Sozialgericht Kassel – Beschluss vom 22.10.2021 – Az.: S 12 AY 78/20

BESCHLUSS

In dem Rechtsstreit

xxx,

Kläger,

Prozessbevollm.:
Rechtsanwalt Sven Adam,
Lange Geismarstraße 55, 37073 Göttingen,

gegen

Land Hessen, vertreten durch das Regierungspräsidium Gießen,
Landgraf-Philipp-Platz 1-7, 35390 Gießen,

Beklagter,

hat die 12. Kammer des Sozialgerichts Kassel am 22. Oktober 2021 durch den Vorsitzenden, Richter am Sozialgericht xxx, beschlossen:

Der Beklagte hat dem Kläger die Kosten des Rechtsstreites zu erstatten.

GRÜNDE
I.

Die Beteiligten streiten noch über die Kosten des Rechtsstreites, einer nach § 88 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erhobenen Untätigkeitsklage.

Mit Bescheid vom 18. November 2019 waren dem Kläger nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) vom Beklagten als Leistungen in einer Gemeinschaftsunterkunft zunächst ab 13. November 2019 Leistungen gemäß den §§ 3, 3a Abs. 1 Nr. 2 lit. b, Abs. 2 Nr. 2 lit. b AsylbLG nach der Regelbedarfsstufe 2 bewilligt worden, wobei der Bescheid mit folgender Rechtsbehelfsbelehrung versehen war: “Gegen diesen Bescheid kann innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe Widerspruch eingelegt werden. Der Widerspruch ist schriftlich oder zur Niederschrift beim Regierungspräsidium Gießen, Postfach 10 03 54, 35333 Gießen einzulegen.” Als Absender-Anschrift war wiederum das Regierungspräsidium Gießen mit dem vorgenannten Postfach angegeben, wobei der Bescheid dann aber auch eine Hausanschrift ausgewiesen hatte, nämlich die Lilienthalstraße 2, 35394 Gießen, die Anschrift des Ankunftszentrums Gießen für Asylbewerber.

Mit weiterem Änderungsbescheid vom 6. Dezember 2019 waren die vorgenannten Leistungen dann für die Zeit ab 1. Januar 2020 an die ab 1. Januar 2020 geltenden Regelbedarfssätze und Regelbedarfsstufen im AsylbLG angepasst worden. Auch dies wieder mit der vorgenannten Rechtsbehelfsbelehrung.

Gegen beide Bescheide legte der Kläger dann jeweils gesondert durch seinen Prozessbevollmächtigten mit Schriftsätzen im April bzw. Mai 2020 Widerspruch ein, mit denen er unter jeweils ausführlicher rechtlicher Darlegung die Verfassungswidrigkeit der Leistungsgewährung allein nach der Regelbedarfsstufe 2 und insoweit stattdessen eine solche nach der Regelbedarfsstufe 1 geltend machte. Insoweit seien die Widersprüche auch nicht wegen Verfristung unzulässig, da die Rechtsbehelfsbelehrung unvollständig und danach fehlerhaft gewesen sei, nachdem unter einem Postfach ein Widerspruch nicht zur Niederschrift eingelegt werden könne. Dies mit der Folge, dass die Rechtsmittelfrist in beiden Fällen erst gar nicht zu laufen begonnen habe. Hilfsweise beantrage er insoweit eine Überprüfung nach § 44 Sozialgesetzbuch – Verwaltungsverfahren.

Beide Widersprüche wurden sodann, jeweils gesondert, mit Widerspruchsbescheiden vom 2. Juli 2020 wegen Verfristung als unzulässig zurückgewiesen, wobei der Kläger bereits zuvor mit Wirkung ab dem 2. Juni 2020 dem Schwalm-Eder-Kreis zugewiesen worden war.

Gegen den Bescheid vom 18. November 2019 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 2. Juli 2020 hatte der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten dann am 30. Juli 2020 unter dem Az. S 12 AY 30/20 Klage vor dem Sozialgericht in Kassel erhoben und unter ausführlicher Darlegung der seiner Auffassung nach geltenden Sach- und Rechtslage zunächst die Gewährung der ihm für die Zeit ab 13. November 2019 bis 31. Dezember 2019 bewilligten Leistungen nach der Regelbedarfsstufe 1 statt nach der Regelbedarfsstufe 2 geltend machte, wobei er unter weiterer ausführlicher Darlegung daran festhielt, dass der Widerspruch wegen einer fehlerhaften Rechtsbehelfsbelehrung zulässig gewesen sei.

Gegen den Bescheid vom 6. Dezember 2019 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 2. Juli 2020 hatte der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten ebenfalls am 30. Juli 2020 unter dem Az. S 12 AY 29/20 Klage vor dem Sozialgericht in Kassel erhoben und unter ausführlicher Darlegung der seiner Auffassung nach geltenden Sach- und Rechtslage zunächst die Gewährung der ihm für die Zeit ab dem 1. Januar 2020 bewilligten Leistungen nach der Regelbedarfsstufe 1 statt nach der Regelbedarfsstufe 2 geltend machte, wobei er unter weiterer ausführlicher Darlegung auch hier daran festhielt, dass der Widerspruch wegen einer fehlerhaften Rechtsbehelfsbelehrung zulässig gewesen sei.

Im Rahmen der dann in beiden vorgenannten Rechtsstreiten erfolgten Anhörung zur beabsichtigten Entscheidung durch Gerichtsbescheid war schließlich seitens des Kammervorsitzenden noch ein rechtlicher Hinweis dahingehend ergangen, dass selbst dann, wenn das Gericht zu der Auffassung kommen würde, dass der Beklagte die Widersprüche zu Unrecht als unzulässig verworfen hätte, trotz der zwischenzeitlichen weiteren Rechtsprechung der Kammer zur Regelbedarfsstufe in vergleichbarer Fallgestaltung eine antragsgemäße Verurteilung des Beklagten nicht möglich wäre, da insoweit eine Entscheidung über den Widerspruch in der Sache selbst bisher nicht vorliege. In Betracht käme allein eine Verurteilung des Beklagten zur erneuten Entscheidung über den Widerspruch, nunmehr auch in der Sache selbst.

Jeweils mit Gerichtsbescheid vom 21. Mai 2021 waren dann beide Klagen rechtskräftig als unzulässig abgewiesen worden.

Bereits zuvor hatte der Kläger darüber hinaus wegen der jedenfalls zu diesen Zeitpunkten noch nicht erfolgten Bescheidung seiner hilfsweise nach § 44 SGB X gestellten Überprüfungsanträge dann aber auch bereits am 28. Oktober 2020 unter den Az. S 12 AY 75/20 sowie am 21. November 2021 unter dem Az. S 12 AY 78/20 jeweils Untätigkeitsklage erhoben, wobei der Rechtsstreit S 12 AY 75/20 die Überprüfung des Bescheides vom 6. Dezember 2019 betraf und die vorliegende Sache S 12 AY 78/20 die Überprüfung des Bescheides vom 18. November 2019.

Ergangen sind beide Überprüfungsbescheide dann jeweils am 20. April 2021.

Im Weiteren streiten die Beteiligten nach Erledigung beider Untätigkeitsklagen dann allein noch über die Kosten des Rechtsstreites.

II.

Der Beklagte hat dem Kläger gemäß § 193 SGG die Kosten des Rechtsstreites zu erstatten.

Unabhängig davon, dass ein Widerspruchsverfahren als Vorverfahren und ein Überprüfungsverfahren nach § 44 SGB X grundsätzlich auch nebeneinander betrieben werden können, da ansonsten die dabei geltende Jahresfrist ablaufen bzw. immer weiter zu Lasten des Leistungsempfängers verschoben würde, der Kläger seinen Überprüfungsantrag dann aber auch allein hilfsweise gestellt hatte und die Sperrfrist des § 88 Abs. 1 Satz 1 SGG von hier 6 Monaten bei Klageeingang selbst noch nicht verstrichen war, die Klage also zunächst unzulässig erhoben worden ist, ist dies im Verlauf des Klageverfahrens dadurch geheilt worden, dass auf den o.a. Hilfsantrag jedenfalls und spätestens mit Erteilung des Widerspruchsbescheides vom 2. Juli 2020 die vorgenannte 6-Monatsfrist zu laufen begonnen hatte und im Zeitpunkt der Erteilung des Überprüfungsbescheides vom 20. April 2021 um mehr als 3 Monate verstrichen war.

Dies letztlich auch unabhängig davon, ob auf den Widerspruch des Klägers auf der Grundlage seines Vorbringens ggfs. sogar ein Überprüfungsverfahren von Amts wegen hätte eingeleitet werden müssen.

Ein rechtserheblich zureichender Grund für die Nichtbescheidung innerhalb der spätestens mit Erteilung des Widerspruchsbescheides vom 2. Juli 2020 zu laufen begonnenen 6-Monatsfrist ist nicht ersichtlich. Die mit dem Kläger und den vorstehenden Ausführungen fehlerhafte Rechtsanwendung durch den Beklagten vermag einen solchen zureichenden Grund nicht darzustellen.

Die Beschwerde gegen diesen Beschluss ist ausgeschlossen, § 172 Abs. 3 SGG.