1. Entscheidungen des Bundessozialgerichts zur Grundsicherung nach dem (SGB II)
1.1 – BSG, Urteil v. 21.07.2021 – B 14 AS 29/20 R
Grundsicherung für Arbeitsuchende – Einkommensberechnung – Absetzbetrag – Übungsleiterfreibetrag
Leitsatz (Redakteur von Tacheles e. V.)
Jobcenter müssen Höhere Hartz-IV-Freibeträge für gemeinnützige Tätigkeiten gewähren.
Orientierungshilfe (Redakteur von Tacheles e. V.)
1. Voraussetzung für die Berücksichtigung des erhöhten Grundfreibetrags vom Einkommen nach § 11b Abs 2 Satz 3 SGB II ist, dass der Kläger mindestens aus einer Tätigkeit Einnahmen erzielt, die nach § 3 Nr 26 Einkommensteuergesetz steuerfrei ist. Dies setzt eine nebenberufliche Tätigkeit unter anderem als Übungsleiter im Auftrag einer unter § 5 Abs 1 Nr 9 Körperschaftssteuergesetz fallenden Einrichtung sowie die Ausübung dieser Tätigkeit zur Förderung gemeinnütziger Zwecke voraus.
2. Für die Beurteilung der Nebenberuflichkeit ist nach Maßgabe der steuerrechtlichen Rechtsprechung Voraussetzung, dass der zeitliche Umfang der Tätigkeit nicht mehr als ein Drittel der Arbeitszeit eines vergleichbar in Vollzeit Erwerbstätigen umfasst. Maßgeblich ist insoweit regelmäßig der steuerrechtliche Veranlagungszeitraum. Bei Ausübung mehrerer gleichartiger Tätigkeiten, wovon bei den Tätigkeiten des Klägers als Trainer im Fitnessstudio und als Übungsleiter für den Verein auszugehen ist, ist im Rahmen einer Gesamtwürdigung auf beide Tätigkeiten abzustellen.
3. Soweit § 3 Nr 26 Einkommensteuergesetz zudem voraussetzt, dass auch die ausgeübte Tätigkeit selbst der Förderung gemeinnütziger Zwecke dient, gilt im Anwendungsbereich des § 11b Abs 2 Satz 3 SGB II nichts anderes. Denn auch dieser Regelung liegt die Vorstellung zugrunde, freiwillige („selbstlose“) Tätigkeiten durch höhere Absetzbeträge zu privilegieren. Anders als der Beklagte meint, werden davon nicht nur ehrenamtlich ausgeübte Tätigkeiten erfasst, wie Entstehungsgeschichte sowie Sinn und Zweck der Normen belegen.
4. Wird aber die Tätigkeit im Rahmen der Erfüllung der Satzungszwecke einer Einrichtung ausgeübt, die wegen Förderung ua gemeinnütziger Zwecke steuerbefreit ist, ist im Allgemeinen davon auszugehen, dass die Tätigkeit ebenfalls der Förderung dieser steuerbegünstigten Zwecke dient, soweit – wie hier – keine konkreten Anhaltspunkte für eine abweichende Bewertung vorliegen.
Quelle: www.bsg.bund.de
Hinweis:
Arbeitslose Hartz-IV-Bezieher mit Nebeneinkünften aus einer gemeinnützigen Tätigkeit können vom Jobcenter einen Freibetrag von 250 Euro monatlich geltend machen. Dies kann selbst dann gelten, wenn der Arbeitslosengeld-II-Empfänger als Übungsleiter für einen Verein zusätzlich auch noch als Sportlehrer für ein Fitnessstudio tätig ist und daraus Einkünfte erzielt.
weiter: www.evangelisch.de
1.2 – BSG, Urt. v. 21.07.2021 – B 14 AS 18/20 R
Grundsicherung für Arbeitsuchende – kommunale Eingliederungsleistung – Schuldnerberatung
Leitsatz (Redakteur von Tacheles e. V.)
Jobcenter muss Hilfebedürftigen Schuldnerberatung zur leichteren Arbeitsuche bezahlen.
Orientierungshilfe (Redakteur von Tacheles e. V.)
Schuldnerberatung als kommunale Eingliederungsleistung kann zur Verwirklichung einer ganzheitlichen und umfassenden Betreuung und Unterstützung bei der Eingliederung in Arbeit erbracht werden, wenn sie dafür erforderlich ist. Die Erforderlichkeit ist im Rahmen des § 16a Nr 2 SGB II nicht einengend so zu verstehen, dass eine Leistungserbringung nur bei einer prognostisch unmittelbar folgenden Arbeitsaufnahme in Betracht kommt oder nur dann, wenn sie die einzige Möglichkeit zur Eingliederung in Arbeit darstellt. Sie kann auch dann erforderlich sein, wenn sie die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit erst vorbereitet oder flankierend unterstützt, indem sie der Bewältigung von Motivationsproblemen und der Stabilisierung der Betroffenen dient. Dennoch verliert sie dadurch nicht ihren finalen Bezug zum übergeordneten Ziel der Eingliederung der leistungsberechtigten Person in Arbeit.
Quelle: www.bsg.bund.de
Hinweis:
Jobcenter müssen bei der Vermittlung von Hartz-IV-Beziehern in den Arbeitsmarkt auch deren Verschuldungssituation im Blick haben. Stellen hohe Schulden ein Hindernis für die Integration in den Arbeitsmarkt dar, kann die Behörde zur Übernahme der Kosten für eine Schuldnerberatung verpflichtet sein.
weiter: www.evangelisch.de
2. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)
2.1 – LSG NRW, Beschluss v. 17.06.2021 – L 7 AS 587/21 NZB
Keine Gewährung einer Beihilfe für einen Schülerschreibtisch, Schreibtischstuhl und Regal.
Leitsatz (Redakteur von Tacheles e. V.)
1. Es sei zumutbar und sozialadäquat, dass die Klägerin ihre Schularbeiten am Wohnzimmer- oder Esstisch erledigt. Dies sei angesichts des Grundrisses der Wohnung und der vorgelegten Lichtbilder auch möglich. Ein Regal sei bereits vorhanden.
2. Das Sozialgerichts Berlin vom 15.02.2012 (S 174 AS 28285/11) hat einen Anspruch auf einen eigenen Schülerschreibtisch lediglich für den Fall bejaht, dass „in der Wohnung kein anderer Platz zur Verfügung steht“ (vgl. in diesem Zusammenhang auch (SG Aachen Urteil vom 09.01.2007 – S 11 AS 96/06). Dass im Einzelfall (seltene) Konstellationen denkbar sind, in denen ausnahmsweise ein eigener Schreibtisch/Schreibtischstuhl für (Grund-) Schüler benötigt wird, begründet keine grundsätzliche Bedeutung der vorliegenden Rechtssache.
Quelle: www.justiz.nrw.de
2.2 – Sächsisches LSG, Beschluss v. 29.03.2021 – L 3 AS 241/21 B ER
Arbeitslosengeld II – Sonderbedarf – Wohnungserstausstattung – Geschirrspülmaschine – Darlehen für unabweisbaren vom Regelbedarf umfassten einmaligen Bedarf – Auslegung des Begriffs der Unabweisbarkeit
Leitsatz
1. Eine Geschirrspülmaschine oder ein Geschirrspülautomat wird nur dann zum angemessenen Wohnungsausstattungsbedarf im Sinne von § 24 Abs 3 S 1 Nr 1 SGB II gezählt, wenn keiner der Haushaltsangehörigen in der Lage ist, den Haushalt in der gebotenen Weise zu führen und eine Spülmaschine die Haushaltsführung in einem so beträchtlichen Umfang erleichtert, dass die Weiterführung des Haushalts ermöglicht wird. (Rn.31)
2. Zur Auslegung des Tatbestandsmerkmals des unabweisbaren Bedarfs in § 24 Abs 1 S 1 SGB II kann auf die Legaldefinition in § 21 Abs 6 S 2 SGB 2 zurückgegriffen werden. (Rn.39)
Quelle: Juris
2.3 – LSG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 23.06.2021 – L 18 AS 998/18 WA
Grundsicherung für Arbeitsuchende – Sanktionen – Eingliederungsverwaltungsakt – Nichtigkeit – Überprüfungsverfahren
Orientierungshilfe (Redakteur von Tacheles e. V.)
1. Der Eingliederungsverwaltungsakt leidet zunächst an einem Mangel, soweit in diesem von dem Kläger Bewerbungsbemühungen im Umfang von mindestens zehn Bewerbungen um sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse im Monat gefordert werden, ohne dass damit eine korrespondierende Erstattung von Bewerbungskosten durch den Beklagten verbunden wäre. Die wechselseitigen Verpflichtungen stehen danach in keinem ausgewogenen Verhältnis (vgl. dazu BSG, Urteil vom 23. Juni 2016 – B 14 AS 30/15 R).
2. Weiterhin ist in dem Eingliederungsverwaltungsakt vom 25. Juni 2014 zwar ein Geltungszeitraum bis zum 31. Dezember 2014 genannt, es werden jedoch keine Anläs-se oder Zeitpunkte für die gemeinsame Überprüfung während der Laufzeit der Vereinbarung genannt (vgl. zu diesem Erfordernis unter Festhalten an seiner Rechtsprechung zur vor dem 1. August 2016 geltenden Rechtslage BSG, Urteil vom 21. März 2019 – B 14 AS 28/18 R; ebenso etwa LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 19. Februar 2020 – L 18 AS 1421/19).
Quelle: gesetze.berlin.de
3. Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)
3.1 – SG Magdeburg, Urt. v. 25.06.2021 – S 14 AS 965/17
Leitsatz
1. Das Konzept des Jobcenters Salzlandkreis ist weiterhin, auch über den 01.01.2017 hinaus, nicht als schlüssig anzusehen (abweichend zum Urteil des 5. Senates des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 15.04.2021 (L 5 AS 526/16).
2. Entscheidungserhebliche Unklarheiten iim Rahmen eines schlüssigen Konzeptes gehen regelmäßig zulasten des beklagten Jobcenters. Die Kläger trifft diesbezüglich keine Beweislast.
3. An das Erstellen eines schlüssigen Konzeptes dürfen im Hinblick auf die betroffenen existenzsichernden Leistungen, jedenfalls in Bezug auf das Alter der herangezogenen Bestandsmieten, keine niedrigeren Anforderungen gestellt werden als an das Erstellen eines qualifizierten Mietspiegels.
Quelle: www.landesrecht.sachsen-anhalt.de
3.2 – SG Nordhausen, Urt. v. 08.06.2021 – S 13 AS 1134/20
Leitsatz
1. Die Bekanntgabe des Namens und der Anschrift eines Empfängers von Leistungen der Grundsicherung an einen potentiellen Arbeitgeber stellt ein zulässiges Verarbeiten von Sozialdaten i. S. des Übermittelns dar.
2. Die Anfrage bei einem potentiellen Arbeitgeber, ob sich der vorgeschlagene Bewerber beworben hat, stellt ein zulässiges Verarbeiten von Sozialdaten i. S. des Erhebens dar.
Quelle: www.landesrecht.thueringen.de
3.3 – SG Nordhausen, Urt. v. 08.06.2021 – S 13 AS 29/19
Leitsatz
1. Die Verpflichtung aus § 58 Abs. 2 SGB II, dem Arbeitgeber den für die Bescheinigung des Arbeitsentgelts vorgeschriebenen Vordruck unverzüglich vorzulegen, steht unter dem Vorbehalt des datenschutzrechtlichen Erforderlichkeits- und Zweckbindungsbegriffs.
2. Das von der Bundesagentur für Arbeit herausgegebene Formular „Einkommensbescheinigung – Nachweis der Höhe des Arbeitsentgelts -“, Stand 04/2018, ist nicht zu beanstanden.
Quelle: www.landesrecht.thueringen.de
4. Entscheidungen der Landessozialgerichte und Sozialgerichte zum Arbeitsförderungsrecht (SGB III)
4.1 – SG Gießen, Urteil v. 12.07.2021 – S 14 AL 81/21
AL – Arbeitsförderungsrecht
Leitsatz
1. Ein versicherungswidriges Verhalten liegt dann vor, wenn der Arbeitslose bei Vereinbarung eines Vorstellungsgespräches darauf hinweist, zu beabsichtigen, sich in 3 bis 4 Monaten selbstständig machen zu wollen.
2. Dabei ist für das Vorliegen eines wichtigen Grundes maßgeblich, ob und inwieweit der Arbeitslose bereits konkrete Umsetzungsschritte hin zur Selbstständigkeit, auch in zeitlicher Hinsicht, unternommen hat.
3. Eine Offenbarungspflicht, im Bewerbungsprozess proaktiv auf die Möglichkeit eines zeitnahen Wiederausscheidens hinzuweisen, besteht nicht. Es besteht vielmehr eine Obliegenheit des Arbeitslosen, sein Verhalten so auszurichten, dass eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zeitnah erreicht werden kann.
Quelle: www.rv.hessenrecht.hessen.de
4.2 – Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 23.06.2021 – L 11 AL 95/19
1. Eine wirksame Rechtsfolgenbelehrung bei einer Sperrzeit bei Arbeitsablehnung (§ 159 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB III) erfordert – ebenso wie eine Rechtsfolgenbelehrung bei einer Sanktion nach § 31 Abs 1 Satz 1 SGB II (vgl hierzu: BSG, Urteil vom 18. Februar 2010 – B 14 AS 53/08 R -) – eine Belehrung auch über den Beginn der angedrohten Sperrzeit (so auch bereits: LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 8. Mai 2018 – L 11 AL 67/16 NZB -).
2. Ein diesbezüglicher pauschaler Hinweis auf das „Merkblatt 1 für Arbeitslose – Ihre Rechte – Ihre Pflichten“ reicht nicht aus (Anschluss an BSG, Urteil vom 10. Dezember 1981 – 7 RAr 24/81 -), insbesondere wenn das dem Arbeitslosen überreichte Merkblatt überhaupt keine Angaben zum Beginn einer Sperrzeit bei Arbeitsablehnung enthält.
Quelle: www.rechtsprechung.niedersachsen.de
5. Entscheidungen der Landessozialgerichte zum Kinderzuschlag
5.1 – LSG München, Urteil v. 10.05.2021 – L 7 BK 2/21
Kinderzuschlag – Zinsen nach § 44 SGB I
Leitsatz:
Die Nachzahlung von Kinderzuschlag ist unter den Voraussetzungen des § 44 SGB I mit einem Zinssatz von 4 von Hundert zu verzinsen.
Quelle: www.gesetze-bayern.de
6. Verschiedenes zu Hartz IV, zur Sozialhilfe, zum Asylrecht, Wohngeldrecht und anderen Gesetzesbücher
6.1 – Ausschluss von der Krankenversicherung für nicht-erwerbstätige Unionsbürger*innen ist wohl europarechtswidrig
weiter: www.ggua.de
6.2 – OVG Sachsen, Beschluss vom 9. Juni 2021 (3 A 133/20):
Leitsatz Dr. Manfred Hammel
Für die Entscheidung über die Bewilligung von Wohngeld erheblich im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB I sind ebenfalls die Angaben, die zur Ermittlung des Jahreseinkommen und der Belastung mit Verbindlichkeiten freiberuflich tätiger Personen erforderlich sind.
Ein Antragsteller hat im Verwaltungsverfahren hier stets seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse hinreichend substantiiert darzulegen. Dies gilt auch in Bezug auf während des für die Bewilligungsentscheidung maßgebenden Zeitraums (§ 25 Abs. 1 Satz 1 WoGG) über Währungstransaktionen erzielte Veräußerungsgewinne.
Lassen sich weder durch die Behörde (§ 20 SGB X) noch durch das Verwaltungsgericht (§ 86 VwGO) die Voraussetzungen des geltend gemachten Wohngeldanspruchs ermitteln, dann geht dies nach den Regeln der materiellen Beweislast zu Lasten der Rechte für sich herleitenden Antragstellers.
6.3 – Anspruch auf Haushaltshilfe während stationärer Rehabilitation
Wenn einem Versicherten wegen einer Leistung zur medizinischen Rehabilitation die Weiterführung des Haushalts nicht möglich ist, wird Haushaltshilfe geleistet. Dies gilt, soweit eine andere im Haushalt lebende Person den Haushalt nicht weiterführen kann und im Haushalt ein Kind lebt, dass bei Beginn der Haushaltshilfe das zwölfte Lebensjahr noch nicht vollendet hat oder das behindert und auf Hilfe angewiesen ist. Eine Haushaltsführung liegt auch vor, wenn Ehegatten sich diese teilen. Dabei spielt es keine Rolle, zu welchen Tageszeiten die Haushaltsaufgaben übernommen werden.
weiter: www.juris.de
6.4 – Arbeitshilfe: Beratung von Unionsbürger*innen – Die Freizügigkeitsrechte in familiären Konstellationen
weiter: www.der-paritaetische.de
6.5 – Broschüre: Praxisleitfaden für EU-ArbeitnehmerInnen in Deutschland – Ein Wegweiser für gute Arbeitsbedingungen und Gleichbehandlung
Die EU-Gleichbehandlungsstelle und das Berliner Beratungszentrum für Migration und Gute Arbeit (BEMA) haben gemeinsam einen Praxisleitfaden mit Fallbeispielen erarbeitet, der Ihnen ab sofort zum Download zur Verfügung steht.
Quelle: www.eu-gleichbehandlungsstelle.de
Hinweis Redakteur:
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Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock
Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker