Tacheles Rechtsprechungsticker KW 02/2021

1. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

1.1 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 28.10.2020 – L 12 AS 2055/18 – Revision zugelassen

Zur Berücksichtigung der Bedarfe für Unterkunft und Heizung, namentlich die Berücksichtigung des Zünd- und Pumpstroms für den Betrieb einer Gastherme

Orientierungshilfe (Redakteur)

  1. Zwar zählen Stromkosten für den Betrieb einer Gastherme, die der Heizung und Warmwasserbereitung dient, zu den Bedarfen für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II und sind nicht etwa von der vom Regelbedarf umfassten Haushaltsenergie i.S.d. § 20 Abs. 1 S. 1 SGB II abgedeckt (ausführlich dazu BSG Urteil vom 03.12.2015, B 4 AS 47/14 R).
  2. Die Rechtsprechung legt den Wert von 5 % der Brennstoffkosten als “Erfahrungswert” zugrunde (so LSG NRW Urteil vom 19.02.2013, L 2 AS 2081/12; LSG Berlin-Brandenburg Urteile vom 28.03.2019, L 32 AS 2123/14, und vom 14.09.2016, L 31 AS 300/15; LSG Niedersachsen-Bremen Urteil vom 10.07.2012, L 7 AS 988/11 ZVW; LSG Baden-Württemberg Urteil vom 25.03.2011, L 12 AS 2404/08).
  3. Inwieweit diese Erfahrungswerte durch wissenschaftliche Erkenntnisse untermauert sind, ist dagegen nicht ausschlaggebend. Vielmehr ist für eine Schätzung nach § 287 Abs. 2 ZPO ohnehin nur dann Raum, wenn die vollständige Aufklärung aller maßgebenden Umstände mit Schwierigkeiten verbunden ist (BSG Urteil vom 03.12.2015, B 4 AS 47/14 R).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

1.2 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 10.12.2020 – L 7 AS 1662/20 B ER -rechtskräftig

Keine Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Klage gegen einen Eingliederungsbescheid des JobCenters

Orientierungshilfe (Redakteur)

  1. Der Eingliederungsbescheid ist nicht bereits deshalb rechtswidrig, weil er nicht auf einen Zeitraum von sechs Monaten beschränkt ist, sondern bis “auf Weiteres” gelten soll.
  2. Durch die Änderungen des § 15 SGB II zum 01.08.2016 soll eine Eingliederungsvereinbarung, die der Eingliederungsbescheid ersetzt und für den insoweit dieselben Maßgaben gelten, nicht mehr regelhaft für sechs Monate geschlossen werden. Vielmehr kann der Geltungszeitraum im Rahmen des § 15 Abs. 3 Satz 1 SGB II flexibel vereinbart werden. Dies schließt die Möglichkeit einer unbefristeten Geltung ein. Diese kann ausdrücklich vereinbart sein (“bis auf weiteres”) oder sich stillschweigend aus dem Fehlen einer vereinbarten Regelung zur Laufzeit ergeben. Gemäß § 15 Abs. 3 Satz 1 SGB II sollen die Eingliederungsvereinbarung bzw. der Eingliederungsbescheid, jedoch spätestens nach Ablauf von sechs Monaten gemeinsam überprüft und fortgeschrieben werden (vgl. hierzu BSG Urteil vom 21.03.2019 – B 14 AS 28/18 R).
  3. Dieser gesetzlichen Maßgabe ist der Antragsgegner mit Punkt 6 des Eingliederungsbescheides (“Fortschreibung des ersetzenden Verwaltungsaktes”) nachgekommen.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

1.3 – Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Urt. v. 17.06.2020 – L 4 AS 713/15 rechtskräftig

Angelegenheiten nach dem SGB II (AS) – Zur Fortsetzungsfeststellungsklage nach einer erledigten Eingliederungsvereinbarung mittels Verwaltungsakt (hier: Wiederholungsgefahr)

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

Hinweis:
Ebenso LSG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 17.06.2020 – L 4 AS 710/15

1.4 – Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Beschluss v. 03.09.2020 – L 2 AS 803/18 – rechtskräftig

Anspruch auf Prozesskostenhilfe (PKH) mit Ratenzahlung – Mehraufwandsentschädigung – Absetzung vom Einkommen

Eine Mehraufwandsentschädigung für eine Arbeitsgelegenheit nach § 16d SGB II (“Ein-Euro-Job”) ist im Rahmen der Prozesskostenhilfe als Einkommen zu berücksichtigen.

Orientierungshilfe (Redakteur)

  1. Zum Einkommen gehören alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert (§ 115 Abs. 1 Satz 2 ZPO), auch Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende.
  2. Daneben ist auch die Mehraufwandsentschädigung zu berücksichtigen, die dem Kläger für die Wahrnehmung einer Arbeitsgelegenheit nach § 16d SGB II gewährt wird (vgl. Sächsisches LSG, Beschluss vom 23. Februar 2009 – L 3 B 138/07 AS-PKH – juris Rn. 4; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 15. April 2011 – L 5 AS 364/10 B ER –, juris Rn. 36 (jeweils zu § 16 Abs. 3 Satz 2 SGB II a.F.)). Anders als in § 11a Abs. 1 Nr. 1 SGB II findet sich im Recht der Prozesskostenhilfe keine Ausnahmeregelung, die einer Anrechnung entgegenstünde.
  3. Eine Arbeitsgelegenheit nach § 16 SGB 2 (Ein-Euro-Job) ist keine Erwerbstätigkeit iS von § 115 ZPO. Die daraus erzielte Mehraufwandsentschädigung ist kein Einkommen aus einer Erwerbstätigkeit, sondern eine Sozialleistung aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

1.5 – Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Beschluss v. 30.11.2020 – L 2 AS 38/20 – rechtskräftig

Sozialrechtliches Vorverfahren – Verwerfung eines Widerspruchs als unzulässig – Nachweis der Vollmacht – isolierte Anfechtungsklage

Leitsatz (Juris)

  1. Im sozialgerichtlichen Verfahren ist die isolierte Anfechtung eines Widerspruchsbescheides zulässig, wenn der Betroffene durch einen Verfahrensfehler im Widerspruchsverfahren erstmalig oder gegenüber dem Ursprungsbescheid zusätzlich beschwert wird (vgl. BSG, Urt v 15. August 1996, 9 RV 10/95, juris RN 14; Urt v 25. März 1999, B 9 SB 14/97 R, juris RN 20).
  2. Ein Rechtsschutzbedürfnis für ein solches Vorgehen kann auch bei einer gebundenen Entscheidung vorliegen. Es setzt jedoch voraus, dass bei der sachlichen Befassung der Behörde im Rahmen des Widerspruchsverfahrens eine für den Betroffenen günstige Entscheidung zumindest möglich erscheint (ebenso: LSG Niedersachsen-Bremen, B v 5. Juli 2012, L 11 AS 759/11, juris RN 30).
  3. Damit ein Widerspruch ohne Sachprüfung wegen des fehlenden Nachweises einer Vollmacht verworfen werden kann, bedarf es zunächst einer Aufforderung an den Vertreter, binnen einer bestimmten Frist die Vollmacht vorzulegen; diese Aufforderung ist grds. mit dem Hinweis zu verbinden, dass der Widerspruch anderenfalls als unzulässig verworfen werde.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

1.6 – Hessisches Landessozialgericht, Beschluss v. 15.12.2020 – L 9 AS 546/20 B ER

Grundsicherung für Arbeitsuchende – keine vierjährige Verjährung – 30-jährige Verjährungsfrist

Leitsatz (Redakteur)

  1. Die 4-jährige Verjährungsfrist des § 50 Abs. 4 SGB X findet auf einen mit bestandskräftigem Erstattungsbescheid gemäß § 328 Abs. 3 SGB III festgesetzten Erstattungsanspruch keine Anwendung. dieser verjährt gemäß § 52 SGB X in 30 Jahren (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 2. Juli 2020 – L 14 AS 553/20 B ER -; LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 6. Juni 2019 – L 4 AS 272/17 -; Thüringer LSG, Urteil vom 22. März 2018 – L 9 AS 323/16 -; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 4. April 2017 – L 2 AS 1921/16).
  2. Scheidet die entsprechende Anwendung des § 50 Abs. 4 Satz 1 SGB X in dieser Fallgestaltung aus, bedarf es keiner Entscheidung, ob § 50 Abs. 4 SGB X als vorrangige Sonderregelung für die Feststellung eines Erstattungsanspruchs durch Verwaltungsakt der Regelung des § 52 Abs. 2 SGB X vorgeht und nur zusätzliche Verwaltungsakte zur Durchsetzung des durch Verwaltungsakt festgestellten Erstattungsanspruchs § 52 Abs. 2 SGB X unterfallen (bejahend: LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 14. Dezember 2018 – L 34 AS 2224/18 B ER -; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 27. September 2018 – L 1 AL 88/17 -; Baumeister in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2. Aufl. 2017, § 50 Rn. 126 m. w. N.; Becker in: Hauck/Noftz, SGB X, Stand: August 2016, § 50 Rn. 95; verneinend: SG Reutlingen, Urteil vom 2. September 2020 – S 4 AS 1417/19 -; zum Ganzen vgl. auch Geiger, info also 2019, 201 und 2020, 29).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

2. Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

2.1 – Sozialgericht Berlin, Urt. v. 08.12.2020 – S 179 AS 10734/19

elektronischer Widerspruch; EGVP; Elektronisches Gerichts- und Verwaltungspostfach; Zugang; Zugangseröffnung; Widmung; Widmungsakt; Rechtsmittelbelehrung; Rechtsbehelfsbelehrung

Leitsatz (Juris)

  1. Der Zugang für den Empfang elektronischer Dokumente nach § 36a Abs. 1 SGB I ist eröffnet, wenn die Behörde einen technisch vorhandenen Zugang gewidmet hat.
  2. Eine konkludente und generelle Widmung liegt spätestens mit der Aufnahme der Behörde in das Adressverzeichnis des Elektronischen Gerichts- und Verwaltungspostfachs (EGVP) vor, auch wenn die Behörde intern beabsichtigt, nur mit den Gerichten elektronisch zu kommunizieren.
  3. Ab diesem Zeitpunkt muss die Behörde über die Möglichkeit der elektronischen Widerspruchseinlegung belehren.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

Hinweis:
Es bestehen unterschiedliche Auffassungen, ob und wann die Berliner Jobcenter den elektronischen Zugangsweg eröffnet haben, verschiedene Rechtsauffassungen zeigt das Urt. auf.

2.2 – Sozialgericht Köln, Beschluss vom 18. Dezember 2020 (S 30 AS 4100/20 ER):

Leitsatz Dr. Manfred Hammel
Zur Bejahung der Einschränkung der Anspruchsausschlussgründe gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II im Fall einer im Bundesgebiet lebenden österreichischen erwerbsfähigen Leistungsberechtigten (§ 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II) aufgrund des aus Art. 2 Abs. 1 des „Deutsch-Österreichischen Abkommens für Fürsorge und Jugendwohlfahrtspflege (DÖFA)“ vom 17.01.1966 hervorgehenden Gleichbehandlungsgebots.

Das DÖFA wirkt als unmittelbares Bundesrecht.

Ein Vorsatz zur Inanspruchnahme von Leistungen der öffentlichen Fürsorge im Bundesgebiet liegt nicht vor, wenn unmittelbar nach der Einreise einer nichtdeutschen Person von ihr hier eine geringfügige Beschäftigung ausgeübt wurde, und bedingt durch die Auswirkungen der Corona-Pandemie sich die weitere Arbeitsuche sehr schwierig darstellte.

2.3 – SG Cottbus, 19.11.2020 – S 29 AS 1120/20 ER

Orientierungshilfe Rechtsanwalt Dr. Jens-Torsten Lehmann
Prozessvergleich statt richterliche Entscheidung kurz vor Weihnachten: einmaliger Zuschuss für die Anschaffung eines internetfähigen Computers nebst Zubehör in Höhe von 300,00 EUR

Quelle: ra-jtlehmann.de

2.4 – SG Cottbus, 19.11.2020 – S 29 AS 1164/18

Leitsatz Rechtsanwalt Dr. Jens-Torsten Lehmann
Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung bei Leberzirrhose nach Maßgabe der aktuellen Empfehlung des Deutschen Vereins vom 16.09.2020.

Quelle: ra-jtlehmann.de

3. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Sozialhilfe (SGB XII)

3.1 – Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Urt. v. 24.09.2020 – L 9 SO 72/17 – Revision anhängig BSG B 8 SO 16/20 R

Streitigkeiten nach dem SGB XII, weitere Leistungen, Verrechnung Heizkostennachforderung mit Stromguthaben

Orientierungshilfe (Redakteur)
Zur Frage, ob eine Verrechnung von einem aus dem Regelsatz angesparten Guthaben mit Nachforderungen von Heizkosten zu einem in Höhe des Verrechnungsbetrages geringeren Bedarf führen kann.

Leitsatz (Juris)

  1. Verrechnet ein Versorger seine Heizkostennachforderung mit einem gleichzeitig bestehenden, aus dem Regelbedarf angesparten Stromkostenguthaben, führt diese Verrechnung nicht zu einem geringeren Bedarf des Leistungsbeziehers für die Heizung.
  2. Nach dem in Schleswig-Holstein geltenden Behördenprinzip ist die Klage gegen die Behörde zu richten, deren Bezeichnung in Angelegenheiten der Sozialhilfe “Kreis… – Der Landrat” lautet.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

4. Entscheidungen zum Asylrecht und AsylbLG

4.1 – Hessisches Landessozialgericht, Beschluss vom 22.12.2020 – Az.: L 4 AY 24/20 B ER

Normen: §§ 3, 3a AsylbLG – Schlagworte: Leistungen nach dem AsylbLG auch trotz Wohnsitz außerhalb zugewiesenen Landkreises

weiter bei RA Sven Adam

4.2 – SG Berlin, Beschluss v. 25.09.2020 – S 90 AY 58/20

Pauschaler Verweis auf „Corona“ rechtfertigt keine Untätigkeit der Behörde

Leitsatz beck-online/Rechtsprechnung

  1. 1. Der pauschale Verweis einer Behörde auf die Covid-19 Pandemie begründet keinen zureichenden Grund i.S.d. § SGG § 88 Abs. SGG § 88 Absatz 1 S. 2 SGG.
  2. 2.Vor der Erhebung einer Untätigkeitsklage besteht keine Obliegenheit, vorab bei der Behörde nachzufragen. Nichts anderes gilt auch während einer Pandemie.
  3. 3.Wenn die Behörde durch einen Teilabhilfebescheid gezeigt hat, dass sie sich mit der Sache schon befasst hat, besteht ausnahmsweise doch – im vorliegenden Einzelfall – eine Obliegenheit zur Nachfrage vor Erhebung der Untätigkeitsklage.

Hinweis:
Volltext abgedruckt in ASR 2020, 227 (m. Anm. Gerloff)

5. Verschiedenes zu Hartz IV, zur Sozialhilfe, zum Asylrecht, Wohngeldrecht und anderen Gesetzesbücher

5.1 – Sozialgericht Fulda, Urt. v. 27.10.2020 – S 4 KG 1/20

Kindergeld für sich selbst – Nichtkenntnis vom Aufenthalt der Eltern – subjektiver Beurteilungsmaßstab – missbräuchliche Nichtkenntnis

Orientierungshilfe (Redakteur)
Syrischer Flüchtling hat Anspruch auf Kindergeld für sich selbst auch wenn der Kläger den Aufenthalt seiner Eltern nicht kennt. (vgl. SG Landshut, Beschluss vom 17. April 2012 – S 10 KG 1/12 ER).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

Hinweis: Leitsatz (Juris)

  1. Die Regelungen zum Anspruch auf Kindergeld für sich selbst sind nicht als Ausnahmeregelung einschränkend auszulegen. Insbesondere steht auch eine etwaige fahrlässige Unkenntnis des Aufenthaltsortes der Eltern dem Anspruch nicht entgegen (im Anschluss an BSG, Urt. v. 8. April 1992 (10 RKg 12/91 – SozR 3-5870 § 1 Nr. 1).
  2. Dem Anspruch auf Kindergeld für sich selbst kann daher nur die jedem Recht immanente Schranke des Rechtsmissbrauchs entgegengehalten werden. Ein solcher ist bei unbegleitet geflüchteten Minderjährigen regelmäßig zu verneinen, wenn sie nach ihrer Flucht in die Bundesrepublik Deutschland zur Überzeugung des Gerichts keinen Kontakt mehr zu ihren Eltern im Herkunftsstaat hatten; sie sind auch nicht verpflichtet, über internationale (nichtstaatliche) Suchdienste den Aufenthaltsort ihrer Eltern zu ermitteln, um damit ihren Kindergeldanspruch zu Fall zu bringen.
5.2 – Europäischer Gerichtshof wird über Kindergeldausschluss von Unionsbürgerinnen entscheiden

Das Finanzgericht Bremen hat dem Europäischen Gerichtshof die Frage vorgelegt, ob der Ausschluss vom Kindergeld für nichterwerbstätige Unionsbürger*innen in Deutschland europarechtswidrig ist (Finanzgericht Bremen: Beschluss vom 20.08.2020 – 2 K 99/20; EuGH, Rechtssache C-411/20).

Seit Juli 2019 sieht §62 Abs.1a EStG vor, dass für Unionsbürger*innen innerhalb der ersten drei Monate nach Einreise nur dann ein Kindergeldanspruch zusteht, wenn sie in dieser Zeit bereits erwerbstätig sind. Auch danach besteht ein Kindergeldanspruch nur dann, wenn sie einen Freizügigkeitsgrund erfüllen oder zuvor erfüllt hatten, der nicht nur in der Arbeitsuche besteht. Diese Regelung ist nach unserer Überzeugung europarechtlich unzulässig und sozialpolitisch fatal. Auch das Finanzgericht Bremen sieht dies offensichtlich so und hat daher den Europäischen Gerichtshof um Klärung gebeten. Wann dieser eine Entscheidung treffen wird, ist bislang nicht klar.

Für die Beratungspraxis heißt das: In Fällen, in denen die Familienkasse das Kindergeld ablehnt, weil Unionsbürger*innen in den ersten drei Monaten des Aufenthalts noch keine Erwerbstätigkeit ausüben, sollten die Betroffenen dagegen einen Einspruch einlegen, diesen mit dem Verfahren beim Europäischen Gerichtshof begründen und zugleich beantragen, dass das Verfahren gem. §363 Abs.2 S.2 der Abgabenordnung (AO) „ruhend gestellt“ wird:

weiter: www.ggua.de

5.3 – PM – Jobcenter Werra-Meißner gibt in Berufungsverfahren vor dem Hessischen Landessozialgericht wegen Kosten der Unterkunft bei Existenzsicherungsleistungen auf

Ein Beitrag von RA Sven Adam, Göttingen
weiter hier: anwaltskanzlei-adam.de

Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock

Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker