Sozialgericht Nordhausen – Beschluss vom 23.06.2021 – Az.: S 15 AY 1700/20 ER

BESCHLUSS

In dem Rechtstreit

1. xxx,
2. xxx,
zu 1 und 2 wohnhaft: xxx

– Antragsteller –

zu 1 und 2 Prozessbevollm.:
Anwaltskanzlei
Sven Adam,
Lange Geismarstraße 55, 37073 Göttingen

gegen

Landkreis Eichsfeld,
vertreten durch den Landrat,
Friedensplatz 8, 37308 Heilbad Heiligenstadt

– Antragsgegner –

hat die 15. Kammer des Sozialgerichts Nordhausen durch ihren Vorsitzenden, Richter am Sozialgericht xxx, ohne mündliche Verhandlung am 23. Juli 2021 beschlossen:

  1. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragstellern vorläufig unter dem Vorbehalt der Rückforderung die beantragten Leistungen der Regelbedarfsstufe 2 nach §§ 3, 3a Asylbewerberleistungsgesetz auch für die Zeit ab dem 1. Januar 2021 bis zum 30. Juni 2021 ungekürzt zu gewähren.
  2. Der Antragsgegner hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragsteller zu tragen.
GRÜNDE
I.

Die Antragsteller begehren die vorläufige Gewährung von höheren Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) für den Zeitraum vom 1. Januar 2021 bis zum 30. Juni 2021.

Die Antragsteller sind nach den vorliegenden Unterlagen afghanische Staatsangehörige und im Besitz eines internationalen Schutzstatus in Griechenland.

Die Antragsteller reisten nach ihren Angaben am xxx 2020 mit ihren 3 Kindern in die Bundesrepublik Deutschland ein.

Am 22. April 2020 stellten die Antragsteller einen Asylantrag, über den noch nicht rechtkräftig entschieden ist.

Die Antragsteller beantragten am 19. Mai 2020 die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, die in der Folgezeit vom Antragsgegner bewilligt wurden.

Mit Schreiben vom 1. Dezember 2020 hörte der Antragsgegner die Antragsteller zur Kürzung ihrer Leistungen an. Ihr Asylantrag sei als unzulässig abgelehnt worden, da sie einen rechtmäßigen internationalen Schutzstatus in Griechenland erhalten hätten. Daher sei beabsichtigen, zum 1. Dezember 2020 eine Leistungskürzung nach § la Abs. 4 i.V.m. § 3 AsylbLG vorzunehmen. Gem. § 1 a Abs. 4 AsylbLG erhielten Leistungsberechtigte nach § 1 Absatz 1 Nummer 1 oder 5, deren Asylantrag durch eine Entscheidung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge nach § 29 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit § 31 Absatz 6 des Asylgesetzes als unzulässig abgelehnt worden sei und für die eine Abschiebung nach § 34a Absatz 1 Satz 1 2.Alternative des Asylgesetzes angeordnet worden sei, nur Leistungen entsprechend Absatz 1. Satz 1 gelte nicht, sofern ein Gericht die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung angeordnet habe. Bei einer möglichen Leistungskürzung nach dieser Norm würden für die Eltern jeweils die Geldleistungen grundsätzlich auf das Minimum gekürzt und die gesamten notwendigen persönlichen Leistungen entzogen. Soweit tatsächliche Kosten für die notwendigen persönlichen Leistungen entstünden, die aus nachvollziehbaren und darzulegenden Gründen unabdingbar seien, seien diese Kosten mit einer entsprechenden Begründung einzureichen.

Mit Bescheid des Antragsgegners vom 17. Dezember 2020 bewilligte der Antragsgegner der Bedarfsgemeinschaft der Antragsteller für die Zeit vom 1. Januar 2021 bis zu 30. Juni 2021 Leistungen nach Asylbewerberleistungsgesetz in Höhe von 1.292,00 € monatlich. Dabei handelt es sich um nach § 1 a Abs. 4 AsylbLG gekürzte Leistungen. Damit sei der komplette notwendige persönliche Bedarf entzogen worden, da die Antragsteller nicht nachgewiesen hätten, welche der beschriebenen Abteilungen benötigt würden. Die Kürzung sei für 6 Monate befristet und werde im Anschluss neu geprüft. Berechnet werde der notwendige Bedarf gemäß § 3a Abs. 2 AsylbLG. Die Berechnung ergebe sich aus dem als Anlage beigefügten Berechnungsbogen.

Mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 19. Dezember 2020 erhoben die Antragsteller gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 17. Dezember 2020 Widerspruch. Die Kürzung der Leistungen nach § 1 a Abs. 4 AsylbLG sei rechtswidrig. Es bestünden bereits im Hinblick auf den Gleichbehandlungsgrundsatz Bedenken. Den in § 1a Abs. 1-3 AsylbLG genannten Personen werde ein konkretes, selbst zu vertretendes ausländerrechtliches Fehlverhalten vorgeworfen, an das die Leistungseinschränkungen anknüpfe. Zudem sei die Kürzung im Hinblick auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 5. November 2018 verfassungswidrig. Den Antragstellern verbleibe mit Ausnahme der Ausreise keine Möglichkeit, die Sanktion zu verhindern.

Mit einem Änderungsbescheid vom 22. Januar 2021 bewilligte der Antragsgegner den Antragstellern Leistungen für die Schulbeihilfe im Monat Februar 2021. Die Einzelheiten der monatlichen Leistungen ergäben sich aus dem Berechnungsbogen zum Bescheid.

Mit Widerspruchsbescheid vom 6. Mai 2021 wies das Thüringer Landesverwaltungsamt den Widerspruch der Antragsteller zurück. Der Änderungsbescheid vom 22. Januar 2021 sei Bestandteil des Vorverfahrens gegen den Bescheid vom 17. Dezember 2020 geworden.

Der Bescheid vom 17. Dezember 2020 sei rechtmäßig und verletze die Antragsteller nicht in ihren Rechten. Die erforderliche Anhörung sei erfolgt. Materielle Rechtsgrundlage seien die Regelungen des AsylbLG in der derzeit geltenden Fassung. Auf die Antragsteller finde § 1 a Abs. 4 Satz 2 AsylbLG Anwendung, wonach Leistungsberechtigten, denen bereits von einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem am Verteilmechanismus teilnehmenden Drittstaat im Sinne von Satz 1 internationaler Schutz oder aus anderen Gründen ein Aufenthaltsrecht gewährt worden sei und bei denen der internationale Schutz oder das aus anderen Gründen gewährte Aufenthaltsrecht fortbestehen, gekürzte Leistungen zu bewilligen seien. Eine Anwendung des § 1a Abs. 4 Satz 2 AsylbLG sei rechtmäßig, da den Antragstellern ein Aufenthaltsrecht in Griechenland gewährt worden sei, was nach den vorliegenden Unterlagen auch fortbestehe. Dem Vortrag, dass eine Sanktion immer an ein konkret vorwerfbares und änderbares Verhalten anknüpfen müsse, könne nicht gefolgt werden. Auch könne ein solches „Fehlverhalten” in Deutschland im Sinne der Regelungen des § 1 a Abs. 4 Satz 2 AsylbLG darin gesehen werden, dass die oder der Leistungsberechtigte nach dem AsylbLG gerade nicht in den schutzgewährenden Staat ausreise. Gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 1 a Abs. 4 Satz 2 AsylbLG bestünden keine Bedenken. Somit bestehe für die Antragsteller im verfahrensgegenständlichen Leistungszeitraum kein Anspruch auf Leistungen nach den §§ 2, 3 und 6 AsylbLG. Ihnen seien nur noch Leistungen im Sinne des § la Absatz 1 Satz 2 bis 4 AsylbLG zu gewähren. Gemäß § 14 Abs. 1 AsylbLG seien Anspruchseinschränkungen nach diesem Gesetz auf sechs Monate zu befristen. Soweit die Kürzung der Leistungen ein bestimmtes, vorwerfbares Verhalten oder Unterlassen des Leistungsberechtigten zur Voraussetzung habe, liege das Fehlverhalten der Antragsteller darin, dass sie nicht nach Griechenland zurückreisten, obwohl sie dort ein Aufenthaltsrecht besäßen. Die Befristung im verfahrensgegenständlichen Bescheid sei daher rechtmäßig. Auch in Zeiten der der COVID-19-Pandemie seien Rückreisen bzw. Überstellungen nach Griechenland möglich.

Mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 11. Mai 2021, eingegangen bei Sozialgericht Nordhausen am 12. Mai 2021, erhob der Kläger gegen den Widerspruchsbescheid vom 6. Mai 2021 Klage.

Der Antragsteller haben mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 19. Dezember 2020, eingegangen beim Sozialgericht Nordhausen am gleichen Tag, um die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht. Es bestehe ein Anordnungsanspruch. Die verhängte Sanktion sei nicht rechtmäßig. Die Ermächtigungsgrundlage sei mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu Sanktionen bei den SGB II Leistungen nicht vereinbar. Jedenfalls im Rahmen der Folgenabwägung sei daher die Leistungskürzung bis zum Ausgang der Hauptsache auszusetzen. Zudem sei die Kürzung des Regelbedarfs um mehr als 50 % nicht mit Art. 1 Grundgesetz vereinbar. Ein Anordnungsanspruch sei gegeben, da das Existenzminimum der Antragsteller nicht mehr abgesichert sein. Stünden existenzsichernde Leistungen nicht zur Verfügung, sei regelmäßig vom Vorliegen eines Anordnungsgrundes auszugehen. Die Antragsteller seien nicht dafür begründungspflichtig, dass das ihnen verweigerte Existenzminimum auch tatsächlich benötigt werde. Der Regelbedarf sei als Gesamt-Pauschalbetrag auszuzahlen. Bereits der Grundbedarf nach dem SGB II sei verfassungsrechtlich an der Grenze dessen, was noch geeignet sei, die verfassungsrechtlichen Vorgaben zu erfüllen. Daher sei bereits die Regelbedarf Stufe 1 nach dem Asylbewerberleistungsgesetz verfassungsrechtlich bedenklich. Dies gelte erst recht für die vorgenommene Kürzung.

Der Antragsteller beantragt,
den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den Antragstellern vorläufig und unter dem Vorbehalt der Rückforderung bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über die Klage der Antragsteller gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 17. Dezember 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Mai 2021 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts die beantragten Leistungen nach den §§ 3, 3a AsylbLG ab dem 1. Januar 2021 zu gewähren.

Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen.

Die Antragsteller hätten ein Aufenthaltsrecht für Griechenland. Für Leistungsberechtigte, denen bereits von einem anderen Unionsstaat oder von einem am Verteilmechanismus teilnehmenden Drittstaat im Sinne von Satz 1 internationaler Schutz oder aus anderen Gründen ein Aufenthaltsrecht gewährt worden sei, trete eine Leistungseinschränkung ein, wenn der internationale Schutz oder das aus anderen Gründen gewährte Aufenthaltsrecht fortbestehe. Dies sei im vorliegenden Fall gegeben. Die Entscheidung entspreche den gesetzgeberischen Vorgaben. Bereits im Rahmen der Anhörung seit dem Antragsteller die Möglichkeit gegeben worden, einen konkreten notwendigen persönlichen Bedarf darzulegen, um im Rahmen der Leistungsgewährung zu berücksichtigen. Entsprechende Angaben seien nicht gemacht worden. Die aktuelle Gesamtkürzung betrage bei den Antragstellern 292 € (2 x 146 €). Dies entspreche im Hinblick auf den ausgezahlten Leistungsbetrag von 1.292 € einem Prozentsatz von 18 %. Eine freiwillige Ausreise bzw. zwangsweise Überstellung nach Griechenland sei bis zum 21. Dezember 2020 möglich gewesen. Auch ab dem 1. Januar 2021 gebe es wieder Abschiebungstermine. Sowohl eine freiwillige Ausreise nach Griechenland als auch eine zwangsweise Überstellung seien möglich.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten des vorliegenden Verfahrens und die Verwaltungsakte des Antragsgegners Bezug genommen.

II.

Der Antrag ist zulässig und begründet.

Der Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis gern. § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile als nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer Regelungsanordnung ist stets, dass sowohl ein Anordnungsgrund (d. h. die Eilbedürftigkeit – der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile) als auch ein Anordnungsanspruch (d. h. die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines in der Sache gegebenen materiellen Leistungsanspruchs) glaubhaft gemacht werden (vgl. § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO). Dabei sind die Anforderungen an die Glaubhaftmachung umso niedriger, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen, insbesondere auch mit Blick auf ihre Bedeutung für die Grundrechte des Antragstellers wiegen (BVerfG, Beschluss vom 22. November 2002, 1 BvR 1586/02). Grundsätzlich soll wegen des vorläufigen Charakters der einstweiligen Anordnung die endgültige Entscheidung der Hauptsache nicht vorweggenommen werden. Wegen des Gebots, effektiven Rechtsschutz zu gewähren (vgl. Art. 19 Abs. 4 GG), ist von diesem Grundsatz aber eine Abweichung dann geboten, wenn ohne die begehrte Anordnung schwere und unzumutbare, später nicht wiedergutzumachende Nachteile entstünden, zu deren Beseitigung eine nachfolgende Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (vgl. BVerfGE 79, 69, 74 m.w.N.). Dabei stellt Art 19 Abs 4 GG besondere Anforderungen an die Ausgestaltung des Eilverfahrens. Die Gerichte müssen sich im Falle drohender schwerer oder unzumutbarer Nachteile schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen (BVerfG, B.v. 25. Februar 2009 – 1 BvR 120/09 – NZS 2009, 674 mwN). Ist dem Gericht dagegen eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden. Auch in diesem Fall sind die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend in die Abwägung einzustellen.

Im vorliegenden Fall ist ein Anordnungsgrund zugunsten der Antragsteller gegeben. Der Anordnungsgrund liegt vor, wenn es für den Antragsteller unzumutbar erscheint, auf den (rechtskräftigen) Abschluss des Hauptsacheverfahrens verwiesen zu werden, wobei auf die Beachtung der Folgen für den Fall des Nichterlasses der begehrten einstweiligen Anordnung abzustellen ist. So können zum Beispiel der Gesundheitszustand oder die finanzielle oder wirtschaftliche Situation eines Antragstellers im Wege einer Interessenabwägung dazu geeignet sein, das Vorliegen eines Regelungsgrundes zu begründen, wenn ansonsten schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht in der Lage wäre. Die Antragsteller können sich hier auf einen Anordnungsgrund berufen, weil sie Leistungen der Existenzsicherung geltend machen, auf deren Gewährung sie nicht bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens warten können, da ihnen in diesem Fall schwere und unzumutbare Nachteile drohen würden (vgl. SG Hannover, Beschluss vom 20. Dezember 2019 — S 53 AY 107/19 ER).

Auch ein Anordnungsanspruch ist im vorliegenden Fall im Ergebnis zu bejahen.

Nach § 3 Abs. 1 AsylbLG erhalten Leistungsberechtigte nach § 1 Leistungen zur Deckung des Bedarfs an Ernährung, Unterkunft, Heizung, Kleidung, Gesundheitspflege und Gebrauchs- und Verbrauchsgütern des Haushalts (notwendiger Bedarf). Zusätzlich werden ihnen Leistungen zur Deckung persönlicher Bedürfnisse des täglichen Lebens gewährt (notwendiger persönlicher Bedarf). Bedarfe für Bildung und Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft werden bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen neben den Leistungen nach den Absätzen 1 bis 3 entsprechend den §§ 34, 34a und 34b SGB XII gesondert berücksichtigt (§ 3 Abs. 4 AsylbLG). Die Höhe der Bedarfssätze wird dabei in § 3a AsylbLG geregelt.

Diese Leistungen wurden im vorliegenden Fall von dem Antragsgegner gemäß § 1 a Abs. 4 AsylbLG gekürzt. Nach § 1a Abs. 4 S. 2 AsylbLG erhalten Leistungsberechtigte nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 oder 1 a AsylbLG, denen bereits von einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder von einem am Verteilmechanismus teilnehmenden Drittstaat im Sinne von Satz 1 internationaler Schutz oder aus anderen Gründen ein Aufenthaltsrecht gewährt worden ist, Leistungen nach § 1 a Abs. 1 AsylbLG, also nur noch Leistungen zur Deckung ihres Bedarfs an Ernährung und Unterkunft einschließlich Heizung sowie Körper- und Gesundheitspflege, wenn der internationale Schutz oder das aus anderen Gründen gewährte Aufenthaltsrecht fortbesteht. Dem Antragsgegner ist dabei zuzugeben, dass die Voraussetzungen des gesetzlichen Tatbestandes des § la Abs. 4 Satz 2 AsylbLG gegeben sind, da den Antragstellern internationaler Schutz in Griechenland zuerkannt wurde und auch nicht vorgetragen wurde, dass dieser Schutz nicht mehr fortbestehen würde. Bedenken bestehen allerdings soweit zur Sicherstellung der Verfassungsmäßigkeit der Norm als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal gefordert wird, dass ein konkretes Fehlverhalten der Antragsteller vorliegen muss. Weder der Anhörung noch dem Bescheid zu entnehmen, welches konkrete Fehlverhalten sanktioniert werden soll. Dies ist aber erforderlich, weil nur auf diese Weise die nach Ablauf der Frist von sechs Monaten erforderliche Überprüfung der Sanktionierung möglich ist. Zulasten der Antragsteller geht dabei, dass sie nicht vorgetragen haben, dass eine Rückkehr nach Griechenland aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht möglich ist und das entsprechende behördliche oder gerichtliche Entscheidungen beantragt wurden bzw. vorlägen.

Jedoch kann die Rechtmäßigkeit der Leistungskürzungen gemäß § 1 a Abs. 4 S. 2 AsylbLG aufgrund erheblicher verfassungsrechtlicher Bedenken sowohl gegen die Kürzungsregelungen als auch zur Bemessung der Regelsätze nicht abschließend festgestellt werden (vgl. SG Landshut, Beschluss vom 24. Oktober 2019 — S 11 AY 64/19 ER -; SG Hannover, Beschluss vom 20. Dezember 2019 – S 53 AY 107/19 ER -; SG Freiburg Beschluss vom 20. Januar 2020 — S 7 AY 5235/19 ER). Das Gericht geht dabei davon aus, dass die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Leistungsbeschränkungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz ebenso wie die Frage der Verfassungsmäßigkeit der gewährten Regelleistungen nach diesem Gesetz — insbesondere auch aufgrund der Entwicklung der Rechtsprechung in den letzten Wochen – im Rahmen eines Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes nicht einer abschließenden Klärung zugeführt werden kann. Es kann dabei dahingestellt bleiben, ob im Sinne einer verfassungskonformen Auslegung bzw. einer teleologischen Reduktion des Tatbestandes zur Erreichung der Verfassungskonformität der Kürzungsregelung ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal dahingehend vorzusehen ist, dass den Betroffenen die Rückkehr in das schutzgewährende Land aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen möglich und zumutbar sein muss (vgl. LSG Niedersachsen, Beschluss vom 19. November 2019 – L 8 AY 26/19 B ER -; Landessozialgericht NRW, Beschluss vom 27. März 2020 — L 20 AY 20/20 B ER —, juris; LSG Schleswig, Beschluss vom 15. Juni 2020 – L 9 AY 78/20 B ER -;), den diese Umstände sind jedenfalls im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes im Wege der Folgen- bzw. Interessenabwägung zu berücksichtigen.

Die damit vorzunehmende Folgen- und Interessenabwägung geht im vorliegenden Fall zugunsten der Antragsteller aus. Die Abwägung der Folgen, die eintreten würden, wenn die Eilentscheidung nicht erginge, und die Klage später Erfolg hätte, sind wesentlich schwerwiegender als die Folgen, die entstünden, wenn die begehrte Eilentscheidung erginge, die Klage aber erfolglos bliebe. Erginge die Eilentscheidung nicht, bestünde die Gefahr einer erheblichen Unterdeckung existenzsichernder Leistungen für die Antragsteller. Dem gegenüber steht auf der Seite des Antragsgegners die Gefahr, dass den Antragstellern Leistungen zu gewähren, auf die sie keinen Anspruch haben und somit eine Überzahlung eintritt. Diese kann die Antragsgegnerin jedoch im Falle des Obsiegens in der Hauptsache zurückfordern und ggf. auch im Wege der Aufrechnung geltend machen, so dass das Gericht hier die mögliche existentielle Bedrängnis der Antragsteller höher gewichtet als die Gefahr der Überzahlungen durch den Antragsgegner. Dabei ist zugunsten des Antragsgegners zu berücksichtigen, dass der gesetzliche Tatbestand für eine Kürzung der Regelleistungen — wie oben ausgeführt – erfüllt ist. Auch ist die von § 14 AsylbLG geforderte Befristung der Anspruchseinschränkung auf sechs Monate erfolgt. Zugunsten des Antragsgegners ist weiter zu berücksichtigen, dass die Antragsteller nicht vorgetragen haben, dass sie gegen ihre Verpflichtung zur Rückkehr nach Griechenland behördliche oder gerichtliche Entscheidungen herbeigeführt haben.

Demgegenüber überwiegen jedoch die zugunsten der Antragsteller sprechenden Umstände. So kann bereits eine den Antragstellern zumutbare Rückkehrmöglichkeit nach Griechenland nicht bejaht werden. Auch insoweit muss eine Ausreisemöglichkeit festzustellen sein. Dabei ist entgegen den Ausführungen im Widerspruchsbescheid nicht allein die Erreichbarkeit des Landes mit Flugzeug, Bus oder Bahn entscheiden. Vielmehr ist im Lichte des Verfassungsrechts zu prüfen, ob die Möglichkeit der Rückkehr ohne Verletzung der Menschenwürde zumutbar ist. Hinsichtlich der Rückkehrmöglichkeit nach Griechenland ist davon auszugehen, dass eine solche den Antragstellern jedenfalls im Hinblick auf ihre Kinder nicht zumutbar ist (vgl. LSG Niedersachsen, Beschluss vom 19. November 2019 – L 8 AY 26/19 B ER – mwN; LSG NRW, Beschluss vom 27. März 2020 — L 20 AY 20/20 B ER —, juris; LSG Schleswig, Beschluss vom 15. Juni 2020 — L 9 AY 78/20 B ER -; VG Würzburg, Urteil vom 19. Juli 2019 – W 2 K 18.30717 – juris; VG Gelsenkirchen, Urteil vom 16. September 2019 – 5a K 2772/19.A – juris; VG Saarland, Urteil vom 20. September 2019 – 3 K 1222/18 – und – 3 K 2100/18 – juris; VG Magdeburg, Urteil vom 10. Oktober 2019 – 6 A 390/19 – juris; VG Oldenburg (Oldenburg), Urteil vom 20. November 2019 — 11 A 265/19 juris; VG Köln, Urteil vom 28. November 2019 – 20 K 2489/18.A -; OVG Bremen, Beschluss vom 29. August 2019 -1 LA 150/19 — juris; OVG NRW, Urteile vom 21. Januar 2021- 11 A 1564/20, 11 A 2982/20 A -; OVG Schleswig, Beschluss vom 16. Februar 2021 — 4 LA 259/19 -; OVG Koblenz, Beschluss vom 25. März 2021 — 7 B 10450/21 -; OVG Lüneburg, Urteil vom 19. April 2021 — 10 LB 244/20, 10 LB 245/20 juris; SG Cottbus, Beschluss vom 28. Januar 2020 — S 21 AY 34/19 ER —, juris). Ein mögliches verwaltungsgerichtliches Eilverfahren erscheint vor diesem Hintergrund als nicht von vornherein aussichtslos. Den Antragstellern ist es daher derzeit nicht zuzumuten, auszureisen. Das Verweilen der Antragsteller im Bundesgebiet stellt daher kein pflichtwidriges Verhalten dar, das Eingriffe in das Existenzminimum rechtfertigen könnte. Insbesondere auch, weil über ihren Asylantrag noch nicht abschließend entschieden ist.

Darüber hinaus bestehen erhebliche Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der hier maßgeblichen Regelungen des AsylbLG (vgl. u.a.: LSG NRW, Beschluss vom 27. März 2020 — L 20 AY 20/20 B ER —, juris; LSG Niedersachsen, Beschluss vom 19. November 2019 – L 8 AY 26/19 B ER – mwN jeweils mit weiteren Nachweisen). Dies gilt zunächst hinsichtlich der Kürzungsregelung im § 1a Abs. 4 AsylbLG. Soweit in der Rechtsprechung teilweise vertreten wird, dass eine verfassungskonforme Auslegung möglich sein soll, wonach ein konkretes, selbst zu vertretendes ausländerrechtliches Fehlverhalten als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal gefordert wird, kann dies — unabhängig davon, dass der Antragsgegner das Fehlverhalten nicht benannt hat — nach den vorstehenden Ausführungen nicht angenommen werden.

Mit seinem Vorlagebeschluss vom 26. Januar 2021 hat darüber hinaus das LSG Niedersachsen-Bremen auch die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Regelleistungen für Asylbewerber selbst dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung vorgelegt (vgl. Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 26. Januar 2021 — L 8 AY 21/19 —, juris). Auch wenn dieser Vorlagebeschluss die für das Jahr 2018 festgesetzten Geldbeträge betrifft, wird mit dem Vorlagebeschluss eine Vielzahl von u.a. methodischen Bedenken geltend gemacht, die auch für die gegenwärtig geltende Fassung von zentraler Deutung sind.

Auch aufgrund des Vorlagebeschlusses des SG Düsseldorf (SG Düsseldorf, Vorlagebeschluss vom 13. April 2021 — S 17 AY 21/20 —, juris) wird sich das Bundesverfassungsgericht im Verfahren 1 BvL 3/21 mit dem Leistungssystem des AsylbLG befassen müssen.

Demgegenüber kommt der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Mai 2021 mit der eine Verfassungsbeschwerde gegen eine frühere Fassung des § 1a AsylbLG nicht zur Entscheidung angenommen wurde (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2021 – 1 BvR 2682/17 – ,), schon deshalb keine entscheidende Bedeutung zu, weil zu den materiell-rechtlichen Fragen nicht Stellung genommen wurde.

Schließlich steht der begehrten Anordnung nicht das Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache entgegen. Zwar ist es richtig, dass regelmäßig durch eine einstweilige Anordnung unter Ausnutzung der erleichterten Prüfung der Sach- und Rechtslage nicht das Ergebnis eines eventuellen Hauptsacheverfahrens vorweggenommen werden darf, da sonst die Antragsteller das Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung sonst zur Umgehung eines Hauptsacheverfahrens nutzen könnten und sich häufig eine spätere Rückabwicklung der Leistungen als wenig erfolgversprechend darstellt. Andererseits ist ausnahmsweise dann eine Ausnahme von diesem Verbot geboten, wenn ein hoher Grad der Wahrscheinlichkeit für den Erfolg des Begehrens in einem Hauptsacheverfahren besteht und sonst durch den Zeitablauf für den Antragsteller schwere und unzumutbare Nachteile drohen, die später nicht oder nur schwerlich wieder gut gemacht werden könnten. Hiervon ausgehend ist im vorliegenden Fall eine derartige Ausnahmesituation gegeben. Es ist mit hoher Wahrscheinlichkeit von einem Erfolg im Hauptsacheverfahren auszugehen. Die bereits im Rahmen der Novellierung des Asylbewerberleistungsgesetzes formulierten Bedenken zur Verfassungsmäßigkeit der Höhe der Regelleistungen und der weiteren Kürzungsmöglichkeiten wurden zwischenzeitlich nicht nur von einer Vielzahl von Stimmen in der Literatur, sondern auch in der Rechtsprechung aufgegriffen. Aufgrund der Vorlagebeschlüsse an das Bundesverfassungsgericht ist mit einer verbindlichen Klärung der maßgeblichen Fragen erst nach Ablauf eines erheblichen Zeitraumes zu rechnen, den Abzuwarten den Antragstellern nicht zumutbar ist. Demgegenüber ist das wirtschaftliche Risiko eine eventuell mögliche Rückforderung nicht realisieren zu können, zu vernachlässigen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Es folgt die Rechtsmittelbelehrung.