Tacheles Rechtsprechungsticker KW 25/2021

1. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

1.1 – LSG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 21.04.2021 – L 18 AS 743/20 ZVW

Endgültige Fassung – Null-Bewilligung -Klageart – Schätzung

Leitsatz (Redakteur)
1. Bei Manipulationsmöglichkeiten darf sich der SGB II-Träger bei seiner Schätzung am oberen Rand eines einschlägigen Schätzungsrahmens orientieren (vgl schon Senatsurteil vom 26. Februar 2014 – L 18 AS 2232/11).

2. Es kann offenbleiben, ob die in § 3 Abs. 6 Alg II-V genannte Frist eine Ausschlussfrist darstellt und mithin nach ihrem Ablauf kein Anspruch auf (Erhöhung der) Leistung entstehen kann, wenn später nachgewiesen wird, dass das Einkommen zu hoch geschätzt worden war.

Quelle: gesetze.berlin.de

1.2 – LSG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 17.02.2021 – L 37 SF 156/20 EK SF

Leitsatz
Das Prozesskostenhilfevergütungsverfahren nach § 55 RVG und ein sich an-schließendes Erinnerungsverfahren stellen ein Gerichtsverfahren i.S.d. § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG dar.

Für ein Vergütungsverfahren nach § 55 RVG steht dem Gericht eine Vorbereitungs- und Bedenkzeit von i.d.R. drei Monaten zu.

Für ein sich anschließendes Erinnerungsverfahren steht dem Gericht eine Vorbereitungs- und Bedenkzeit von i.d.R. zwölf Monaten zu.

Es kann eine Kompensation von Verzögerungszeiten durch eine zügige Bearbeitung in dem jeweils anderen Verfahrensabschnitt erfolgen.

Weisen ein Vergütungsverfahren nach § 55 RVG und ein sich anschließendes Erinnerungsverfahren eine unangemessene Dauer auf, bedarf es in der Regel nicht der Kompensation durch Gewährung einer finanziellen Entschädigung. Es reicht vielmehr mit Blick auf die im Allgemeinen nur untergeordnete Bedeutung derartiger Verfahren und unter Berücksichtigung der von einer unangemessenen Verfahrensdauer für mit der Prozessführung vertraute Rechtsanwälte als Organe der Rechtspflege ausgehenden, vergleichsweise geringfügigen seelischen Belastung die Wiedergutmachung auf sonstige Weise aus.

Hat der Beklagte im vorprozessualen Entschädigungsverfahren die Unangemessenheit der Verfahrensdauer anerkannt und hierüber sein Bedauern zum Ausdruck gebracht, ist der Anspruch auf Wiedergutmachung in sonstiger Weise als kleiner Entschädigungsanspruch erfüllt.

Quelle: gesetze.berlin.de

Hinweis:
Wie lange muss der Anwalt auf seine Prozesskostenhilfevergütung warten? von Dr. Hans-Jochem Mayer

1.3 – LSG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 19.05.2021 – L 29 AS 1920/19

unabweisbare Aufwendungen – Dachreparatur – unangemessen großes Hausgrundstück

Orientierungshilfe (Redakteur Tacheles e. V.)
1. Bei den Reparaturkosten für die losen Dachfirste handelt es sich um grundsätzlich von der Anspruchsnorm erfasste Aufwendungen.

2. Unabweisbar sind nach der Gesetzesbegründung nur zeitlich besonders dringliche Aufwendungen, die absolut unerlässlich sind und nicht zu einer Verbesserung des Wohnstandards führen (vgl. Landessozialgericht <LSG> Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 26. Oktober 2010 – L 5 AS 345/09 B ER), d.h. der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit ist besonders zu beachten; nur das zur Sicherung der Substanz Notwendige, was die Bewohnbarkeit aufrechterhält, wird von der Vorschrift erfasst, darunter fallen zum Beispiel Dachsanierungen im Sinne einfacher Instandhaltungsarbeiten.

3. Die Reparatur ist auch nach § 22 Abs. 2 Satz 1 SGB II angemessen. Die Vorschrift regelt einerseits die Übernahme von unabweisbaren Aufwendungen für Instandhaltung und Reparatur bei selbst bewohntem Wohneigentum, begrenzt die zu berücksichtigenden Aufwendungen aber andererseits auf die innerhalb von zwölf Monaten insgesamt als angemessen übernahmefähigen Unterkunftskosten, die auch bei Mietern berücksichtigt werden könnten. Liegen die tatsächlichen Aufwendungen für laufende Kosten der Unterkunft bereits oberhalb der für Mieterinnen und Mieter geltenden Obergrenzen, werden keine Zuschüsse nach Abs. 2 Satz 1 erbracht (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 30. September 2010 – L 29 AS 328/10).

4. Beim vom Kläger selbst bewohnten Hauseigentum handelt es sich jedoch nicht um Schoneigentum i.S.v. § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 SGB II, weil das Hausgrundstück unangemessen groß ist. Der Tatbestand des § 22 Abs. 2 Satz 1 SGB II ist nicht auf den Fall eines unangemessen großen Hauseigentums anzuwenden (vgl. etwa LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 2. Juni 2020 – L 4 AS 167/20 B ER; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 26. Oktober 2011 – L 7 AS 893/11 B ER).

5. Soweit vertreten wird, dass die Übernahme der Aufwendungen für Instandhaltung und Reparatur nach § 22 Abs. 2 Satz 1 SGB II bei selbst bewohntem Wohneigentum, das nicht angemessen i.S.d. § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 SGB II ist, dann nicht ausgeschlossen sei, wenn das Wohneigentum bereits aus anderen Gründen nicht als Vermögen zu berücksichtigen und § 22 Abs. 2 Satz 1 SGB II dementsprechend teleologisch zu reduzieren sei (so etwa LSG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 8. Januar 2016 – L 8 AS 578/15 B ER).

Quelle: gesetze.berlin.de

2. Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

2.1 – Sozialgericht Dessau-Roßlau, Urt. v. 26.04.2021 – S 32 AS 437/17

Leitsatz
Zum Vorliegen eines schlüssigen Konzepts zur Ermittlung der angemessenen Mietobergrenzen in der Stadt Dessau-Roßlau.

Liegt kein auffälliges Missverhältnis der Datenanteile von Klein- und Großvermietern im Verhältnis zu ihren Mietwohnungsmarktanteilen vor, ist bei einem nicht angespannten Wohnungsmarkt die Repräsentativität der Datenerhebung zu bejahen.

Bei einer Datenerhebung von Bestandsmieten, die teilweise älter als vier Jahre sind, kann durch einen Abgleich mit Neuvertrags- und Angebotsmieten sichergestellt werden, dass zu dem ermittelten Wert auch tatsächlich Wohnraum angemietet werden kann.

Quelle: www.landesrecht.sachsen-anhalt.de

2.2 – Sozialgericht Magdeburg vom 04.06.2021 – S 27 AS 2124/15

Leitsatz RA Michael Loewy
Trennt sich ein Leistungsempfänger von seinem bisherigen Partner und bezieht mit seinen Kindern eine neue Unterkunft, besitzt dieser einen Anspruch auf Gewährung einer Erstausstattung für eine Wohnung, denn Fälle der vorliegenden Art sind wertungsmäßig den Fällen einer erstmaligen Ausstattung gleichzustellen (vgl. BSG vom 01.07.2009 – B 4 AS 77/08 R). In einem solchen Fall ist die Erstausstattung als Zuschuss und nicht als Darlehen zu gewähren.

Quelle: www.anwaltskanzlei-loewy.de

3. Entscheidungen der Landessozialgerichte und Sozialgerichte zur Sozialhilfe (SGB XII)

3.1 – LSG Berlin- Brandenburg, Urt. v. 23.03.2021 – L 15 SO 236/17 – Revision zugelassen

Zur Frage einer einmaligen Leistung der Sozialhilfe für die Anschaffung einer Waschmaschine, hier verneinend.

Quelle: Juris

4. Verschiedenes zu Hartz IV, zur Sozialhilfe, zum Asylrecht, Wohngeldrecht und anderen Gesetzesbücher

4.1 – Anmerkung zu: BSG 4. Senat, Urteil vom 08.12.2020 – B 4 AS 30/20 R

Autor: Dr. Stefan Meißner
Grundsicherung für Arbeitsuchende: Nichtberücksichtigung ausgezahlter Raten eines Studienkredits einer Bank als Einkommen

Orientierungssatz zur Anmerkung
Ausgezahlte Raten eines Studienkredits einer Bank stellen kein zu berücksichtigendes Einkommen dar.

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Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock
Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker