de/

3.3 – Sozialgericht Nordhausen, Beschluss vom 23. Juli 2020, S 19 AS 1953/19 ER

Leitsatz Rechtsanwältin Claudia Zimmermann
1. Die Einleitung eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens ist nachvollziehbar, wenn ein Rechtsschutzsuchender durch eine ihm nicht bekannte, mit einer Zahlungserinnerung geltend gemachte Forderung sowie die Drohung mit „weiteren Schritten“ und „zusätzlichen Kosten und Unannehmlichkeiten“ vollkommen überrascht wird.

2. Wenn der Inkasso-Service der Bundesagentur für Arbeit selbst hervorhebt, nur zur Vollstreckung, nicht aber zu einer materiellen Entscheidung über den Anspruch befugt gewesen sein, ist weder von vornherein sichergestellt noch für den Rechtsschutzsuchenden erkennbar, ob ohne das Druckmittel des Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes eine später erreichte Abhilfe umgehend und ohne „weitere Schritte“ sowie „zusätzliche Kosten und Unannehmlichkeiten“ erfolgt wäre.

3. Wenn der Inkasso-Service der Bundesagentur darauf hinweist, vom Jobcenter lediglich mit dem Forderungseinzug beauftragt worden zu sein, führen diese Bindungen im Innenverhältnis nicht dazu, dass nicht im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die drohende Vollstreckung vorgegangen werden kann, da ansonsten der Grundrechtsanspruch auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes verletzt würde.

4. Ein gerichtliches Verfahren wird vom Inkasso-Service der Bundesagentur für Arbeit provoziert, wenn in der Zahlungserinnerung ein Hinweis auf die Möglichkeit der Einrede der Beschränkung der Minderjährigenhaftung fehlt.

5. Sollten dem Inkasso-Service der Bundesagentur für Arbeit mangels entsprechender Kommunikation mit dem sie ihn beauftragenden Jobcenter im Rahmen eines automatisierten Verfahrens relevante Umstände für die Beitreibung der Forderung nicht bewusst bzw. bekannt gewesen sein, sind derartige Kommunikations- und Organisationsdefizite dem Inkasso-Service der Bundesagentur für Arbeit und dem Jobcenter, in deren Auftrag der Inkasso-Service tätig wurde, zuzurechnen, nicht aber dem Rechtsschutzsuchenden.

Quelle: www.razimmermann.de

4.   Entscheidungen zum Asylrecht und AsylbL

4.1 – Sozialgericht Aachen, Urteil vom 21. August 2020 (S 19 AY 1/20):

Leitsatz Dr. Manfred Hammel
Für eine Anpassung der Regelsätze gemäß § 3a AsylbLG bedarf es keiner gesonderten gesetzgeberischen Entscheidung.

§ 3a Abs. 4 Satz 1 AsylbLG gibt in Sachen der Bedarfssätze der Grundleistungen den Modus der Anpassung und die konkrete Höhe vor, so dass die für die Grundrechtsverwirklichung maßgeblichen Regelungen durch den Gesetzgeber getroffen worden sind.

Bei § 3a Abs. 4 AsylbLG handelt es sich um eine Anpassungsvorschrift, die sich an die das AsylbLG vollziehenden Kommunen richtet und diesen öffentlichen Trägern eine Anpassung nach dem in dieser Norm fixierten Anpassungsmodus vorgibt.

Wenn eine Bekanntgabe des Bundesministerium für Arbeit und Soziales entsprechend § 3a Abs. 4 Satz 3 AsylbLG nicht rechtzeitig erfolgt, dann kann der einzelne öffentliche Träger eigenverantwortlich eine Festsetzungsentscheidung durchführen und vollziehen.

4.2 – Sozialgericht für das Saarland, Beschluss vom 22. Juli 2020 (S 25 AY 15/20 ER):

Leitsatz Dr. Manfred Hammel
Eine Sanktionierung entsprechend § 1a Abs. 4 Satz 2 AsylbLG hat als rechtswidrig aufgefasst zu werden, wenn einem in Deutschland sich aufhaltenden Asylbewerber es objektiv nicht möglich ist, den ihm bereits durch den EU-Staat Griechenland gewährten Asylschutz wahrzunehmen, wenn aufgrund der Corona-Pandemie eine Einreise in dieses Land nicht durchgeführt werden kann.

Ein Bescheid über eine Anspruchseinschränkung gemäß § 1 Abs. 4 Satz 2 AsylbLG gibt einen belastenden Verwaltungsakt im Sinne des § 28 Abs. 1 VwVfG bekannt, vor dessen Erlass die hiervon betroffene Person Gelegenheit zu erhalten hat, sich zu den für diese Entscheidung maßgebenden Punkten zu äußern. Ein diesbezügliches Unterlassen der zuständigen Behörde verkörpert einen schweren Anhörungsmangel, der regelmäßig zur Rechtswidrigkeit einer dennoch verfügten Anspruchseinschränkung führt.

Äußerungen und Stellungnahmen von Beteiligten, die im gerichtlichen Eilverfahren nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG erfolgen, sind grundsätzlich nicht als eine nachträgliche Anhörung der betroffenen Person aufzufassen.

Zur Verneinung eines öffentlichen Interesses an der Vollziehung eines auf einer verfassungsrechtlich bedenklichen Absenkungsregelung (§ 1a AsylbLG) beruhenden Verwaltungsakts.

5.   Verschiedenes zu Hartz IV, zur Sozialhilfe, zum Asylrecht, Wohngeldrecht und anderen Gesetzesbücher

5.1 – Kostenübernahme Schul-PC/Tablet, ein Beitrag von Herbert Masslau

weiter: www.herbertmasslau.de

5.2 – Der Erlass von Kindergeld-rückforderungen bei Sozialhilfeempfängern von ORR Dr. Christian Stahl

weiter: www.juris.de

5.3 – OVG Sachsen, Urteil vom 15. Oktober 2020 (3 A 229/19):

Leitsatz Dr. Manfred Hammel
Keine Verneinung des Wohngeldanspruchs wegen missbräuchlicher Inanspruchnahme von Wohngeld entsprechend § 21 Nr. 3 WoGG, weil der nicht erwerbstätige Familienvater in keiner Weise durch die Ausübung eigener, zumutbarer Arbeit zur Einkommenserzielung beiträgt, und er über fremdvermietetes Immobiliarvermögen verfügt.

Ein erhebliches Vermögen im Sinne des § 21 Nr. 3 WoGG liegt in der Regel vor, wenn die Summe des verwertbaren Vermögens der zu berücksichtigenden Haushaltsmitglieder EUR 60.000,- für das erste zu berücksichtigende Haushaltsmitglied und EUR 30.000,- für jedes weitere zu berücksichtigende Haushaltsmitglied übersteigt.

Dies liegt bei einem fremdvermieteten Hausgrundstück, dessen Marktwert nur geringfügig über diesen Richtsätzen liegt, nicht vor, gerade wenn der Mietvertrag voraussichtlich nur noch kurze Zeit über bestehen, und die Familie dann in diese Immobilie umziehen wird.

Ob es einem Haushaltsmitglied zuzumuten ist, durch die Ausübung einer Tätigkeit zur Einkommenserhöhung beizutragen, kann nur anhand der den jeweiligen Einzelfall prägenden Umstände entschieden werden. Hierbei ist behördlicherseits kein allzu strenger Maßstab anzulegen.

Von einem bewussten Unterlassen der Ausübung einer Erwerbstätigkeit darf nicht ausgegangen werden, wenn ein Familienvater darauf verweisen kann, er hätte sich nach seiner Elternzeit und der Absolvierung von Weiterbildungsmaßnahmen im Schnitt einmal wöchentlich beworben, um eine seiner Vorbildung entsprechende Anstellung zu erhalten.

Seine Gattin ist während ihres noch andauernden Hochschulstudiums die Ausübung von Arbeit zur Finanzierung des notwendigen Lebensunterhalts nicht zuzumuten.

5.4 – Anmerkung zu:   BVerwG 1. Senat, Urteil vom 20.05.2020 – 1 C 34/19

Autor: Prof. Dr. Uwe-Dietmar Berlit, Vors. RiBVerwG      

Unzulässigkeit eines Asylantrags wegen Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Bulgarien

Leitsätze
1. Die Ablehnung eines Asylantrags als unzulässig kann – jedenfalls seit Inkrafttreten des Integrationsgesetzes – nur mit der Anfechtungsklage angefochten werden; nach der gerichtlichen Aufhebung einer Unzulässigkeitsentscheidung ist das Bundesamt automatisch zur Fortführung des Asylverfahrens verpflichtet (vgl. BVerwG, Urt. v. 14.12.2016 – 1 C 4/16 Rn. 16 ff. – BVerwGE 157, 18 und BVerwG, Urt. v. 01.06.2017 – 1 C 9/17 Rn. 15 – Buchholz 402.251 § 29 AsylG Nr 3).

2. Die Rechtmäßigkeit einer Unzulässigkeitsentscheidung wegen bereits erfolgter Gewährung internationalen Schutzes in einem anderen Mitgliedstaat setzt in unionsrechtskonformer Einschränkung des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG voraus, dass den Antragsteller in dem Mitgliedstaat, der den Schutz gewährt hat, keine Lebensumstände erwarten, die einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 GRC gleichkommen (BVerwG, Urt. v. 21.04.2020 – 1 C 4/19 – im Anschluss an EuGH, Urt. v. 19.03.2019 – C-297/17 u.a. „Ibrahim u.a.“ – und EuGH, Beschl. v. 13.11.2019 – C-540/17 u.a. „Hamed und Omar“).

3. Systemische Mängel des Asylverfahrens im Mitgliedstaat der (Erst-)Anerkennung und der Umstand, dass die Lebensverhältnisse für anerkannte Schutzberechtigte dort nicht den Bestimmungen der Art. 20 ff. der (Anerkennungs-)Richtlinie 2011/95/EU gerecht werden, ohne dass dies zu einer Verletzung von Art. 4 GRC führt, stehen einer Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG nicht entgegen.

weiter auf juris: www.juris.de

5.5 – Geld auf dem Konto gehört nicht immer dem Kontoinhaber, ein Beitrag von RA Helge Hildebrandt

Immer wieder „entdecken“ Jobcenter durch Datenabgleich Geld auf Konten von Leistungsberechtigten, welches dem ersten Anschein nach ihren „Kunden“ gehört. Liegt solches Vermögen über den zulässigen Freibetragsgrenzen, kann dies zur Leistungsversagung führen. Nicht selten wird den Betroffenen auch „Sozialleistungsbetrug“ oder „ordnungswidriges Verhalten“ vorgeworfen. Doch nicht immer gehört das Geld auf einem Konto auch dem Kontoinhaber. Entscheidend ist, wem das Kontoguthaben zivilrechtlich zuzuordnen ist.

Das Bundessozialgericht (BSG) hatte einen Fall zu entscheiden, in dem ein Leistungsberechtigter vor vielen Jahren einmal ein Tagesgeldkonto nur deswegen eröffnet hatte, weil ihm für die Einrichtung als Werbegeschenk Aktien eines Internetunternehmens im Wert von 100 DM gutgeschrieben wurden.

weiter: sozialberatung-kiel.de

Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock

Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker