Verwaltungsgericht Hannover – Beschluss vom 04.01.2021 – Az.: 7 B 6300/20

BESCHLUSS

7 B 6300/20

In der Verwaltungsrechtssache

der xxx,

– Antragstellerin –

Prozessbevollmächtigter:
Rechtsanwalt Sven Adam,
Lange Geismarstraße 55, 37073 Göttingen

gegen

die Pflegekammer Niedersachsen
vertreten durch die Präsidentin,
Hans-Böckler-Allee 9, 30173 Hannover

– Antragsgegnerin –

Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte Dr. Rüping & Partner mbB,
Hohenzollernstraße 40, 30161 Hannover

wegen Untersagung einer öffentlichen Äußerung

hat das Verwaltungsgericht Hannover – 7. Kammer – am 04. Januar 2021 beschlossen:

Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, ihre Stellungnahme im Rahmen der Anhörung zu dem Entwurf eines „Gesetzes zur Umsetzung der Auflösung der Pflegekammer Niedersachsen“ vom 25. November 2020 mit sofortiger Wirkung zurückzuziehen und die Veröffentlichung und Verbreitung dieser Stellungnahme zu unterlassen.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000,00 EURO festgesetzt.

GRÜNDE

I.

Bei der Antragsgegnerin handelt es sich um die mit dem Kammergesetz für die Heilberufe in der Pflege -PflegeKG- vom 14. Dezember 2016 (Nds. GVBl. S. 261; zum 01. Januar 2017 in Kraft getreten), zuletzt geändert durch Gesetz vom 27. März 2019 (Nds. GVBl. S. 70), vom Land Niedersachsen unter der Bezeichnung „Pflegekammer“ errichtete Kammer für die Heilberufe in der Pflege als eine Körperschaft öffentlichen Rechts. Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 PflegeKG sind Angehörige bestimmter Pflegefachberufe, die ihren Beruf in Niedersachsen ausüben, Mitglied der Pflegekammer Niedersachsen. Das besagte Gesetz regelt mithin u. a. eine Pflichtmitgliedschaft.

Die Antragstellerin ist Pflichtmitglied der Antragsgegnerin.

Nachdem es bereits Proteste seitens potentieller Mitglieder gegen die Gründung sowie zwischenzeitlich eine Online-Petition gegen die Antragsgegnerin gegeben hatte, entschied die Landesregierung, die etwa 78.000 Mitglieder der Antragsgegnerin zu deren Fortbestand und Zukunft zu befragen. Nach Angaben des Niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung sprachen sich in der in der Zeit vom 29. Juli 2020 bis zum 06. September 2020 durchgeführten Online-Befragung 70,6 % der 15.100 Antwortenden gegen den Fortbestand der Antragsgegnerin aus, 22,6 % stimmten für einen Fortbestand der Kammer und 6,8 % der Antwortenden enthielten sich.

Nach Aufforderung des Niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung vom 03. November 2020, im Rahmen der Anhörung zu dem Entwurf eines „Gesetzes zur Auflösung der Pflegekammer Niedersachsen“ eine Stellungnahme abzugeben, beschloss die Kammerversammlung der Antragsgegnerin am 18. November 2020, sich durch einen Rechtsanwalt bei der Abgabe dieser Stellungnahme unterstützen zu lassen.

In der unter dem 25. November 2020 abgegebenen, streitgegenständlichen Stellungnahme, die unter www.pflegekammer-nds.de/positionen-berichte im Internet abrufbar ist, heißt es u. a. (letzter Abruf: 04. Januar 2021):

B. Tenor der Stellungnahme
Die Pflegekammer Niedersachsen lehnt ihre vorgesehene Auflösung entschieden ab.

(Seite 3 der Stellungnahme).

„Die beabsichtigte Auflösung der Kammer würde zu einer Schwächung statt einer – eigentlich notwendigen – Stärkung der Berufsgruppe der beruflich Pflegenden führen.“
(Seite 4).

„3. Sachgerechtigkeit der Aufgabenerfüllung durch die Pflegekammer
Die Pflegekammer hat in der kurzen Zeit ihres Bestehens ihre drei Hauptaufgaben – Standesvertretung, Standesförderung und Standesaufsicht – effektiv wahrgenommen.“

(Seite 8 unten).

„Die Auflösung der Kammer wird in dem vorliegenden Gesetzentwurf mit nur einem einzigen Argument gerechtfertigt, nämlich mit dem Ergebnis der zwischen Juli und September 2020 durchgeführten Mitgliederbefragung […].“ (Seite 19 unten).

„Zunächst ist das Ergebnis der Mitgliederbefragung in keiner Weise repräsentativ für den Willen der Mehrheit der Mitglieder der Pflegekammer. Zwar mögen 70,6 % der Abstimmenden für eine Auflösung der Kammer votiert haben. Bei Zugrundelegung einer Abstimmungsbeteiligung von 19,4 % entspricht dies aber einem Anteil von nur 13,7 % aller teilnahmeberechtigten Kammermitglieder. […] Das Ergebnis der Mitgliederbefragung taugt schon unter diesem Gesichtspunkt nicht als beachtlicher Gemeinwohlgrund, der eine Auflösung der Pflegekammer rechtfertigen könnte.“ (Seite 20).

„Ein alleiniges Abstellen auf den Willen der – noch dazu: kleinen Minderheit der – Kammermitglieder im Sinne eines ‚Wunschkonzerts‘ kommt dagegen rechtlich nicht in Betracht.“ (Seite 21).

„Durch diese Äußerung wird das Abstimmungsverhalten einer kleinen Minderheit der Kammerzugehörigen (13,7 % aller teilnahmeberechtigten Kammermitglieder) sachwidrig zu einer Mehrheit umgedeutet. Auch dies weist daraufhin, dass die – nicht repräsentative und rechtlich fragwürdige – Mitgliederbefragung gewissermaßen als Feigenblatt verwendet wird, um die jeglichen Sachgründen entbehrende und damit willkürliche Abschaffung der Pflegekammer zu rechtfertigen.“ (Seite 26).

Mit Schreiben vom 02. Dezember 2020 forderte der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin die Antragsgegnerin im Namen der Antragstellerin dazu auf, die besagte Stellungnahme bis zum 04. Dezember 2020 von der Homepage der Pflegekammer zu entfernen, sie im Gesetzgebungsverfahren zurückzuziehen und sie nicht weiter zu verbreiten. Dies lehnte die Antragsgegnerin mit schriftlicher Entgegnung vom 04. Dezember 2020 ab.

Die Kammerversammlung fasste am 08. Dezember 2020 den Grundsatzbeschluss, sie stelle fest, dass die mit Schreiben vom 25. November 2020 auf Basis der eingeholten verfassungsrechtlichen Stellungnahme abgegebene rechtliche Positionierung der Pflegekammer Niedersachsen mit Billigung der Kammerversammlung erfolgt sei.

Mit am 07. Dezember 2020 bei dem erkennenden Gericht eingegangenem Schriftsatz sucht die Antragstellerin um einstweiligen Rechtsschutz nach. Zur Begründung lässt sie unter Bezugnahme auf aktuelle Rechtsprechung der beschließenden Kammer und des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts im Wesentlichen ausführen, die Antragsgegnerin habe mit ihrer streitgegenständlichen Stellungnahme ihre gesetzlichen Obliegenheiten verletzt, sodass ihr, der Antragstellerin, ein Unterlassungsanspruch zustehe. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes bestehe insbesondere bei umstrittenen Themen gegebenenfalls die Verpflichtung zur Darstellung von Minderheitenpositionen. Bei der vom Land Niedersachsen durchgeführten Umfrage hätten sich 70,6 Prozent der befragten Mitglieder der Antragsgegnerin, die an der Umfrage teilgenommen hätten, gegen den Fortbestand der Antragsgegnerin ausgesprochen. Es sei also festzustellen, dass mindestens eine ganz erhebliche Minderheit (gemessen am Ergebnis und an der Beteiligung der Umfrage), wahrscheinlich eher aber die Mehrheit der Mitglieder der Antragsgegnerin die Institution Pflegekammer Niedersachsen abzuschaffen wünsche. Mit der vollständigen Nicht-Berücksichtigung dieser bedeutenden Meinungsströmung innerhalb der Mitgliedschaft habe die Antragsgegnerin ersichtlich gegen die rechtlichen Vorgaben hinsichtlich zulässiger Meinungsäußerungen verstoßen. Vorliegend habe die Antragsgegnerin mit der streitgegenständlichen Stellungnahme eine in rechtswidriger Weise einseitige Positionierung abgegeben, die  offenkundig nicht das Meinungsspektrum der Mitgliedschaft wiedergebe. In der besagten Stellungnahme werde aus der Zahl der Mitglieder der Antragsgegnerin, die sich für deren Abschaffung ausspreche, das „Abstimmungsverhalten einer kleinen Minderheit der Kammerzugehörigen (13,7 % aller teilnahmeberechtigten Kammermitglieder)“, welches angeblich sachwidrig zu einer Mehrheit umgedeutet worden sei (Stellungnahme, Seite 26). An keiner einzigen Stelle in der Stellungnahme sei ersichtlich, ob und wenn ja welche Anstrengungen die Antragsgegnerin unternommen habe, um ein tatsächlich repräsentatives Meinungsbild in der Mitgliedschaft herzustellen. Und an keiner einzigen Stelle in der Stellungnahme würden die inhaltlichen Positionen der Teile der Mitgliedschaft wiedergegeben, die die sogenannten „Leistungen“ der Antragsgegnerin völlig anders beurteilten.

Die Antragstellerin beantragt,
der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, mit sofortiger Wirkung die Stellungnahme im Rahmen der Anhörung zu dem Entwurf eines „Gesetzes zur Umsetzung der Auflösung der Pflegekammer Niedersachsen“ zurückzuziehen und die Veröffentlichung und Verbreitung dieser Stellungnahme – insbesondere im Internet – zu unterlassen.

Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.

Zur Begründung lässt die Antragsgegnerin im Wesentlichen ausführen:

Das Begehren der Antragstellerin sei auf eine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache gerichtet, weil der Antrag nicht auf den Zeitraum „bis zur Entscheidung in der Hauptsache“ beschränkt sei. Mangels Eilbedürftigkeit der Entscheidung sei auch kein Anordnungsgrund gegeben. Es fehle an einem Anordnungsanspruch. Die streitgegenständliche Stellungnahme habe die Antragsgegnerin in Erfüllung ihrer aus § 9 Abs. 1 Nr. 6 lit. b) PflegeKG resultierenden Verpflichtung, in Fragen der Gesetzgebung zu beraten und zu unterstützen, abgegeben. Die von der Antragstellerin beanstandete Passage auf Seite 26 der Stellungnahme beinhalte den zutreffenden Hinweis, dass aus dem Ergebnis einer Befragung, an der von 78.000 Kammermitgliedern lediglich 15.100 teilgenommen hätten, kein Auftrag zur Auflösung der Antragsgegnerin abgeleitet werden könne. Der Antragsgegnerin müsse im Rahmen von Stellungnahme zu Gesetzgebungsverfahren keine Minderheitenpositionen ermitteln. Im Übrigen spiegelten sich Minderheitenpositionen in der Kammerversammlung nicht wieder. Diese habe die abgegebene Stellungnahme einstimmig genehmigt. Im Übrigen hätten der Antragsgegnerin auch nur drei Wochen Zeit für die Ausarbeitung der Stellungnahme zur Verfügung gestanden. Für ein Zurückziehen der Stellungnahme bestehe schon kein Rechtsschutzbedürfnis, weil die Stellungnahme abgegeben sei und dies nicht mehr rückgängig gemacht werden könne. Es sei unklar, worauf ein „Zurückziehen“ abziele.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs Bezug genommen.

II.

Der Antrag hat Erfolg.

I. Der Antrag ist zulässig; er ist insbesondere statthaft nach § 123 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts steht den Mitgliedern einer Kammer dann, wenn es zu Konflikten um Äußerungen einer Kammer kommt, der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten offen; hier kann auch im Eilrechtsschutz etwaigen Überschreitungen der Kompetenzen einzelner Kammerorgane entgegengetreten werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Juli 2017 – 1 BvR 2222/12, 1 BvR 1106/13 -, juris, Rn. 73).

Die Antragstellerin ist antragsbefugt, § 42 Abs. 2 VwGO analog. Jedenfalls eine Verletzung von Art. 2 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) durch die Inanspruchnahme als Mitglied einer Zwangskorporation erscheint dann möglich, wenn die Kammer bei ihrer Tätigkeit die ihr gesetzlich gesetzten Grenzen nicht einhält (vgl. nur BVerwG, Urteil vom 23. Juni 2010 – 8 C 20/09 -, juris, Rn. 21).

Es fehlt dem Antrag auch nicht am Rechtsschutzbedürfnis, soweit begehrt wird, der Antragsgegnerin aufzugeben, die Stellungnahme im Rahmen der Anhörung zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Auflösung der Pflegekammer Niedersachsen zurückzuziehen, denn ein Zurückziehen im Sinne eines Widerrufs ist nach wie vor möglich.

II. Der Antrag ist auch begründet.

Auf Antrag kann das Gericht – auch schon vor Klageerhebung – eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte, § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint, § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO.

Voraussetzung ist hierbei, dass der Antragsteller das Bestehen eines zu sichernden Rechts (Anordnungsanspruch) und die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund) glaubhaft macht (§ 123 Abs. 1 und 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung).

Maßgebend sind die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung. Über den Erfolg des Antrags ist aufgrund einer im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen und auch nur möglichen summarischen Prüfung zu entscheiden. Ergibt die überschlägige rechtliche Beurteilung auf der Grundlage der verfügbaren und vom Antragsteller glaubhaft zu machenden Tatsachenbasis, dass von überwiegenden Erfolgsaussichten in der Hauptsache auszugehen ist, besteht regelmäßig ein Anordnungsanspruch. Ein Anordnungsgrund setzt voraus, dass es dem Antragsteller unter Berücksichtigung seiner Interessen unzumutbar ist, eine Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten (vgl. SächsOVG, Beschluss vom 22. September 2017 – 4 B 268/17 -, juris).

Grundsätzlich dient die einstweilige Anordnung der vorläufigen Sicherung eines Anspruchs bzw. der vorläufigen Regelung eines Rechtsverhältnisses. Wird mit der begehrten Entscheidung allerdings die Hauptsache – wie hier – vorweggenommen, sind an die Prüfung von Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch qualifizierte Anforderungen zu stellen, d.h. der Erlass einer einstweiligen Anordnung kommt nur in Betracht, wenn ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für den Erfolg in der Hauptsache spricht und dem Antragsteller durch das Abwarten in der Hauptsache schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (BayVGH, Beschluss vom 18. März 2016 – 12 CE 16.66 -, juris, Rn. 4).

Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Die Antragstellerin kann von der Antragsgegnerin verlangen, dass diese die Stellungnahme im Rahmen der Anhörung zu dem Entwurf eines „Gesetzes zur Umsetzung der Auflösung der Pflegekammer Niedersachsen“ vom 25. November 2020 zurückzieht – und zwar im Sinne eines Widerrufs der Stellungnahmen gegenüber den Empfängern – und sie die Verlautbarung der besagten Stellungnahme unterlässt, was auch die verfahrensgegenständliche Entfernung von der Homepage umfasst.

1. Der Antragstellerin steht ein Anordnungsanspruch zur Seite.

Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht hat in seinem Beschluss vom 22. Oktober 2020 (8 ME 99/20) zu den hier zu beachtenden rechtlichen Maßstäben ausgeführt:

„Anspruchsgrundlage ist die in Art. 2 Abs. 1 GG garantierte allgemeine Handlungsfreiheit. Die allgemeine Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG gibt dem Grundrechtsträger das Recht zur Abwehr ‚unnötiger‘ Zwangsverbände. Die Begründung und die Ausgestaltung der Pflichtmitgliedschaft in einem solchen Verband müssen durch formelles Gesetz gedeckt und verhältnismäßig sein. Überschreitet die Kammer die ihr verfassungskonform zugewiesenen Kompetenzen, greift sie ohne gesetzliche Grundlage in die allgemeine Handlungsfreiheit ihrer Pflichtmitglieder ein. Diesen gibt Art. 2 Abs. 1 GG das Recht, Kompetenzüberschreitungen der Kammer abzuwehren, und zwar unabhängig davon, ob sie durch die Kompetenzüberschreitung einen darüber hinausgehenden rechtlichen oder faktischen Nachteil erleiden (vgl. BVerfG, Urt. v. 12.7.2017 – 1 BvR 2222/12, 1 BvR 1106/13 -, BVerfGE 146, 164, juris Rn. 109; BVerwG, Urt. v. 23. 3.2016 – 10 C 4.15 -, BVerwGE 154, 296, juris Rn. 13 f. m.w.N.).

a) Gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 1 PflegeKG ist es die Aufgabe der Antragsgegnerin, im Einklang mit den Interessen der Allgemeinheit gemeinsame berufliche Belange der Kammermitglieder wahrzunehmen. Zu den damit angesprochenen Aufgaben der Standesvertretung zählt insbesondere, die Interessen der verkammerten Berufsgruppen systematisch, professionell und kontinuierlich zu bündeln und sie – in Abwägung mit dem Allgemeininteresse – mit dem Anspruch auf Vollständigkeit und Verbindlichkeit nach innen sowie nach außen, insbesondere in Gesetzgebungsverfahren sowie sonstigen Entscheidungsprozessen mit Relevanz für die vertretenen Berufsgruppen, zu kommunizieren. Die Antragsgegnerin soll dabei das Gesamtinteresse des Berufsstandes bündeln und wahrnehmen (vgl. Senatsurt v. 22.8.2019 – 8 LC 116/18 -, NdsVBl. 2020, 44, juris Rn. 62). Das schließt die Einwirkung auf Meinungsbildungsprozesse und damit die Öffentlichkeits- und Pressearbeit ein. Zu den Kompetenzen der Antragsgegnerin gehört es, die Öffentlichkeit über ihre Auffassung zu den beruflichen Belangen der Pflegefachfrauen und -männer, Altenpflegerinnen und -pfleger sowie Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerinnen und -pfleger zu informieren und sich gegebenenfalls auch publizistisch mit anderen hierauf bezogenen Auffassungen auseinanderzusetzen. Auch öffentliche Veranstaltungen, Präsidentenreden, Pressekonferenzen und Pressemeldungen sowie die Herausgabe einer Kammerzeitschrift können zur Erfüllung der in § 9 Abs. 1 Nr. 1 PflegeKG zugewiesenen Aufgabe genutzt werden (zu IHKn OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 12.4.2019 – 16 A 1499/09 -, GewArch. 2019, 296, juris Rn. 114).
Aus dem Vorstehenden ergibt sich die aus der Kompetenz folgende Grenze für das ‚Ob‘ von Äußerungen der Antragsgegnerin insbesondere im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit. Erforderlich ist eine unmittelbare spezifische Betroffenheit der beruflichen Belange der Kammermitglieder durch die Thematik, zu der die Äußerung erfolgt. Der Sachverhalt, auf den sich die Äußerung bezieht, muss nachvollziehbare Auswirkungen auf die beruflichen Belange der Kammermitglieder haben. Diese Grenze wäre beispielsweise bei Sachverhalten überschritten, deren Auswirkungen allein die Leistungsfähigkeit der Sozialversicherungssysteme oder die wirtschaftlichen Einzelinteressen von im Pflege- oder Gesundheitswesen Beschäftigten beträfen (vgl. Senatsurt v. 22.8.2019 – 8 LC 116/18 -, NdsVBl. 2020, 44, juris Rn. 46, 62), ohne auch die berufliche Tätigkeit selbst zu berühren. Andererseits gilt auch für die Antragsgegnerin, dass eine Berührung der beruflichen Belange der Kammermitglieder im Randbereich die Kompetenz eröffnet. Erforderlich ist, dass sich nachvollziehbare Auswirkungen auf diese Belange zumindest aus der Begründung oder ihrem textlichen Zusammenhang ergeben (vgl. zum Ganzen zu IHKn BVerwG, Urt. v. 23.6.2010 – 8 C 20.09 -, BVerwGE 137, 171, juris Rn. 24 ff.; v. 23.3.2016 – 10 C 4.15 -, BVerwGE 154, 296, juris Rn. 29; zur allgemeinpolitischen Äußerung von Ärztekammern BVerwG, Urt. v. 17.12.1981 – 5 C 56/79 -, BVerwGE 64, 298, juris Rn. 19, 22).

b) Für das ‚Wie‘ von Äußerungen gelten die Schranken, die sich allgemein aus der Stellung der Antragsgegnerin als Träger mittelbarer Staatsverwaltung mit Pflichtmitgliedschaft, der öffentliche Aufgaben wahrnimmt, ergeben. Bei der Vertretung des Gesamtinteresses der Kammermitglieder muss sie als öffentlich-rechtliche Selbstverwaltungskörperschaft das höchstmögliche Maß an Objektivität walten lassen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 19.12.1962 – 1 BvR 541/57 -, BVerfGE 15, 235, juris Rn. 23). Das setzt voraus, dass die Äußerungen der Antragsgegnerin sachlich sind und die notwendige Zurückhaltung wahren. Damit sind nicht nur Anforderungen an die Formulierung gestellt, was polemisch überspitzte oder auf emotionalisierte Konfliktaustragung angelegte Aussagen ausschließt; die notwendige Objektivität verlangt auch eine Argumentation mit sachbezogenen Kriterien und gegebenenfalls die Darstellung von Minderheitenpositionen. Da das Gesamtinteresse der Kammermitglieder Bezugspunkt der Aufgabenwahrnehmung ist und dies eine Abwägung von etwaigen konfligierenden Interessen erfordert, muss eine Äußerung, die zu besonders umstrittenen Themen erfolgt, auch diese Abwägung erkennen lassen (vgl. zu IHKn BVerwG, Urt. v. 23.6.2010 – 8 C 20.09 -, BVerwGE 137, 171, juris Rn. 33). Im Falle höchst umstrittener Fragen darf die Antragsgegnerin ihre Mehrheitsauffassung dazu nicht apodiktisch mitteilen, sondern muss zugleich die Minderheitsauffassung(en) offenlegen und die zur Mehrheitsauffassung führende Abwägung der verschiedenen Positionen erkennbar machen (vgl. zu IHKn BVerwG, Urt. v. 23.3.2016 – 10 C 4.15 -, BVerwGE 154, 296, juris Rn. 39).
Denn die Möglichkeit zur Ermittlung des Gesamtinteresses rechtfertigt gerade die Anordnung der auf eine vollständige Erfassung der in dem verkammerten Beruf tätigen Berufsträger gerichteten Pflichtmitgliedschaft. Angestrebt ist eine Bündelung unterschiedlicher Positionen in den Kammern, sowohl durch deren Unabhängigkeit als auch durch die Vollständigkeit der Information, da gerade mit der Pflichtmitgliedschaft die Möglichkeit besteht, auf die Auffassung aller zurückzugreifen. Dementsprechend ist das Ziel nicht oder nicht notwendig die Artikulation einer einzigen Gesamtauffassung einer homogenen Gruppe. Das Gesamtinteresse muss vielmehr durch Abwägung und Ausgleich auch widerstreitender Interessen ermittelt und weitergegeben werden (vgl. Senatsurt. v. 22.8.2019 – 8 LC 116/18 -, NdsVBl. 2020, 44, juris Rn. 73, 84; zu IHKn BVerfG, Urt. v. 12.7.2017 – 1 BvR 2222/12, 1 BvR 1106/13 -, BVerfGE 146, 164, juris Rn. 92, 94). Das Gesamtinteresse ist ein gewichtetes Ergebnis und damit weder eine Summe oder Potenzierung der Einzelinteressen noch ihr kleinster gemeinsamer Nenner (zu IHKn BVerwG, Urt. v. 23.6.2010 – 8 C 20.09 -, BVerwGE 137, 171, juris Rn. 34). Die Notwendigkeit, gegebenenfalls auch widerstreitende Interessen weiterzugeben, steht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Verhältnismäßigkeit der Pflichtmitgliedschaft. Es können sich Fragen stellen, auf die Kammermitglieder derart unterschiedliche Antworten geben, dass sich diese schwer in eine Gesamtabwägung integrieren lassen. Vermittelt die Antragsgegnerin dann allein das Mehrheitsinteresse als Gesamtinteresse, führt dies zur dauerhaften Beeinträchtigung des Minderheitsinteresses (zu IHKn BVerfG, Urt. v. 12.7.2017 – 1 BvR 2222/12, 1 BvR 1106/13 -, BVerfGE 146, 164, juris Rn. 109). Dies gilt zum einen für strukturell unterschiedliche Interessenlagen etwa zwischen verschiedenen Berufsgruppen unter den Kammermitgliedern. Es gilt aber auch für in der Öffentlichkeit und unter den Mitgliedern bzw. gesellschaftspolitisch höchst umstrittene berufsbezogene Fragen (vgl. BVerwG, Urt. v. 23.6.2010 – 8 C 20.09 -, BVerwGE 137, 171, juris Rn. 42; v. 23.3.2016 – 10 C 4.15 -, BVerwGE 154, 296, juris Rn. 39; Hamburgisches OVG, Beschl. v. 16.11.2016 – 5 Bf 40/16.Z -, NordÖR 2017, 145, juris Rn. 78; OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 12.4.2019 – 16 A 1499/09 -, GewArch. 2019, 296, juris Rn. 140), wobei freilich nur unter den Mitgliedern, nicht aber allein außerhalb der Mitgliedschaft vertretene Positionen der Offenlegung bedürfen (vgl. VG Köln, Urt. v. 3.5.2012 – 1 K 2836/11 -, GewArch. 2013, 75, juris Rn. 57 ff.).
Einzelne unzulässige Äußerungen in einer längeren Stellungnahme führen nicht dazu, dass die darin ebenfalls enthaltenen, nicht zu beanstandenden Aussagen selbst unzulässig werden (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 12.4.2019 – 16 A 1499/09 -, GewArch. 2019, 296, juris Rn. 135). Andererseits stehen die einzelnen Aussagen nicht zusammenhanglos da. Zu beurteilen ist, ob die jeweilige Aussage die Kompetenz und den Objektivitäts- und Sachlichkeitsgrundsatz einhält. Dafür kann ihr Kontext – in Grenzen – von Bedeutung sein. Einer unvollständigen Teilaussage mangelt es einerseits nicht schon dann an Objektivität, wenn die sie vervollständigende Teilaussage in einem anderen Satz steht. Andererseits geht es nicht an, beliebige über den Text verstreute Aussagen neu zusammenzustellen, so dass dessen ursprüngliche Unsachlichkeit nicht mehr aufscheint. Das Nähere kann nur die Untersuchung des im Einzelfall angegriffenen Textes ergeben. Nicht in die Betrachtung einzubeziehen sind hingegen frühere Stellungnahmen der Kammer oder der Kontext der gesamten Debatte und das Verhalten der anderen Debattenteilnehmer (vgl. Hamburgisches OVG, Beschl. v. 16.11.2016 – 5 Bf 40/16.Z -, NordÖR 2017, 145, juris Rn. 34, 40, 45). Dass letztere etwa subjektiv oder unsachlich argumentieren, kann von deren Meinungsfreiheit geschützt sein, ohne dass der Antragsgegnerin eine dazu proportionale Antwort gestattet wäre.

c) Erklärungen und Stellungnahmen der Antragsgegnerin sind zudem nur dann zulässig, wenn sie unter Einhaltung des dafür vorgesehenen Verfahrens zustande gekommen sind. Denn die Pflichtmitgliedschaft ist nur gerechtfertigt, wenn die Kammer das durch das vorgegebene Verfahren legitimierte Gesamtinteresse wahrnimmt (zu IHKn BVerwG, Urt. v. 23.6.2010 – 8 C 20.09 -, BVerwGE 137, 171, juris Rn. 35).
Gemäß § 15 Satz 1 Nr. 6 PflegeKG beschließt die Kammerversammlung über alle sonstigen Angelegenheiten, die über die laufende Geschäftsführung hinausgehen. Der Vorstand führt nach § 21 Abs. 1 PflegeKG die laufenden Geschäfte der Kammer. Er bereitet die Beratungen der Kammerversammlung vor und führt die von ihr gefassten Beschlüsse aus. Das Nähere über die Aufgaben der Organe ist gemäß § 6 Satz 1 Nr. 1 PflegeKG in der Kammersatzung zu regeln. Diese sieht in § 18 Abs. 3 Nr. 5 vor, dass dem Vorstand die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit obliegt.
Grundsätzlich ist damit die Information der Presse als laufendes Geschäft der Kammer dem Vorstand zugewiesen. Der Inhalt der von diesem Kammerorgan als solchem getätigten Äußerungen wird allerdings der Kammer zugerechnet und muss deshalb das oben erläuterte Gesamtinteresse zum Ausdruck bringen. Die der eigentlichen Pressearbeit vorausliegende Bestimmung bzw. Bildung des Gesamtinteresses in bedeutenden und unter den Kammermitgliedern unterschiedlich beurteilten Angelegenheiten obliegt aber der Kammerversammlung (zu IHKn BVerfG, Urt. v. 12.7.2017 – 1 BvR 2222/12, 1 BvR 1106/13 -, BVerfGE 146, 164, juris Rn. 117). Insofern ist kein laufendes Geschäft gegeben. Liegt eine bedeutende und in erheblicher Weise streitige Thematik vor, so übersteigt die Bestimmung des Gesamtinteresses durch Abwägung und Ausgleich auch widerstreitender Interessen den Bereich der in Ansehung ihrer Regelhaftigkeit und Häufigkeit für die Antragsgegnerin typischen Verwaltungsangelegenheiten. Eine andere Aufgabenverteilung widerspräche dem Befund, dass die angemessene Partizipation der Betroffenen an der Willensbildung unter Gewährleistung der erforderlichen Binnenpluralität in erster Linie in der unmittelbar gewählten Kammerversammlung erfolgen kann (vgl. zu IHKn BVerfG, Urt. v. 12.7.2017 – 1 BvR 2222/12, 1 BvR 1106/13 -, BVerfGE 146, 164, juris Rn. 120 ff.). Erst wenn die Kammerversammlung mindestens eine grundsätzliche Festlegung über das Gesamtinteresse getroffen hat, kann es in derartigen Angelegenheiten dem Vorstand überlassen werden, dieses nach außen zu tragen und es dabei auch verdeutlichend, konkretisierend und fortschreibend auszuformulieren (vgl. zu IHKn BVerwG, Urt. v. 23.6.2010 – 8 C 20.09 -, BVerwGE 137, 171, juris Rn. 35, 49; Beschl. v. 14.2.2020 – 8 B 78.19 -, juris Rn. 6). Damit ist allerdings nicht die gesamte Pressearbeit unter den Vorbehalt der Befassung der Kammerversammlung gestellt. Dieses Organ muss zum einen nur dann vorab tätig geworden sein, wenn es sich um eine bedeutende und unter den Kammermitgliedern in erheblicher Weise unterschiedlich beurteilte Angelegenheit handelt. Zum anderen genügt eine grundsätzliche Festlegung des Gesamtinteresses, an die der Vorstand anknüpfen kann. Eine detailscharfe Bestimmung des Inhalts der Pressearbeit ist nicht erforderlich. Es mag sein, dass durch das Erfordernis der Befassung der Kammerversammlung eine sofortige Interessenvertretung in der schnelllebigen Medienlandschaft bei einzelnen Themen verhindert wird. Dieser Einwand führt nicht dazu, dass dem Vorstand ein unabhängigeres Vorgehen möglich wäre. Äußerungen im Namen der Kammer dürfen nur das Gesamtinteresse im oben bezeichneten Sinne artikulieren. Solange eine im Einzelfall erforderliche grundsätzliche Festlegung der Kammerversammlung fehlt, gibt es schlicht keine Bestimmung des Gesamtinteresses durch die Antragsgegnerin, die der Vorstand nach außen tragen könnte. Die Antragsgegnerin kann wegen der bestehenden Pflichtmitgliedschaft nicht wie ein Interessenverband oder eine politische Partei agieren (vgl. auch BVerwG, Urt. v. 23.6.2010 – 8 C 20.09 -, BVerwGE 137, 171, juris Rn. 32; Hamburgisches OVG, Beschl. v. 16.11.2016 – 5 Bf 40/16.Z -, NordÖR 2017, 145, juris Rn. 34; OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 12.4.2019 – 16 A 1499/09 -, GewArch. 2019, 296, juris Rn. 126, 142). Ermächtigten die Rechtsgrundlagen der Antragsgegnerin den Vorstand zu einer Pressearbeit ohne vorangehende gehörige Bildung des Gesamtinteresses, dann verletzte die Pflichtmitgliedschaft Art. 2 Abs. 1 GG. Das übersieht der sich auf eine Entscheidung des VG Mainz (Beschl. v. 13.10.2020 – 4 L 606/20.MZ -) berufende Vortrag der Antragsgegnerin. Die Pflichtmitgliedschaft bezieht ihre Legitimation gerade daraus, dass nicht ein beliebiges Mehrheitsinteresse, sondern das Gesamtinteresse, zu dessen Bestimmung erst die vollständige Mitgliedschaft der Berufsangehörigen die Kammer befähigt, artikuliert wird. Eine nachträgliche Genehmigung durch die Kammerversammlung reicht nicht aus. Das Gesamtinteresse kann nur von der Kammerversammlung definiert, nicht aber nachträglich von ihr genehmigt werden. Kommt es ungeachtet dessen zur Veröffentlichung einer ohne erforderliche Beteiligung der Kammerversammlung erstellten Grundsatzpapiers, liegt jedenfalls im Vorgang der Veröffentlichung eine Überschreitung der rechtlichen Befugnisse der Körperschaft und damit eine Verletzung der Rechte ihrer Pflichtmitglieder (zu IHKn BVerwG, Urt. v. 23.6.2010 – 8 C 20.09 -, BVerwGE 137, 171, juris Rn. 50). Weil die Bildung des Gesamtinteresses durch die Kammerversammlung Voraussetzung für die Erfüllung der materiell-rechtlichen Anforderungen an die Tätigkeit der Antragsgegnerin ist, kann jedes ihrer Mitglieder einen derartigen Fehler geltend machen (zu IHKn BVerwG, Urt. v. 23.6.2010 – 8 C 20.09 -, BVerwGE 137, 171, juris Rn. 52).“

Gemessen an diesen Maßstäben hat die Antragstellerin die Voraussetzungen des Anordnungsanspruchs glaubhaft gemacht.

Die beschließende Kammer erachtet die gesamte Stellungnahme vom 25. November 2020 als unzulässige Äußerung; daher steht der Antragstellerin ein Anspruch auf Unterlassung der Verlautbarung und deren Zurückziehen aus dem Gesetzgebungsverfahren durch deren Widerruf zu.

Dabei verkennt die Kammer weder die Erheblichkeit ihrer Entscheidung bzw. die Auswirkungen – auch – auf das Gesetzgebungsverfahren noch, dass es sich um eine insgesamt 39 Seiten umfassende Stellungnahme handelt, die neben den von der beschließenden Kammer als unzulässig erachteten einzelnen Äußerungen auch weitere Aussagen enthält.

Rechtlicher Maßstab ist § 9 Abs. 1 Nr. 1 PflegeKG (dazu a)). Die Stellungnahme der Antragsgegnerin ist nicht unter Einhaltung des dafür vorgesehenen Verfahrens zustande gekommen (dazu b)). Auch die materiellen Anforderungen sind nicht erfüllt (dazu c)): Es fehlt in der Stellungnahme insbesondere eine ausgewogene Darstellung der vertretenen Auffassungen der Gesamtheit der Kammermitglieder (dazu aa)). Die von der beschließenden Kammer im Folgenden aufgezeigten Fehler führen zu einer Unzulässigkeit der gesamten Stellungnahme (dazu bb)). Die von der Kammer festgestellten Verstöße in formeller und materieller Hinsicht führen selbstständig tragend zu einer Unzulässigkeit der Äußerung.

a) Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin ist deren Vorgehen nicht an § 9 Abs. 1 Nr. 6 lit. b PflegeKG, sondern an § 9 Abs. 1 Nr. 1 PflegeKG zu messen. Denn die Antragsgegnerin hat die streitgegenständliche Stellungnahme nicht in einem ihre Fachkompetenz betreffenden, sondern in dem auf ihre Auflösung abzielenden Gesetzgebungsverfahren abgegeben. Nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 PflegeKG ist es die Aufgabe der Antragsgegnerin, im Einklang mit den Interessen der Allgemeinheit gemeinsame berufliche Belange der Kammermitglieder wahrzunehmen. Zu den damit angesprochenen Aufgaben der Standesvertretung zählt insbesondere, die Interessen der verkammerten Berufsgruppen systematisch, professionell und kontinuierlich zu bündeln und sie – in Abwägung mit dem Allgemeininteresse – mit dem Anspruch auf Vollständigkeit und Verbindlichkeit nach innen sowie nach außen, insbesondere in Gesetzgebungsverfahren sowie sonstigen Entscheidungsprozessen mit Relevanz für die vertretenen Berufsgruppen, zu kommunizieren.

b) Die Stellungnahme der Antragsgegnerin ist nicht unter Einhaltung des dafür vorgesehenen Verfahrens zustande gekommen. Es liegt auf der Hand, deiner Stellungnahme in einem Gesetzgebungsverfahren, dessen Gegenstand die Auflösung der Antragsgegnerin ist, nicht zum laufenden Geschäft der Verwaltung zählt. Davon geht augenscheinlich auch die Antragsgegnerin aus, denn die Stellungnahme ist durch die Kammerversammlung in der Sitzung am 08. Dezember 2020 genehmigt worden. Eine solche nachträgliche Genehmigung durch die Kammerversammlung genügt indes nicht den zuvor dargelegten rechtlichen Anforderungen, weil das Gesamtinteresse nur von der Kammerversammlung definiert, nicht aber nachträglich von ihr genehmigt werden kann. Daher stellt die Abgabe der Stellungnahme und die Veröffentlichung auf der Homepage der Antragsgegnerin ohne die erforderliche vorige Beteiligung der Kammerversammlung eine Überschreitung der rechtlichen Befugnisse der Antragsgegnerin und damit eine Verletzung der Rechte ihrer Pflichtmitglieder dar. Dass die Kammerversammlung vor Abgabe und Veröffentlichung der Stellungnahme in ihrer Sitzung am 18. November 2020 entschieden hat, eine Stellungnahme abzugeben und sich dabei durch einen Rechtsanwalt unterstützen zu lassen, reicht nicht aus. Es ist nicht ersichtlich, dass in dieser Sitzung bereits jedenfalls die Grundzüge der Stellungnahme festgelegt worden sind, erst recht nicht unter Berücksichtigung des Ergebnisses der Mitgliederbefragung.

c) Überdies liegen Verstöße gegen materielle Vorgaben vor: Den Anforderungen an die Objektivität werden verschiedene Äußerungen in der Stellungnahme nicht gerecht (aa)). Die von der beschließenden Kammer im Folgenden aufgezeigten Fehler führen zu einer Unzulässigkeit der gesamten Stellungnahme (bb)).

aa) Die streitbefangene Äußerung bewegt sich nicht mehr innerhalb derjenigen Schranken, die sich aus der Stellung der Antragsgegnerin als Trägerin mittelbarer Staatsverwaltung mit Pflichtmitgliedschaft, die öffentliche Aufgaben wahrnimmt, ergeben. Das höchstmögliche Maß an Objektivität wird nicht gewahrt; die Stellungnahme ist vielmehr durch eine einseitige Darstellung und das Ausblenden von Gegenpositionen geprägt. Eine Abwägung der konfligierenden Interessen unter den Mitgliedern zu dem höchst umstritteneren Thema des Fortbestands der Antragsgegnerin ist nicht erkennbar. Insbesondere erfolgt die Darstellung der Auffassung derjenigen Mitglieder, die die Auflösung der Pflegekammer befürworten, nicht in ausreichendem Maße. Die Antragsgegnerin nennt dahingehend vielmehr lediglich Argumente, warum das Ergebnis der Online-Befragung nicht zur Grundlage der Entscheidung über die Auflösung der Antragsgegnerin gemacht werden sollte.

Im Einzelnen:

Die Einlassung auf Seite 3 der Stellungnahme

„Die Pflegekammer Niedersachsen lehnt ihre vorgesehene Auflösung entschieden ab.“

verletzt die Grenze der zulässigen Äußerung bereits deshalb, weil sie unterschlägt, warum sich jedenfalls ein nicht unwesentlicher Teil der Mitglieder der Antragsgegnerin gegen deren Fortbestand in der besagten Befragung ausgesprochen hat. Die zitierte Passage suggeriert vielmehr, dass diese Auffassung unter den Mitgliedern nicht vertreten wird.

Gleiches gilt für die Darstellungen auf Seite 4

„Die beabsichtigte Auflösung der Kammer würde zu einer Schwächung statt einer – eigentlich notwendigen – Stärkung der Berufsgruppe der beruflich Pflegenden führen.“

und auf Seite 8 unten:

„3. Sachgerechtigkeit der Aufgabenerfüllung durch die Pflegekammer
Die Pflegekammer hat in der kurzen Zeit ihres Bestehens ihre drei Hauptaufgaben – Standesvertretung, Standesförderung und Standesaufsicht – effektiv wahrgenommen.“

Die dort vertretenen Ansichten werden von den Kritikern der Antragsgegnerin gerade in Zweifel gezogen und entsprechen nach dem Ergebnis der Befragung jedenfalls nicht der Einschätzung sämtlicher Mitglieder der Antragsgegnerin.

Die Ausführungen auf den Seiten 19 unten stellen sich als verengend im Sinne der zuvor zitierten Maßgaben dar; dort heißt es:

„Die Auflösung der Kammer wird in dem vorliegenden Gesetzentwurf mit nur einem einzigen Argument gerechtfertigt, nämlich mit dem Ergebnis der zwischen Juli und September 2020 durchgeführten Mitgliederbefragung […].“.

Dies gilt auch für die Passage auf Seite 24:

„Es werden in der Gesetzesbegründung keinerlei Sachargumente vorgetragen, warum die Pflegekammer sich nicht bewährt habe und deswegen aufgelöst werden soll.“.

Diese Darstellung unterschlägt, dass in dem Gesetzentwurf nicht allein die Mitgliederbefragung als Grund für die Auflösung der Antragsgegnerin genannt wird; dort werden auch Zweifel am Nutzen der Antragsgegnerin für den pflegerischen Berufsstand geäußert. Daher haben sich die Fraktionen der SPD und der CDU bereits in ihrer Koalitionsvereinbarung vom November 2017 darauf verständigt, Wirkungen und die Organisation der Pflegekammer zur Hälfte der Legislaturperiode zu evaluieren (vgl. Gesetzentwurf, Beiakte 001, S. 9). Durch die Darstellung in der verfahrensgegenständlichen Stellungnahme wird überdies der Anschein erweckt, als gäbe es andere Umstände – wie die öffentliche Diskussion, die die Ministerin bewogen hat, diesem Ergebnis eine so erhebliche Bedeutung für die Entscheidung über eine Auflösung der Antragsgegnerin beizumessen, grundsätzliche Einwände gegen die Errichtung der Antragsgegnerin und Schlüsse, die aus Mängeln ihrer Tätigkeit gezogen werden könnten -, nicht und als basiere die Entscheidung allein auf der als Grundlage dafür – nach Auffassung der Antragsgegnerin – gänzlich ungeeigneten Befragung.

Die Ausführungen auf Seite 20

„Zunächst ist das Ergebnis der Mitgliederbefragung in keiner Weise repräsentativ für den Willen der Mehrheit der Mitglieder der Pflegekammer. Zwar mögen 70,6 % der Abstimmenden für eine Auflösung der Kammer votiert haben. Bei Zugrundelegung einer Abstimmungsbeteiligung von 19,4 % entspricht dies aber einem Anteil von nur 13,7 % aller teilnahmeberechtigten Kammermitglieder. […] Das Ergebnis der Mitgliederbefragung taugt schon unter diesem Gesichtspunkt nicht als beachtlicher Gemeinwohlgrund, der eine Auflösung der Pflegekammer rechtfertigen könnte.“

und auf Seite 21

„Ein alleiniges Abstellen auf den Willen der – noch dazu: kleinen Minderheit der – Kammermitglieder im Sinne eines ‚Wunschkonzerts‘ kommt dagegen rechtlich nicht in Betracht.“

sowie auf Seite 26

„Durch diese Äußerung wird das Abstimmungsverhalten einer kleinen Minderheit der Kammerzugehörigen (13,7 % aller teilnahmeberechtigten Kammermitglieder) sachwidrig zu einer Mehrheit umgedeutet. Auch dies weist daraufhin, dass die – nicht repräsentative und rechtlich fragwürdige – Mitgliederbefragung gewissermaßen als Feigenblatt verwendet wird, um die jeglichen Sachgründen entbehrende und damit willkürliche Abschaffung der Pflegekammer zu rechtfertigen.“

stellen sich als nicht objektiv dar, weil damit suggeriert wird, dass sich die „schweigende Mehrheit“ der Mitglieder der Antragsgegnerin deren Fortbestand wünscht. Ob diejenigen Mitglieder der Antragsgegnerin, die an der Befragung nicht teilgenommen haben, aber tatsächlich deren Fortbestand befürworten, ist rein spekulativ und kann nicht als Argument zugunsten des Fortbestandes der Kammer angeführt werden. Es tritt hinzu, dass jedenfalls die Äußerungen auf den Seiten 21 und 26 die erforderliche Objektivität in hinreichendem Maße auch deswegen vermissen lassen, weil es sich bei einer Gruppe von 13,7 % der stimmberechtigten Mitglieder bereits nicht um eine kleine Minderheit, sondern um einen erheblichen Anteil der Mitglieder der Antragsgegnerin handelt.

bb) Die gesamte verfahrensgegenständliche Stellungnahme der Antragsgegnerin ist wegen der Besonderheiten des Einzelfalls als unzulässig zu bewerten.

Die von der beschließenden Kammer als unzulässig erachteten Aussagen sind untrennbar mit den weiteren Teilen der verfahrensgegenständlichen Stellungnahme verwoben. Dieser liegt unter anderem die wesentliche Annahme zugrunde, dass die Antragsgegnerin vorteilhaft und effektiv arbeite (vgl. S. 3 f.), gleichwohl aber allein (vgl. S. 19 f.) aufgrund eines Votums einer „kleinen Minderheit der Kammermitglieder“ (vgl. S. 21) abgeschafft werden solle. Die These des Gutachtens, es fehlten überragende Gründe des Gemeinwohls, die die Abschaffung der Antragsgegnerin rechtfertigten, wird damit gerade wesentlich getragen durch diejenigen Aussagen, die die beschließende Kammer als unzulässig erachtet (vgl. dazu bereits zuvor).

Die gesamte Stellungnahme ist überdies unter Verstoß gegen die Verfahrensvorschriften zustande gekommen, dieser Verstoß ist nach der Rechtsprechung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts nicht heilbar (vgl. dazu bereits zuvor).

Schließlich stellen sich die Rechtsverstöße, die dieser Stellungnahme anhaften, in dieser Konstellation als besonders schwerwiegend dar: Die Antragsgegnerin hat die Stellungnahme am 25. November 2020 veröffentlicht. Sie hat damit sehenden Auges gegen rechtliche Vorgaben verstoßen sowie die Rechte der Antragstellerin ein weiteres Mal verletzt. Zum Zeitpunkt der Weiterleitung hatten sowohl die beschließende Kammer als auch das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht auf ein einstweiliges Rechtschutzersuchen der Antragstellerin eine zuvor veröffentlichte Pressemitteilung der Antragsgegnerin, in der diese ebenfalls für ihren Fortbestand eintrat, unter anderem wegen fehlender Sachlichkeit beanstandet und deren Entfernung von der Homepage angeordnet. Dass diese Mängel auch der nunmehr verfahrensgegenständlichen Stellungnahme anhaften, war für die – anwaltlich vertretene – Antragsgegnerin ohne weiteres erkennbar.

2. Der Antragstellerin steht ein Anordnungsgrund für den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Seite. Eine Eilbedürftigkeit ist gegeben. Der Anordnungsgrund für einen Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO ergibt sich zuvörderst aus dem Inhalt des Rechtsschutzbegehrens selbst, das auf eine sofortige Verpflichtung der Antragsgegnerin gerichtet ist (vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 12. Juli 2017 – 1 BvR 2222/12, 1 BvR 1106/13 -, juris, Rn. 73). Auch die weiteren Voraussetzungen des § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO liegen vor. Die einstweilige Anordnung erscheint jedenfalls deshalb nötig, weil durch die Veröffentlichung der Stellungnahme die Auffassung der Antragstellerin sowie eines nicht unerheblichen Teils der Mitglieder durch die Antragsgegnerin, deren Pflichtmitglied die Antragstellerin ist, nicht hinreichend in der weiterhin zu erwartenden öffentlichen Diskussion dargestellt wird.

3. Es handelt sich um eine zulässige Vorwegnahme der Hauptsache, da effektiver Rechtsschutz im Sinne des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG auf andere Weise nicht zu erreichen ist. Würde die Antragstellerin auf ein Hauptsacheverfahren verwiesen, könnte die politische Debatte und Entscheidung über die Zukunft der Antragsgegnerin bereits abgeschlossen sein.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (vgl. NordÖR 2014, 11). Eine Reduzierung des Streitwertes erfolgt nicht, weil der Antrag die Vorwegnahme der Hauptsache zum Gegenstand hat (vgl. VG Düsseldorf, Beschluss vom 14. September 2020 – 20 L 1781/20 -, juris, Rn. 94).

Es folgt die Rechtsmittelbelehrung.