Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen – Beschluss vom 04.02.2021 – Az.: L 8 AY 118/20 B ER

BESCHLUSS

L 8 AY 118/20 B ER
S 42 AY 4026/20 ER Sozialgericht Hildesheim

In dem Beschwerdeverfahren

1. xxx,
2. xxx,
3. xxx,
4. xxx,
5. xxx,
6. xxx,
zu 1-6 wohnhaft xxx

– Antragsteller und Beschwerdegegner –

Prozessbevollmächtigter:
zu 1-6: Rechtsanwalt Sven Adam,
Lange Geismarstraße 55, 37073 Göttingen

gegen

Landkreis Hildesheim 908 Rechtsamt,
vertreten durch den Landrat,
Bischof-Janssen-Straße 31, 31134 Hildesheim

– Antragsgegner und Beschwerdeführer –

hat der 8. Senat des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen am 4. Februar 2021 in Celle durch die Richter xxx und xxx sowie die Richterin xxx beschlossen:

Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Hildesheim vom 11. Dezember 2020 wird zurückgewiesen.

Der Antragsgegner hat auch die außergerichtlichen Kosten der Antragsteller für das Beschwerdeverfahren zu erstatten.

GRÜNDE
I.

Die Antragsteller begehren im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes vorläufig höhere Leistungen nach dem AsylbLG.

Die Antragsteller gehören dem Volk der Roma an. Der am xx.xx.1977 geborene Antragsteller zu 1 und die am xx.xx.1982 geborene Antragstellerin zu 2 sind ein (nach Roma-Sitte verheiratetes) Ehepaar und die Antragsteller zu 3 bis 6 deren Kinder. Zu der Familie gehören noch zwei weitere Söhne des Antragstellers zu 1, der am xx.xx.1999 geborene xxx und der am xx.xx.2002 geborene xxx, die in eigenständigen Verfahren höhere Leistungen nach dem AsylbLG geltend machen. Die Namen und Geburtsdaten gehen mit Ausnahme des am xx.xx.2014 in xxx in der Schweiz geborenen Antragstellers zu 6 allein auf Angaben der Antragsteller zu 1 und 2 zurück. Es liegen – mit Ausnahme der schweizerischen Geburtsurkunde für den Antragsteller zu 6 – keinerlei Identitätspapiere vor. Die Antragsteller zu 1 und 2, die Söhne xxx und xxx des Antragstellers zu 1 sowie die am xx.xx.2002 geborene Antragstellerin zu 3 seien in xxx im Kosovo geboren, der am xx.xx.2008 geborene Antragsteller zu 4 und der am xx.xx.2009 geborene Antragsteller zu 5 in xxx in Serbien.

Die Familie reiste am 22.5.2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte hier Asylanträge. Bei seiner Anhörung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) Mitte September 2015 gab der Antragsteller zu 1 im Wesentlichen an: Sie hätten vor ihrer Einreise nach Deutschland ca. 2 ½ Jahre in der Schweiz gewohnt. Er habe im Kosovo zuletzt in xxx gelebt. Seit 1999 halte er sich dort nicht mehr auf. Von da an bis 2015 hätten sie sich in verschiedenen Staaten in Europa aufgehalten und erfolglos Asylanträge gestellt. So sei er zum Beispiel in Frankreich gewesen, wo er 2 ½ Monate in Abschiebehaft habe verbringen müssen. Sie hätten kein Land gefunden, dass sie habe aufnehmen wollen. Auch die Republik Kosovo habe es abgelehnt, sie zurückzunehmen. Er habe den Kosovo damals wegen des Krieges verlassen und in verschiedenen europäischen Ländern gelebt. Jetzt wolle der Kosovo ihn nicht mehr haben. Er wisse nicht, was er mit seiner Familie machen solle. Er werde auch freiwillig in den Kosovo zurückkehren, wenn die ihn dort aufnehmen würden. Er habe nie im Leben einen Personalausweis oder einen Reisepass besessen. Sie als Roma hätten gar keine Papiere besessen. Das sei für sie auch nicht so wichtig gewesen. Und als der Krieg angefangen habe, seien sie einfach abgehauen. Es gebe auch heute Roma in Serbien, die ohne jegliche Papiere dort lebten. Er sei jetzt schon seit 1999 unterwegs und wisse nicht mehr, wo er hinsolle.

Das BAMF lehnte die Asylanträge der Antragsteller mit Bescheid vom 15.9.2015 als offensichtlich unbegründet ab, verneinte Abschiebungsverbote und forderte sie zur Ausreise innerhalb einer Woche auf. Für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise wurde den Antragstellern die Abschiebung in den Kosovo angedroht. Rechtsmittel blieben erfolglos. Die Antragsteller werden seither gemäß § 60a AufenthG geduldet. Sie leben in einer abgeschlossenen ca. 62 qm großen Wohneinheit in einer Gemeinschaftsunterkunft in Hildesheim.

Nach Abschluss des Asylverfahrens forderte die Stadt Hildesheim (Stadt) als Ausländerbehörde (im Folgenden nur: Ausländerbehörde) die Antragsteller zu 1 und 2 unter dem 27.10.2015 zur Vorsprache und Vorlage von Geburtsurkunden oder anderen Identitätsnachweisen (Pass, Identitätskarten) auf. Daraufhin teilte der die Antragsteller damals vertretende Rechtsanwalt der Ausländerbehörde Anfang November 2015 mit, es dürfe sich bei den Antragstellern um Staatenlose handeln. Wie sich aus den von ihm beigefügten Unterlagen aus dem vorangegangenen Schweizer Asylverfahren (Antwort des serbischen Innenministeriums vom 30.10.2013 und E-Mail Korrespondenz „READEMISSION Kosovo“ vom 30.7.2013) ergebe, hätten weder Serbien noch Kosovo feststellen können, dass es sich bei den Antragstellern um Angehörige ihres Staates handelt. Sie hätten daher auch jeweils eine Rückführung abgelehnt. Die Ausländerbehörde teilte dem Rechtsanwalt daraufhin unter dem 10.12.2015 und 6.4.2016 mit, dass die kosovarische und die serbische Botschaft in der Schweiz die Familie der Antragsteller unter den Personalien nicht in den Registern hätten finden können, bedeute keineswegs, dass von einer Staatenlosigkeit der Antragsteller auszugehen sei. Sie könnten unter jeglichen Personalien registriert sein. Irgendwelche Identitätsdokumente seien nicht vorgelegt worden. Sie hätten selbst angegeben kosovarische Staatsangehörige zu sein. Selbst staatenlose Personen verfügten in aller Regel über irgendwelche Identitätsdokumente. Die Antragsteller wurden aufgefordert, bis Ende April einen gültigen Nationalpass oder Passersatz oder alle Urkunden und sonstigen Unterlagen, die für die Feststellung der Identität und Staatsangehörigkeit von Bedeutung sein könnten, vorzulegen bzw. in der Form mitzuwirken, dass die Identifizierung und somit Ausstellung eines Passersatzpapieres möglich sei. Mit weiterem an den Rechtsanwalt gerichteten Schreiben vom 6.9.2016 wurde diese Aufforderung wiederholt. Weiterhin wurde eine Aufstellung darüber gefordert, wo die Antragsteller von wann bis wann gelebt haben (Land, Ort etc.). Ein auszufüllendes Formular „Fragebogen zur Identitäts- und Staatsangehörigkeitsklärung“ war beigefügt. Dieses Formular sandte der Rechtsanwalt Anfang Oktober 2016 ausgefüllt an die Ausländerbehörde zurück. Unter Verwendung der darin angegebenen Daten veranlasste die Ausländerbehörde ein Rückübernahmeersuchen an die Republik Kosovo, welches Anfang Juni 2017 abgelehnt wurde. Es habe sich nicht feststellen lassen, dass die Antragsteller Staatsangehörige der Republik Kosovo seien. In der Folgezeit wurden die Antragsteller zu 1 und 2 von der Ausländerbehörde regelmäßig aufgefordert, zur fristgerechten Erneuerung ihrer Duldungen vorzusprechen und neben den Duldungen der Familie mit gültigen Nationalpässen oder Passersatzpapieren aller Familienmitglieder vorzusprechen. Bei der Vorsprache und der Verlängerung der Duldungen erfolgte jeweils eine schriftliche Belehrung u.a. dahingehend, dass ein Ausländer, der keinen gültigen Pass oder Passersatz besitzt, verpflichtet ist, an der Beschaffung des Identitätspapiers mitzuwirken, sowie alle Urkunden und sonstigen Unterlagen, die für die Feststellung seiner Identität und Staatsangehörigkeit von Bedeutung seien könnten und die er besitzt, der Ausländerbehörde vorzulegen. Der Antragsteller zu 1 füllte im September 2019 erneut die ihn und die Antragstellerin zu 2 betreffenden Fragebögen zur Identitätsangehörigkeitsklärung aus und legte sie mit Übersetzungen der die serbische Staatsangehörigkeit verneinenden Auskünfte der Republik Serbien vom 30.10.2013 in die deutsche Sprache vom 25.8.2019 der Ausländerbehörde vor. Die Ausländerbehörde geht seither von einer ungeklärten Staatsangehörigkeit der Antragsteller aus. Das LKA Niedersachsen regte im Oktober 2019 an, eine mazedonische Staatsangehörigkeit der Antragsteller zu prüfen.

Die für den Antragsgegner handelnde Stadt gewährte den Antragstellern mit Bescheid vom 10.9.2020 Grundleistungen gemäß §§ 3, 3a AsylbLG für die Zeit vom 1.9. bis zum 31.12.2020 in Höhe von insgesamt 2.478,05 €. Der Bescheid ging den Prozessbevollmächtigten der Antragsteller am 15.9.2020 zu. Er hatte zuvor angenommen, die Leistungsgewährung ab dem 1.9.2020 erfolge ohne Bescheid konkludent durch Auszahlung, hatte dagegen bereits Widerspruch eingelegt und am 14.9.2020 einen Eilantrag bei dem Sozialgericht (SG) Hildesheim gestellt, denn er nach Bekanntgabe des Bewilligungsbescheides und seinem dagegen am 15.9.2020 erhobenen Widerspruch an die neue Bescheidlage angepasst hat. Die Antragsteller haben im Wesentlichen geltend gemacht, Anspruch auf sogenannte Analogleistungen nach § 2 AsylbLG zu haben, weil sie sich bereits länger als vier Jahre in Deutschland aufhielten und sich nicht rechtsmissbräuchlich verhalten hätten. Sie seien stets bereit gewesen, an der Passbeschaffung mitzuwirken. Weder der Kosovo noch Serbien seien jedoch bereit gewesen, sie aufzunehmen. Sie seien entgegen der zuletzt geäußerten Vermutung auch nicht Staatsbürger der Republik Nord-Mazedonien, wie sich aus der Bestätigung der Botschaft dieses Landes in Berlin vom 2.12.2020 ergebe. Der Antragsgegner möge daher konkret erläutern, was sie noch tun könnten. Die schlichte Aufforderung zur Beibringung von Urkunden sei nicht zielführend, weil sie nicht über entsprechende Urkunden verfügten. Wie der Antragsteller zu 1 mit seiner eidesstattlichen Versicherung vom 4.11.2020 nochmals bekräftigt habe, habe er in den ausgefüllten Fragebögen zur Identitäts- und Staatsangehörigkeitsklärung gegenüber der Ausländerbehörde wahrheitsgetreue Angaben gemacht. Sie empfänden sich als staatenlos.

Der Antragsgegner hat erwidert, allein die Behauptung, über keine Unterlagen zu verfügen, sei im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens nicht rechtserheblich. Die Antragsteller hätten bei der Klärung ihrer Identität nicht in ausreichendem Umfang mitgewirkt. Die vom Antragsteller zu 1 in den Fragebögen gemachten Angaben zur Identität der Antragsteller seien zum Teil unrichtig (die Antragstellerin zu 2 sei nicht die Mutter der Söhne xxx und xxx des Antragstellers zu 1) bzw. widersprüchlich (Angaben zum Geburtsort des Sohnes xxx). Bei den von den Antragstellern bewohnten Räumlichkeiten in der Gemeinschaftsunterkunft handele es sich nicht um eine Wohnung im eigentlichen Sinne, sodass der Leistungsbemessung zutreffend die bei Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft anzuwendende Regelbedarfsstufe 2 berücksichtigt worden sei. Bei einer Auszahlung der Regelsätze in voller Höhe würden Bedarfe auch doppelt gedeckt, zum einen durch die Bargeldleistungen und zum anderen durch Sachleistungen des Betreibers der Unterkunft. Die Unterkünfte seien möbliert, sodass Möbel nicht beschafft werden müssten. Darüber hinaus werde Strom als Sachleistung zur Verfügung gestellt, ebenso wie regelmäßig wechselnde Bettwäsche. Es würden Haushaltsgeräte als Sachleistung zur Verfügung gestellt und ggfls. repariert, sowie auch andere Instandhaltungsarbeiten an den Wohnräumen durch die Einrichtung vorgenommen. Zudem würden Reinigungsleistungen von der Einrichtung erbracht und Aufenthaltsräume inklusive der technischen Ausstattung zur Verfügung gestellt.

Im Laufe des Eilverfahrens hat die Stadt den Antragstellern mit Bescheid vom 23.11.2020 für den Zeitraum vom 1.1. bis 31.3.2021 wiederum Leistungen nach §§ 3, 3a AsylbLG bewilligt. Dagegen haben die Antragsteller am 26.11.2020 Widerspruch eingelegt, über den ebenso wie über den Widerspruch vom 15.9.2020 noch nicht entschieden ist.

Das SG hat den Antragsgegner mit Beschluss vom 10.12.2020 im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragstellern vorläufig und unter dem Vorbehalt der Rückforderung privilegierte Leistungen gemäß § 2 Abs. 1 AsylbLG i.V.m. dem SGB XII analog für die Zeit vom 14.9.2020 bis längstens zum 31.3.2021, falls nicht zuvor über den Widerspruch gegen den Bescheid vom 10.9.2020 entschieden worden ist, unter Anrechnung der für diesen Zeitraum bereits erbrachte Grundleistungen zu gewähren. Die Antragsteller hätten einen Anspruch auf solche Leistungen glaubhaft gemacht. Als Inhaber einer Duldung gehörten sie gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 4 AsylbLG zu dem nach diesem Gesetz anspruchsberechtigten Personenkreis. Sie hätten auch die 18-monatige Voraufenthaltszeit erfüllt und sich im streitigen Zeitraum ab dem 14.9.2020 tatsächlich im Bundesgebiet aufgehalten. Dies gelte zur Überzeugung der Kammer selbst für den Fall, dass sie sich tatsächlich von Dezember 2017 bis Juli 2018 in Frankreich aufgehalten hätten und dies als wesentliche Unterbrechung des Aufenthalts im Bundesgebiet zu werten wäre. Sie hätten die Dauer ihres Aufenthalts im Bundesgebiet auch nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst. Die Antragsteller zu 1 und 2 sowie die Antragstellerin zu 3 ab Vollendung ihres 18. Lebensjahres hätten nach dem im Verfahren des einstweiligen Rechts-schutzes anzuwendenden Prüfungsmaßstab nicht nachweisbar über ihre Identität getäuscht.

Den Verwaltungsvorgängen, der Ausländerakte und dem Vorbringen des Antragsgegners im gerichtlichen Verfahren sei ein solcher Vorwurf nicht zu entnehmen. Objektive Anhaltspunkte für eine bewusste Identitätstäuschung seien nicht ersichtlich. Dass die Staaten Kosovo, Serbien und Nord-Mazedonien die jeweilige Staatsbürgerschaft der Antragsteller unter den angegebenen Identitäten nicht anerkannt haben, deute – bei Fehlen weiterer tatsächlicher Anhaltspunkte – nicht daraufhin, dass die behaupteten Personalien unrichtig seien. Vielmehr lasse dies allenfalls eine Spekulation in diese Richtung zu. Dies sei jedoch nicht ausreichend, um einen Rechts-missbrauch im Sinne eines vorsätzlichen Handelns nachzuweisen, zumal die Leistungsbehörde die Beweislast für die Rechtsmissbräuchlichkeit trage. Darüber hinaus liege zur Überzeugung der Kammer kein gravierender Verstoß gegen die ausländerrechtlichen Mitwirkungspflichten vor, der sich auf die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet ausgewirkt habe. Allgemein könne die Nichterfüllung konkret abverlangter ausländerrechtlicher oder asylrechtlicher Mitwirkungs-pflichten ein rechtsmissbräuchliches Verhalten darstellen. Diese Verpflichtung gelte aber dann nicht, wenn die Mitwirkungshandlung von vornherein aussichtslos oder dem Leistungsberechtigten nicht zumutbar sei. Im vorliegenden Einzelfall seien sämtliche Mitwirkungsaufforderungen, (pauschal) ein Nationalpass oder Passersatzpapiere vorzulegen, von vornherein aussichtslos, weil sich der Ausländerakte entnehmen lasse, dass die Ausländerbehörde von An-fang an von einer kosovarischen und hilfsweise serbischen Staatsangehörigkeit der Antragsteller ausgegangen sei, die sich aber nicht bestätigt hätten. Daher sei es von Anfang an zwecklos gewesen, von diesen die Staatsangehörigkeit der Antragsteller nicht anerkennenden Ländern ausgestellte Passpapiere zu verlangen. Die Zwecklosigkeit des ausländerbehördlichen Handels in Bezug auf die Zielstaaten Kosovo und Serbien sei von der Behörde inzwischen auch erkannt. Dass die Antragstellerin zu 1 (gemeint 2) nicht nord-mazedonische Staatsangehörige sei, stehe mit der entsprechenden Erklärung der Botschaft der Republik Nord-Mazedonien vom 2.12.2020 fest. Diese Klärung sei maßgeblich auf die Mitwirkung der Antragsteller zurückzuführen, sodass auch insoweit keine gravierende Verletzung von Mitwirkungspflichten zu erkennen sei, die sich auf die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet ausgewirkt habe. Vielmehr dürfe es nunmehr der Ausländerbehörde obliegen, Anhaltspunkte für eine anderweitige Staatsangehörigkeit der Antragsteller zu prüfen oder eine Prüfung zur Feststellung der Staatenlosigkeit einzuleiten.

Im Übrigen habe der Antrag der Antragsteller zu 3 bis 6 selbst dann Erfolg, wenn die Eltern sich rechtsmissbräuchlich verhalten hätten. Denn § 2 AsylbLG verlange eine „Selbstbeeinflussung“ der Aufenthaltsdauer, wobei das Verhalten der gesetzlichen Vertreter aufgrund des höchstpersönlichen Charakters nicht zurechenbar sei. Im streitigen Zeitraum könne bereits mangels Einsichtsfähigkeit aus Sicht der Kammer kein vorsätzlicher Rechtsmissbrauch vorgeworfen werden, zumal sich die ausländerrechtlichen Mitwirkungsaufforderungen ausschließlich an ein Elternteil gerichtet hätten und die Kenntnis der Minderjährigen von den abverlangten Pflichten fraglich erscheine. Gleiches gelte bzgl. der fehlenden Kenntnis für die Antragstellerin zu 3 ab Eintritt der Volljährigkeit. Denn ab Eintritt der Volljährigkeit am 19.8.2020 sei (offenbar auch coronabedingt) keine ausländerrechtliche Mitwirkungsaufforderung an sie gerichtet worden.

Da die Antragsteller zu 1 und 2 als Ehepaar ohnehin der Regelbedarfsstufe 2 zuzuordnen seien, komme es nicht darauf an, ob die Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft erfolge, die ebenfalls die Regelbedarfsstufe 2 bedinge. Auf die Regelbedarfsstufen der haushaltsangehörigen Antragsteller zu 3 bis 6 wirke sich die Einstufung als Gemeinschaftsunterkunft ebenfalls nicht aus.

Die erforderliche besondere Eilbedürftigkeit der Sache ergebe sich aus dem existenzsichernden Charakter der Leistungen.

Der Antragsgegner hat am 18.12.2020 Beschwerde gegen den Beschluss eingelegt. Die Antragsteller zu 1 bis 3 hätten ihren Aufenthalt in Deutschland rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst. Unabhängig von der durch die Ausländerbehörde vermuteten Staatsangehörigkeit sei es Aufgabe der Antragsteller, hinreichend darzulegen und nachzuweisen, welche Identität sie haben und welche Staatsangehörigkeit sie besitzen. Es sei geklärt, dass ein Verstoß gegen die ausländerrechtlichen Verpflichtungen aus § 48 AufenthG, insbesondere den sich auf § 48 Abs. 3 AufenthG ergebenden Mitwirkungspflichten, ein rechtsmissbräuchliches Verhalten begründe. Der Ausländer sei gehalten, eigenständig die Initiative zu ergreifen und die erforderlichen Schritte einzuleiten, um das bestehende Ausreisehindernis zu beseitigen (sogenannte Initiativpflicht). Demgegenüber sei davon auszugehen, dass die Antragsteller im Laufe des Ver-fahrens sowohl unvollständige als auch inhaltlich unzutreffende bzw abweichende Angaben gemacht hätten. Es sei nicht auszuschließen, dass die Auskünfte der Botschaften von Serbien und dem Kosovo bereits deshalb nicht zielführend gewesen seien, weil sowohl die Geburtsorte der Kinder als auch die Mütter der Söhne xxx und xxx des Antragstellers zu 1 fehlerhaft angegeben worden seien. Die Angaben zu den Geburtsorten der weiteren Kinder seien zum Teil ebenfalls unterschiedlich. Die Antragsteller hätten keinerlei Eigeninitiative entwickelt. Entgegen ihren ursprünglichen Angaben habe zumindest Kontakt zu Verwandten mütterlicherseits nach Frankreich bestanden. Da die Antragsteller zu 1 und 2 keinen Leistungsanspruch nach § 2 AsylbLG hätten, stehe auch den weiteren Antragstellern ein entsprechender Anspruch gemäß § 2 Abs. 6 AsylbLG nicht zu.

Da die Antragsteller in einer Gemeinschaftsunterkunft untergebracht seien und deren Betreiber zahlreiche bedarfsdeckende Sachleistungen erbringe, bleibe für die Bewilligung weiterer Geld-leistungen kein Raum. Dies habe das SG in dem Höhenstreit berücksichtigen müssen. Aus dem Regelsatz der Bedarfsstufe 2 in Höhe von 389,00 € hätten Anteile für Wohnen, Energie, Wohnungsinstandhaltung (Abteilung 4) in Höhe von 34,49 € sowie die Innenausstattung, Haushalts-geräte und Haushaltsgegenstände, laufende Haushaltsführung (Abteilung 5) in Höhe von 23,98 € herausgerechnet werden müssen, da diese Bedarfe durch Sachleistungen gedeckt würden. Für die übrigen Antragsteller gelte entsprechendes.

Die Antragsgegner halten den angegriffenen Beschluss des SG für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte zum vorliegenden Verfahren sowie der Gerichtsakte in dem Verfahren L 8 AY 75/20 B ER sowie auf die beigezogenen Leistungs- und Ausländerakten Bezug genommen.

II.

Die form- und fristgerecht (§ 173 SGG) eingelegte Beschwerde ist zulässig, insbesondere statthaft (§ 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG i.V.m. §§ 143, 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG). Der Beschwerdeausschluss nach § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG greift nicht ein, da die Berufung in der Hauptsache nicht nach § 144 Abs. 1 SGG der Zulassung bedürfte.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt die nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG maßgebliche Wertgrenze von 750,00 €. Der Wert des Beschwerdegegenstandes ist hier nach der sich für den Antragsgegner aus dem von ihm mit der Beschwerde angegriffenen Beschluss des SG ergebenden Belastung zu bestimmen, also der Differenz zwischen den bewilligten Leistungen nach §§ 3, 3a AsylblG und den vom SG vorläufig zugesprochenen Leistungen nach § 2 AsylbLG i.V.m. dem SGB XII. Sie beträgt – insoweit ausgehend von einem Zuspruch der Leistungen in voller Regelsatzhöhe – für den vom SG zugesprochenen Zeitraum vom 14.9.2020 bis längstens zum 31.3.2021 für die sechs Antragsteller insgesamt ca. 2000,00 €.

Die Beschwerde ist aber nicht begründet. Das SG hat den Antragsgegner zu Recht im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragstellern vorläufig Analog-Leistungen nach § 2 AsylbLG unter Anrechnung der erbrachten Grundleistungen nach §§ 3, 3a AsylbLG zu gewähren.

Einstweilige Anordnungen sind nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist, dass ein geltend gemachtes Recht gegenüber dem Antragsgegner besteht (Anordnungsanspruch) und der Antragsteller ohne den Erlass der begehrten Anordnung wesentliche Nachteile erleiden würde (Anordnungsgrund). Sowohl die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines in der Sache gegebenen materiellen Leistungsanspruchs als auch die Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).

Das für den Erlass einer einstweiligen Anordnung erforderliche streitige Rechtsverhältnis ist hier dadurch begründet, dass die Antragsteller gegen den ihnen für den Zeitraum vom 1.9. bis zum 31.12.2020 Grundleistungen nach §§ 3, 3a AsylbLG gewährenden Bescheid der für den Antragsgegner handelnden Stadt vom 10.9.2020 am 15.9.2020 Widerspruch erhoben haben, über den noch nicht entschieden ist. Der ihnen für den anschließenden Zeitraum vom 1.1. bis zum 31.3.2021 Grundleistungen nach §§ 3, 3a AsylbLG bewilligende Bescheid vom 23.11.2020 ist in entsprechender Anwendung des § 86 SGG Gegenstand des durch den Widerspruch vom 15.9.2020 eingeleiteten Widerspruchsverfahrens geworden (vgl. BSG, Urteil vom 17.6.2008 – B 8 AY 11/07 R – juris Rn. 10; Urteil vom 14.4.2011 – B 8 SO 12/09 R – juris Rn. 11 und Urteil vom 9.12.2016 – B 8 SO 14/15 R – juris Rn. 11).

Die Antragsteller haben einen Anordnungsanspruch auf lebensunterhaltssichernde Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG i.V.m. §§ 27 ff. SGB XII glaubhaft gemacht.

Nach § 2 Abs. 1 AsylbLG in der seit dem 1.1.2020 geltenden Fassung des Artikel 5 Nr. 3 des zweiten Gesetzes zur Durchsetzung der Ausreisepflicht vom 15.8.2019 (BGBl I S. 1294) ist das SGB XII abweichend von den §§ 3 und 4 bis 6 bis 7 auf diejenigen Leistungsberechtigten entsprechend anzuwenden, die sich seit 18 Monaten ohne wesentliche Unterbrechung im Bundes-gebiet aufhalten und die Dauer des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben.

Abgesehen von der Frage, ob die Antragsteller die Dauer ihres Aufenthalts in Deutschland rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben, ist davon auszugehen, dass die sonstigen Voraussetzungen für einen Anspruch auf lebensunterhaltssichernde Analog-Leistungen vorliegen. Die Antragsteller gehören zu den Leistungsberechtigten nach § 1 AsylbLG, weil sie Duldungen nach § 60a AufenthG besitzen (§ 1 Abs. 1 Nr. 4 AsylbLG). Sie halten sich auch lange genug ununterbrochen im Bundegebiet auf. Es kann dahinstehen, ob ununterbrochener Aufenthalt von 18 Monaten oder wegen der Übergangsvorschrift des § 15 AsylbLG noch die davor geltende Aufenthaltsdauer von 15 Monaten Anwendung findet. Ebenso kann offenbleiben, ob die Antragsteller sich in der Zeit von Januar bis Juli 2018 nicht im Bundesgebiet (sondern in Frankreich bei Verwandten) aufgehalten haben. Denn sie halten sich nach dem Inhalt der beigezogenen Leistungs- und Ausländerakten jedenfalls seit dem 30.7.2018 und damit ab dem hier streitigen Leistungsbeginn 1.9.2020 bereits wieder 25 Monate und länger ununterbrochen im Bundesgebiet auf. Anhaltspunkte dafür, dass die Antragsteller ihren notwendigen Lebensunterhalt aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere aus Einkommen und Vermögen, bestreiten können (§ 19 Abs. 1, § 27 Abs. 1, 2 Satz 1, §§ 82 ff., § 90 SGB XII), liegen nicht vor.

Den Antragstellern kann nach summarischer Prüfung auf der Grundlage des gegenwärtigen Sach- und Streitstandes nicht vorgeworfen werden, dass sie die Dauer ihres Aufenthalts in Deutschland rechtsmissbräuchlich im Sinne von § 2 Abs. 1 AsylbLG selbst beeinflusst haben.

Dies gilt für die erst am xx.xx.2020 volljährig gewordene Antragstellerin zu 3 sowie die erst zwölf, elf bzw. sechs Jahre alten Antragsteller zu 4 bis 6 schon deshalb, weil ihnen wegen der von § 2 Abs. 1 AsylbLG verlangten „Selbstbeeinflussung“ der Aufenthaltsdauer ein rechtsmissbräuchliches Verhalten ihrer Eltern, der Antragsteller zu 1 und 2, nicht zurechenbar ist und ihnen eigenes vorsätzlich rechtsmissbräuchliches Verhalten nicht vorgeworfen werden kann. Dies hat das SG mit zutreffender Begründung, auf die verwiesen wird, näher ausgeführt. Entgegen der Auffassung des Antragsgegners ist ein Anspruch der Antragsteller zu 3 bis 6 nach § 2 Abs. 1 AsylbLG auch nicht von einem solchen Anspruch der Antragsteller zu 1 und 2 abhängig. Mit der von dem Antragsgegner hierzu genannten nicht existenten Vorschrift des § 2 Abs. 6 AsylbLG dürfte § 2 Abs. 3 AsylbLG gemeint sein. Danach erhalten minderjährige Kinder, die mit ihren Eltern oder einem Elternteil in einer Haushaltsgemeinschaft leben, Leistungen nach Abs. 1 auch dann, wenn mindestens ein Elternteil in der Haushaltsgemeinschaft Leistungen nach Abs. 1 erhält. Das AsylbLG hat die Ansprüche von Leistungsberechtigten als Individualansprüche (nicht: der Familie bzw. der Haushaltsgemeinschaft) wie auch im SGB XII ausgestaltet. Minderjährige Kinder müssen die Voraussetzungen von § 2 Abs. 1 AsylbLG daher jeweils selbst erfüllen (Aufenthaltsstatus, Wartezeit, keine Rechtsmissbräuchlichkeit). § 2 Abs. 3 AsylbLG in seiner bis zum 28.2.2015 geltenden Fassung bezweckte dennoch einheitliche Leistungsansprüche nach dem AsylbLG innerhalb der Familie bzw. der Haushaltsgemeinschaft. Er schaffte eine Leistungsabhängigkeit zwischen minderjährigen Kindern und ihren Eltern bzw. einem Elternteil auf das abgesenkte Niveau von Grundleistungen, wenn sie mit ihnen in einer Haushaltsgemeinschaft lebten und Leistungen nach den AsylbLG bezogen. Die mit Wirkung vom 1.3.3015 in Kraft getretene jetzige Regelung, mit der in § 2 Abs. 3 AsylbLG das Wort „nur“ durch die Worte „auch dann“ ersetzt wurde, hat den ehemaligen Normzweck allerdings zugunsten minderjähriger Kinder maßgeblich erweitert. Minderjährige Kinder, wenn sie – anders als hier – in eigener Person die Leitungsvoraussetzungen von § 2 Abs. 1 AsylbLG nicht bereits erfüllen, können die privilegierten Leistungen gleichwohl „auch dann“ beanspruchen, wenn mindestens ein in Haushaltsgemeinschaft lebender Elternteil in eigener Person privilegierte Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG erhält (vgl. Oppermann/Filges in jurisPK-SGB XII, § 2 AsylbLG (Stand: 5.1.2021) Rn. 241 und 252 m.w.N.). Dieser ganz h. M. zur Auslegung des § 2 Abs. 3 AsylbLG hatte sich der Antragsgegner in einem anderen Eilverfahren aus 2019 auf gerichtlichen Hinweis auch bereits angeschlossen (- L 8 AY 14/19 B ER -).

Nach der Rechtsprechung des BSG (grundlegend: Urteil vom 17.6.2008 – B 8/9b AY 1/07 R – juris Rn. 32 ff.) setzt ein rechtsmissbräuchliches Verhalten im Sinne des § 2 Abs. 1 AsylbLG in objektiver Hinsicht ein unredliches, von der Rechtsordnung missbilligtes Verhalten voraus, das in subjektiver Hinsicht vorsätzlich im Bewusstsein der objektiv möglichen Aufenthaltsbeeinflussung getragen ist. Dabei genügt angesichts des Sanktionscharakters des § 2 AsylbLG nicht schon jedes irgendwie zu missbilligende Verhalten. Art, Ausmaß und Folgen der Pflichtverletzung wiegen für den Ausländer so schwer, dass auch der Pflichtverletzung im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ein erhebliches Gewicht zukommen muss. Daher kann nur ein Verhalten, das unter jeweiliger Berücksichtigung des Einzelfalls, der besonderen Situation eines Ausländers in der Bundesrepublik Deutschland und der besonderen Eigenheiten des AsylbLG unentschuldbar ist (Sozialwidrigkeit), zum Ausschluss von Analog-Leistungen führen. Die Angabe einer falschen Identität stellt einen typischen Fall des Rechtsmissbrauchs dar (BSG, a.a.O., Rn. 34). Eine Ausnahme ist zu machen, wenn eine etwaige Ausreisepflicht des betroffenen Ausländers unabhängig von seinem Verhalten ohnehin in dem gesamten Zeitraum des Rechtsmissbrauchs nicht hätte vollzogen werden können (BSG, a.a.O., Rn. 44). Die objektive Beweislast für ein rechtsmissbräuchliches Verhalten trägt der Leistungsträger (Oppermann/Filges, a.a.O., Rn. 140 ff.).

Davon ausgehend ist nach summarischer Prüfung auf der Grundlage des gegenwärtigen Sach- und Streitstandes überwiegend wahrscheinlich, dass sich – was zulasten des die materielle Beweislast tragenden Antragsgegners gehen wird – im Hauptsachverfahren nicht wird feststellen lassen, dass die Antragsteller zu 1 und 2 die Dauer ihres Aufenthalts in Deutschland im Sinne von § 2 Abs. 1 AsylbLG rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben. Der Senat folgt der Begründung des SG und sieht insoweit gemäß § 142 Abs. 2 Satz 3 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab. Ergänzend bleibt lediglich auszuführen: Auch der Senat vermag keine objektiven Anhaltspunkte dafür zu erkennen, dass die Antragsteller zu 1 und 2 durch Angabe falscher Namen, Geburtstage und -orte über ihre Identität getäuscht haben, zumal sie offenbar bei ihrem vorangegangenen Aufenthalt in der Schweiz im dortigen Asylverfahren die gleichen Angaben gemacht haben. Ein rechtsmissbräuchliches Verhalten begründender Verstoß gegen ihre Mitwirkungspflichten läge sicherlich dann vor, wenn sie – was der Antragsgegner annimmt – über Pässe, Geburtsurkunden oder andere Identitätspapiere verfügen, diese aber nicht vorlegen. Ebenso rechtsmissbräuchlich wäre es, wenn die Beschaffung von Identitätspapieren möglich wäre, sie die Papiere aber nicht beschaffen oder nicht ausreichend an der Beschaffung mitwirken. Weder das eine noch das andere wird sich aber wahrscheinlich feststellen lassen. Der Antragsteller zu 1 hat bei seiner Anhörung im Asylverfahren im September 2015 auf den Vorhalt, er habe doch irgendwann sicher einmal in seinem Leben Personalpapiere besessen, erklärt, er habe nie im Leben einen Personalausweis oder einen Reisepass besessen. Auf weitere Nachfrage hat er erklärt, sie als Roma hätten gar keine Papiere besessen. Das sei nicht so wichtig für sie gewesen. Als der Krieg angefangen habe, seien sie dann einfach abgehauen. Auch heute gebe es Roma in Serbien, die dort ohne jegliche Papiere lebten. Die Antragstellerin zu 2 hat damit übereinstimmend bei ihrer Anhörung angegeben, sie hätten keinerlei Personalpapiere und man wolle sie im Kosovo nicht haben. Sie seien dort gewesen und hätten nach ihren Rechten gefragt. Sie hätte die Adresse genannt, wo sie und die Eltern gelebt hätten. Man habe ihnen aber erklärt, sie seien nirgendwo im Register aufgeführt und sie hätten kein Grundstück und keine Rechte, sodass sie nicht im Kosovo leben dürften. Diese Angaben sind nicht unplausibel. Sie stehen hinsichtlich der Situation im Kosovo im Einklang mit den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs von Personen aus dem Kosovo vom 9.11.2009 (UNHCR_Kosovo_Richtlinien_Nov09_dt, einwanderer.net), in denen unter II. 4. (Seite 12 und 13) zu Personaldokumenten aufgeführt ist, dass viele im Kosovo lebende Kosovo-Roma nicht registriert sind und/oder ihren Personenstand nicht dokumentieren können. Ohne die erforderlichen Dokumente könnten Kosovo-Roma und andere in einer vergleichbaren Lage befindliche Minderheiten die Voraussetzungen für eine Registrierung nicht erfüllen. Diese Situation könne zu Staatenlosigkeit und dem Ausschluss aus dem politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben führen. Hinsichtlich der Registrierung liege das Problem der Minderheiten darin, die Dokumentationsanforderungen der Behörden zu erfüllen. Der Nachweis der erforderlichen Dokumente sei für viele Antragsteller eine Herausforderung. Zahlreiche Kosovo-Roma hätten entweder nie Personaldokumente besessen oder diese verloren. Teilweise seien die Dokumente auch vernichtet worden. Außerdem seien viele amtliche Aufzeichnungen im Kosovo nicht mehr verfügbar, da die Meldebücher nach Serbien verbracht bzw. im Zuge des Konflikts im Jahre 1999 beschädigt und/oder vernichtet worden seien. Ähnlich wird die Situation der Roma in Serbien beschrieben (Tijana Joksic, Belgrad/Freiburg: Die Diskriminierung von Roma in Serbien. Staatliche Reaktionen und Maßnahmen, Seite 2, 5 und 6 m.w.N.; www.aktionbleiberecht.de/blog/wp-content/uploads/2016/05/2015-05-Ti-jana_Joksic_Roma_Discrimantion_Dt-Fassung.pdf): Es gebe ungefähr 45.000 binnenvertriebene Roma aus dem Kosovo, wovon nur die Hälfte offiziell registriert sei. Es werde vermutet, dass die Mehrheit der rechtlich unsichtbaren, ausweispapierlosen Menschen Roma seien. Aufgrund fehlender Rechtsdokumente und Ausweispapiere seien sie defacto staatenlos, was es erheblich erschwere, ihre Rechte als Staatsbürger geltend zu machen. Das Problem habe viel-fältige Ursachen, wie etwa das Fehlen eines offiziellen Melderegisters und einer rechtlich anerkannten Meldeadresse, ein Mangel an Informationen über die Verfahrensweisen sowie an finanziellen Mitteln zur Bezahlung der erforderlichen Gebühren, die im Kosovo vernichteten Melderegister, die institutionelle Diskriminierung gegenüber den Roma und langwierige komplizierte Verwaltungsvorgänge. Ein Nichtmitwirken der Antragsteller bei der Beschaffung von Identitätspapieren lässt sich vor diesem Hintergrund nicht feststellen. Zwar weist der Antragsgegner zutreffend darauf hin, dass die Angaben der Antragsteller zu 1 und 2 in von ihnen im Herbst 2019 ausgefüllten Fragebögen zur Identitäts- und Staatsangehörigkeitsklärung teilweise von den von ihnen in den gleichen Fragebögen im Herbst 2016 gemachten Angaben abweichen. Weitgehend – insbesondere zu ihnen selbst – stimmen die Angaben aber überein und hinsichtlich der Abweichungen – zu denen sie nicht befragt worden sind – ist nicht klar, ob sie vorsätzlich oder versehentlich aufgrund von nicht fernliegenden Übersetzungs- und/oder Verständnisfehlern bei dem Ausfüllen der Formulare (im Herbst 2016 erfolgte es offenbar mit Hilfe aus dem Büro des damaligen Prozessbevollmächtigten und im Herbst 2019 mit Hilfe eines Sprachmittlers) zurückzuführen sind. Als ein den Ausschluss von Analogleistungen unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit rechtfertigendes unentschuldbares und sozialwidriges Verhalten lassen sich die Angaben der Antragsteller zu 1 und 2 zu ihrer und der Identität der Kinder daher gegenwärtig nicht bewerten. Das gleiche gilt für das „Untertauchen“ der Antragsteller in der Zeit vom 29.12.2017 bis zum 29.7.2018, weil auch in dieser Zeit eine Beendigung ihres Aufenthalts in Deutschland wegen fehlender Identitätspapiere nicht möglich war und die Antragsteller (daher auch) nicht mit dem Vorsatz untergetaucht sind, die Dauer ihres Aufenthalts zu beeinflussen (sondern wohl hauptsächlich, um Verwandte in Frankreich zu besuchen, vgl. den Aktenvermerk vom 22.1.2019 in der Ausländerakte). Zudem ist durch den wahrscheinlichen Aufenthalt der Antragsteller in Frankreich und ihren daran anschließenden Antrag auf Leistungen nach dem AsylbLG vom 30.7.2018 ein neuer Leistungsfall begründet worden (vgl. BSG, Urteil vom 24.3.2009 – B 8 AY 10/07 R – juris Rn. 17).

Die Antragsteller haben nach alledem einen Anspruch auf sog. Analogleistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG i.V.m. dem SGB XII dem Grunde nach glaubhaft gemacht. Dementsprechend hat das SG den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung auch (nur) dem Grunde nach zur vorläufigen Leistungsgewährung verpflichtet. Dem Antragsgegner ist zwar darin zuzustimmen, dass es bei einer Leistungsgewährung in Höhe der vollen Regelsätze wegen der teilweisen Bedarfsdeckung durch die in der Gemeinschaftsunterkunft vorhandene Ausstattung mit Sachmitteln zu Doppelleistungen kommen kann. Er kann dem aber selbst durch eine abweichende Regelsatzfestsetzung gemäß § 2 Abs. 2 AsylbLG i.V.m. § 27a Abs. 4 Satz1 Nr. 1 SGB XII Rechnung tragen, wobei in erster Linie eine Kürzung um den im Regelsatz enthaltenen Anteil für Wohnen, Energie und Wohnungsinstandhaltung (Abt. 4) in Betracht kommt, bei dem Anteil für Innenausstattung, Haushaltsgeräte, Haushaltsgegenstände und lfd. Haushaltsführung (Abt. 5) hingegen wegen der darin enthaltenen Ansparbeträge für künftige Anschaffungen Zurückhaltung geboten ist.

Schließlich hat das SG auch zu Recht unter Hinweis auf den existenzsichernden Charakter der Analogleistungen einen Anordnungsgrund bejaht.

Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.