1. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)
1.1 – LSG Bayern, Beschluss v. 28.07.2021 – L 16 AS 241/21 NZB
Titel:
zum Wert des Beschwerdegegenstandes bei Aufhebung, Erstattung und Aufrechnung
Leitsätze:
1. Zur Feststellung des Beschwerdewerts nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG wird bei mehreren mit einer Klage geltend gemachten Ansprüchen deren Wert nicht zusammengerechnet, wenn die Ansprüche wirtschaftlich gesehen identisch sind, also auf dasselbe Interesse bzw. dasselbe wirtschaftliche Ziel gerichtet sind. Dies ist bei Aufhebung, Rückforderung und Aufrechnung in Bezug auf dieselbe Forderung der Fall.
2. § 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG verlangt, dass ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt. Aus den vorgetragenen Tatsachen muss sich jedenfalls schlüssig ergeben, welcher Mangel gerügt werden soll bzw. in welchem Vorgehen des Sozialgerichts ein Verfahrensmangel gesehen wird.
Quelle: www.gesetze-bayern.de
1.2 – LSG Bayern, Beschluss v. 29.07.2021 – L 5 SF 174/21 AB
Titel:
Richterablehnung
Leitsatz:
Befangenheitsgesuche sind seit der Rechtsänderung zum 1.1.2020 nicht mehr unverzüglich und damit unzulässig, wenn sie nicht binnen einer Überlegungsfrist von wenigen Tagen angebracht werden.
Quelle: www.gesetze-bayern.de
1.3 – LSG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 06.08.2021 – L 25 AS 590/20 WA
Grundsicherung für Arbeitsuchende – Anfechtungsklage – vorzeitige Altersrente – Antrag – Rentenverfahren – Anspruch auf Arbeitslosengeld – Anwartschaft – sozialversicherungspflichtige Beschäftigung – Bundesfreiwilligendienst
Leitsatz
1. Mit § 2 UnbilligkeitsV erfasst wird die Konstellation, dass ein Leistungsberechtigter Arbeitslosengeld I nach dem SGB III bezieht, auf das er für eine bestimmte Dauer und in bestimmter Höhe einen eigentumsrechtlich geschützten Anspruch hat, und ergänzend dazu – aufstockend – Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II erhält. Unbilligkeit liegt also erst bei Bezug von Arbeitslosengeld I vor, nicht schon bei Erwerb einer Anwartschaft.
2. Eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung im Sinne des § 4 UnbilligkeitsV wird beim Bundesfreiwilligendienst nicht ausgeübt. Zwar unterliegt ein Bundesfreiwilligendienst der Sozialversicherungspflicht. Es handelt sich bei ihm jedoch nicht um eine Beschäftigung im Sinne der UnbilligkeitsV.
Quelle: gesetze.berlin.de
1.4 – LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 31. Mai 2021 (L 5 AS 457/21 B ER, L 5 AS 459/21 B ER PKH):
Leitsatz Dr. Manfred Hammel
Zeiten der Verbüßung einer Freiheitsstrafe innerhalb des Fünfjahreszeitraums des § 4a Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU unterbrechen den rechtmäßigen Aufenthalt eines EU-Ausländers im Bundesgebiet, so dass diese fünfjährige Phase nach der Haftentlassung wieder von Neuem beginnt. Die Verhängung einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung indiziert einen mangelnden Eingliederungswillen eines ausländischen Straftäters in die Gesellschaft des Aufenthaltsstaates.
Die Anwendbarkeit der aus § 7 Abs. 1 Satz 4 und 5 SGB II hervorgehenden Ausnahmebestimmung setzt den Nachweis fortwährender, melderechtskonformer Anmeldungen während der gesamten Dauer der Fünfjahresfrist nach § 7 Abs. 1 Satz 4 SGB II voraus.
Eine während dieser Phase vollzogene Abmeldung dokumentiert gerade keine Verfestigung der Aufenthaltsverhältnisse im Bundesgebiet und damit keine feste Verbundenheit mit der deutschen Gesellschaft.
Auch bei obdachlosen Personen kann nach dem Wortlaut des § 7 Abs. 1 Satz 4 SGB II auf eine polizeiliche Meldung nicht verzichtet werden. Unfreiwillig obdachlose Menschen haben die Möglichkeit, sich nach dem Polizei- und Ordnungsrecht des jeweiligen Bundeslands in eine Notunterkunft einweisen zu lassen und sich dort anzumelden. Freiwillig obdachlose Personen können sich in den Beratungsstellen für wohnungslose Menschen melden.
1.5 – Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen 13. Senat, Beschluss vom 09.09.2021 – L 13 AS 345/21 B ER
Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren – Widerspruch – Einhaltung der Widerspruchsfrist bei unrichtiger Rechtsbehelfsbelehrung – fehlender Hinweis auf die Möglichkeit der elektronischen Übermittlung des Widerspruchs
Eine Rechtsbehelfsbelehrung, die entgegen dem Wortlaut des § 84 Abs. 1 S. 1 SGG in der seit dem 1. Januar 2018 gültigen Fassung nicht auf die Möglichkeit der elektronischen Einreichung des Widerspruchs hinweist, ist unrichtig i. S. des § 66 Abs. 2 S. 1 SGG.
Quelle: www.rechtsprechung.niedersachsen.de
Hinweis:
Dies entspricht – soweit ersichtlich – der überwiegenden Auffassung in der aktuellen sozialgerichtlichen Rechtsprechung (Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht [LSG], Beschlüsse vom 20. Dezember 2018 – L 6 AS 202/18 B ER – und vom 6. Mai 2021 – L 6 AS 64/21 B ER –; SG Hildesheim, Urteil vom 3. September 2020 – S 12 AS 13/19; SG Berlin – 51. Kammer –, Beschluss vom 22. Januar 2020 – S 51 KR 2926/19 ER; SG Berlin – 179. Kammer –, Urteil vom 8. Dezember 2020 – S 179 AS 10734/19; SG Darmstadt, Beschluss vom 23. Mai 2018 – S 19 AS 309/18 ER; a. A. SG Berlin – 37. Kammer –, Gerichtsbescheid vom 13. August 2020 – S 37 AS 4462/19; SG Lübeck, Urteil vom 16. Oktober 2020 – S 16 AS 116/19)
2. Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)
2.1 – SG Dresden, Urteil vom 03.09.2021 – S 34 AS 282/19
Orientierungshilfe (RA Johannes Christian Heemann, 01099 Dresden):
Im Anhörungsverfahren gemäß § 24 SGB X besteht für den Betroffenen keine Mitwirkungsverpflichtung i.S.d. §§ 60 ff. SGB I.
Daher sind die Rechtsanwaltsgebühren für ein erfolgreiches Widerspruchsverfahren gegen einen Minderungsbescheid gemäß § 32 SGB II (Meldeversäumnis) auch dann erstattungsfähig, wenn sich der Betroffene nicht bereits im Anhörungsverfahren, sondern erst im Widerspruchsverfahren auf den Nichtzugang der Meldeaufforderung beruft.
3. Entscheidungen der Sozialgerichte zum Arbeitsförderungsrecht (SGB III)
3.1 – SG Nürnberg, Urteil v. 08.07.2021 – S 22 AL 167/21
Titel:
Sperrzeit wegen verhaltensbedingter Arbeitgeberkündigung
Leitsätze:
1. Eine Sperrzeit nach Kündigung wegen Zeiterfassungsbetrugs ist rechtswidrig, wenn die Bundesagentur den Sachverhalt pflichtwidrig nicht ermittelt hat. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2. Dem wird ein kurzer Telefonanruf beim ehemaligen Arbeitgeber zu vom Versicherten bestrittenen Tatsachen nicht gerecht. (Rn. 21 – 23) (redaktioneller Leitsatz)
Quelle: www.gesetze-bayern.de
4. Entscheidungen zum Asylrecht und AsylbL
4.1 – LSG Bayern, Beschluss v. 26.08.2021 – L 19 AY 70/21 B ER
Titel:
Leistungseinschränkung nach § 1a Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 AsylbLG bei Gewährung internationalen Schutzes durch Griechenland
Leitsätze:
1. Im Hinblick auf die verfassungsrechtlichen Zweifel ist für die Regelung des § 1a Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 AsylbLG das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal zu fordern, dass den Betroffenen die Rückkehr in den anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union, der internationalen Schutz gewährt, aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen möglich und zumutbar ist.
2. Hier: Leistungseinschränkung nach § 1a Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 AsylbLG bei Gewährung internationalen Schutzes durch Griechenland.
Quelle: www.gesetze-bayern.de
5. Verschiedenes zu Hartz IV, zur Sozialhilfe, zum Asylrecht, Wohngeldrecht und anderen Gesetzesbücher
5.1 – ASR 4/2021 – Entscheidungsbesprechung von Ronald Richter
Richterin, die es für anrüchig erklärt, dass sich jemand einen Anwalt von weit hernimmt und erklärt, dem Anwalt ginge es doch eh nur um die eigenen Gebühren, ist unsachlich und befangen
SG Gotha 13.7.21, S 16 SF 1267/21 AB
ASR 4/2021
Keine „Vernunfthoheit“ des Staates über Grundrechtsberechtigte = keine Obliegenheit zur Beantragung von Eingliederungshilfe
Verzicht auf Hilfe ist zu respektieren; auch das ergibt sich aus UN-BRK
LSG Nds-Bremen v. 3.5.21, L 8 SO 47/21 B ER
Quelle: RA Volker Gerloff Twitter
5.2 – Bis Ende 2021 übergangsweise Übernahme jeglicher Mieten durch die Jobcenter, ein Beitrag von RA Matthias Göbe
weiter: www.anwalt.de
5.3 – Neuauflage der Arbeitshilfe „Rahmenbedingungen des Arbeitsmarktzugangs von Geflüchteten“ erschienen
Der Informationsverbund Asyl und Migration sowie das DRK haben eine aktualisierte Auflage des Beratungsleitfaden „Rahmenbedingungen des Arbeitsmarktzugangs von Geflüchteten“ herausgegeben. Die Autorin Dr. Barbara Weiser hat die Broschüre vor dem Hintergrund der zahlreichen Gesetzesänderungen in der letzten Zeit vollkommen überarbeitet. In der Broschüre wird erläutert unter welchen Voraussetzungen Asylsuchende, Geflüchtete mit Schutzstatus sowie Personen mit Duldung arbeiten dürfen und welche Fördermöglichkeiten sie in Anspruch nehmen können.
Die Arbeitshilfe ist u.a. auf der Seite des Informationsverbunds Asyl und Migration hier sowie auf der Seite unseres Arbeitsmarktprojektes AZF3 hier zu finden.
www.asyl.net und azf3.de
Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock
Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker