Tacheles Rechtsprechungsticker KW 51/2021

1. Entscheidungen des Bundessozialgerichts zur Grundsicherung nach dem (SGB II)

1.1 – BSG Urteil v. 14.12.2021 – B 14 AS 73/20 R

Grundsicherung für Arbeitsuchende – Sozialgeldanspruch – temporäre Bedarfsgemeinschaft – Kind

Umgang mit getrenntem Vater kann höheres Hartz IV begründen

Orientierungshilfe www.evangelisch.de
1. Scheidungskindern im Hartz-IV-Bezug darf wegen des Umgangs mit ihrem getrennt lebenden Vater nicht pauschal die Gewährung eines Mehrbedarfs verweigert werden.

2. Eine doppelte Sozialgeldzahlung jeweils für die Bedarfsgemeinschaft bei der Mutter wie auch beim Vater ist aber nicht zulässig.

Quelle: www.evangelisch.de

Hinweis:
S. a. dazu: Kindern getrennt lebender Eltern in Hartz IV steht mehr Geld zu

Wenn Kinder von Grundsicherung leben und zwischen den Eltern wechseln, kürzt das Jobcenter zu Recht die Leistungen – allerdings zu stark, wie das Bundessozialgericht nun urteilte.

Wenn Kinder getrennt lebender Eltern im Grundsicherungssystem sind und nicht ausschließlich bei einem Elternteil wohnen, haben sie einen Anspruch auf höhere Leistungen, als sie im Regelfall bisher erhalten. Zwar wird die Regelleistung – die bei Kindern Sozialgeld heißt – anteilig nach Aufenthaltstagen zwischen den Eltern geteilt. Die Kinder können aber sogenannte Mehrbedarfe geltend machen, die durch das geteilte Umgangsrecht ihrer Eltern entstehen.

weiter: www.spiegel.de

1.2 – BSG Urteil vom 14.12.2021 – B 14 AS 61/20 R

Grundsicherung für Arbeitsuchende – Weiterbildungskosten – Kinderbetreuung – Verpflegungskosten

Zählt ein Kostenbeitrag für die Verpflegung eines Kindes während der Betreuung in einer Tageseinrichtung zu den berücksichtigungsfähigen Kinderbetreuungskosten?

1. Hartz-IV-Empfängerin hat Anspruch auf Übernahme der Verpflegungskosten ihrer Kinder als Kosten der Kinderbetreuung in tatsächlich entstandener Höhe während der Weiterbildungsmaßnahme (Leitsatz Redakteur von Tacheles e. V.).

2. Fällt im Rahmen der Betreuung eines Kindes in einer Tageseinrichtung eine Beteiligung an den Kosten für eine im Angebot enthaltene Verpflegung an, so handelt es sich dabei um Kinderbetreuungskosten im Sinne des § 83 Abs 1 Nr 4 SGB 3 (Leitsatz Redakteur von Tacheles e. V.).

Orientierungshilfe Redakteur von Tacheles e. V.
1. Rechtsgrundlage hierfür sind § 16 Abs 1 Satz 2 Nr 4 1. Alt SGB II iVm §§ 83 Abs 1 Nr 4 und 87 SGB III. Nach § 83 Abs 1 Nr 4 SGB III sind Weiterbildungskosten ua Kosten für die Betreuung von Kindern, wenn sie unmittelbar durch die Weiterbildung entstehen. Durch die Weiterbildung entstehen Kinderbetreuungskosten bereits dann, wenn während der Weiterbildung die Beaufsichtigung der Kinder sichergestellt werden muss, eine Teilnahme an der Maßnahme ohne die Betreuung der Kinder also nicht möglich ist.

2. Sind in diesem Sinne Kosten für die Kinderbetreuung durch die Weiterbildung entstanden, erfassen diese auch die Verpflegung der Kinder während ihres Aufenthalts in der “Betreuung”. Ein normativer Ansatzpunkt, zwischen Kinderbetreuungskosten “im engeren Sinn”, dh beschränkt auf die Dienstleistung “Betreuung”, und sonstigen Kosten, ua die Verpflegung der Kinder, zu differenzieren, findet sich in den §§ 83 ff SGB III nicht.

Quelle: www.bsg.bund.de

Hinweis:
S. a. Dazu: Jobcenter muss Kita-Verpflegung als Weiterbildungskosten übernehmen

Hartz-IV-Bezieher müssen während einer beruflichen Weiterbildung ihre Kinder in einer Kita betreuen lassen können. Deshalb ist das Jobcenter verpflichtet, anfallende Kita-Kosten inklusive der Verpflegung der Kinder zu übernehmen,

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2. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

2.1 – LSG Hamburg, Urt. v. 30.07.2021 – L 4 AS 42/21

Voraussetzungen eines Erstattungsanspruchs der Sozialleistungsträger untereinander

Orientierungssatz
1. Nach der Erfüllungsfiktion des § 107 Abs. 1 SGB 10 gilt ein Anspruch des Berechtigten gegen den zur Leistung verpflichteten Leistungsträger als erfüllt, soweit ein Erfüllungsanspruch nach den Regelungen der §§ 102 ff. SGB 10 besteht. Entsprechend anwendbar ist § 107 Abs. 1 S. 1 SGB 10 gemäß § 40a S. 3 SGB 2 auch auf Erstattungsansprüche nach § 40a SGB 2.(Rn.30)

2. Der Erstattungsanspruch besteht auch, soweit die Erbringung des Arbeitslosengeldes 2 allein aufgrund einer nachträglich festgestellten vollständigen Erwerbsminderung rechtswidrig war oder rückwirkend eine Rente wegen Alters zuerkannt wird. (Rn.33)

Quelle: www.landesrecht-hamburg.de

2.2 – LSG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 23.11.2021 – L 25 AS 1035/19

Grundsicherung für Arbeitsuchende – Versagungsbescheid – Anfechtungsklage – Leistungsklage – maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage – Ermessen – Ermessensfehler – Umfang der Versagung

Leitsatz
1. Zulässig gegen einen Versagungsbescheid ist die reine Anfechtungsklage. Dabei ist die Rechtmäßigkeit eines auf § 66 SGB I gestützten Versagungsbescheides allein danach zu beurteilen, ob die in dieser Vorschrift geregelten Voraussetzungen bei seinem Erlass erfüllt waren; ein erst durch eine während des Rechtsmittelverfahrens nachgeholte Mitwirkung erbrachter Nachweis der Anspruchsvoraussetzungen des geltend gemachten Sozialleistungsanspruchs ist für die Entscheidung über ein Rechtsmittel gegen einen Versagungsbescheid nach § 66 SGB I unerheblich.

2. Wendet sich der Bürger gegen die Versagung einer Sozialleistung mangels Mitwirkung, so hat er über die Aufhebung des Versagungsbescheides hinaus regelmäßig kein schützenswertes Interesse an einer gerichtlichen Entscheidung. Eine Leistungsklage ist dann unzulässig.

3. Die Entscheidung über eine Versagung nach § 66 Abs. 1 SGB I steht im Ermessen des Leistungsträgers. Ein Ermessensfehler im Sinne eines Ermessensnichtgebrauchs kann darin bestehen, dass die Behörde Leistungen ganz versagt, ohne dies zu begründen oder eine teilweise Versagung in Betracht zu ziehen.

Quelle: gesetze.berlin.de

2.3 – LSG Hessen, Urt. v. 12.11.2021 – L 6 AS 147/21

Leitsatz
1. Ein Sanktionsbescheid und ein Leistungsbescheid, der die aus der Sanktion folgende Minderung einbezieht, bilden eine rechtliche Einheit, jedenfalls wenn sie in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang erlassen werden.

2. Eine im Sommer 2019 erteilte Belehrung zu den Rechtsfolgen des § 31a Abs. 2 SGB II, die auf die zu diesem Zeitpunkt maßgebliche und jedenfalls dem Gesetzeswortlaut nach weiterhin unveränderte rechtliche Lage abgestimmt war und dementsprechend die Modifikationen, die sich nachfolgend aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 5. November 2019 (1 BvL 7/16, BVerfGE 152, 68) für § 31a SGB II und den dazu ergangenen Fachlichen Weisungen der Bundesagentur für Arbeit ergaben, nicht berücksichtigen konnte, führt nicht zur Rechtswidrigkeit eines Minderungsbescheides.

3. Zur Verkürzung der Minderung nach § 31b Abs. 1 Satz 4 SGB II und der in diesem Rahmen zu treffenden Ermessensentscheidung.

Volltext: www.rv.hessenrecht.hessen.de

Rechtstipp Redakteur von Tacheles e. V.:
anderer Auffassung:

SG Speyer, Gerichtsbescheid v. 22.04.2021 – S 15 AS 117/19
Minderung des Arbeitslosengeld II – Eintritt von Sanktionstatbeständen vor dem 5.11.2019 – Anforderungen an die vorherige Rechtsfolgenbelehrung – Rückwirkung der Rechtsprechung des BVerfG – Hinweis- und Aufklärungspflichten der Grundsicherungsträger – Aufhebung nicht bestandkräftiger rechtswidriger Sanktionsbescheide – verfassungskonforme Auslegung

Leitsatz
1. Eine Pflichtverletzung nach § 31 SGB II liegt nur bei vorheriger schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis durch den erwerbsfähigen Leistungsberechtigten vor. Die gesetzlichen Rechtsfolgen einer Pflichtverletzung müssen daher vollständig dargelegt (bzw gekannt) werden, einschließlich aller Möglichkeiten, die Rechtsfolgen des Sanktionstatbestands unter bestimmten Umständen abzumildern oder ganz zu vermeiden. (Rn.30)

2. Hierzu gehören auch die Modifikationen, die das BVerfG in seinem Urteil vom 5.11.2019 (1 BvL 7/16) mit Gesetzeskraft (§ 31 Abs 2 BVerfGG) angeordnet hat. Diese gelten mangels entsprechender Einschränkungen im Tenor des Urteils rückwirkend ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der für mit der Verfassung unvereinbar erklärten Vorschriften (Anschluss an SG Hamburg vom 24.9.2020 – S 58 AS 369/17 = info also 2021, 86 = juris RdNr 37ff). (Rn.31)

3. Aus der rückwirkenden Geltung der vom BVerfG festgelegten Rechtsfolgen einer Pflichtverletzung nach § 31 Abs 1 SGB II ergibt sich, dass Betroffene auf diese Rechtsfolgen hätten hingewiesen werden müssen bzw ihnen diese hätten bekannt sein müssen, damit eine Minderung des Auszahlungsanspruchs hätte eintreten können. Der Umstand, dass den Behörden eine entsprechende Aufklärung bei Sanktionstatbeständen vor der Urteilsverkündung des BVerfG objektiv unmöglich war, ändert hieran nichts. (Rn.37) (Rn.42)

4. Hieraus folgt, dass alle Minderungsbescheide auf Grundlage der §§ 31a Abs 1 S 1, 2 und 3, 31b Abs 1 S 3 SGB II in Verbindung mit § 31 Abs 1 SGB II, die an Sachverhalte vor dem 5.11.2019 anknüpfen, rechtswidrig und – soweit nicht bestandskräftig (vgl § 40 Abs 3 S 1 Nr 1 SGB II) – aufzuheben sind. (Rn.43)

3. Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

3.1 – SG Chemnitz, Urt. v. 24.06.2021 – S 10 AS 2477/18

Grundsicherung für Arbeitsuchende: Kosten der Unterkunft; Ermittlung der Angemessenheit einer Wohnungsgröße; Berücksichtigung von Säuglingen als Haushaltsangehörige bei der Angemessenheitsbewertung

Leitsatz Redakteur von Tacheles e. V.
1. Zu der Frage, ob schon Säuglinge in vollem Umfange als Person bei der Berechnung der abstrakt angemessenen Wohnfläche mitzählen, hier bejahend.

2. Ein Umzug während der Mutterschutzfrist hält das Gericht unzumutbar.

Volltext bei Juris

Rechtstipp Redakteur von Tacheles e. V.:
SG Dortmund, Urteil vom 30.04.2015 – S 30 AS 3105/13 – Erforderlichkeit des Umzugs wegen anstehender Geburt des Kindes und Übernahme der erhöhten Unterkunftskosten frühestens 3 Monate vor der Entbindung (veröffentlicht Tacheles Rechtsprechungsticker KW 50/2015 mit weiteren Rechtsprechungshinweisen).

3.2 – SG Berlin, Urt. v. 08.09.2021 – S 103 AS 4461/20

Kein Schutz für pöbelnden Behördeninformanten: Jobcenter muss anonyme Anzeige mit beleidigendem Inhalt offenlegen

Das Jobcenter muss einer Leistungsbezieherin vollständige Einsicht in ein anonymes Anzeigenschreiben gewähren, wenn dieses falsche bzw. nicht erweisliche Tatsachen und Pöbeleien enthält. In einem solchen Fall tritt der Schutz des Behördeninformanten hinter das Informationsinteresse der Betroffenen zurück. Im konkreten Fall hatte das Jobcenter der Leistungsbezieherin zwar eine Kopie der Anzeige herausgegeben, jedoch die handschriftlich unter das Schreiben gekrakelte Unterschrift geschwärzt.

Kurzfassung:
Mit rechtskräftig gewordenem Urteil vom 8. September 2021 hat die 103. Kammer des Sozialgerichts Berlin (in der Besetzung mit einem Berufsrichter, einer ehrenamtlichen Richterin und einem ehrenamtlichen Richter) der hiergegen erhobenen Klage nach mündlicher Verhandlung stattgegeben und den Beklagten zur Vorlage des ungeschwärzten Schreibens verurteilt.

Zwar sei das Jobcenter nicht verpflichtet, Akteneinsicht zu gewähren, wenn Vorgänge wegen der berechtigten Interessen von Personen geheim gehalten werden müssen. Auch die Identität eines Behördeninformanten sei ein grundsätzlich geschütztes Sozialdatum. Das Interesse des betroffenen Leistungsempfängers an der Identität eines Informanten überwiege dessen Geheimhaltungsinteresse jedoch dann, wenn anzunehmen sei, dass der Informant wider besseres Wissen und absichtlich rufschädigend gehandelt hat oder leichtfertig falsche Informationen übermittelt hat.

Für die vorzunehmende Interessenabwägung und die Einschätzung der Motivation des Informanten sei im vorliegenden Fall zu bedenken, dass er bewusst selbst den Schutz der Anonymität gewählt habe. Sein Schreiben enthalte zwar einige Informationen, die objektiv gesehen für die Leistungsverwaltung von Relevanz seien. Überwiegend stehe jedoch nicht die sachliche Information im Vordergrund, sondern würden falsche und nicht erweisliche Tatsachen und Pöbeleien verbreitet. Die Bezeichnung der Klägerin als Sozialschmarotzerin sei beleidigend. Die Unterstellung, sie arbeite schwarz, sei rufschädigend. Dem Informanten sei es insoweit nicht mehr um die sachdienliche Benachrichtigung der zuständigen Behörde gegangen, sondern um die Verächtlichmachung der Klägerin. Dies folge insbesondere daraus, dass seine diesbezüglichen Angaben keiner Überprüfung zugänglich gewesen seien. Er habe keine konkreten Arbeitgeber, Einsatzorte und Arbeitszeiten für den Vorwurf der Schwarzarbeit genannt und auch keine Kontaktdaten für Nachfragen hinterlassen. Seine Angaben könnten daher nur als leichtfertige Behauptungen gewertet werden, die in der Absicht gemacht worden seien, die Klägerin zu schädigen. Folglich überwiege das Informationsinteresse der Klägerin. Es sei nicht auszuschließen, dass sie – anders als Außenstehende – einen Bezug zwischen der unleserlichen Unterschrift und dem Informanten herstellen könne.

Das Urteil ist rechtskräftig geworden.

Anmerkung der Pressestelle:
Anders hat das Sozialgericht Berlin in einem rentenrechtlichen Fall entschieden. Dort hatte ein Behördeninformant der Rentenversicherung schriftlich mitgeteilt, dass ein Altersrentenbezieher inzwischen aus Deutschland in ein Fischerdorf an der Costa Blanca in Spanien verzogen sei. Dies stellte sich als wahr heraus, hatte letztendlich aber keine Bedeutung für die Rentenzahlung. Das Gericht hatte keine leichtfertigen rufschädigenden Behauptungen erkennen können und das Geheimhaltungsinteresse des Informanten deshalb höher eingeschätzt als das Auskunftsinteresse des Rentners (vgl. die Pressemitteilung vom 1. Dezember 2016 zu S 9 R 1113/12 WA).

Quelle: Pressemitteilung des SG Berlin v. 17.12.2021

4. Entscheidungen der Sozialgerichte zum Arbeitsförderungsrecht (SGB III)

4.1 – SG Landshut, Urt. v. – S 16 AL 66/21

Trotz Lockdown – ohne Anzeige des tatsächlichen Arbeitsausfalls kein Kurzarbeitergeld

Das SG Landshut hatte in einem kürzlich ergangenen Urteil über die Frage zu entscheiden, unter welchen Voraussetzungen Kurzarbeitergeld bei einer behördlich angeordneten Betriebsschließung im Zuge eines „coronabedingten Lockdowns“ zu gewähren ist.

Die Klägerin ist Inhaberin eines niederbayerischen Hotel- und Gastronomiebetriebes. Bereits für den Zeitraum des ersten staatlich verordneten „Lockdowns“ wurde für ihre Mitarbeiter von März bis Juni 2020 von der Agentur für Arbeit Kurzarbeitergeld bewilligt, nachdem die Klägerin im März einen erheblichen Arbeitsausfall angezeigt und einen entsprechenden Antrag gestellt hatte. Ab 01.11.2020 musste ihr Betrieb erneut wegen des zweiten „Lockdowns“ geschlossen werden. Erst Anfang Februar 2021 zeigte sie für die Monate November und Dezember 2020 den erneuten Arbeitsausfall an und beantragte rückwirkend Kurzarbeitergeld für ihre Mitarbeiter. Dieser Antrag wurde von der Agentur für Arbeit abgelehnt, weil die Klägerin den Arbeitsausfall der Agentur nicht rechtzeitig angezeigt habe. Hiergegen richtete sich die Klage.

Das Gericht führte zu den Leistungsvoraussetzungen des Kurzarbeitergeldes aus, dass dieses nur gewährt werden könne, wenn ein erheblicher Arbeitsausfall mit Entgeltausfall vorliege und dieser erhebliche Arbeitsausfall der zuständigen Agentur für Arbeit rechtzeitig angezeigt worden sei. Die Anzeige habe schriftlich oder elektronisch zu erfolgen und mit der Anzeige sei glaubhaft zu machen, dass ein erheblicher Arbeitsausfall eingetreten sei.

Selbst wenn der Arbeitsausfall auf einem unabwendbaren Ereignis beruhe, so habe die Anzeige dennoch unverzüglich, d. h. ohne schuldhaftes Zögern, zu erfolgen.

Kurzarbeitergeld könne frühestens von dem Kalendermonat an geleistet werden, in dem die Anzeige über den Arbeitsausfall bei der Agentur für Arbeit eingegangen sei. Von dieser Anzeige des Arbeitsausfalls zu unterscheiden sei der Leistungsantrag auf Auszahlung des Kurzarbeitergelds, der in einer zweiten Stufe innerhalb von drei Monaten nachträglich gestellt werden könne. Im vorliegenden Fall habe die Klägerin den durch den zweiten „Lockdown“ bedingten Arbeitsausfall in ihrem Betrieb für die Monate November und Dezember 2020 nicht rechtzeitig angezeigt. Damit entfalle der Anspruch auf Kurzarbeitergeld für diese Monate. Trotz des „Lockdowns“ sei es ihr möglich und zumutbar gewesen, entsprechend der gesetzlichen Voraussetzungen eine unverzügliche Anzeige des Arbeitsausfalls in den Monaten November bzw. Dezember vorzunehmen. Die Nichtanzeige des Arbeitsausfalls sei als schuldhaftes Zögern zu werten und könne auch durch die spätere Nachholung im Februar 2021 nicht geheilt werden, unabhängig davon, ob die Klägerin selbst ausreichend über die gesetzlichen Voraussetzungen informiert gewesen sei. Eine Fortgeltung der Anzeige des ersten Arbeitsausfalls vom März 2020 scheide nach dem Gesetz aus, weil seit dem letzten Kalendermonat mit Bezug von Kurzarbeitergeld, nämlich Juni 2020, bereits mindestens drei Monate ohne Bezug (hier Juli bis Oktober) vergangen seien.

Quelle: Pressemitteilung des SG Landshut vom 14.12.2021

4. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Sozialhilfe (SGB XII)

4.1 – LSG NRW, Urt. v. 23.08.2021 – L 20 SO 20/20

Leitsatz www.justiz.nrw.de
Für die Rechtmäßigkeit einer Überleitungsanzeige (§ 93 SGB XII) kommt es nicht darauf an, ob die vom überleitenden Sozialhilfeträger tatsächlich erbrachten Sozialhilfeleistungen (insgesamt) rechtmäßig waren.

Quelle: www.justiz.nrw.de

5. Verschiedenes zu Hartz IV, zur Sozialhilfe, zum Asylrecht, Wohngeldrecht und anderen Gesetzesbücher

5.1 – Hartz-IV-Widerspruch: E-Mail reicht nicht

Das LSG Celle-Bremen hat entschieden, dass die Einlegung eines Widerspruchs mit einfacher E-Mail nicht der gesetzlichen Form entspricht.

Kurzfassung:
Zwar könne ein Widerspruch auch in elektronischer Form eingereicht werden, allerdings sei dann eine qualifizierte elektronische Signatur oder eine absenderauthentifizierte Übersendung (z.B. als De-Mail) erforderlich. Demgegenüber reiche eine einfache E-Mail nicht aus. Da das Jobcenter auf diesen Weg nicht hingewiesen habe, könne sich höchstens die Widerspruchsfrist von einem Monat auf ein Jahr verlängern. Allerdings hätten die Leistungsempfänger auch in diesem Zeitraum keinen formgerechten Widerspruch nachgereicht. Sie hätten allein darauf beharrt, dass eine einfache E-Mail ausreiche.

Gegen die Nichtzulassung der Revision hat das Paar Beschwerde eingelegt.

Vorinstanz: SG Lüneburg

Quelle: Pressemitteilung des LSG Celle-Bremen Nr. 21/2021 v. 13.12.2021

5.2 – Keine Ausbildungsförderung für ein Studium, das erst nach Erreichen des Rentenalters beendet sein wird

Studierenden, die eine Hochschulzugangsberechtigung auf dem Zweiten Bildungsweg erworben haben, steht nur dann ein Anspruch auf Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) zu, wenn die von ihnen angestrebte Ausbildung planmäßig vor Erreichen des Regelrentenalters abgeschlossen sein wird. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden.

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5.3 – Änderungen im Arbeits- und Sozialrecht im Jahr 2022

Das BMAS hat eine Übersicht über die wesentlichen Änderungen und Neuregelungen, die zum Jahresbeginn und im Laufe des Jahres 2022 im Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales wirksam werden, veröffentlicht.

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5.4 – Die Elektronische Arbeitslosmeldung kommt

Zum 01.01.2022 tritt die Neuregelung zur elektronischen Arbeitslosmeldung in Kraft.

Neben der persönlichen Vorsprache in der zuständigen Agentur für Arbeit besteht damit künftig eine rechtssichere elektronische Form für die Arbeitslosmeldung. Die elektronische Arbeitslosmeldung nutzt dazu den elektronischen Identitätsnachweis nach dem Personalausweisgesetz, das heißt die Nutzung der sogenannten “Online-Ausweisfunktion“ des Personalausweises. Dadurch ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Digitalisierung des Sozialverwaltungsverfahrens und gleichzeitig zur Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes (OZG) erfolgt.

Warum ist das wichtig?
Bei der Arbeitslosmeldung handelt es sich um eine Anspruchsvoraussetzung für das Arbeitslosengeld. Das heißt, wer bereits arbeitslos ist oder innerhalb der nächsten drei Monate wird, muss dies zunächst vor Ort oder digital bei der zuständigen Arbeitsagentur melden. Erst dann kann der Anspruch auf Arbeitslosengeld entstehen.

Bürgerinnen und Bürger können bereits jetzt verschiedene Leistungen über das Portal www.arbeitsagentur.de online in Anspruch nehmen. Dazu gehören beispielsweise die Beantragung von Kurzarbeitergeld oder der Weiterbewilligungsantrag von Arbeitslosengeld II. Die Zahl der Leistungen, die bei der Bundesagentur für Arbeit digital beantragt werden können, wächst durch die Umsetzung des OZG kontinuierlich.

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5.5 – Verlust eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts erfordert ermessensgerechte Berücksichtigung geltend gemachter Nachteile im Herkunftsland

Die Feststellung des Verlusts des Aufenthaltsrechts des drittstaatsangehörigen Ehegatten einer Unionsbürgerin aus Gründen der öffentlichen Ordnung erfordert eine Ermessensentscheidung, bei der sich die Ausländerbehörde auch mit der substantiiert vorgetragenen Gefahr von Nachteilen im Herkunftsstaat unterhalb der Schwelle im Asylverfahren zu prüfender Nachteile (hier: erneute Bestrafung in seinem Herkunftsland) ermessensgerecht auseinandersetzt. Dies hat das BVerwG entschieden.

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Wir wünschen allen Lesern und Menschen ein besinnliches Weihnachtsfest und schöne Feiertage!

Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock
Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker