PM: Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen stärkt Ansprüche von geflüchteten Roma und allen alleinstehenden Bewohner*innen des Wohnkomplexes in der Senkingstraße 10a in Hildesheim

Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen hat in zwei Eilverfahren (Az.: L 8 AY 118/20 B ER und L 8 AY 76/20 B ER) innerhalb einer Woche die Rechte von geflüchteten Roma aus dem Kosovo erheblich gestärkt. Das Gericht verpflichtete den Landkreis (LK) Hildesheim, den Antragsteller*innen aufgrund grundsätzlicher Erwägungen erheblich höhere Existenzsicherungsleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu gewähren. Die Entscheidungen haben auch Auswirkungen auf die Ansprüche sämtlicher Bewohnerinnen des Wohnkomplexes in der Senkingstraße 10a in Hildesheim.

Mit Beschluss vom 04.02.2021 (Az.: L 8 AY 118/20 B ER) wies das LSG eine Beschwerde des Landkreises Hildesheim gegen einen Beschluss des Sozialgerichts (SG) Hildesheim vom 10.12.2020 (Az.: S 42 AY 4026/20 ER) zurück. Das SG Hildesheim hatte den LK verpflichtet, einer 6-köpfigen Roma-Familie aus dem Kosovo ungekürzte Leistungen wie anderen Grundsicherungsbedürftigen auch zu gewähren und ihnen Zugang zum gesetzlichen Krankenversicherungssystem zu ermöglichen. Die Familie konnte seit Jahren trotz erheblicher Bemühungen die eigene Identität nicht nachweisen, da weder die Staaten Kosovo, Serbien noch Nord-Mazedonien die Staatsangehörigkeit der Familie bestätigen wollten. Der LK hat der Familie dennoch seit 2015 den Zugang zu sonst üblichen Existenzsicherungsleistungen mit der Begründung verweigert, die Familie habe rechtsmissbräuchlich keine Pässe vorgelegt und ihre Staatsangehörigkeit nicht nachgewiesen Das LSG tritt dem entgegen und verweist hierzu auch auf die UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs von Personen aus dem Kosovo, wonach viele im Kosovo lebende Kosovo-Roma nicht registriert sind und/oder ihren Personenstand nicht dokumentieren können. Ein Nichtmitwirken der Antragsteller bei der Beschaffung von Identitätspapieren lasse sich vor diesem Hintergrund nicht feststellen, so das Gericht. Auch seien die Angaben der Antragsteller zu ihrer Identität nie widersprüchlich gewesen.

Roma aus dem Kosovo werden dort systematisch diskriminiert, auch indem ihnen häufig die Staatsangehörigkeit und das Aufenthaltsrecht abgesprochen wird. Diese Diskriminierung setzt der Landkreis Hildesheim fort, in dem die Existenzsicherungsleistungen gekürzt werden, weil wiederum die Staatsangehörigkeit nicht nachgewiesen werden kann. Die Roma-Familien leben in einer ständigen Diskriminierungsspirale aus institutionellem Rassismus.“ ärgert sich Rechtsanwalt Sven Adam, der die Antragsteller rechtlich vertritt, über das jahrelange Verhalten u.a. des LK Hildesheim.

In einem weiteren Beschluss vom 11.02.2021 (Az.: L 8 AY 76/20 B ER) setzt sich das Gericht ausführlich mit der Frage auseinander, ob es sich bei dem Wohnkomplex in der Senkingstraße 10a in Hildesheim um eine sog. Gemeinschaftsunterkunft (GU) im Sinne des Aufenthaltsrecht handelt. Der 21-jährige Antragsteller hat u.a. geltend gemacht, dass seine Leistungen nicht um 10% wegen eines angeblich gemeinsamen Wirtschaftens mit anderen Geflüchteten in dem Wohnkomplex zu kürzen seien. Der LK Hildesheim stuft den Komplex als GU ein und kürzt allen dort lebenden alleinstehenden oder alleinerziehenden Erwachsenen die monatlichen Existenzsicherungsleistungen. Begründet wird dies damit, dass gemeinsames Wirtschaften in einer GU angeblich zu Einspareffekten bei der Haushaltsführung führen würde. Auch dem tritt das LSG in seinem Beschluss vom 11.02.2021 entgegen. Hiernach sei der Antragsteller nicht in einer GU, sondern einer eigenen Wohnung untergebracht, die ihm anders als in einer GU eine eigenständige Haushaltsführung ermögliche. „In dem Gebäude in der Senkingstraße 10a befinden sich die Aufenthalts- und Schlafräume sowie Küche und Bad/WC sämtlich in separaten Wohnungen. Es gibt keine Gemeinschaftsküche(n) und auch keine gemeinschaftlich zu nutzenden Sanitäranlagen.“ so das Gericht. Der Landkreis wurde daher verpflichtet, ungekürzte Leistungen zu bewilligen.

Die Entscheidung des LSG vom 11.02.2021 hat Bedeutung für alle alleinstehenden und alleinerziehenden Personen in der Senkingstraße 10a in Hildesheim, deren Leistungen derzeit gekürzt werden. Die gesetzliche Regelung zur Kürzung von Leistungen in Sammelunterkünften ist ohnehin schon verfassungsrechtlich hochumstritten. Im Fall abgeschlossener Wohnungen wie in der Senkingstraße 10a ist die Anwendung dieser Kürzung aber nachgerade absurd.“ so Adam zur Bedeutung dieser Entscheidung abschließend.

Die beiden Beschlüsse des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 04.02.2021 und 11.02.2021 sind hier verlinkt:

Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 04.02.2021, Az.: L 8 AY 118/20 B ER

Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 11.02.2021. Az.: L 8 AY 76/20 B ER

Für Rückfragen steht Rechtsanwalt Sven Adam unter den genannten Kontaktdaten zur Verfügung.