Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen – Beschluss vom 05.04.2022 – Az.: L8 AY 32/21 NZB

BESCHLUSS

L 8 AY 32/21 NZB
S 42 AY 34/21 Sozialgericht Hildesheim

In dem Rechtsstreit

1. xxx,
2. xxx,
3. xxx,
4. xxx,
5. xxx,
6. xxx,
7. xxx,

– Kläger und Beschwerdeführer –

Prozessbevollmächtigter:
zu 1-7: Rechtsanwalt Sven Adam,
Lange Geismarstraße 55, 37073 Göttingen

gegen

Landkreis Hildesheim 908 Rechtsamt,
vertreten durch den Landrat,
Bischof-Janssen-Straße 31, 31134 Hildesheim

– Beklagter und Beschwerdegegner –

hat der 8. Senat des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen am 5. April 2022 in Celle durch die Richter xxx und xxx sowie die Richterin xxx beschlossen:

Auf die Beschwerde der Kläger wird die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Hildesheim vom 18. Juni 2021 zugelassen.

Den Klägern wird für das zweitinstanzliche Verfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt Adam, Göttingen, bewilligt. Ratenzahlung wird nicht angeordnet.

GRÜNDE:

Die form- und fristgerecht (§ 145 Abs. 1 Satz 2 SGG) eingelegte Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts (SG) Hildesheim vom 18.6.2021 ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere statthaft, weil der Wert des Beschwerdegegenstandes nicht mehr als 750,00 € beträgt (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG) und der Rechtsstreit auch nicht wiederkehrenden oder laufenden Leistungen für mehr als ein Jahr (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG) betrifft. Im Streit ist unter Berücksichtigung des der Klage für den Zeitraum vom 30.1. bis 29.2.2021 (unangefochten) stattgebenden Urteils des SG noch die Gewährung höherer Geldleistungen nach §§ 3, 3a AsylbLG auf dem Niveau der Leistungen nach § 2 AsylbLG für den Zeitraum vom 1.12.2019 bis zum 29.1.2020, mithin ausgehend von zwei vollen Monaten insgesamt 717,00 € (Dezember 2019: 2.257,00 € abzgl. bewilligter 1.920,00 €; Januar 2020: 2.300,00 € abzgl. bewilligter 1.920,00 €).

Die Beschwerde ist begründet, weil die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen ist (§ 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG). Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache, wenn die zu treffende Entscheidung sich über den Einzelfall hinaus auswirkt (Breitenwirkung) und von der Antwort auf eine klärungsbedürftige Rechtsfrage abhängt. Breitenwirkung besitzt die Frage, wenn sie über den Einzelfall hinaus allgemeine Bedeutung in unbestimmt vielen Fällen oder wenigstens einer Mehrzahl weiterer Fälle hat, d.h. wenn sie im Interesse der Allgemeinheit das Recht fortentwickelt oder vereinheitlicht. Die Zulassung scheidet dann aus, wenn die Klage zwar eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung aufwirft, der Rechtsstreit aber bereits aus anderen Gründen zu entscheiden ist und es daher auf die aufgeworfene Rechtsfrage nicht ankommt. In diesem Fall ist die Frage nicht entscheidungserheblich bzw. nicht klärungsfähig und daher – jedenfalls aus diesem Grund – nicht zuzulassen. Die grundsätzliche Bedeutung dient der Herstellung der Rechtseinheit und der Rechtsfortbildung (vgl. Wehrhahn in jurisPK-SGG, 1. Aufl. 2017, § 144 SGG, Stand: 05.11.2021, Rn. 31 m.w.N.). Davon ausgehend hat die von den Klägern mit ihrer Beschwerde aufgeworfene Rechtsfrage, ob die in §§ 3, 3a AsylbLG (in ihren ab 1.9.2019 geltenden Fassungen) bestimmten Geldleistungen verfassungsgemäß sind, deshalb grundsätzliche Bedeutung, weil der Senat mit Beschluss vom 26.1.2021 – L 8 AY 21/19 – dem BVerfG die Frage zur Entscheidung vorgelegt hat, ob die im Wesentlichen inhaltsgleichen Vorgängervorschriften § 3 Abs. 2 Satz 1 und 2 AsylbLG und § 3 Abs. 2 Satz 5 i.V.m. Abs. 1 Satz 5 und 8 AsylbLG in der 2018 geltenden Fassung der Bekanntmachungen vom 20. Oktober 2015 (BGBl. I 1722) und 11. März 2016 (BGBl. I 390) sowie des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 26. Oktober 2015 (BGBl. I 1793) mit dem Grundgesetz vereinbar sind. Das Verfahren ist bei dem BVerfG unter dem Az. 1 BvL 5/21 anhängig.

Mit der Zulassung der Berufung wird das Beschwerdeverfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht (145 Abs. 5 SGG).

Die Kostenentscheidung bleibt dem Berufungsverfahren vorbehalten (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 145 Rn. 10).

Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe gemäß § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 114 ZPO für das zweitinstanzliche Verfahren liegen vor. Die Rechtsverfolgung der Kläger hat aus den vorstehend ausgeführten Gründen die erforderliche hinreichende Aussicht auf Erfolg. Die Kläger erfüllen auch die wirtschaftlichen Voraussetzungen. Die Beiordnung des Rechtsanwalts beruht auf § 121 Abs. 2 ZPO.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.