Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht – Beschluss vom 04.11.2021 – Az.: 11 LA 136/21

BESCHLUSS

11 LA 136/21
1 A 175/17

In der Verwaltungsrechtssache

der Frau xxx,

– Klägerin und Zulassungsantragsgegnerin –

Prozessbevollmächtigter:
Rechtsanwalt Sven Adam,
Lange Geismarstraße 55, 37073 Göttingen

gegen

das Land Niedersachsen, vertreten durch die Polizeidirektion Göttingen,
Groner Landstraße 51, 37081 Göttingen –

– Beklagten und Zulassungsantragsteller –

wegen Erfassung und Speicherung personenbezogener Daten durch die Polizei
– Antrag auf Zulassung der Berufung –

hat das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht – 11. Senat – am 4. November 2021 beschlossen:

Der Antrag des Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Göttingen – 1. Kammer – vom 12. Mai 2021 wird abgelehnt.

Der Beklagte trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000 EUR festgesetzt.

GRÜNDE

Der Antrag des Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts hat keinen Erfolg.

Mit E-Mail vom 7. Mai 2015 hatte ein Polizeibeamter des 4. Fachkommissariats (Staatsschutz) der Polizeiinspektion Göttingen den weiteren Angehörigen seines Fachkommissariats über einen Verteiler neben verschiedenen Beobachtungen und Rechercheergebnissen aus dem Internet unter den Überschriften „LIMO“, „AUMO“ und „REMO“ unter der erstgenannten Überschrift u.a. betreffend die Klägerin geschrieben:
„Innenstadt: 17.00 Uhr Frau xxx mit Fahrrad aus der Stadt zur Wohnung.“

Mit ihrer am 16. Juni 2021 erhobenen Klage hat die Klägerin beantragt festzustellen, dass
1. die Erfassung und Speicherung von personenbezogenen Daten über sie in der E-Mail vom 7. Mai 2015 rechtswidrig war/ist,
2. die Auskunft der Polizeidirektion Göttingen vom 12. April 2017 über ihre dort gespeicherten Daten unvollständig und damit rechtswidrig war.

Das Verwaltungsgericht hat mit dem angefochtenen Urteil auf den Klageantrag zu 1. festgestellt, dass die Speicherung personenbezogener Daten der Klägerin in der E-Mail an den Verteiler in dem Fachkommissariat 4 – Staatsschutz – der Polizeiinspektion Göttingen vom 7. Mai 2015 rechtswidrig war, und im Übrigen die Klage abgewiesen.

Der von dem Beklagten gegen das erstinstanzliche Urteil uneingeschränkt gestellte Antrag auf Zulassung der Berufung ist nur teilweise zulässig (dazu unter 1.). Soweit der Antrag auf Zulassung der Berufung zulässig ist, ist er unbegründet. Die von dem Beklagten gegen das erstinstanzliche Urteil geltend gemachte Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (dazu unter 2.) und der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO (dazu unter 3.) sind nicht hinreichend dargelegt bzw. liegen nicht vor.

1. Soweit das Verwaltungsgericht die Klage der Klägerin hinsichtlich ihres Klageantrags zu 2. abgewiesen hat, ist der Antrag des Beklagten auf Zulassung der Berufung unzulässig. Dem Beklagten fehlt es insoweit an der notwendigen Beschwer (vgl. dazu etwa W.-R. Schenke, in: Kopp/ Schenke, VwGO, 27. Aufl. 2021, § 124a Rn. 38 sowie Vorb § 124 Rn. 28, 39 ff. m.w.N.; Happ, in: Eyermann, VwGO, 15. Auflage 2019, Vorb § 124 Rn. 23 f., 28 f.). Soweit das Verwaltungsgericht die Klage der Klägerin abgewiesen hat, ist es dem Antrag des Beklagten gefolgt und ist der Rechtsstreit um das betreffende Rechtsverhältnis zu seinen Gunsten entschieden worden.

2. Im Übrigen – soweit das Verwaltungsgericht mit dem angefochtenen Urteil festgestellt hat, dass die Speicherung personenbezogener Daten der Klägerin in der E-Mail an den Verteiler in dem Fachkommissariat 4 – Staatsschutz – der Polizeiinspektion Göttingen vom 7. Mai 2015 rechtswidrig war, – ist der Antrag des Beklagten auf Zulassung der Berufung unbegründet. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sind insoweit nicht hinreichend dargelegt bzw. liegen nicht vor.

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sind zu bejahen, wenn der Rechtsmittelführer einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage stellt. Die Zulassungsbegründung muss sich konkret fallbezogen und hinreichend substantiiert mit den Gründen der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen und dartun, dass und weshalb das Verwaltungsgericht entscheidungstragende Rechts- und Tatsachenfragen unrichtig entschieden hat (dazu etwa Roth, in: Posser/Wolff, BeckOK VwGO, Stand: 1.1.2021, § 124a Rn. 73 m.w.N.). Die Richtigkeitszweifel müssen sich dabei auch auf das Ergebnis der Entscheidung beziehen; es muss also mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein, dass die Berufung zu einer Änderung des angefochtenen Urteils führen wird (vgl. BVerwG, Beschl. v. 10.3.2004 – 7 AV 4/03 – juris Rn. 7 ff.). § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO eröffnet den Zugang zu einer inhaltlichen Überprüfung der angefochtenen Entscheidung in einem Berufungsverfahren somit nur in den Fällen, in denen die Richtigkeit des angefochtenen Urteils weiterer Prüfung bedarf. Demgegenüber reicht es nicht aus, wenn Zweifel lediglich an der Richtigkeit einzelner Rechtssätze oder tatsächlicher Feststellungen des Urteils bestehen, das Urteil aber im Ergebnis richtig ist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 10.3.2004 – 7 AV 4/03 – juris Rn. 9 ff.).

Ausgehend davon führen die vom Beklagten vorgetragenen Gründe nicht zu ernstlichen Zweifeln an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils.

Das Verwaltungsgericht hat zur Begründung seines Urteils ausgeführt: Es liege eine unzulässige Datenspeicherung vor. Eine nach § 8 NDSG in der Fassung vom 29. Januar 2002 (Nds. GVBl. S. 22), geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 12. Dezember 2012 (Nds. GVBl. S. 589, Anm. hier: gültig bis zum 24. Mai 2018, Art. 26 Satz 2 des Gesetzes vom 16. Mai 2018, Nds. GVBl. S. 66, im Folgenden: a.F.) notwendige Verfahrensbeschreibung fehle vollständig. Der Anwendungsbereich der Norm sei eröffnet. Automatisierte Verarbeitung sei die Verarbeitung personenbezogener Daten unter Einsatz von Datenverarbeitungsanlagen. Automatisierte Verarbeitung setze voraus, dass neben der durch technische Anlagen erfolgenden Erhebung oder Speicherung auch eine automatisierte Auswertung der Daten, d.h. ein Nutzen der Daten ermöglicht werde. Es bedürfe also der Möglichkeit der technischen Auswertung der erhobenen und gespeicherten Daten. Kennzeichnend für ein automatisiertes Verfahren sei die Verarbeitung personenbezogener Daten für einen bestimmten Zweck. Nach dieser Maßgabe sei jedenfalls die Übergabe von Lageberichten per E-Mail an einen Verteiler innerhalb einer Polizeieinheit eine automatisierte Verarbeitung i.S.d. § 8 Satz 1 NDSG a.F., weil zwar die Dateneingabe manuell geschehe, die Speicherung wie Übermittlung dann aber automatisiert und ohne menschliches Zutun. E-Mails seien auch automatisiert auswertbar über die Suchfunktion. Mit der Funktion könnten nicht nur personenbezogene Daten in Absendern und Empfängern gesucht werden, sondern auch im Text selbst. Jedenfalls bei dieser Praxis innerhalb des FK 4 würden personenbezogene Daten von Menschen, die Gegenstand von Wahrnehmung durch Polizeibeamte gewesen seien, auch für einen bestimmten Zweck gespeichert, nämlich der Übergabe von Lageberichten. Die Nutzung des E-Mail-Programms für diese Übergabe unterscheide sich wegen der Speicherungs- und Durchsuchungsmöglichkeiten von der mündlichen Information im Kollegenkreis oder von der Übergabe auf Notizzetteln. Erst hieraus ergebe sich ein datenschutzrechtlich relevantes Verfahren. Daran ändere im konkreten Fall auch der Umstand nichts, dass nach Ziff. 4.6 der Informationssicherheits-Richtlinie der Polizei Niedersachsen E-Mails, die für die Aufgabenerfüllung nicht mehr notwendig seien, zu löschen seien. Die Regelungen zur E-Mail-Nutzung, die sich in der Informationssicherheits-Richtlinie fänden, genügten nicht den Anforderungen an eine Verfahrensbeschreibung. Es handele sich hierbei um teils technische, teils organisatorische Maßnahmen nach § 7 NDSG a.F. Es liege auch kein Ausnahmefall nach § 8 Abs. 1 Satz 2 Hs. 1 NDSG a.F. vor.

Soweit der Beklagte einwendet, es habe sich nicht um eine automatisierte Datenverarbeitung i.S.d. § 8 Satz 1 NDSG a.F. gehandelt, die Nutzung des Verteilers habe es dem Absender der E-Mail lediglich ermöglicht, als Ersatz für eine mündliche Besprechung zur Dienstübergabe eine Nachricht an alle Mitglieder des E-Mail-Verteilers zeitgleich zu schicken, hierin habe sich die Automatisierung erschöpft, es erfolge keine automatisierte Auswertung der personenbezogenen Daten, übersieht er, dass er selbst an anderer Stelle seiner Zulassungsbegründung darauf verweist, dass maßgeblich für die Annahme einer automatisierten Datenverarbeitung die Möglichkeit der technischen Auswertung der betreffenden Daten sei. Dass – entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts – diese Möglichkeit nicht gegeben sei, hat der Beklagte nicht dargelegt und ist im Übrigen für den Senat auch nicht ersichtlich.

Damit, dass – wie der Beklagte gegen das angefochtene Urteil weiter einwendet – es nicht zu einer mehr als nur vorübergehenden Speicherung gekommen sei, hat sich das Verwaltungsgericht befasst. Es hat dazu ausgeführt, die Daten in der E-Mail vom 7. Mai 2015 seien nach Maßgabe der Informationssicherheits-Richtlinie der Polizei zwar nur vorübergehend gespeichert worden. Ihre Speicherung diene aber dem Zweck der inhaltlichen Auswertung. Dabei komme es nicht darauf an, dass die inhaltliche Auswertung regelmäßig nicht automatisiert, also mit Suchfunktion, sondern schlicht durch Lesen erfolge. Mit diesen Ausführungen setzt sich der Beklagte nicht auseinander. Er bekräftigt mit seinem Zulassungsantrag, die E-Mail hätte den Zweck der Informationsweitergabe verfolgt, vielmehr die tragende Erwägung des Verwaltungsgerichts gegen die Annahme einer Ausnahme nach § 8 Abs. 1 Satz 2 Hs. 1 NDSG a.F. Nach dieser Vorschrift gilt die Notwendigkeit der Festlegung in einer Verfahrensbeschreibung nach § 8 Abs. 1 Satz 1 NDSG a.F. nicht, wenn die Daten nur vorübergehend und zu einem anderen Zweck als dem der inhaltlichen Auswertung gespeichert werden. Gegen die Richtigkeit dieser Annahme des Verwaltungsgerichts hat der Beklagte mithin nichts dargelegt.

Auch mit dem vom Beklagten mit seinem Zulassungsantrag geltend gemachten Umstand, dass eine automatisierte Auswertung nicht erfolgt sei, hat sich das Verwaltungsgericht befasst. Das Verwaltungsgericht hat in dem angefochtenen Urteil hierzu ausgeführt, eine Beschränkung des Begriffs der inhaltlichen Auswertung auf automatisierte Verfahren ergebe sich weder aus dem Wortlaut der Regelung noch aus der Gesetzgebungsgeschichte. Auch mit diesen Erwägungen setzt sich der Beklagte nicht auseinander. Mithin sind auch insofern ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Einschätzung des Verwaltungsgerichts nicht dargelegt.

Der Einwand des Beklagten, eine freiheitsgefährdende Bedeutung durch Weiterverwendung der Daten oder eine automatische Datenverarbeitung stehe vorliegend nicht in Rede, führt zu keiner anderen Beurteilung. Nach den Ausführungen des angefochtenen Urteils, an deren Richtigkeit aus den dargelegten Gründen sich keine ernstlichen Zweifel ergeben, ist Anknüpfungspunkt für das Erfordernis einer Verfahrensbeschreibung nach § 8 NDSG a.F. eine automatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten, die bereits bei einer Verarbeitung personenbezogener Daten unter Einsatz von Datenverarbeitungsanlagen anzunehmen ist (§ 3 Abs. 5 NDSG a.F.), und eine Zweckbestimmung (hier: Übergabe von Lageberichten). Dass nach der Gesetzesfassung für das Erfordernis einer Verfahrensbeschreibung nach § 8 NDSG a.F. zusätzliche Voraussetzung eine weitergehende Verwendung (für den externen Gebrauch) und/oder eine technische Auswertung von in dieser Weise automatisiert verarbeiteten personenbezogenen Daten wäre, hat der Beklagte nicht hinreichend dargelegt und ist für den Senat auch nicht sonst ersichtlich.

Soweit der Beklagte geltend macht, in der Rechtsprechung sei bisher ungeklärt, ob auch E-Mail-Programme wie Microsoft Outlook als automatisierte Verfahren anzusehen seien, rechtfertigt dies für sich genommen ebenfalls nicht die Annahme ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils.

3. Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ist nicht hinreichend dargelegt.

Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache nur dann zu, wenn sie in rechtlicher oder tatsächlicher Hinsicht eine Frage aufwirft, die im Rechtsmittelzug entscheidungserheblich und fallübergreifender Klärung zugänglich ist sowie im Interesse der Rechtseinheit oder der Fortentwicklung des Rechts geklärt werden muss. Der Zulassungsantrag muss eine konkrete Frage aufwerfen, deren Entscheidungserheblichkeit erkennen lassen und (zumindest) einen Hinweis auf den Grund enthalten, der das Vorliegen der grundsätzlichen Bedeutung rechtfertigen soll (W.-R. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 27. Aufl. 2021, § 124 Rn.10 m.w.N.). Eine Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung kommt nicht in Betracht, wenn sich die Frage so, wie sie mit dem Antrag aufgeworfen worden ist, im Rechtsmittelverfahren nicht stellt, ferner dann nicht, wenn sich die Frage nach dem Gesetzeswortlaut ohne Weiteres eindeutig beantworten lässt oder sie in der Rechtsprechung – namentlich des Bundesverwaltungsgerichts oder des beschließenden Senats – geklärt ist.

Der Beklagte hat die Frage formuliert, „ob die Nutzung von E-Mail-Verteilern die Notwendigkeit einer Verfahrensbeschreibung i.S.d. XXX bedarf“. Er hat nicht dargelegt, dass sich die Frage so, wie sie mit dem Antrag aufgeworfen worden ist, in einem Rechtsmittelverfahren stellen würde. Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass die Frage, ob die Nutzung von E-Mail-Verteilern die Notwendigkeit einer Verfahrensbeschreibung begründet, für das Verwaltungsgericht entscheidungserheblich war. Das Verwaltungsgericht hat auf Seite 10 seines Urteils ausdrücklich die Frage offengelassen, ob die E-Mail-Nutzung zur behördeninternen Kommunikation stets eine automatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten i.S.d. § 8 Satz 1 NDSG a.F. darstellt. Das Verwaltungsgericht hat dabei nicht unterschieden, ob eine Nutzung von E-Mail-Verteilern erfolgt oder nicht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).