Tacheles Rechtsprechungsticker KW 06/2022

1. Entscheidungen des Bundessozialgerichts zur Sozialhilfe nach dem (SGB XII)

1.1 – BSG vom 02.09.2021- B 8 SO 13/19 R – Anmerkung dazu vom RA Kay Füßlein

Im revisionsrechtlichen Streit stand die Frage, wie hoch die Miete für Empfänger von Leistungen nach dem SGB XII – Grundsicherung im Alter- sein dürfen.

Um es verkürzt darzustellen: die Behörden (vorliegend das Land Berlin) muss ermitteln, wie hoch SGB XII-Empfänger wohnen dürfen; in Berlin erfolgt dies anhand des jeweils gültigen Mietspiegels. Nach der aktuellen Rechtsprechung des BSG ist diese Ermittlung aber defizitär (BSG Urteile vom 03.09.2020)

Das LSG Berlin-Brandenburg war nun davon (verkürzt gesprochen) ausgegangen, dass bei einem Ausfall der Erkenntnismöglichkeiten praktische jede Miete bei SGB XII-Empfängern zu übernehmen wäre.

Dies geht jedoch wohl zu weit: das Bundessozialgericht hat vielmehr darauf hingewiesen, dass dennoch dann das Gericht ermitteln muss, welche Mieten abstrakt angemessen sind aber auch betont, dass es auf eine Gesamtwürdigung aller Umstände ankommt, ob eine Miete angemessen ist oder nicht.

Bei den Heizkosten schließt sich – wenig überraschend- der 8. Senat der Rechtsprechung der Rechtsprechung der für das SGB II zuständigen Senate an:

Schließlich sind ggf auch die Heizkosten in tatsächlicher Höhe anzuerkennen, wenn es an einer ausreichenden Kostensenkungsaufforderung im Anschluss an den vorangegangenen Abrechnungszeitraumfehlt (zuletzt dazu BSG vom 19.5.2021- B 14 AS 57/19R). Auch wenn der Wortlaut von § 35 Abs 4 SGB XII insoweit von § 22 Abs 1 SGB II abweicht, gilt das Erfordernis einer Kostensenkungsaufforderung nach Sinn und Zweck des Kostensenkungsverfahrens auch für die Heizkosten entsprechend.

Quelle: RA Kay Füßlein

Leitsatz Dr. Manfred Hammel
Die in Bezug auf Bedarfe für Unterkunft und Heizung (§§ 41 ff., 42 Nr. 4a und 35 SGB XII) entsprechend § 35a SGB XII bei älteren, hilfebedürftigen Menschen zu berücksichtigenden Besonderheiten sind nicht der abstrakten, sondern der konkreten Angemessenheit von Bedarfen zuzuordnen.

Auch im Leistungsfall älterer Menschen ist eine Berücksichtigung des jeweiligen Einzelfalls unerlässlich, gerade wenn um eine Finanzierung des weiteren Verbleibs in der bisherigen Wohnung bzw. des Verbleibs im konkreten Wohnumfeld nachgesucht wird.

In diesem Zusammenhang bedarf es einer sachgerechten Würdigung aller konkreten Umstände des Einzelfalls. Von Bedeutung sind hier die Schwerbehinderung (Grad der Behinderung: 70 und Zuerkennung des Merkzeichens „G“) des Haushaltsvorstands, die bestehende Bindung an das bisherige Wohnumfeld, die Notwendigkeit einer besonderen Größe oder eines Zuschnitts der Wohnung, eine bestimmte, einzig vor Ort gewährleistete Betreuungsstruktur (z. B. im Hinblick auf eine Pflegebedürftigkeit gemäß den §§ 61 und 61a SGB XII) oder eine drohende Vereinsamung bei fortschreitendem Lebensalter.

Diese Punkte können zu erheblich eingeschränkten Obliegenheiten zur Kostensenkung (§ 35 II 2 SGB XII) führen.

Erst wenn feststeht, dass ein Anspruch auf Übernahme der geltend gemachten, unterkunftsbezogenen Kosten entweder überhaupt nicht oder nicht vollumfänglich besteht, hat der Aspekt, ob amtlicherseits in zutreffender Weise eine Aufforderung nach § 35 Abs. 2 Satz 2 SGB XII erging, maßgebende Bedeutung.

Bedarfe für Heizung und die zentrale Warmwasserversorgung sind bei Angemessenheit in tatsächlicher Höhe anzuerkennen (§ 35 Abs. 4 Satz 1 SGB XII). Ein Sozialamt darf hier aus einem kommunalen oder bundesweiten Heizspiegel in Verbindung mit den als angemessen aufzufassenden Wohnungsgrößen bestimmte Grenzwerte zur Konkretisierung der Angemessenheit von Heizkosten bilden (§ 35 Abs. 4 Satz 2 SGB XII). Dieser Wert darf aber nicht pauschal aufgrund des Lebensalters hilfebedürftiger Personen stets um 20 v. H. erhöht werden. Für eine derartige Pauschalierung von Heizkosten einzig wegen des Alters fehlt es an konkreten, mit den in § 35a SGB XII getätigten Festsetzungen in Übereinstimmung stehenden Anhaltspunkten.

Bei der Prüfung, ob durch das Alter von leistungsberechtigten Personen unvermeidbar hohe Heizkosten entstehen, die einen entsprechenden Grenzwert überschreiten, ist stets auf die den jeweiligen Einzelfall prägenden Besonderheiten abzustellen.

Eine sich auf die Höhe der Heizkosten beziehende Kostensenkungsaufforderung des Sozialamts darf als unzumutbar aufgefasst werden, wenn selbst bei einem angemessenen Heizverhalten eine Reduzierung der Heizkosten wegen der Größe der Wohnung und / oder deren energetischem Standard unmöglich ist, und ein Wohnungswechsel als ein Mittel zur Kostensenkung ausscheidet.

2. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

2.1 – LSG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 04.05.2021 – L 4 AS 194/16

Arbeitslosengeld II – Mehrbedarf – unabweisbarer laufender besonderer Bedarf – Fahrtkosten eines chronisch Kranken zu ärztlichen und therapeutischen Behandlungen – Unabweisbarkeit – erhebliche Abweichung vom durchschnittlichen Bedarf – Bedarfsdeckung durch Leistungen der GKV

Leitsatz
Regelmäßig anfallende Fahrtkosten zu ärztlichen und therapeutischen Behandlungen eines chronisch erkrankten SGB II-Leistungsberechtigten stellen einen Mehrbedarf iS von § 21 Abs. 6 SGB II dar, wenn sie den Regelbedarfsanteil für Gesundheitspflege übersteigen und nicht durch Leistungen der GKV gedeckt sind. (Rn.40)

Quelle: www.landesrecht.sachsen-anhalt.de

Rechtstipp:
(vgl. dazu LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 18. März 2020, Az. L 3 AS 3212/19; Sächs. LSG, Urteil vom 5. November 2020, Az. L 7 AS 83/17; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 15. Februar 2016, Az. L 7 AS 1681/15 B und jüngst BSG, Urteil v. 26.01.2022 – B 4 AS 81/20 R).

2.2 – LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss v. 29.12.2021 – L 2 AS 490/21 B ER

Angelegenheiten nach dem SGB II (AS) und dem Asylbewerberleistungsgesetz (AY) – Leistungsberechtigung eines vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländers

Leitsatz
1. Ist der Lebensgefährte einer Unionsbürgerin und Vater des gemeinsamen noch nicht schulpflichtigen Kindes selbst kein Unionsbürger und hat einen Aufenthaltstitel aus familiären Gründen beantragt, sodass die Abschiebung gem. § 81 Abs 3 Satz 2 AufenthG ausgesetzt ist, kann er nach dem AsylbLG leistungsberechtigt sein. Es greift insoweit die Auffangvorschrift für vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer gem. § 1 Abs 1 Nr 5 AsylbLG, wenn kein Leistungsausschluss nach § 1 Abs 4 AsylbLG besteht.

2. Das Unionsrecht verleiht dem Ausländer in diesem Fall keine eigene Rechtsposition, die ein Aufenthaltsrecht begründet. Er ist nicht freizügigkeitsberechtigt nach dem FreizügG/EU. Ein Freizügigkeitsrecht ergibt sich nicht aus §§ 2 Abs 2 Nr 6, 3 Abs 1 Satz 1 FreizügG/EU, weil er kein Familienangehöriger der Unionsbürgerin ist. Es folgt auch nicht aus § 3a FreizügG/EU, wenn sein Lebensunterhalt nicht gesichert ist. Ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht sui generis scheidet aus, wenn nicht zu befürchten ist, dass die Unionsbürgerin mit dem Kind aufgrund der Abhängigkeit von ihm faktisch gezwungen ist, das Unionsgebiet insgesamt zu verlassen. Allein die faktische Notwendigkeit für die Unionsbürgerin, in einen anderen Mitgliedstaat zurückzukehren, weil nur dort alle Familienmitglieder einen gesicherten Aufenthaltsstatus haben, stellt keine mit dem faktischen Zwang zum Verlassen des Unionsgebietes vergleichbare Einschränkung ihres Unionsbürgerrechts dar.

Quelle: www.landesrecht.sachsen-anhalt.de

2.3 – LSG Hamburg, Urt. v. 05.08.2021 – L 4 AS 25/20

Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ; Anforderungen an einen Mehrbedarf für die Kontaktpflege einer Mutter mit der unter gesundheitlichen Einschränkungen leidenden, erwachsenen Tochter

Jobcenter muss Fahrtkosten als Mehrbedarf für Besuche zur erkrankten Tochter im betreuten Wohnen bezahlen (Redakteur v. Tacheles e. V.)

Leitsatz Redakteur von Tacheles e. V.

1. Die Aufwendungen zur Kontaktpflege mit erwachsener Tochter sind als Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II zu übernehmen.

2. Das Jobcenter muss die Fahrtkosten der Mutter nach § 21 Abs. 6 SGB II übernehmen für die Besuche ihrer kranken Tochter in einer Einrichtung für betreutes Wohnen.

3. Insbesondere, wenn eine Kommunikation über Brief, Telefon oder Internetdienste nicht möglich oder ausreichend erscheint, kann sich ein existenzsicherungsrechtlich beachtlicher Besuchsanlass ergeben (vgl. BSG, Urteil vom 28.11.2018 – B 14 AS 48/17 R). Ebenfalls in die Auslegung eingestellt werden muss der besondere Schutz von Familien- und Verwandtschaftsverhältnissen nach Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland (GG).

3. Dem steht nicht entgegen, dass Aufwendungen zur Kontaktpflege unter Angehörigen grundsätzlich aus dem Regelbedarf zu bestreiten sind und in den regelbedarfsrelevanten Verbrauchsgruppen Aufwendungen für Verwandtenbesuche eingeschlossen sind (vgl. BSG, Urteil vom 28.11.2018 – B 14 AS 48/17 R)

4. Die Aufwendungen zur Kontaktpflege waren auch erheblich hier – monatliche Ausgaben zwischen 21,75 Euro und 40,50 Euro nachweisen (Der Senat hat zudem keine Zweifel, dass bei einem regelmäßigen monatlichen Aufwand von – mindestens – 20 Euro ein erhebliches Abweichen von dem durchschnittlichen Bedarf besteht (vgl. BSG, Urteil vom 19.08.2010 − B 14 AS 13/10 R zu einem Anspruch auf Übernahme monatlicher Aufwendungen für Hygienekosten in Höhe von 20,45 Euro nach § 73 SGB XII).

Quelle: openjur.de

Rechtstipp:
BSG, Urt. v. 26.01.2022 – B 4 AS 3/21 R – Ein Härtefallmehrbedarf kann auch zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen entstehen (vgl. Terminbericht Nr. 2/22 zu Angelegenheiten der Grundsicherung für Arbeitsuchende)

2.4 – LSG Hessen, Urt. v. 01.12.2021 –

Orientierungshilfe Redakteur von Tacheles e. V.
1. Die überstürzte Anmietung einer unangemessen teuren Wohnung in einer Drucksituation führt nicht zu einer fortdauernden Leistungspflicht des kommunalen Trägers.

2. Etwas anderes könnte sich allenfalls unter dem Gesichtspunkt der konkreten Angemessenheit ergeben, wenn aufgrund der gesundheitlichen Verfassung des Leistungsberechtigten für ihn der grundsicherungsrechtlich unangemessen große oder zu teure Wohnraum im konkreten Fall erforderlich oder ein Umzug unzumutbar wäre.

Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de

2.5 – LSG NSB, Urt. v. 08.12.2021 – L 13 AS 264/19

Grundsicherung für Arbeitsuchende – Leistungen für Unterkunft und Heizung – Angemessenheit der Kosten – schlüssiges Konzept – ausreichende Aktualität des zugrundeliegenden Datenmaterials

Bei dem „Schlüssigen Konzept zur Ermittlung der angemessenen Kosten der Unterkunft Delmenhorst 2015“ handelt es sich um ein schlüssiges Konzept i. S. der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts.

Quelle: www.rechtsprechung.niedersachsen.de

2.6 – LSG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 01.12.2021 – L 32 AS 579/16 – Revision zugelassen

Angemessenheit der Unterkunftskosten – Angemessenheit der Warmwasserkosten – Sozialer Wohnungsbau – Sozialrechtsoptimierungsgebot – Referenzgruppe

Leitsatz
Bei der Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Angemessenheit sind wegen dessen normativer Vorprägung die gesetzgeberischen Entscheidungen zur Sicherung angemessenen Wohnraums für Hilfebedürftige zu beachten, um sicher-zustellen, dass der Vergleich mit der Referenzgruppe gelingt. Dazu gehört in angespannten Wohnungsmärkten der Vergleich mit den Mieten im sozialen Wohnungsbau.

Auch wenn sich das Gericht nicht in der Lage sieht, eine Angemessenheitsgrenze zu bestimmen, ist bei einem Vergleich mit Sozialmieten die Feststellung zulässig, dass die konkrete Bruttokaltmiete im Einzelfall angemessen war.

Das Sozialrechtsoptimierungsgebot des § 2 Abs. 2 SGB I schließt in seiner verfahrensrechtlichen Wirkung bei der Anwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Angemessenheit die Verortung der Darlegungs- und Beweislast auf Seiten des Leistungsberechtigten aus.

Quelle: gesetze.berlin.de

Rechtstipp Redakteur von Tacheles e. V.:
vgl. dazu SG Berlin, Urteil vom 06.07.2021, S 179 AS 1083/19; SG Berlin, Urteil vom 19.07.2021, S 155 AS 14941/16 und Senatsurteil vom 31.01.2018, L 32 AS 1223/15: www.ra-fuesslein.de

3. Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

3.1 – Sozialgericht Oldenburg, Beschluss vom 26. August 2021 (S 34 AS 140/21 ER):

Leitsatz Dr. Manfred Hammel
Im Rahmen zur Pflicht zur Mitwirkung im Verwaltungsverfahren (§§ 60 ff. SGB I) darf ein Sozialleistungsträger von Antragstellerinnen und Antragstellern – gerade wenn die Einkommensverhältnisse behördlicherseits als unklar aufzufassen sind – die Vorlage von Kontoauszügen verlangen, um die geltend gemachte Hilfebedürftigkeit (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 in Verbindung mit § 9 Abs. 1 SGB II) zu überprüfen.

Die Durchführung von Schwärzungen ist zum Schutz der Sozialdaten gemäß § 67a Abs. 1 Satz 1 SGB X nur zulässig, sofern die Kenntnis entsprechender Informationen für die Bewilligung von Leistungen ohne Bedeutung ist. Dies hat aber für die Einnahmenseite (§§ 11 ff. SGB II) keine Gültigkeit.

4. Entscheidungen der Landessozialgerichte und Sozialgerichte zum Arbeitsförderungsrecht (SGB III)

4.1 – SG Landshut, Urt. v. – S 16 AL 66/21

Trotz Lockdown – ohne Anzeige des tatsächlichen Arbeitsausfalls kein Kurzarbeitergeld

Leitsatz Redakteur von Tacheles e. V.
Kurzarbeitergeld bekommt nur, wer seinen Arbeitsausfall rechtzeitig bei der Agentur meldet. Das gilt auch dann, wenn ein staatlicher Lockdown angeordnet wurde.

Quelle: www.gesetze-bayern.de

4.2 – LSG NRW, Urt. v. 29.11.2021 – L 20 AL 69/21- Revision zugelassen

Arbeitslosengeld bei privater Pflegetätigkeit

Pflegetätigkeiten im Sinne von § 26 Absatz 2b Satz 1 SGB III ab 2017 sind nur solche, die unmittelbar an eine Versicherungspflicht in der Arbeitslosenversicherung beziehungsweise an einen Bezug von SGB III-Leistungen anschließen.

Quelle: www.juris.de

Hinweis Redakteur von Tacheles e. V.:
ebenso LSG NRW, Urt. v. 29.11.2021 – L 20 AL 178/20 – Revision zugelassen

Leitsatz www.justiz.nrw.de

Pflegetätigkeiten i.S.v. § 26 Abs. 2b Satz 1 SGB III i.d.F. ab 01.01.2017 sind nur solche, die seit dem 01.01.2017 unmittelbar an eine vorbestehende Versicherungspflicht in der Arbeitslosenversicherung bzw. an einen Bezug von Entgeltersatzleistungen nach dem SGB III anschließen (a.A. LSG Hamburg, Urteil vom 11.08.2021 – L 2 AL 2/21 Rn. 39).

4.3 – SG Nordhausen, Urt. v. 20.04.2021 – S 18 AL 266/20

Arbeitslosenversicherung: Anspruch auf Arbeitslosengeld bei nicht nur vorübergehender Erwerbsminderung und Teilnahme an einer Maßnahme zur medizinischen Rehabilitation

Orientierungssatz
Bezieht ein Arbeitsloser nur deshalb Arbeitslosengeld, da er zwar aus gesundheitlichen Gründen nicht mindestens 15 Stunden wöchentlich erwerbstätig sein kann, eine verminderte Erwerbsfähigkeit im Sinne der gesetzlichen Rentenversicherung jedoch noch nicht festgestellt worden ist (sog. Nahtlosigkeitsregelung), so entfällt der Arbeitslosengeldanspruch auch nicht dann, wenn sich der Betroffene in einer Maßnahme zur medizinischen Rehabilitation befindet. Denn auf die durch die Teilnahme an der Maßnahme fehlende Verfügbarkeit des Betroffenen für den Arbeitsmarkt kommt es für das Bestehen des Arbeitslosengeldanspruchs nicht an. (Rn.15)

Quelle: landesrecht.thueringen.de

Hinweis:
Sozialgericht Nordhausen, Urteil vom 20.4.2021 – S 18 AL 266/20

Anspruch auf Arbeitslosengeld während der Teilnahme an einer stationären Rehabilitationsmaßnahme

§ 145 Abs. 1 SGB III

mit Anmerkung von Udo Geiger, abgedruckt Heft 01 2022 info also

5. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Sozialhilfe (SGB XII)

5.1 – LSG NRW, Urt. v. 31.01.2022 – L 20 SO 174/21

SGB XII: Kein Anspruch auf Toilettengeld

Weder der Mangel an öffentlichen Toiletten in Essen noch ein selbstbestimmter, täglich längerer Aufenthalt außerhalb der eigenen Wohnung begründen einen zusätzlichen Grundsicherungsanspruch.

weiter: www.juris.de

5.2 – Ausschreibung von Schulbegleitungen gestoppt

Der Stadt Düsseldorf als Träger der Eingliederungshilfe ist es vorläufig verboten, Schulbegleitungen für Kinder mit Behinderung in einem Ausschreibungsverfahren einzelnen Trägern zuzuweisen.

LSG NRW, Beschluss v. 26.01.2022 – L 9 SO 12/22 B ER

weiter: www.juris.de

6. Entscheidungen zum Asylrecht und AsylbLG

6.1 – SG Marburg, Beschluss v. 01.02.2022 – S 9 AY 4/21 ER

Normen: § 1a Abs. 7 AsylbLG, § 193 SGG – Schlagworte: AsylbLG, Verfassungswidrigkeit, Leistungskürzung, Anordnungsgrund, Sozialgericht Marburg

Leitsatz Redakteur von Tacheles e. V.
Die Norm des § 1 a Absatz 7 AsylbLG begegnet erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken.

Quelle: RA Sven Adam

6.2 – SG Neuruppin 20.1.22 – S 27 AY 2/22 ER

Erfolg gegen § 1a AsylbLG- RA Volker Gerloff

Sanktion ist nach Ermessen zu befristen = Ermessen muss im Bescheid erkennbar werden; ohne das ist Sanktion wg Ermessensnichtgebrauch rechtswidrig

Quelle: RA Volker Gerloff

6.3 – SG Heilbronn, Urteil vom 14.4.2021 – S 2 AY 3764/19

Anspruch auf ambulante Psychotherapie zur Behandlung einer PTBS

§ 6 Abs. 1 Satz 1 und § 4 AsylbLG; § 131 Abs. 1 SGG

Quelle: Heft 01 info also 2022

7. Verschiedenes zu Hartz IV, zur Sozialhilfe, zum Asylrecht, Wohngeldrecht und anderen Gesetzesbüchern

7.1 – Anmerkung zu: LSG Hamburg 4. Senat, Urteil vom 22.06.2021 – L 4 AS 215/20

Autor: Tammo Lange, RiSG
Grundsicherung für Arbeitsuchende: Berücksichtigung erst im Klageverfahren gegen eine Nullfestsetzung vorgelegter Einkommensnachweise

Orientierungssätze
1. Im Widerspruchsverfahren vorgelegte Unterlagen zum Nachweis leistungserheblicher Tatsachen sind bei abschließenden Entscheidungen nach § 41a Abs. 3 SGB II zu berücksichtigen (vgl. BSG v. 12.09.2018 – B 14 AS 4/18 R und B 4 AS 39/17 R – BSGE 126, 294 = SozR 4-4200 § 41a Nr. 1). Offen gelassen hat das BSG, ob nach der abschließenden Entscheidung vorgelegte Nachweise noch zu berücksichtigen sind.

2. § 41a Abs. 3 Satz 4 SGB II hat nach Auffassung des Senats keine materielle Präklusionswirkung. Erst im Klageverfahren vorgelegte Kontoauszüge und Belege über Betriebseinnahmen und -ausgaben sind daher nicht unbeachtlich und noch zu berücksichtigen.

weiter: www.juris.de

Rechtstipp Redakteur von Tacheles e. V.:
Ebenso LSG NRW, Urt. v. 18.02.2021 – L 7 AS 1525/19 – anhängig beim BSG unter dem Az.: B 4 AS 34/21 R und LSG Hamburg, Urt. v. 05.08.2021 – L 4 AS 189/20 – Revision anhängig BSG B 4 AS 64/21 R

7.2 – Arme Zweibrücker erhalten weniger Geld fürs Wohnen

Zweibrücken Welche Wohnungsmieten sind „angemessen“, damit die Stadt für Bedürftige („Leistungsempfangende nach dem Sozialgesetzbuch II und SGB XII“) die Kosten übernimmt? Um diese Frage zu klären, ließ die Stadtverwaltung 2021 die Miethöhen in Zweibrücken untersuchen.

Man komme damit der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nach. Seit Januar nun werden die „Angemessenheits-Richtwerte“ nicht mehr nach der Wohngeldtabelle bestimmt, sondern nach den neuen Richtwerten.

Die mittels dieses neuen „schlüssigen Konzepts“ ermittelten Grenzen haben für viele Zweibrücker aber unangenehme Folgen:

Die „Angemessenheitsgrenze“, bis zu der Jobcenter oder Sozialamt die Brutto-Kaltmiete übernehmen, sinkt nämlich. Je nach Zahl der Haushaltsmitglieder gibt es monatlich 9,20 bis 98,30 Euro weniger Geld (sofern keine nachvollziehbaren Gründe das Überschreiten rechtfertigen). Die neuen Angemessenheitsgrenzen für die Miete (die Wohnungsgrößen dienen lediglich der Orientierung – ist eine Wohnung günstiger, darf sie also auch größer sein) liegen bei (in Klammern die bisherigen Zahlen):

Ein-Personen-Haushalt 50 Quadratmeter 361 Euro (371,80), Zwei-Personen-Haushalt 60 qm 440,70 Euro (449,90), Drei-Personen-Haushalt 80 qm 478,40 Euro (535,70), Vier-Personen-Haushalt 90 qm 526,50 Euro (624,80) und Fünf-Personen-Haushalt 105 Quadratmeter 646,80 Euro (713,90).

weiter: www.saarbruecker-zeitung.de

7.3 – EU-Ausländer: Anspruch auf ALG II trotz Verlustfeststellung – ein Beitrag von RA Helge Hildebrandt

Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Beschluss vom 30.08.2021, L 6 AS 10003/21 B

weiter: sozialberatung-kiel.de

7.4 – Mietkosten Anpassung der Angemessenheitsgrenzen für Mietkosten in Hamburg ab 2022

Für Personen, die existenzsichernde Leistungen vom Staat beziehen, werden auch Mietkosten übernommen. Die Obergrenzen für diese Leistungen wurden erhöht.

Anpassung der Angemessenheitsgrenzen für Mietkosten: Für Personen, die existenzsichernde Leistungen vom Staat beziehen, werden auch Mietkosten übernommen. Die Obergrenzen für diese Leistungen wurden erhöht.

Die Angemessenheitsgrenze bestimmt, bis zu welchem Betrag die Mietkosten übernommen werden können und gilt für die Kosten einer bestehenden Wohnung ebenso wie bei Neuanmietungen durch Leistungsempfängerinnen und Leistungsempfänger.

Die Werte, https://t1p.de/tlab gelten für das SGB II und SGB XII. Zuschläge beispielsweise wegen Behinderung oder Umgangswahrnehmung sind möglich. 

Die Neufestsetzung erfolgte auf der Grundlage der Daten des Mietspiegels 2021. Berücksichtigt wurden Mieten für Wohnungen mit Bad und Zentralheizung in normalen Wohnlagen.

weiter: www.hamburg.de und www.hamburg.de

Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock
Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker