Tacheles Rechtsprechungsticker KW 44/2021

1. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

1.1 – LSG Hamburg, Urt. v. 22.06.2021 – L 4 AS 215/20 – Revision zugelassen

Zur Rechtmäßigkeit einer endgültigen Leistungsfestsetzung nach § 41a Abs. 3 SGB II

Leitsatz Redakteur von Tacheles e. V.
Der Vorschrift des § 41a Abs. 3 S. 4 SGB II kommt keine materielle Präklusionswirkung zu.

Orientierungshilfe Redakteur von Tacheles e. V.
1. Das BSG hat entschieden, dass Unterlagen auch nach Ablauf der von dem Beklagten gesetzten Frist bis zur abschließenden Entscheidung im Verwaltungsverfahren noch nachgereicht werden können (BSG, Urteil vom 12.9.2018 – B 14 AS 4/18 R).

2. Ob nach der abschließenden Entscheidung vorgelegte Unterlagen – sei es im Klageverfahren oder in einem Überprüfungsverfahren nach § 44 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) – noch zu berücksichtigen sind, hat das BSG hingegen ausdrücklich offengelassen.

3. Der Vorschrift des § 41a Abs. 3 S. 4 SGB II kommt keine materielle Präklusionswirkung zu (so auch SG Leipzig, Urteil vom 29.5.2018 – S 7 AS 2665/17; Hengelhaupt in: Hauck/Noftz, SGB II, § 41a SGB II Rn. 376; Conradis in: LPK-SGB II, § 41a SGB II Rn. 23; Kemper in: Eicher/Luik, SGB II, § 41a SGB II Rn. 49 ff; a. A. SG Osnabrück, Urteil vom 16.4.2019 – S 16 AS 245/18; SG Dortmund, Urteil vom 8.12.2017 – S 58 AS 2170/17; Kallert in Gagel, SGB II/SGB III, § 41a SGB II Rn. 85 ff, Stand März 2017).

Quelle: www.landesrecht-hamburg.de

Hinweis Redakteur von Tacheles e. V.:
Ebenso LSG NRW, Urt. v. 18.02.2021 – L 7 AS 1525/19 – anhängig beim BSG unter dem Az.: B 4 AS 34/21 R

1.2 – LSG Hamburg, Urt. v. 05.07.2021 – L 4 AS 197/20

Nachweis der Wirksamkeit eines Mietvertrags des Hilfebedürftigen als Voraussetzung der Bewilligung von Leistungen der Unterkunft und Heizung durch den Grundsicherungsträger

Orientierungssatz
1. Nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB 2 werden Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind. Voraussetzung einer Leistungspflicht des Grundsicherungsträgers ist, dass der Hilfebedürftige im jeweiligen Leistungszeitraum einer wirksamen und nicht dauerhaft gestundeten Mietzinsforderung ausgesetzt ist (BSG Urteil vom 3. 3. 2009, B 4 AS 37/08 R).(Rn.18)

2. Erweist sich der zwischen dem Hilfebedürftigen und dessen Eltern geschlossene Mietvertrag als gefälscht und sind die Erklärungen der Eltern hierzu als Schutz- bzw. Gefälligkeitsbehauptungen zu werten, so sind Leistungen für Unterkunft und Heizung vom Grundsicherungsträger nicht zu bewilligen. (Rn.19)

Quelle: www.landesrecht-hamburg.de

1.3 – LSG Hessen, Beschluss v. 26.08.2021 – L 6 AS 358/21 B ER

Leitsatz
Zu den Leistungen an Auszubildende (§ 27 Abs. 3 SGB II) und dem Anspruch auf Freie Förderung (§ 16f SGB II) im einstweiligen Rechtsschutz.

Quelle: www.rv.hessenrecht.hessen.de

2. Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

2.1 – SG Nordhausen, Urt. v. 31.08.2021 – S 18 AL 1396/20

Leitsatz
Der Tarifvertrag zur Regelung der Kurzarbeit im Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (TV COVID) ermöglichte die Einführung von Kurzarbeit auch in Kindertageseinrichtungen.

Quelle: landesrecht.thueringen.de

2.2 – SG Nordhausen, Urt. v. 23.08.2021 – S 11 AS 126/21

Leitsatz
Das Guthaben eines Bausparvertrages ist auch nach Auszahlung auf das Konto der Leistungsempfänger nicht als Vermögen im Sinne von § 12 SGB II zu berücksichtigen, wenn aufgrund einer nachvollziehbaren und nachgewiesenen Vereinbarung das Vermögen durch einen Dritten angespart und vollständig an diesen ausgekehrt wurde.

Quelle: landesrecht.thueringen.de

Hinweis:
Vgl. dazu Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 26. Mai 2017 – L 34 AS 1350/11

3. Entscheidungen der Landessozialgerichte zum Arbeitsförderungsrecht (SGB III)

3.1 – LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urt. v. 08.10.2021 – L 2 AL 49/14

Berufsausbildungsbeihilfe – keine Anrechnung des Elterneinkommen bei der Berechnung der Berufsausbildungsbeihilfe

Leitsatz Redakteur von Tacheles e. V.
Das Einkommen der Eltern ist vorliegend nicht nach § 67 SGB III i.d. F. vom 20. Dezember 2011 auf den Gesamtbedarf anzurechnen.

Quelle: www.landesrecht-mv.de

4. Verschiedenes zu Hartz IV, zur Sozialhilfe, zum Asylrecht, Wohngeldrecht und anderen Gesetzesbücher

4.1 – Herbert Masslau

BSG zur Kostenübernahme eines Schul-Tablet/PC

(26. Oktober 2021)

weiter: www.herbertmasslau.de

4.2 – Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 24. Juni 2021 (5 C 7/20):

Leitsatz Dr. Manfred Hammel
§ 86b Abs. 3 Satz 1 SGB VIII gestattet keine Auslegung des Inhalts, dass die dort festgeschriebene örtliche Zuständigkeit des bisher zuständigen Trägers der öffentlichen Jugendhilfe sich auch auf eine der Leistung gemäß § 19 SGB VIII („Gemeinsame Wohnformen für Mütter/Väter und Kinder“) nachfolgende Hilfe entsprechend den §§ 27 bis 35a SGB VIII erstreckt.

§ 86b Abs. 3 Satz 1 SGB VIII stellt lediglich einen Zuständigkeitszusammenhang zwischen einer der Hilfe nach § 19 SGB VIII vorhergehenden Leistung und der gemäß § 19 SGB VIII durchgeführten Hilfemaßnahme her; die örtliche Zuständigkeit wird dort aber nur für die Leistung nach § 19 SGB VIII geregelt.

Eine Regelung über die örtliche Zuständigkeit für die Erbringung einer anderen, nachfolgenden Leistung geht aus § 86b SGB VIII nicht hervor. Endet eine Hilfemaßnahme nach § 19 SGB VIII, dann erlischt hiermit auch der Anwendungsbereich der speziellen Zuständigkeitsnorm des § 86b SGB VIII.

Hilfen entsprechend § 19 SGB VIII verstehen sich hiernach als Annex einer der in § 86b Abs. 3 Satz 1 SGB VIII näher bezeichneten, vorangegangenen Leistungen nach dem SGB VIII. § 86b Abs. 3 SGB VIII bezweckt in erster Linie den Schutz der Orte, in denen sich Einrichtungen gemäß § 19 SGB VIII befinden, vor einer finanziellen Belastung durch an Personen erbrachte Hilfeleistungen, die aus anderen Zuständigkeitsbereichen stammend in diese Einrichtungen aufgenommen werden.

4.3 – OVG Sachsen, Beschluss vom 13. Oktober 2021 (3 A 214/21):

Leitsatz Dr. Manfred Hammel
Wer eine Verpflichtungserklärung nach § 68 Abs. 1 AufenthG abgegeben hat, um seinen Angehörigen eine Aufenthaltserlaubnis für das Bundesgebiet gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu ermöglichen (§ 23 Abs. 1 Satz 2 AufenthG), dann hat dies zur Folge, dass sich die Haftung in Bezug auf vom Jobcenter entsprechend den §§ 19 ff. SGB II ausbezahlte Mittel zur Existenzsicherung  grundsätzlich auf jeden nachfolgenden Aufenthalt dieser Personen im Bundesgebiet aus völkerrechtlichen, humanitären oder politischen Gründen nach Abschnitt 5 des Kapitels 2 des AufenthG (§ 68 Abs. 1 Satz 4 AufenthG) bezieht.

Einzig der Aspekt, dass die Aufnahme von syrischen Kriegsflüchtlingen auch als eine öffentliche Angelegenheit aufgefasst werden kann, führt nicht zur Unverhältnismäßigkeit eines aufgrund der abgezeichneten Verpflichtungserklärung vom Jobcenter ausgefertigten Erstattungsbescheids.

4.4 – Die Arbeitshilfe „Ausgeschlossen oder privilegiert?

Zur aufenthalts- und sozialrechtlichen Situation von Unionsbürger*innen und ihren Familienangehörigen“ ist heute in vierter und umfassen aktualisierter Auflage erschienen. Es gibt sie zum Runterladen als pdf auf der Seite des Paritätischen Gesamtverbands.

4.5 – Erwerbsunfähig in der Sozialhilfe: Zählt die private Rentenversicherung mit?  Beitrag zu: BSG Urteil vom 2. September 2021, Az. B 8 SO 4/20 R

Falls es finanziell richtig knapp wird: Auf eine private Rentenversicherung hat ein Sozialhilfeträger nach diesem Urteil nur noch begrenzt Zugriff.

weiter: www.handwerk.com

4.6 – Keine Befreiung von Rundfunkbeitragspflicht bei fehlender Beantragung von Sozialhilfe

Das VG Koblenz hat entschieden, dass ein Sozialhilfeberechtigter, der keinen Antrag auf Zahlung von Sozialhilfe stellt, nicht die Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht verlangen kann.

weiter: www.juris.de

4.7 – Keine Sperrzeit bei drohender Arbeitgeberkündigung, ein Beitrag von RA Klose, Regensburg

Beim Bezug von Arbeitslosengeld begegnen regelmäßig rechtswidrige Sperrzeitbescheide. So auch in einem aktuellen Fall.

Hier wurde das Arbeitsverhältnis unseres Mandanten „auf Veranlassung des Arbeitgebers zur Vermeidung einer sonst unumgänglichen ordentlichen, betriebsbedingten Kündigung beendet“. Betriebsbedingter Grund war die Veräußerung des Betriebs. Ohne Aufhebungsvertrag wäre das Arbeitsverhältnis betriebsbedingt zum selben Zeitpunkt gekündigt worden.

Mithin lagen die Voraussetzungen des wichtigen Grunds vor. Eine Sperrzeit war nicht gerechtfertigt.

Hier zur Quelle: www.ra-klose.com

Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock
Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker