1. Entscheidungen des Bundessozialgerichts zur Grundsicherung nach dem (SGB II) und zum Arbeitsförderungsrecht (SGB III)
1.1 – BSG Urteil v. 08.12.2020 – B 4 AS 46/20 R
Grundsicherung für Arbeitsuchende – Rücknahme der Leistungsbewilligung – Bestimmtheit – Wahrung der Jahresfrist – Erkennbarkeit des Umfangs der Rücknahme – Duldungs- und Anscheinsvollmacht des Vertreters der Bedarfsgemeinschaft – Zurechnung des Verhaltens des Vertreters
Volljähriger Sohn haftbar bei falschen Hartz-IV-Angaben durch Vater
Orientierungshilfe (Redakteur)
1. Wer es duldet, dass ein anderer für ihn wie ein Vertreter auftritt, muss sich nach den Grundsätzen der Duldungs- oder Anscheinsvollmacht dessen Verhalten zurechnen lassen, selbst wenn er keinen Bevollmächtigungswillen gehabt hätte.
2. Die Voraussetzungen für die Rücknahme der Leistungsbewilligungen mit Wirkung für die Vergangenheit sind auch insoweit gegeben, als die Bewilligungen auf zumindest grob fahrlässig falschen Angaben des Vaters des volljährigen Klägers beruhten.
Quelle: www.rechtsprechung-im-internet.de
Hinweis:
Leitsatz Dr. Manfred Hammel
§ 45 SGB X ist gemäß § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II in Verbindung mit § 330 Abs. 2 SGB III anzuwenden, wenn das Jobcenter in Fällen schwankenden Einkommens (§ 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II) ursprünglich eine endgültige Bewilligungsentscheidung vorgenommen hat.
Von grobfahrlässig unrichtigen bzw. unvollständigen Angaben über anspruchsbegründende Tatsachen im Sinne des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X ist auszugehen, wenn ein Vater dem SGB II-Träger gegenüber die Meldung unterlässt, dass sein Sohn nicht mehr nur Kindergeld bezieht, sondern zwischenzeitlich einer Ausbildung nachgeht und ein – wenn auch nicht gleich bleibendes – Einkommen bezieht.
Dieser Vater handelte hier im Verhältnis zum Jobcenter im Rahmen einer sog. Duldungsvollmacht entsprechend § 13 Abs. 1 SGB X, so dass sich der Sohn das Verhalten seines Erziehungsberechtigten zurechnen lassen muss.
1.2 – BSG, Urteil v. 04.03.2021 – B 11 AL 3/20 R
Bundessozialgericht klärt Streit um Schwerbehindertenabgabe
Anbieter beruflicher Bildungsmaßnahmen für benachteiligte Menschen können mit schwerbehinderten Teilnehmern nicht die gesetzliche Schwerbehindertenausgleichsabgabe mindern.
Auch wenn die vom Jobcenter zugewiesenen schwerbehinderten Menschen in der Einrichtung eine Ausbildung absolvieren, handelt es sich bei der Maßnahme nicht um einen regulären Arbeitsplatz, stellte das Bundessozialgericht (BSG) in einem am Donnerstag verkündeten Urteil klar. (AZ: B 11 AL 3/20 R) Die Teilnehmer können daher auch nicht bei der Minderung der Schwerbehindertenausgleichsabgabe berücksichtigt werden, erklärten die Kasseler Richter.
Zweck der gesetzlichen Abgabe ist es, Arbeitgebern einen Anreiz für die Beschäftigung schwerbehinderter Menschen zu geben. Sie wird fällig, wenn ein Unternehmen 20 Arbeitsplätze hat und die Beschäftigungsquote von schwerbehinderten Menschen unter fünf Prozent liegt. Je nach Quote der schwerbehinderten Beschäftigten mussten Arbeitgeber 2020 für jeden unbesetzten Arbeitsplatz 125 Euro, 220 Euro oder 320 Euro monatlich zahlen.
weiter zur Quelle: www.evangelisch.de
2. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)
2.1 – LSG Berlin- Brandenburg, Urt. v. 22.01.2021 – L 25 AS 43/21
Grundsicherung für Arbeitsuchende – EU-Ausländer – Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche – Aufenthaltsrecht als Arbeitnehmer – Geringfügige Beschäftigung – Minijob
Leitsatz (Juris)
1. Zur Prüfung der Frage, ob der Betroffene Arbeitnehmer ist, sind bei der Gesamtbewertung des Arbeitsverhältnisses nicht nur Gesichtspunkte wie die Arbeitszeit und die Höhe der Vergütung zu berücksichtigen, sondern auch solche wie der Anspruch auf bezahlten Urlaub, die Geltung von Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, die Anwendung des Tarifvertrags in der jeweils gültigen Fassung auf den Arbeitsvertrag sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses.
2. Starre Lohn- und Arbeitszeitstunden können für die Beurteilung der Arbeitnehmereigenschaft nicht herangezogen werden. Die Annahme, die Grenze der Unwesentlichkeit sei bei einer Wochenarbeitszeit von sechs Stunden erreicht, findet demnach in der höchstrichterlichen Rechtsprechung keine Stütze und sie erscheint auch nicht sachgerecht.
Quelle: gesetze.berlin.de
2.2 – Sächsisches Landessozialgericht, Urteil vom 25. Februar 2021 – L 7 AS 45/17
Grundsicherung für Arbeitsuchende – unabweisbarer Mehrbedarf – Fahrtkosten zu medizinischen Behandlungen – Absetzbarkeit der Beiträge für zwei Kfz- Haftpflichtversicherungen in einer Bedarfsgemeinschaft mit zwei erwerbsfähigen Mitgliedern
Leitsatz Juris
1. Ein unabweisbarer Mehrbedarf i.S.d. § 21 Abs. 6 SGB II für die Wahrnehmung von Terminen zur medizinischen Behandlung liegt nicht vor, wenn die geltend gemachten Fahrtkosten lediglich 1,50 Euro monatlich über dem für Verkehr im Regelsatz zu Grunde gelegten Bedarf liegen.
2. In einer Bedarfsgemeinschaft ist für jedes erwerbsfähige Mitglied gemäß § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II der Beitrag zur Kfz- Haftpflichtversicherung für jeweils einen Pkw vom Einkommen des erwerbstätigen Mitgliedes absetzbar, auch wenn dem anderen Mitglied selbst kein (ausreichendes) Einkommen zufließt.
Rechtstipp Redakteur:
vgl. 1. LSG Hamburg, Urt. v. 01.10.2020 – L 4 AS 66/19 – (Zur Berücksichtigung eines Mehrbedarfs für seine Fahrkosten zu ÄrztInnen und TherapeutInnen, hier verneinend, weil sich keine atypische Bedarfslage bzw. keine erhebliche Abweichung von einem durchschnittlichen Bedarf feststellen lässt); 2. Hessisches Landessozialgericht, Urt. v. 10.07.2019 – L 6 AS 565/17 – Revision anhängig beim BSG – B 4 AS 81/20 R (Berücksichtigung von Fahrtkosten im Zusammenhang mit ärztlichen und psychotherapeutischen Behandlungen als Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II, hier verneinend – Jedenfalls wenn die berücksichtigungsfähigen Aufwendungen für Verkehr – wie hier – durchgängig hinter den insoweit bei der Bemessung des Regelbedarfs zugrunde gelegten Beträgen zurückbleiben und weitere Aufwendungen sich jedenfalls nicht mit der notwendigen Sicherheit feststellen lassen, kann der Betroffene einen Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II nicht verlangen) und 3. Sächsisches Landessozialgericht, Urt. v. 05.11.2020 – L 7 AS 83/17 (Übernahme von Fahrtkosten zur ambulanten Psychotherapie als Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II im Rahmen der Grundsicherungsleistungen)
Hinweis in diesem Urteil:
Ein Anspruch der Kläger auf die Übernahme von Kinderbetreuungskosten (Schulhortkosten) folgt nicht aus § 21 Abs. 6 SGB II (vgl. LSG Nordrhein- Westfalen v. 10.12.2020 – L 7 AS 1634/18).
3. Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)
3.1 – SG München, Beschluss v. 22.02.2021 – S 52 AS 127/21 ER
Keine Eilbedürftigkeit für Versorgung mit medizinischen Masken durch SGB-II-Leistungsträger
Orientierungshilfe (Redakteur)
1. Der Mehraufwand von monatlich 12,- Euro rechtfertigt nach Einschätzung der Kammer keine Notlage, die im Rahmen eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens abgewendet werden müsste.
2. Wie die 46. Kammer des Sozialgerichts München und auch das Sozialgericht Karlsruhe in ihren aktuellen u. g. Beschlüssen festgestellt haben, ist das öffentliche Leben seit geraumer Zeit und für einen noch nicht abschätzbaren weiteren Zeitraum erheblich eingeschränkt. Dies führt dazu, dass andere Ausgaben für Freizeit, Kultur, Gaststätten etc. nicht oder wesentlich eingeschränkter anfallen. Eine Kompensation mit anderen Bedarfsgruppen ist deshalb zumutbar.
Quelle: www.gesetze-bayern.de
Rechtstipp:
Ebenso SG Dresden, Beschluss v. 01.03.2021 – S 29 AS 289/21 ER n. v. ; SG München, Beschluss v. 10.02.2021 – S 37 AS 98/21 ER; SG Lüneburg, Beschluss vom 10.02.2021 – S 23 AS 13/21 ER; zum SGB XII: SG München, Beschluss v. 03.02.2021 – S 46 SO 29/21 ER; a. Auffassung: SG Karlsruhe, Beschluss v. 11.02.2021 – S 12 AS 213/21 ER – Hartz-IV-Mehrbedarf um kalendermonatlich 129,- EUR durch FFP2-Masken – Wöchentlich 20 FFP2-Masken für Hartz-IV-Empfänger
3.2 – Sozialgericht Schleswig, Urt. v. 25.11.2020 – S 9 AS 639/18 Revision anhängig BSG – B 4 AS 8/21 R
Ist eine Heizkostennachforderung auch dann in voller Höhe als Bedarf für Unterkunft und Heizung anzuerkennen, wenn der Energieversorger sie mit einem Stromkostenguthaben verrechnet und sich der Nachzahlungsbetrag dadurch verringert hat?
Zitat aus Juris: „Aus dem Umstand, dass die Klägerin Strom und Gas aus einer Hand bezieht, darf ihr kein bedarfsrelevanter Nachteil entstehen (so für das SGB XII: SG Schleswig, Urteil vom 28. September 2017, S 15 SO 122/16 und bestätigend LSG Schleswig- Holstein, Urteil vom 24. September 2020, L 9 SO 72/17).“
Hinweis:
Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Urt. v. 24.09.2020 – L 9 SO 72/17 – Revision anhängig BSG – B 8 SO 16/20 R
Zur Frage, ob eine Heizkostennachforderung auch dann zum aktuellen Bedarf im Fälligkeitsmonat gehört, wenn der Energieversorger die Heizkostennachforderung mit einem (aus dem Regelsatz geleisteten) Stromkostenguthaben verrechnet.
Leitsatz (Juris)
1. Verrechnet ein Versorger seine Heizkostennachforderung mit einem gleichzeitig bestehenden, aus dem Regelbedarf angesparten Stromkostenguthaben, führt diese Verrechnung nicht zu einem geringeren Bedarf des Leistungsbeziehers für die Heizung.
3.3 – Sozialgericht Berlin, Urteil vom 3. Dezember 2020 (S 128 AS 7217/19):
Leitsatz Dr. Manfred Hammel
§ 41a Abs. 4 SGB II gilt in Bezug auf jedes berücksichtigungsfähige Einkommen im Sinne des § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II, auch für aus selbständiger Tätigkeit erzielte Einkünfte, unabhängig vom Grund der Vorläufigkeit der Leistungsbewilligung. Aus dem Gesetz gehen in diesem Zusammenhang keine Einschränkungen hervor.
Die Anwendung des § 41a Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 SGB II kann sich durchaus zum Vorteil von Alg II beziehenden Personen auswirken, wenn beim Bezug eines deutlich schwankenden Einkommens ein erheblicher Teil dieser Mittel in einem Monat, der dann ohne eine Leistungsberechtigung nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II in Verbindung mit den §§ 19 ff. SGB II bleibt, „verbraucht“ wird, und das weitere, nach den §§ 11 ff. SGB II anrechenbare Einkommen in den späteren Monaten wesentlich niedriger ausfällt.
3.4 – SG Karlsruhe, Beschlüsse v. 03.03.2021 – S 4 AS 470/21 ER, S 18 AS 469/21 ER, S 3 AS 472/21 ER, S 17 AS 471/21 ER
Kein Anspruch auf FFP2-Masken einer sechsköpfigen Familie im Eilverfahren
Unter Bezugnahme auf einen Beschluss der 12. Kammer des SG Karlsruhe (S 12 AS 213/21 ER), der einem Arbeitsuchenden einen Anspruch auf 20 FFP2-Masken wöchentlich zuerkannte, gingen in der Folge eine Vielzahl von weiteren Anträgen dieser Art beim SG Karlsruhe ein.
So hatten mehrere Kammern über die Eilgesuche einer sechsköpfigen Familie zu entscheiden, deren Anträge auf die Gewährung eines solchen Mehrbedarfs nach § 21 Abs. 6 SGB II vom Jobcenter abgelehnt wurden. Die Eilanträge hatten keinen Erfolg. Die Kammern haben sich der Rechtsprechung der 12. Kammer nicht angeschlossen.
Die 3. und die 17. Kammer lehnten die Eilanträge der Eltern der Familie mit der Begründung ab, dass für diese keine rechtliche Verpflichtung bestehe, FFP2-Masken zu tragen. Das Tragen ausschließlich von FFP2-Masken sei auch nach der Änderung der Corona-Verordnung des Landes Baden-Württemberg zum 25. Januar 2021 nur für den Bereich Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen und ambulante Pflegedienste verbindlich vorgeschrieben. Auch den Grundrechten lasse sich kein grundsicherungsrechtlicher Bedarf entnehmen. Die Antragsteller hätten keine individuellen Besonderheiten dargelegt, die einen solchen Anspruch begründen könnten. Offen ließen die entscheidenden Kammern, ob ein Mehrbedarf für den Erwerb von medizinischen OP-Masken anzuerkennen sei. Denn nach ihrer Auffassung konnten die Antragsteller vorliegend nicht glaubhaft machen, die hierfür entstehenden Kosten für deren Anschaffung bis zu einer endgültigen gerichtlichen Entscheidung nicht vorstrecken zu können. Der Erwerb solcher Masken sei vergleichsweise günstig möglich und könne aus der monatlichen Regelleistung vorerst selbst finanziert werden, z.B. durch Einsparungen an anderen Stellen, wie in den Bereichen „Freizeit und Kultur“. Zudem stünde den Antragstellern nach der Coronavirus-Schutzmaskenverordnung ein Anspruch auf jeweils zehn kostenlose FFP2-Masken zu, die bei den Apotheken bezogen werden könnten. Zusätzlich hätten die Antragsteller vorgetragen, sich bereits Ende Januar mit FFP2-Masken „eingedeckt“ zu haben.
Auch die Anträge der Schulkinder der Familie, die aktuell den Wechselunterricht besuchen, blieben bei der 4. Kammer sowie der 18. Kammer ohne Erfolg. Eine Verpflichtung, eine FFP2-Maske oder eine medizinische Maske zu tragen, bestehe für sechs- bis vierzehnjährige Kinder nicht. Grund für diese Ausnahmeregelung sei unter anderem die besondere Passform dieser Masken, die nicht auf die Gesichtsform und Kopfgröße von Kindern ausgerichtet seien, so dass die Masken bei Kindern dieser Altersklasse ihre volle Filterleistung nicht erbringen könnten.
Schließlich lehnte die 17. Kammer das Antragsgesuch des vierjährigen Kindes der Familie mit der Begründung ab, dass dieses aufgrund seines Alters von einer Verpflichtung zum Tragen einer Maske jeglicher Art befreit sei.
Beschlüsse jeweils vom 01.03.2021 – S 4 AS 470/21 ER sowie S 18 AS 469/21 ER (jeweils rechtskräftig) und vom 03.03.2021 – S 3 AS 472/21 ER (rechtskräftig) sowie S 17 AS 471/21 ER (nicht rechtskräftig).
Quelle: Pressemitteilung des SG Karlsruhe v. 08.03.2021
Rechtstipp:
Ebenso SG Dresden, Beschluss v. 01.03.2021 – S 29 AS 289/21 ER n. v. ; SG München, Beschluss v. 22.02.2021 – S 52 AS 127/21 ER; SG München, Beschluss v. 10.02.2021 – S 37 AS 98/21 ER; SG Lüneburg, Beschluss vom 10.02.2021 – S 23 AS 13/21 ER; zum SGB XII: SG München, Beschluss v. 03.02.2021 – S 46 SO 29/21 ER; a. Auffassung: SG Karlsruhe, Beschluss v. 11.02.2021 – S 12 AS 213/21 ER – Hartz-IV-Mehrbedarf um kalendermonatlich 129,- EUR durch FFP2-Masken – Wöchentlich 20 FFP2-Masken für Hartz-IV-Empfänger
3.5 – SG Oldenburg, Beschluss v. 08.03.2021 – S 37 AS 48/21 ER
Keine FFP-2 Masken vom Jobcenter
Ein Ehepaar aus Delmenhorst ist vor dem SG Oldenburg mit einem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gegenüber dem Jobcenter Delmenhorst gescheitert, wöchentlich pro Person 20 FFP-2 Masken zu erhalten bzw. das Geld dafür erstattet zu bekommen.
Die Antragsteller stehen im Leistungsbezug nach dem SGB II (sog. Hartz 4). Sie beantragten Ende Februar bei dem Jobcenter eine Versorgung mit FFP-2 Masken. Sie begründeten diesen Antrag damit, dass aufgrund der Corona-Pandemie Maskenpflicht bestehen würde und die Kosten für die entsprechenden Masken nicht vom Regelbedarf nach dem SGB II gedeckt seien. Das Jobcenter lehnte diesen Antrag ab.
Mit Beschluss vom 08.03.2021 (Aktenzeichen S 37 AS 48/21 ER) lehnte das Sozialgericht Oldenburg den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen das Jobcenter ab. Zur Begründung führte es aus, dass zwar die Ausstattung mit Schutzmasken nicht von dem Regelbedarfssatz nach dem SGB II erfasst sei. Es bestehe aber auch kein unabweisbar, besonderer Bedarf im Sinne des § 21 SGB II zur Versorgung mit FFP-2 Masken. Die Antragsteller seien nach der Corona-Verordnung nämlich nicht verpflichtet, FFP-2 Masken zu tragen. Besondere Umstände, die für die Antragsteller das Tragen dieser Masken zwingend erforderlich machen würden, seien nicht vorgetragen.
Die Antragsteller seien zudem auch in der Lage, einen eventuell bestehenden Bedarf an FFP-2 Masken durch Einsparungen aus dem Regelbedarf zu decken. Nach einer Studie der Universität Münster könnten FFP-2 Masken nach einer 7-tägigen Trocknung wiederverwendet werden, sodass monatlich für eine Person maximal 10 FFP-2 Masken benötigt würden. Die Kosten würden sich deshalb auf nicht mehr als ca. 10 € pro Monat belaufen. Das SGB II sehe aber einen Regelbedarf an Ausgaben für den Verkehr (ca. 39 €) und für Kultur/Unterhaltung (ca. 42 €) vor, der während der Corona-Pandemie nicht in diesem Umfang bestehen würde. Die Kosten für FFP-2 Masken könnten aus solchen Ersparnissen gedeckt werden. Auch eventuell erforderliche medizinische Masken, die erheblich preisgünstiger als FFP-2 Masken seien, könnten durch die Antragsteller aus solchen Ersparnissen beschafft werden.
Ein eventuell bestehender Bedarf zur Versorgung mit FFP-2 Masken sei gegenwärtig aber auch aus einem anderen Grunde bereits gedeckt. Auch die Antragsteller hätten gegenüber Ihrer Krankenkasse einen Anspruch auf 10 kostenlose FFP-2 Masken, sodass die Antragsteller sich gegenwärtig ohne weitere Kosten mit den begehrten Masken versorgen könnten. Schon aus diesem Grunde bestehe für die Geltendmachung eines Anspruchs gegenüber dem Jobcenter gegenwärtig keine Eilbedürftigkeit.
Das Sozialgericht Oldenburg weicht damit von einer Entscheidung des Sozialgerichts Karlsruhe ab, dass einen Anspruch eines Leistungsbeziehers nach dem SGB II auf 20 FFP-2 Masken pro Person und Woche gegenüber dem Jobcenter bejaht hatte (S 12 AS 213/21 ER).
Dieser Beschluss ist nicht rechtskräftig.
Quelle: Pressemitteilung des SG Oldenburg v. 09.03.2021 inkl. Link zum entsprechenden Beschluss
Rechtstipp:
ebenso SG Karlsruhe, Beschlüsse v. 03.03.2021 – S 4 AS 470/21 ER, S 18 AS 469/21 ER, S 3 AS 472/21 ER, S 17 AS 471/21 ER; SG Dresden, Beschluss v. 01.03.2021 – S 29 AS 289/21 ER (n. v.) ; SG München, Beschluss v. 22.02.2021 – S 52 AS 127/21 ER; SG München, Beschluss v. 10.02.2021 – S 37 AS 98/21 ER; SG München, Beschluss vom 2. Februar 2021 – S 13 AS 104/21 ER (n. v. – Kosten für Hygieneartikel und rezeptfreie medizinische Erzeugnisse, worunter die FFP2- Masken fielen, seien im Regelbedarf enthalten und daher aus dem dem Bf zur Verfügung stehenden Regelbedarf zu finanzieren); SG Lüneburg, Beschluss vom 10.02.2021 – S 23 AS 13/21 ER; zum SGB XII: SG München, Beschluss v. 03.02.2021 – S 46 SO 29/21 ER;
a. Auffassung:
SG Karlsruhe, Beschluss v. 11.02.2021 – S 12 AS 213/21 ER – Hartz-IV-Mehrbedarf um kalendermonatlich 129,- EUR durch FFP2-Masken – Wöchentlich 20 FFP2-Masken für Hartz-IV-Empfänger
3.6 – SG Berlin, Gerichtsbescheid vom 27.01.2021 – S 114 AS 3501/17
Unvollständige Belehrung – keine Sanktion – ein Beitrag von RA Kay Füßlein
Die Klägerin ist selbstständig und sollte eine Maßnahme absolvieren, deren Sinn und Ziel mit ihrer selbstständigen Tätigkeit eher nicht übereinstimmte.
Sie trat die Maßnahme daher nicht an und wurde um 30 % sanktioniert.
Der gegen die Sanktion erhobene Klage wurde stattgegeben, und zwar mit einer sehr schlüssigen Argumentation unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes – und der neuen Rechtsprechung des BSG zur Belehrung bei Sperrzeiten-, das nämlich die Rechtsfolgenbelehrung (also der Hinweis, wann eine Sanktion eintreten wird) unzutreffend war:
Eine Leistungsminderung nach § 31a Abs. 1 Satz 1 SGB II kann nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts die Anforderungen aus Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG nur wahren, wenn sie nicht darauf ausgerichtet ist, repressiv Fehlverhalten zu ahnden, sondern darauf, dass Mitwirkungspflichten erfüllt werden, die gerade dazu dienen, die existenzielle Bedürftigkeit zu vermeiden oder zu überwinden. Es gelten danach strenge Anforderungen der Verhältnismäßigkeit, weil die Minderung existenzsichernder Leistungen zur Durchsetzung von Mitwirkungspflichten in einem unübersehbaren Spannungsverhältnis zur Existenzsicherungspflicht des Staates aus Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG steht. Denn der Gesetzgeber enthält vor, was er nach Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG zu gewähr- leisten hat. Er belastet außerordentlich, weil er dasjenige suspendiert, was Bedürftigen grundrechtlich gesichert zusteht.
Dies war vorliegend nicht der Fall; in aktuellen Bescheiden ist dieser Hinweis hin und wieder enthalten; das Urteil (bzw. der Gerichtsbescheid) dürfte jedoch auf noch laufende Verfahren anzuwenden sind.
Quelle RA K. Füßlein
Volltext: www.ra-fuesslein.de
Hinweis Redakteur: a. Auffassung:
etwa SG München, Urteil vom 31. Januar 2020 – S 46 AS 536/18;
ebenso SG Hamburg, Urt. v. 24.09.2020 – S 58 AS 369/17
4. Entscheidungen der Landessozialgerichte und Sozialgerichte zur Sozialhilfe (SGB XII)
4.1 – Sozialgericht Karlsruhe, Urt. v. 17.11.2020 – S 2 SO 1851/18
Die Mietobergrenze für den Stadtkreis Karlsruhe beruht auf einem schlüssigen Konzept im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts.
Kurzbeschreibung:
Der alleinstehende Kläger begehrt für die Zeit von Mai 2018 bis April 2019 höhere Kosten der Unterkunft und Heizung. Er bewohnt seit 2010 eine 84 m² große Wohnung mit unveränderter Nettokaltmiete von 550,00 € zuzüglich Nebenkostenvorauszahlungen von 200,00 € für kalte Betriebs- und Heizkosten. Das Sozialamt berücksichtigte gemäß seiner Mietobergrenze lediglich Kosten der Unterkunft von 452,70 € (Bruttokaltmiete) zuzüglich 65,00 € Heizkosten. Der Kürzung der Unterkunftskosten trat der Kläger mit der Begründung entgegen, von dem verminderten Betrag könne er nicht leben. Er habe noch keine Wohnung gefunden und bewerbe sich seit Jahren erfolglos.
Die 2. Kammer des Sozialgerichts Karlsruhe hat die Klage abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf höhere Kosten der Unterkunft und Heizung. Die ab Juli 2017 für Einpersonenhaushalte angewendete Mietobergrenze des Stadtkreis Karlsruhe von 452,70 € beruhe auf einem schlüssigen Konzept im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts.
Der qualifizierte Mietspiegel sei anhand von anerkannten mathematisch-statistischen Grundsätzen erstellt worden. Dieser umfasse sowohl Neu- als auch Bestandsmieten, wobei die Rohdaten aufgrund einer Stichprobe erhoben worden und der Gesamtwohnungsbestand hinsichtlich Eigentümerstruktur, Baualtersstruktur und Verteilung auf einzelne Stadtteile im Vergleichsraum repräsentativ berücksichtigt worden seien.
Es sei gewährleistet, dass eine Ghettobildung nicht stattfinde. Das Ausklammern von Wohnungen mit dem Ausstattungskriterium „sehr einfach“ sei in Kombination mit einem Spannenwert vom 17. bis zum 83. Perzentil geeignet, Wohnungen des untersten Standards auszuschließen, wie es die Rechtsprechung fordere. Die Beschränkung auf die Ausstattungskategorien „einfach“ und „gut“ gewährleiste unter Berücksichtigung des zu Grunde liegenden Punktekatalogs zuverlässig den Ausschluss gehobener Wohnungen und dadurch die ebenfalls erforderliche Beschränkung auf eine einfache bis durchschnittliche Ausstattung. Der Ausschluss von Daten, die der Wohnflächengruppe bis 30 m² entstammten, bewirke die Vermeidung von Verzerrungen, die durch die in diesem Segment häufig anzutreffenden Besonderheiten (z.B. möblierte Vermietung) hervorgerufen würden.
Die Bildung von Spannenoberwert und Spannenunterwert schichte Extremwerte ab. Als alleinige Grundlage für die berücksichtigungsfähige Nettokaltmiete sei dann der Spannenoberwert von 8,27 € pro m² herangezogen worden. Die Berücksichtigung eines weiteren Betrags von 1,79 € pro m² für die kalten Betriebskosten sei ebenfalls nicht zu beanstanden. Da keine anderen Daten vorhanden gewesen seien und mit vertretbarem Aufwand auch nicht hätten erhoben werden können, sei der Rückgriff auf den Betriebskostenspiegel des Deutschen Mieterbundes für das Jahr 2016 zulässig. Die dortigen Werte seien zutreffend um die enthaltenen Kosten für Heizung und Warmwasser vermindert worden. Eine Benachteiligung von Leistungsempfängern nach dem SGB II bzw. SGB XII sei nicht zu erwarten.
Da die im qualifizierten Mietspiegel errechnete Basismiete deutlich überschritten werde, sei ohne weitere Ermittlung zu unterstellen, dass es zu den abstrakt angemessenen Mieten im örtlichen Vergleichsraum Wohnungen in ausreichender Häufigkeit gebe.
Quelle: sozialgericht-karlsruhe.justiz-bw.de
5. Verschiedenes zu Hartz IV, zur Sozialhilfe, zum Asylrecht, Wohngeldrecht und anderen Gesetzesbücher
5.1 – Sozialgerichte uneins
Muss das Jobcenter FFP2-Masken bezahlen?
Können sich Hartz-IV-Empfänger FFP2-Masken aus ihrem Regelsatz leisten, weil sie in der Pandemie auch weniger Ausgaben haben, oder erweist man dem Infektionsschutz so einen Bärendienst? Die Sozialgerichte bewerten das unterschiedlich.
weiter: www.lto.de
5.2 – Corona macht Arme noch ärmer
Wer wenig verdient, ist in der Pandemie oft noch ärmer geworden. Das belegt der Entwurf des Armutsberichts der Regierung. Aus Sicht von Verbänden ein Versäumnis der Politik: Die Bemühungen, die Folgen der Krise abzumildern, reichten nicht aus.
weiter: www.tagesschau.de
5.3 – Sozialgericht Reutlingen Haben Leistungsempfänger einen Anspruch auf 129 Euro im Monat für FFP2-Masken? SG Reutlingen sagt nein
Das Sozialgericht Reutlingen hat sich mit einem Urteil aus Karlsruhe beschäftigt – und hat eine Entscheidung bezüglich finanzieller Ansprüche von Leistungsempfänger getroffen.
Die 4. Kammer des Sozialgerichts Reutlingen hat die Entscheidung des Sozialgerichts Karlsruhe für nicht richtig erachtet und den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz abgelehnt. Es sei nicht glaubhaft, dass der Antragsteller auf die Nutzung von 20 FFP2-Masken wöchentlich angewiesen ist. Nach der Corona-Verordnung bestehe eine alternativlose Verpflichtung zum Tragen einer FFP2-Maske für einen erwachsenen Arbeitsuchenden nur beim Besuch von Krankenhäusern und stationären Einrichtungen für Menschen mit Pflege- und Unterstützungsbedarf. Anders als das Sozialgericht Karlsruhe urteilte, stelle dies laut Reutlinger Sozialgericht keinen Verstoß gegen höherrangiges Recht dar. Soweit ein berechtigtes Interesse des Antragstellers an der Nutzung von FFP2-Masken in Situationen, in denen dies nicht zwingend vorgeschrieben sei, vorliege, fehle es angesichts des geringen Anschaffungspreises für diese Masken (0,845 Euro/Maske) und flankierender gesetzgeberischer Regelungen (zehn Gratismasken im März 2021 und 150 Euro pandemiebedingte Sonderzahlung im Mai 2021) an einer erheblichen finanziellen Mehrbelastung.
Kein Anspruch in Reutlingen
Auch die 7. Kammer des Sozialgerichts Reutlingen hat in einem gesonderten Beschluss vom 10. März den Antrag der Antragsteller auf einen „Corona-Mehrbedarf“ (beispielsweise für das Besorgen von FFP2-Masken) abgelehnt.
Zur Begründung wurde unter anderem ausgeführt, dass sich aus dem pauschaliert gewährten Regelbedarf derzeit Einsparungen generieren ließen, da wegen der Einschränkungen des öffentlichen und sozialen Lebens auf Grund des Lockdowns gewisse im Regelbedarf enthaltenen Beiträge wie im Verkehr (40,01 Euro), in der Kultur und Freizeitgestaltung (43,52 Euro) und Gaststättendienstleistungen (11,65 Euro) nicht, beziehungsweise kaum eingesetzt werden könnten.
Die Entscheidungen aus Karlsruhe und Reutlingen stehen laut Raphael Deutscher, Richter am Reutlinger Sozialgericht, gleichwertig gegenüber. Bedeutet:
In Reutlingen haben Leistungsempfänger keinen Anspruch darauf, dass das Jobcenter Zahlungen für den Mehrbedarf an FFP2-Masken übernimmt. Der Beschluss vom 9. März ist rechtskräftig, der vom 10. März noch nicht.
Quelle: www.swp.de
Hinweis Redakteur:
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Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock
Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker