1. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)
1.1 – LSG Baden-Württemberg Urteil vom 23.9.2021, L 7 AS 3146/19
Leitsätze
Der Mehrbedarf nach § 21 Abs. 4 SGB II setzt die Leistungserbringung im Rahmen einer „Maßnahme“ voraus, die innerhalb eines organisatorischen Rahmens erbracht werden muss. Nicht ausreichend hierfür sind reine Vermittlungs- und Beratungsleistungen.
Quelle: lrbw.juris.de
1.2 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 28.05.2021 – L 21 AS 1280/20 – Revision anhängig beim BSG unter dem Az.: B 14 AS 57/21 R
Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren – Grundsicherung für Arbeitsuchende – abschließende Entscheidung nach vorläufiger Leistungsbewilligung – Ablehnung eines Überprüfungsantrags wegen Ablaufs der verkürzten Ausschlussfrist nach § 44 Abs 4 SGB 10 iVm § 40 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB 2
Findet die verkürzte Ausschlussfrist des § 40 Absatz 1 Satz 2 Nummer 2 SGB II in Verbindung mit § 44 Absatz 4 Satz 1 SGB X Anwendung im Fall einer beantragten Überprüfung einer abschließenden Entscheidung nach § 41a Absatz 3 SGB II?
Leitsatz Redakteur von Tacheles e. V.
Keine Anwendung der verkürzten Ausschlussfrist des § 40 Absatz 1 Satz 2 Nummer 2 SGB II in Verbindung mit § 44 Absatz 4 Satz 1 SGB X im Fall einer beantragten Überprüfung einer abschließenden Entscheidung nach § 41a Absatz 3 SGB II.
Quelle: www.justiz.nrw.de
1.3 – LSG Hessen, Urt. v. 15.09.2021 – L 6 AS 316/17
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Leitsatz
1. Österreichische Staatsangehörige können sich gegenüber dem Leistungsausschluss aus § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II auf den Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art. 2 Abs. 1 DÖFA berufen.
2. Begehrt eine Klägerin die endgültige Festsetzung von Leistungen (nur) in der Höhe, in der sie vorläufig bereits Leistungen erhalten hat, ist eine kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage statthaft; in diesem Rahmen ist die Entscheidung durch Grundurteil zulässig.
Quelle: www.rv.hessenrecht.hessen.de
1.4 – LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 24. September 2021 (L 7 AS 1260/20):
Leitsatz Dr. Manfred Hammel
Es ist nicht zu beanstanden, wenn ein Jobcenter an einen Beistand (§ 13 Abs. 4 Satz 1 SGB X) eines Alg II-Empfängers die Aufforderung richtet, sich in den Diensträumen dieses SGB II-Trägers auszuweisen.
Ein Sozialleistungsträger darf von einem Beistand jederzeit dessen Namen und seine Personalien sowie die Vorlage eines Ausweises verlangen.
Diese Ausweispflicht folgt auch aus der gesetzlichen Systematik des § 13 SGB X, weil es einem Jobcenter ansonsten nicht möglich wäre, in sachgerechter Weise über die Zurückweisung eines Beistands nach § 13 Abs. 5 und 6 SGB X zu entscheiden. Vor der Entscheidung über die formelle Zurückweisung hat einer Sozialbehörde stets bekannt zu sein, ob in der sich als Beistand ausgebenden Person Gründe liegen, die der Ausübung einer entsprechenden Funktion entgegenstehen.
Schließlich spricht auch das Hausrecht einer Behörde für eine solche Befugnis des SGB II-Trägers.
1.5 – Sächsisches LSG, Urteile v. 18.10.2021 – L 7 AS 547/17 und L 7 AS 548/17
Höhe der angemessenen Kosten der Unterkunft in Görlitz
Das LSG Chemnitz hat in zwei Verfahren das Konzept des Landkreises Görlitz zu den Bedarfen für Unterkunft für Ein- und Zwei-Personen-Haushalte in der Stadt Görlitz bestätigt.
Der 7. Senat hat nun entschieden, dass das damalige Konzept den vom BSG in seiner Rechtsprechung aufgestellten Anforderungen an ein schlüssiges Konzept genügt.
Die gewählte Methode im Konzept, in einem definierten Umfang Bestands- und Angebotsdaten zu erheben, sei nicht zu beanstanden. Soweit das Sozialgericht Referenzwerte beanstandet hatte, habe der Beklagte durch Offenlegung entsprechender Unterlagen im Laufe der Berufungsverfahren die Bedenken im Ergebnis ausräumen können. Auch der gewählte Weg der Verfügbarkeitsprüfung und der ermittelte Referenzwert für die kalten Betriebskosten seien – jedenfalls für die beiden geprüften Wohnungsgrößenklassen – nicht zu beanstanden.
Hinzu kommen die Heizkosten, die das Jobcenter im Falle der Klägerinnen in Höhe der tatsächlichen Kosten übernommen hatte.
Der Senat hat die Revision nicht zugelassen. Die schriftlichen Urteilsgründe liegen den Beteiligten vor.
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1.6 – LSG NSB, Urteil vom 28.09.2021 – L 11 AS 370/18
Angemessenheit von Kosten der Unterkunft (§ 22 SGB II) im Stadtgebiet Hildesheim für einen Dreipersonenhaushalt in der Zeit vom 1. September 2015 bis 31. Januar 2016
Quelle: www.rechtsprechung.niedersachsen.de
1.7 – LSG Hessen, Beschluss v. 01.10.2021 – L 6 AS 403/21 B ER
Leitsatz
Bei europarechtskonformer Auslegung von § 2 Abs. 3 Satz 2 FreizügG/EU spricht vieles dafür, dass das Aufenthaltsrecht des Arbeitnehmers für den Zeitraum des Bezugs von Arbeitslosengeld nach dem SGB III fortbesteht und der Arbeitnehmer in dieser Zeit nicht dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II unterfällt.
Quelle: www.rv.hessenrecht.hessen.de
2. Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)
2.1 – SG Darmstadt, Gerichtsbescheid v. 22.09.2021 – S 33 AS 252/21
Leitsatz
1. Die Zugangseröffnung gem. § 36a SGB I setzt sich zusammen aus der technischen Bereitstellung des Zugangs als Vorbereitungsakt und der Widmung dieses Zugangs für die Nutzung im (rechts-verbindlichen) Elektronischen Rechtsverkehr.
2. Tatsächlich bereitgestellt ist der Zugang, wenn ein elektronisches Postfach oder ein digitales Portal/Formular durch eine andere Person erreichbar oder adressierbar ist.
3. Die Widmung eines elektronischen Zugangs kann durch Nennung eines Postfachs in der Rechtbehelfsbelehrung erfolgen.
4. Ein formwirksamer Widerspruch durch E-Mail setzt voraus, dass die E-Mail oder ein den Widerspruch enthaltender E-Mail-Anhang qualifiziert elektronisch signiert ist.
Quelle: www.rv.hessenrecht.hessen.de
2.2 – Sozialgericht Dresden, Urteil vom 8. Juni 2021 (S 10 AS 959/20):
Leitsatz Dr. Manfred Hammel
Der Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II in Verbindung mit den §§ 19 ff. SGB II ist auch durch einen freiberuflich tätigen Hilfebedürftigen entsprechend § 46 Abs. 1, 1. Halbsatz SGB I verzichtbar.
Hier handelt es sich um eine einseitige, gestaltende und empfangsbedürftige Willenserklärung, die den verzichtsgegenständlichen Anspruch auf die bislang begehrte Sozialleistung, nicht aber das ihm zugrunde liegende subjektive Recht (Stammrecht), erlöschen lässt.
§ 41a Abs. 4 SGB II und § 3 Abs. 4 Alg II-VO zielen jeweils nicht darauf ab, dass das über einen Zeitraum von sechs Monaten erwirtschaftete Einkommen stets bedarfsmindernd zu berücksichtigen ist. Diese Vorschriften dienen der Verwaltungsvereinfachung, damit die SGB II-Träger davon entlastet werden, bei einem schwankenden Einkommen jeweils monatlich eine Leistungsberechnung durchzuführen.
Dies gilt gerade dann, wenn kein Fall nach § 46 Abs. 2 SGB I vorliegt, d. h. auf die Gewährung von Leistungen gemäß den §§ 19 ff. SGB II entsprechend § 46 Abs. 1, 1. Halbsatz SGB I mit Wirkung für die Zukunft verzichtet wird, ohne dass eine erneute Beantragung von Alg II mit dem Ziel, höhere Leistungen nach dem SGB II zu erhalten, als sie ohne die Aussprache einer solchen Abmeldung beanspruchbar sind, erkennbar ist.
Wenn vom Jobcenter bereits für den laufenden Monat Leistungen nach den §§ 19 ff. SGB II bewilligt worden sind, dann treten die Wirkungen eines gemäß § 46 Abs. 1, 1. Halbsatz SGB I geäußerten Verzichts auf weitere Hilfen erst ab dem Folgemonat ein.
Auf diese Art und Weise lässt sich allerdings der Bewilligungszeitraum (§ 41 Abs. 3 SGB II) verkürzen und hiermit die Ermittlung des maßgeblichen, während dieses Zeitraums bezogenen Durchschnittseinkommens über eine entsprechende Reduzierung des Bewilligungszeitraums beeinflussen.
2.3 – SG Oldenburg, Beschluss v. 26.08.2021 – S 34 AS 140/21 ER
Hartz IV Bezieherin muss eBay Einkünfte offenlegen
Das SG Oldenburg hatte in einem Eilverfahren zu entscheiden, ob und inwieweit eine Leistungsbezieherin nach dem SGB II (Hartz IV) Einnahmen aus Verkäufen auf der Plattform eBay gegenüber dem Jobcenter offenzulegen hat.
Mit Beschluss vom 26.08.2021 lehnte das Sozialgericht Oldenburg die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ab. Das Gericht vertrat dabei die Auffassung, dass die Antragstellerin 2 eBay-Accounts betreiben würde, über die sie gebrauchte Luxusprodukte verschiedener Firmen (wie zum Beispiel Louis Vuitton, Versace oder Chanel) verkaufen würde. Die Klägerin sei verpflichtet, gegenüber dem Jobcenter offenzulegen, welche Einnahmen sie aus diesen Verkäufen habe. Zwar könne sie grundsätzlich die vorzulegenden Auszüge ihrer Konten in Bezug auf getätigte Ausgaben schwärzen, sie sei jedoch nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung verpflichtet, Einkünfte lückenlos offenzulegen. Solange sie dieses nicht tue, sei das Jobcenter berechtigt, zumindest die streitige Einkommensanrechnung durchzuführen. Ob die Antragstellerin für die Vergangenheit gezahlte Leistungen nach dem SGB II zurückzuzahlen verpflichtet sei, sei nicht Gegenstand des Verfahrens auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Diese Entscheidung des Sozialgerichts hat das Landessozialgericht Niedersachsen Bremen mit Beschluss vom 28.09.2021 bestätigt. Die Entscheidung des Sozialgerichts Oldenburg ist damit bestandskräftig.
Quelle: Pressemitteilung des SG Oldenburg v. 21.10.2021
3. Entscheidungen zum Asylrecht und AsylbL
3.1 – LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 11.08.2021 – L 23 AY 10/21 B ER
Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung – Überprüfungsantrag – Leistungsausschluss – Auslegung von Verwaltungsakten
Leitsatz
Im Rahmen eines laufenden Überprüfungsverfahrens kann eine einstweilige Anordnung nur ergehen. wenn die Rechtswidrigkeit des bestandskräftigen Bescheides offensichtlich ist.
Die Befristungsregelung des § 14 ABs 1 AsylbLG ist nicht auf die mit dem Anspruchsausschluss nach § 1 Abs 4 Satz 1 AsylbLG einhergehenden Überbrückungsleistungen nach § 1 Abs 4 Satz 2 AsylbLG anwendbar.
Die Regelungen des § 1 Abs 4 AsylbLG sind nicht verfassungswidrig.
Quelle: gesetze.berlin.de
4. Verschiedenes zu Hartz IV, zur Sozialhilfe, zum Asylrecht, Wohngeldrecht und anderen Gesetzesbücher
4.1 – „Was tun, wenn die Rente nicht reicht?“ 4. Aufl. 2021
weiter: www.der-paritaetische.de
4.2 – LSG München 16. Senat, Urteil vom 06.05.2021 – L 16 AS 652/20
Autor: Prof. Dr. Wolfgang Spellbrink, Vors. RiBSG a.D.
Verhältnis der Mitwirkungsobliegenheiten nach den §§ 60 ff. SGB I zu den Sanktionsnormen der §§ 31 ff. SGB II
Leitsätze
1. Vor der Entziehung der Leistungen nach § 66 SGB I muss dem Leistungsempfänger eine schriftliche Rechtsfolgenbelehrung erteilt werden, die konkret, richtig und vollständig sein muss. Die beabsichtigte Entscheidung muss mitgeteilt werden.
2. Eine Ermessensentscheidung über die vollständige Entziehung der Regelleistung nach dem SGB II zur Klärung der Erwerbsfähigkeit, bei unstrittiger Hilfebedürftigkeit, bedarf einer besonderen Begründung.
3. Eine Ermessensentscheidung, die aus formelhaften Wendungen zur Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, der Sparsamkeit und Gleichbehandlung besteht, leidet an einem Abwägungsdefizit.
Auswirkungen für die Praxis
Die Entscheidung des LSG München reflektiert eine gewisse, ubiquitäre Begriffsverwirrung, an der das BVerfG nicht unschuldig ist (eingehend: Spellbrink in: KassKomm SozVersRecht, Vor §§ 60- 67 SGB I Rn. 20 ff.).
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4.3 – Jobcenter Wuppertal erlässt rechtswidrige Dienstanweisung…
Das Jobcenter Wuppertal erlässt eine Dienstanweisung, mit der die Heizkosten trotz drastischer Steigerungen begrenzt werden sollen. Tacheles fordert das Jobcenter auf diese Weisung zu korrigieren.
weiter dazu: t1p.de
Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock
Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker