Verwaltungsgericht Gera – Beschluss vom 02.03.2021 – Az.: 4 E 57/21 Ge

BESCHLUSS


In dem Verwaltungsverfahren

des xxx,

–  Antragstellers –

prozessbevollmächtigt:
Rechtsanwalt Sven Adam,
Lange Geismarstraße 55, 37073 Göttingen

gegen

den Landkreis Eichsfeld,
vertreten durch den Landrat,
Friedensplatz 8, 37308 Heilbad Heiligenstadt,

– Antragsgegner –

wegen
Zuweisungsrechts
hier: Eilverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO

hat die 4. Kammer des Verwaltungsgerichts Gera durch
den Richter am Sozialgericht xxx als Einzelrichter
am 2. März 2021 beschlossen:

Es wird festgestellt, dass die Klage des Antragstellers 4 K 56/21 Ge gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 8. Dezember 2020 aufschiebende Wirkung entfaltet.

Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

GRÜNDE

I.

Der Antragsteller wendet sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit einer Zuweisungsentscheidung des Antragsgegners, nach deren Inhalt er aus seiner bisherigen Gemeinschaftsunterkunft in eine andere Gemeinschaftsunterkunft umziehen muss.

Der im Jahr 1993 geborene Antragsteller ist somalischer Staatsangehöriger und Asylbewerber. Er bewohnte bisher eine Unterkunft im xxx in xxx.

Mit Bescheid vom 8. Dezember 2020 wies der Antragsgegner dem Antragsteller die Gemeinschaftsunterkunft in der xxx in xxx zu, da die bisherige Unterkunft zum 31. Dezember 2020 geschlossen wurde. Der Antragsteller wurde aufgefordert, sich an den neuen Ort der Unterbringung zu begeben und dort zu wohnen.

Hiergegen hat er beim Verwaltungsgericht Weimar am 10. Dezember 2020 Klage erhoben (Az. 5 K 1738/20 We) sowie um Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ersucht (Az. 5 E 1739/20 We).

Mit Beschlüssen vom 23. Dezember 2020 hat das Verwaltungsgericht Weimar die Verfahren an das zuständige Verwaltungsgericht Gera verwiesen (Az. 4 K 56/21 Ge sowie 4 E 57/21 Ge).

Der Antragsteller macht geltend, der Antragsgegner habe bei seiner Entscheidung keinerlei Ermessen ausgeübt. Aufgrund vollständigen Ermessensausfalls sei der Bescheid offensichtlich rechtswidrig. § 2 Abs. 1 ThürFlüAG sehe als Sollvorschrift ein intendiertes Ermessen vor. Bei § 2 Abs. 4 ThürFlüAG handele es sich ebenfalls um eine Ermessensvorschrift.

Der Antragsgegner habe berücksichtigen müssen, dass der Antragsteller bereits über einen langen Zeitraum eine Gemeinschaftsunterkunft bewohnt, dort ein soziales Umfeld entwickelt habe und insbesondere Integration bereits gelebt worden sei. Aufgrund dessen sei eine Unterbringung in einer anderen Unterkunft, welche sich näher am Ort der bisherigen Unterkunft befinde (zum Beispiel in Heiligenstadt) angezeigt.

Der Antragsteller beantragt,
die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen den Bescheid vom 8. Dezember 2020 anzuordnen.

Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.

Der Antragsteller sei alleinstehend. Der zuständige Sachbearbeiter habe „summarisch für sich geprüft”, ob offensichtliche Gründe für eine Abweichung von einer intendierten Entscheidung einer Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft gegeben seien. Dies habe er verneint und den Bescheid ohne Ermessensentscheidung an den Antragsteller versendet. Schließlich habe der Antragsteller auch nicht glaubhaft machen können, dass sein Interesse an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage dem öffentlichen Interesse an der Zuweisungsentscheidung überwiege. Dies gelte insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Zuweisungsentscheidung de facto bereits vollzogen sei und eine Rückgängigmachung im Hinblick auf den beendeten Betreibervertrag nicht möglich sei. Ferner sei die Entscheidung rechtmäßig. Der alleinstehende Antragsteller habe erst seit zwei Monaten wieder in einer Gemeinschaftsunterkunft gewohnt.

Mit Beschluss vom 2. März 2021 hat die Kammerden Rechtsstreit an den Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.

Hinsichtlich des übrigen Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der übersendeten Verwaltungsakte sowie der Gerichtsakte des Hauptsacheverfahren 4 K 56/21 Ge Bezug genommen.

II.

Gegenstand des Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO ist der Bescheid des Antragsgegners vom 8. Dezember 2020, mit welchem der Antragsgegner den Antragsteller die Gemeinschaftsunterkunft in der xxx in xxx zugewiesen hat.

Der Antragsgegner stützt den Bescheid (allein) auf Vorschriften des Thüringer Gesetzes über die Aufnahme und Unterbringung von Asylbewerbern und anderen ausländischen Flüchtlingen (Thüringer Flüchtlingsaufnahmegesetz <ThürFlüAG>). Es handelt sich vorliegend daher nicht um eine Verwaltungsstreitsache nach dem Asylgesetz.

Das Verfahren konnte durch den Einzelrichter entschieden werden, weil es durch Beschluss der Kammer vom 2. März 2021 gemäß § 6 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) dem Einzelrichter zur Verhandlung und Entscheidung übertragen worden ist.

Im Ergebnis ist der Antrag erfolgreich.

1.

Zwar ist der ausdrücklich gestellte Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 8. Dezember 2020 anzuordnen, unzulässig, weshalb das Begehren des Antragsstellers insoweit zurückzuweisen war. Der ausdrücklich gestellte Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den. Bescheid vom. 8. Dezember 2020 anzuordnen, ist bereits nicht statthaft:

Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3a VwGO ganz oder teilweise anordnen, im Falle des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ganz oder teilweise wiederherstellen.

Gemäß § 80 Abs. 2. VwGO entfällt die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Klage

1. bei der Anforderung von öffentlichen Abgäben und Kosten,

2. bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten,

3. in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen. betreffen,

3a. für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen,

4. in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.

Die Länder können auch bestimmen, dass Rechtsbehelfe keine aufschiebende Wirkung haben, soweit sie sich gegen Maßnahmen richten, die in der Verwaltungsvollstreckung durch die Länder nach Bundesrecht getroffen werden (Satz 2).

Der Bescheid vom 8. Dezember 2020 unterfällt jedoch keinem der in § 80 Abs. 2 VwGO genannten Fälle. Insbesondere liegt kein Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3. VwGO vor. Das ThürFlüAG trifft keine Regelung dahingehend, dass Widerspruch und Klage gegen die Verlegung in eine andere Unterkunft aufschiebende Wirkung zukommen. Ebenso liegt keine Streitigkeit nach dem Asylgesetz — welches eine aufschiebende Wirkung nur im Rahmen des § 75 AsylG bestimmt – vor. Der streitgegenständliche Bescheid stützt sich allein auf Vorschriften des ThürFlüAG. Ferner betrifft der Bescheid auch nicht eine landesinterne Verteilung im Sinne des § 50 AsylG, sondern es handelt sich um eine bloße Verlegung in eine andere Unterkunft innerhalb des Zuständigkeitsbereiches des Antragsgegners.

Schließlich hat der Antragsgegner auch nicht den Sofortvollzug nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO angeordnet.

Die Klage des Antragstellers gegen den Bescheid vom 8. Dezember 2020 hat daher bereits aufgrund der allgemeinen Vorschrift des § 80 Abs 1 Satz 1 VwGO aufschiebende Wirkung.

2.

Der Antrag ist jedoch zugleich nach den §§ 88, 122 Abs. 1 VwGO dahingehend auszulegen, dass er jedenfalls auch das Begehren enthält, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 8. Dezember 2020 — quasi als Minus.— festzustellen.

Der so verstandene Antrag ist zulässig und begründet, sodass die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 8. Dezember 2020 festzustellen ist.

Ist die Frage des Vorliegens der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsmittels umstritten, kann das Gericht mit dem Ziel der Feststellung der aufschiebenden Wirkung durch deklaratorischen Beschluss angerufen werden. Die Notwendigkeit und Zulässigkeit einer solchen Feststellung ergibt sich daraus, dass gerichtlicher Rechtsschutz: auch dann zu gewähren ist, wenn die Behörde — wie vorliegend – die kraft Gesetzes eintretende aufschiebende Wirkung nicht beachtet. Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz vermittelt auch Rechtsschutz gegen faktische. Vollziehung.

Ein solcher Fall ist vorliegend gegeben. Der Antragsgegner hat die Zuweisungsentscheidung vom 8. Dezember 2020 bereits vollzogen. Ferner ist seinen Ausführungen in der Antragserwiderung zu entnehmen, dass er von der sofortigen Vollziehbarkeit seiner Zuweisungsentscheidung ausgeht.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 53 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. 52 Abs. 2 GKG.

Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5.000,00 EUR anzunehmen. Da es sich vorliegend um ein Verfahren des einstweiligen Rechtsschutz handelt, ist dieser Wert zu halbieren (vgl. Schenke/Hug in Kopp/Schenke, VwGO, 23. Aufl. 2017, Anh § 164 Rn. 14 Ziff. 1.5), sodass im Ergebnis ein Streitwert von 2.500,00 EUR festzusetzen ist.

Es folgt die Rechtsmittelbelehrung.