URTEIL
In der Verwaltungsrechtssache
xxx,
– Klägerin –
Prozessbevollmächtigter:
Rechtsanwalt Sven Adam,
Lange Geismarstraße 55, 37073 Göttingen
gegen
Landeskriminalamt Niedersachsen,
Am Waterlooplatz 11, 30169 Hannover
– Beklagter –
wegen
Datenschutzrecht;
Antrag auf Löschung von Daten aus Datenbanksystem INPOL-neu
hat das Verwaltungsgericht Stade – 10. Kammer – ohne mündliche Verhandlung am 28.04.2022 durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgericht xxx, die Richterin am Verwaltungsgericht xxx, die Präsidentin des Verwaltungsgerichts xxx sowie die ehrenamtlichen Richter xxx und xxx für Recht erkannt:
Es wird festgestellt, dass das Verfahren erledigt ist, soweit die Klägerin ursprünglich die Löschung von durch den Beklagten in das bundesweite polizeiliche Informationssystem INPOL eingestellte Daten beantragt hat.
Im Übrigen wird festgestellt, dass die Speicherung des Beklagten von Daten der Klägerin in einer staatsschutzspezifischen Datei des bundesweiten polizeilichen Informationssystems INPOL („INPOL-Fall Innere Sicherheit“) im Zusammenhang mit einer „Üblen Nachrede und Verleumdung gegen Personen des politischen Lebens am 22.04.2018 in xxx“ rechtswidrig gewesen ist.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
TATBESTAND
Die Klägerin begehrt nunmehr die Feststellung, dass die Speicherung des Beklagten über die Klägerin in Zusammenhang mit einer „Üblen Nachrede und Verleumdung gegen Personen des politischen Lebens am 22.04.2018 in xxx“ rechtswidrig gewesen ist.
Über die polizeiliche Online-Wache zeigte am 22.04.2018 ein Ratsherr eine üble Nachrede in Verbindung mit beleidigenden Inhalten sowie falschen Angaben durch einen Artikel der Klägerin an. Die Klägerin habe einen Beitrag der Berliner „Vorwärts“-Verlagsgesellschaft mbH über eine mutmaßliche Terrorgruppe „Nordadler“ veröffentlicht, welche im Verdacht stehe, Anschläge auf politische Gegner in Erwägung gezogen zu haben. Sie habe öffentlich erklärt, dass der Anzeigeerstatter als Ratsherr davon Kenntnis gehabt habe: „Vom AfD-Ratsherr aus Papenburg über die Vorsitzende des Rings Nationaler Frauen, dem Hamburger NPD-Vorsitzenden aus dem Eichsfeld, den Patrioten für Niedersachsen, dem nds. NPD-Chef bis zum bekannten Neonazi Meinolf S. kannten offenbar viele die Gruppe um Wladislav S. und Patrick S., etwa 1600 User sollen sie “geliked” haben.”
Der Anzeigenerstatter wurde aufgefordert, einen formwirksamen Strafantrag zu stellen. Auch auf telefonische Nachfrage erfolgte dies nicht.
Die Staatsanwaltschaft Verden (Aller) stellte daraufhin das Verfahren gem. § 170 Abs. 2 StPO (Verfahrenshindernis fehlender Strafantrag) ein. Zudem verfügte die Staatsanwaltschaft „H7 (Darex)“ (Bl. 26 BA 002).
Die Klägerin stellte im Jahr 2018 ein Auskunftsersuchen nach § 51 Nds. Datenschutzgesetz an das Landeskriminalamt.
Der behördliche Datenschutzbeauftragte des LKA Niedersachsen beantwortete das Auskunftsersuchen mit Schreiben vom 09.11.2018. Durch das Landeskriminalamt Niedersachsen seien Speicherungen über die Klägerin in „einer staatsschutzspezifischen Datei des bundesweiten polizeilichen Informationssystems INPOL“ erfolgt. Diese Speicherung beinhalte u.a. den Namen, die Adresse, den Geburtsort und –datum der Klägerin.
Als Datum für die Prüfung, ob eine Löschung dieser Speicherung erfolgen könne, sei gem. § 77 BKAG der 22.04.2020 festgesetzt worden. Die Rechtsgrundlage für die Speicherungen ergebe sich aus § 32 Abs. 1 des Gesetzes über das Bundeskriminalamt und die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in kriminalpolizeilichen Angelegenheiten (Bundeskriminalamtgesetz — BKAG) vom 07.07.1997 (BGBl. I S. 1650), zuletzt geändert durch Gesetz vom 01.06.2017 (BGBl. 1 S. 1354 (Nr. 33)).
Zweckbestimmung dieser Speicherung sei die Verhütung und Aufklärung von Straftaten, die länderübergreifende, internationale oder erhebliche Bedeutung haben bzw. im Zusammenhang mit anderen Informationen der Zentralstelle haben können sowie der Darstellung der Lage.
Der Sachverhalt sei – einschließlich der personenbezogenen Daten der Klägerin – vom LKA dem Bundeskriminalamt (BKA) gem. § 41 des Niedersächsischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (Nds. SOG) vom 19.01.2005 (Nds. GVBI. S. 9), zuletzt geändert durch Gesetz vom 12.11.2015 (GVBI. S. 307), übermittelt worden.
Im Hinblick auf mögliche Speicherungen im Vorgangsverwaltungssystem NIVADIS habe der Beklagte das Auskunftsersuchen der Zentralen Polizeidirektion Niedersachsen zur Beantwortung übersandt.
Mit Schreiben vom 25.02.2019 beantragte die Klägerin bei dem Beklagten die Löschung der Eintragung.
Die Abteilung 4 (Staatsschutz) des Beklagten teilte in einer internen E-Mail mit, dass der Löschung des Eintrags nicht zugestimmt werde. Die Klägerin sei seit Jahren staatsschutzrechtlich bekannt und trete durch entsprechendes Verhalten regelmäßig in Erscheinung. Es müsse im Fall der Klägerin davon ausgegangen werden, dass auch zukünftig gleichgelagerte Vorfälle eintreten werden.
Der Beklagte (bzw. dessen [behördlicher] Beauftragte für den Datenschutz) lehnte den Antrag auf Löschung der Speicherungen [„in Abstimmung mit dem hiesigen Fachbereich“] mit Schreiben vom 18.03.2019 ab.
Die Klägerin sei seit Jahren staatsschutzrechtlich bekannt und trete durch entsprechendes Verhalten regelmäßig in Erscheinung. Der in Rede stehende Sachverhalt habe sich vor weniger als einem Jahr ereignet und auch anschließend sei die Klägerin erneut polizeilich in Erscheinung getreten. Im Fall der Klägerin müsse davon ausgegangen werden, dass auch zukünftig gleichgelagerte Vorfälle eintreten werden. Eine vorfristige Löschung der Eintragungen komme daher nicht in Betracht.
Die Klägerin hat am 23.04.2019 zunächst eine Klage auf Löschung der Daten erhoben. Zur Begründung der Klage macht sie geltend:
Die Begründung der Ablehnung sei überraschend. Zum einen sei der angeforderten Auskunft vom 25.02.2018 [gemeint 09.11.2018 oder 25.02.2019?] ein weiterer Eintrag in Bezug auf die Klägerin nicht zu entnehmen, so dass nicht nachvollzogen werden könne, durch welches „entsprechendes Verhalten [sie] regelmäßig in Erscheinung“ treten solle. Zudem sei das Ermittlungsverfahren ohne Resttatverdacht gem. § 170 Abs. 2 StPO von der Staatsanwaltschaft eingestellt worden.
Die Klägerin hat am 26.08.2020 Verzögerungsrüge erhoben.
Mit Schriftsatz vom 24.01.2022 hat der Beklagte mitgeteilt, dass der streitgegenständliche Eintrag gelöscht worden sei.
Die Klägerin hat daraufhin unter Verweis auf eine Wiederholungsgefahr die Klage mit Schriftsatz vom 24.01.2022 umgestellt.
Die Speicherung als vermeintliche Straftat nach § 188 StGB sei schon deshalb rechtswidrig, weil der Tatbestand des § 188 StGB ganz offensichtlich nicht erfüllt sein könne. Nach § 188 StGB mache sich strafbar, wer eine üble Nachrede zum Nachteil einer „im politischen Leben des Volkes“ stehenden Person tätigt. Kommunalpolitiker wie der vermeintlich geschädigte AfD-Ratsherr aus „Oldenburg“ [Papenburg] zählten nicht zum hiernach geschützten Personenkreis.
Die Speicherung sei aber auch rechtswidrig, wenn insofern eine Tat nach § 186 StGB zugrunde gelegt worden wäre. Nach § 186 StGB mache sich strafbar, wer eine nicht erweislich wahre ehrenrührige Tatsache über einen anderen behauptet. Dies habe die Klägerin nicht getan. Die Klägerin habe den Satz verfasst, in dem der Anzeigeerstatter in Zusammenhang mit einem Facebook-„Like“ gebracht werde, im Konjunktiv („kannten offenbar […] sollen sie gelikt haben“). Schon hierdurch werde deutlich, dass die Klägerin einen Verdacht in den Raum gestellt habe, diesen aber nicht als nach eigener Auffassung wahr, sondern nur als Möglichkeit dargestellt habe.
Diesen Absatz habe sie aufgrund verlässlicher Informationen verfasst, wonach eine Funktion der Facebook-Plattform, die die Benutzerkonten anzeigt, die auf einer Seite ein „Like“ hinterlassen haben, zum damaligen Zeitpunkt betreffend der Facebook-Seite von „Nordadler“ auch ein „Like“ des Facebook-Profils des Anzeigeerstatters angezeigt worden sei. Restzweifel, die die Klägerin gehabt habe, seien durch die Verwendung des Konjunktivs zum Ausdruck gekommen.
Zumindest wäre die Handlung als Wahrnehmung berechtigter Interessen nach § 193 StGB gerechtfertigt gewesen. Die Ausübung der Pressefreiheit zähle als berechtigtes Interesse in diesem Sinne. Die Pflichten der „pressemäßigen Sorgfalt“ habe die Klägerin eingehalten. Gegenteiliges sei im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren nicht belegt worden. Der Klägerin wäre es auch möglich, dies nachzuweisen, dies würde aber die Offenlegung ihrer Arbeitsweise und Strukturen der investigativen Beschaffung von Informationen erfordern, was von ihr nicht verlangt werden könne. Nähme man an, dass der Anzeigeerstatter das „Like“ tatsächlich nicht abgegeben hätte, so kämen nur extrem unwahrscheinliche Erklärungsmöglichkeiten in Betracht (bspw. Account gehackt).
Der Tatbestand der §§ 8 Abs. 1, 2 Abs. 1 BKAG a.F. sei nicht erfüllt, da die Voraussetzungen einer länderübergreifenden, internationalen oder erheblichen Bedeutung zu keinem Zeitpunkt vorgelegen hätten. Der Sachverhalt habe lediglich einen lokalen Bezug zu einem Kommunalpolitiker. Alleine aus der Publikation im Internet ergebe sich diese Voraussetzung nicht. Es komme nicht auf den bloßen Erfolgseintritt an, da dies bei Internetdelikten potentiell überall sein könne.
Zudem sei die vermeintliche Tat eine Bagatelle. Selbst der vermeintlich Geschädigte habe offenkundig kein Strafverfolgungsinteresse gehabt und trotz mehrfacher Nachfrage der Polizei keinen Strafantrag gestellt.
Die Klägerin als Journalistin habe ein wesentlich höheres Risiko, Ziel haltloser oder querulatorisch motivierter Strafanzeigen zu werden. Eine weite Auslegung der Norm würde dazu führen, dass polizeiliche Datenbanken als Speichermedium zur Überwachung von Journalistinnen und Journalisten missbraucht werden könnten.
Die Klägerin beantragt zuletzt schriftsätzlich,
festzustellen, dass die Speicherung des Beklagten über die Klägerin in Zusammenhang mit einer „Üblen Nachrede und Verleumdung gegen Personen des politischen Lebens am 22.04.2018 in xxx“ rechtswidrig gewesen ist.
Der Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Klage abzuweisen.
Er tritt dem klägerischen Vorbringen entgegen:
Der die Löschung von Daten ablehnende Bescheid vom 18.03.2019 sei rechtmäßig. Es habe kein Anspruch auf Löschung bestanden, da die Speicherung rechtmäßig erfolgt sei.
Zwar bleibe die datenschutzrechtliche Verantwortung für die bei der Zentralstelle gespeicherten Daten, nämlich für die Rechtmäßigkeit der Erhebung, die Zulässigkeit der Eingabe sowie die Richtigkeit und Aktualität der Daten, gemäß § 31 Abs. 2 Satz 1 BKAG bei der Stelle, die die Daten eingegeben hat. Geführt bzw. zur Verfügung gestellt werde die Verbunddatei jedoch vom Bundeskriminalamt als Zentralstelle gemäß § 2 Abs. 3 BKAG. Da sich die Rechtsgrundlage für die Errichtung und Führung der Verbunddatei im BKAG befindet, sei für die Geltendmachung eines Löschungsanspruchs die Verbunddatei betreffend auf die entsprechenden Normen des BKAG zurückzugreifen.
Als Rechtsgrundlage für einen Löschungsanspruch komme somit § 77 Abs. 1 u. 6 BKAG i.V.m. § 75 Abs. 2 BDSG in Betracht. Nach § 77 Abs. 6 Satz 1 BKAG oblägen bei im polizeilichen Informationsverbund gespeicherten personenbezogenen Daten die in den Absätzen 1 und 3 und in § 75 BDSG genannten Verpflichtungen der Stelle, die die datenschutzrechtliche Verantwortung nach § 31 Abs. 2 BKAG trage. Nach § 75 Abs. 2 BDSG hat der Verantwortliche die in Dateien gespeicherten personenbezogenen Daten zu löschen, wenn ihre Verarbeitung unzulässig ist, sie zur Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung gelöscht werden müssen oder ihre Kenntnis für die Aufgabenerfüllung nicht mehr erforderlich ist. Diese Voraussetzungen seien hinsichtlich der streitgegenständlichen Daten nicht erfüllt.
Gem. § 18 Abs. 1 BKAG (bzw. § 8 BKAG a.F.) könne das BKA zur Erfüllung seiner Aufgaben nach § 2 Absatz 1 bis 3 BKAG personenbezogene Daten weiterverarbeiten von (Nr. 1.) Verurteilten, (Nr. 2.) Beschuldigten, (Nr. 3.) Personen, die einer Straftat verdächtig sind, sofern die Weiterverarbeitung der Daten erforderlich ist, weil wegen der Art oder Ausführung der Tat, der Persönlichkeit der betroffenen Person oder sonstiger Erkenntnisse Grund zu der Annahme besteht, dass zukünftig Strafverfahren gegen sie zu führen sind, und (Nr. 4.) Personen, bei denen Anlass zur Weiterverarbeitung der Daten besteht, weil tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die betroffenen Personen in naher Zukunft Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen werden (Anlasspersonen).
Maßgeblich für die Datenerhebung und -speicherung sei die „Verordnung über die Art der Daten, die nach den §§ 8 und 9 des Bundeskriminalamtgesetzes gespeichert werden dürfen“ vom 4. Juni 2010 (BGBl. I S. 716), die zuletzt durch Artikel 6 Absatz 12 des Gesetzes vom 13. April 2017 (BGBl. I S. 872) geändert worden sei (BKA-Daten-Verordnung; BKADV). Die BKADV konkretisiere, welche Daten in welcher (Verbund-) Datei zu speichern seien bzw. welche Daten zu welchen Dateien i.S.d. § 32 BKAG n.F. von den Landeskriminalämtern dem BKA zur Erfüllung seiner Aufgaben als Zentralstelle im Rahmen des polizeilichen Informationssystems zu übermitteln sind. Zu den Daten, die gespeichert werden dürfen, gehörten nach § 1 BKADV unter anderem:
1. Familienname,
2. Vornamen,
12. Geschlecht,
13. Geburtsdatum,
14. Geburtsort einschließlich Kreis,
15. Geburtsstaat,
18. aktuelle Staatsangehörigkeit und frühere Staatsangehörigkeiten.
Zu weiteren personenbezogenen Daten von Beschuldigten und personenbezogenen Daten i.S.d. § 8 Abs. 2 BKAG a.F. von Personen, die einer Straftat verdächtig sind, gehören nach § 2 BKADV unter anderem:
11. Angaben zu Art und konkreten Umständen der Tatbegehung wie
b) Sachverhalt, neben den in § 8 Absatz 1 Nummer 3 des Bundeskriminalamtgesetzes genannten Daten insbesondere Angaben zu Tatörtlichkeit, Tatmittel, erlangtem oder erstrebtem Gut und Beteiligten,
c) Modus Operandi und Tatbegehungsweise,
f) Ausgang des Verfahrens einschließlich etwaiger Nebenfolgen, Maßregeln der Besserung und Sicherung oder Entscheidungen über die Einziehung.
Das BKA führe gemäß § 9 Abs. 1 Nr.1 BKADV auf der Grundlage von § 8 des BKAG a.F. (§ 18 BKAG n.F.) i.V.m. § 2 Abs. 1 bis 3 BKAG (im Wesentlichen gleichbleibend) zur Erfüllung seiner Aufgaben Dateien der Zentralstelle, die der Sammlung und Auswertung von Informationen zu Straftaten mit länderübergreifender, internationaler oder erheblicher Bedeutung dienen und die vor allem das Erkennen von Zusammenhängen zwischen Taten untereinander und zu Tätern sowie von Täterorganisationen ermöglichen (delikts- und phänomenbezogene Dateien). Die Datei „INPOL-Fall Innere Sicherheit“ solle der Verhütung und Aufklärung von politisch motivierten Straftaten mit länderübergreifender, internationaler oder erheblicher Bedeutung dienen.
Das Merkmal „länderübergreifend“ in § 2 Abs. 1 BKAG sei erfüllt, wenn bereits begangene oder künftig zu erwartende Straftaten Belange eines anderen Bundeslandes berührten. Hierzu reiche es aus, wenn von einem Bundesland Straftaten in einem anderen Bundesland vorbereitet, unterstützt oder geleitet würden.
Bei Äußerungsdelikten sei der Erfolgsort i.S. von § 9 Abs. 1 StGB der Ort des Zugangs. Bei einer im Internet veröffentlichten Äußerung liege der Erfolgsort überall dort, wo ihr Inhalt zur Kenntnis genommen werde (vgl. von Heintschel-Heinegg, in: BeckOK StGB/StGB § 9 Rn. 24). Die Klägerin sei durch eigene Publikationen, aber auch durch die öffentliche Berichterstattung von bekannten TV-Magazinen (bspw. Panorama, Spiegel TV) und überregionalen Zeitschriften (bspw. Spiegel, Focus, Stern, taz) als „Person des öffentlichen Lebens“ anzusehen, woraus eine vergleichsweise große und ortsunabhängige Reichweite von Äußerungen der Klägerin resultiere. Demnach könne davon ausgegangen werden, dass auch bundesweit ein Interesse an ihren journalistischen Texten besteht und der Ort des Zugangs ihrer Äußerungen nicht nur auf das Land Niedersachsen begrenzt sei. Der Beitrag der Klägerin sei online abrufbar gewesen. Somit habe eine Verbundsrelevanz i.S.d. § 30 Abs. 1 Nr. 1 BKAG vorgelegen.
Gegen die Klägerin sei wegen der Tat vom 22.04.2018 ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden. Damit sei sie Beschuldigte i.S.d. § 18 Abs. 1 Nr. 2 BKAG. Die personenbezogenen Daten der Klägerin hätten somit gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 2 u. Abs. 2 BKAG i.V.m. §§ 8, 9 BKADV gespeichert werden dürfen.
Die Kenntnis der Daten sei weiterhin zur Aufgabenerfüllung erforderlich gewesen.
Die Speicherung der personenbezogenen Daten der Klägerin seien nicht deshalb zu löschen gewesen, weil ihre Speicherung gemäß § 18 Abs. 5 BKAG unzulässig geworden war. Die Voraussetzungen seien hier nicht erfüllt. Bei Einstellungen nach § 170 Abs. 2 StPO entstehe die Verpflichtung zur Löschung der Daten nur, wenn die Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft wegen erwiesener Unschuld ergehe. Denn bei einer Vielzahl von Ermittlungsverfahren macht die Staatsanwaltschaft von ihrer Befugnis zur Einstellung nur deswegen Gebrauch, weil ein Tatnachweis vor Gericht nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit geführt werden könne oder Verfolgungshindernisse vorliegen. Die Beendigung eines Strafverfahrens durch Einstellung nach § 170 Abs. 2 StPO räume den Straftatverdacht nicht notwendig aus und schließe deshalb auch die weitere Datenspeicherung zu Zwecken präventiver Gefahrenabwehr nicht aus. Dabei entfalle der für die Aufbewahrung personenbezogener Daten erforderliche polizeiliche Restverdacht erst dann, wenn der Verdacht einer Straftat oder der Tatbeteiligung des Betroffenen restlos ausgeräumt sei. Für den Fortbestand der Speicherung der personenbezogenen Daten werde dabei nicht ein hinreichender Tatverdacht i.S.v. § 203 StPO vorausgesetzt, sondern es genüge ein weiterhin bestehender Anfangsverdacht. Hier sei die Einstellung des Verfahrens ausschließlich aufgrund eines Strafverfolgungshindernisses erfolgt. Ein bestehender Resttatverdacht sei ausdrücklich von der Staatsanwaltschaft übermittelt worden.
Auch habe kein Anspruch auf Löschung wegen Ablauf der Aussonderungsprüffrist (§ 77 Abs. 1 Satz 2 BKAG i.V.m. § 75 Abs. 3 BDSG) bestanden. Die Gesamtumstände seien dahingehend berücksichtigt worden, dass die Aussonderungsprüffrist i.S.d. § 77 BKAG lediglich auf zwei Jahre festgelegt worden und mit Ablauf dieser Frist entsprechend die Löschung vorgenommen sei. Damit habe die Frist erheblich unter der grundsätzlichen Höchstfrist für Erwachsene von zehn Jahren gelegen.
Weiter sei die weitere Speicherung der personenbezogenen Daten der Klägerin in der Datei „INPOL-Fall-Innere Sicherheit“ nicht bei Erlass des Ablehnungsbescheides unverhältnismäßig gewesen. Die erforderliche Einzelfallentscheidung erfordere vor allem bei einem konkreten Löschungsantrag des Betroffenen eine detaillierte Prüfung der konkreten Umstände des Einzelfalls, wobei eine Prognoseentscheidung zu treffen sei und von Bedeutung sein könne, ob nach Person und Lebensumfeld der Betroffenen ausgeschlossen erscheine, dass diese erneut strafrechtlich in Erscheinung treten werde. Maßgeblich sei daher die Prüfung nach kriminalistischen Erfahrungsgrundsätzen, die von dem speichernden Beamten eine alle Umstände des Einzelfalls berücksichtigende Individualprognose verlange. Dementsprechend seien mehrere Gesichtspunkte in den Blick zu nehmen und nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit abzuwägen. Auf der einen Seite sei das grundsätzliche Bedürfnis der Polizeipraxis zu berücksichtigen, in den polizeilichen Verbunddateien und Kriminalakten innerhalb der zeitlichen Grenzen der Aussonderungsprüffristen einen möglichst umfassenden Überblick über die kriminelle Aktivität und „Karriere” einer Person zu behalten. Nur durch die Auflistung und Aufbewahrung eines solchen Werdeganges könne dem Leitgedanken einer vorbeugenden Verbrechensbekämpfung wirksam entsprochen und auch die in den Polizeigesetzen verschiedentlich verlangte Prognose über einen Betroffenen gestellt werden.
Auf der anderen Seite seien die Art und die Bedeutung der Daten in Rechnung zu stellen, deren Löschung in Streit steht. Je unbedeutender sich die Daten nach der Schwere des zugrundeliegenden Speicheranlasses und je uninteressanter sie sich unter kriminalistischen Aspekten darstellen, desto stärker schlagen die während der gesamten Aufbewahrungszeit andauernden und im Moment der Überprüfung aktuell werdenden Datenschutzbelange des Betroffenen zu Buche.
Eine Speicherung wäre zulässig, wenn Anhaltspunkte vorliegen, dass die betroffene Person nicht [vermutlich Tippfehler] erneut strafrechtlich in Erscheinung treten wird. Einzubeziehen seien zudem die Verfügungsmöglichkeiten der Klägerin.
Hier sei zu berücksichtigen, dass in keinem der geführten Ermittlungsverfahren gegen die Klägerin wegen einer politisch motivierten Straftat mit erheblicher Bedeutung ermittelt wurde und dass das Strafverfahren nicht über das Ermittlungsverfahren hinausgegangen sei. Hingegen habe aufgrund kriminalistischer Erfahrung nicht ausgeschlossen werden können, dass die Klägerin erneut strafrechtlich in Erscheinung treten werde.
Im Bescheid vom 09.11.2018 sei die Klägerin u.a. auf das Vorgangsverwaltungssystem NIVADIS hingewiesen worden. Insofern sei davon auszugehen, dass die Klägerin vollumfassend Auskunft erhalten habe. Demzufolge müsste ihr bekannt sein, dass im Vorgangsverarbeitungssystem NIVADIS zum Zeitpunkt der begehrten Löschung weitere Eintragungen vorhanden waren, welche ebenfalls bei der Prognoseentscheidung zugrunde zu legen waren. So seien jedenfalls vier weitere Ermittlungsverfahren gegen die Klägerin als Beschuldigte wegen öffentlicher Aufforderung zu Straftaten, Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen, übler Nachrede und Verleumdung geführt worden. Die Straftaten stünden im Zusammenhang mit der politischen Motivation der Klägerin.
Schließlich beträfen die in diesem Verfahren streitgegenständlichen personenbezogenen Daten teilweise Umstände, die die Klägerin selbst öffentlich gemacht habe bzw. Dritten gestattet habe, diese öffentlich zu machen. Der Wikipedia-Artikel über die Klägerin gebe Auskunft über den Vor- und Nachnamen und das Geburtsjahr der Klägerin. Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht, der durch die in Streit stehenden Datenspeicherungen vorliegt, sei dementsprechend von geringer Intensität.
Wegen des weiteren Vortrags der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze, wegen des Sachverhalts im Übrigen wird auf die Gerichtsakten sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE
Die umgestellte Klage, über die das Gericht im Einverständnis der Beteiligten (Klägerin durch Schriftsatz vom 07.04.2022, Beklagter durch Schriftsatz vom 22.03.2022) gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entscheidet, hat Erfolg. Sie ist zulässig und begründet.
Das angerufene Gericht ist örtlich zuständig, § 52 Nr. 3 S. 2 und 5 VwGO.
Eine Klageänderung liegt in der Umstellung der Klage nicht. Vielmehr liegt in der Antragsumstellung vom 24.01.2022 eine Einschränkung des ursprünglichen Klageantrags gemäß § 173 Satz 1 VwGO iVm. § 264 Nr. 2 ZPO (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Dezember 2014 – 4 C 33/13 –, BVerwGE 151, 36-44, Rn. 11).
Neben der Verpflichtungsklage auf Löschung personenbezogener Daten können Betroffene im Falle der bereits vorgenommenen Löschung der über ihre Person gespeicherten Daten im Wege der (Fortsetzungs-)Feststellungsklage (vgl. Nds. OVG, Urteil vom 14. Januar 2020 – 11 LB 464/18 –, Rn. 24, juris; Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, VwGO § 113 Rn. 305, beck-online) gerichtlichen Rechtsschutz erlangen, wenn ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Speicherung besteht (vgl. Nds. OVG, Urteil vom 18. November 2016 – 11 LC 148/15 –, Rn. 49, juris, mwN.). Die Klägerin hat hier unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr ein hinreichendes Feststellungsinteresse (vgl. BVerwG, Beschluss vom 20. Dezember 2017 – 6 B 14/17 –, Rn. 16, juris; VG Göttingen, Urteil vom 30.04.2021 – 1 A 565/18 -; Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil vom 10. Februar 2015 – 1 S 554/13 –, Rn. 67 f., juris). Die streitgegenständliche Äußerung wurde im Rahmen eines Presseartikels getätigt. Die Klägerin ist eine deutschlandweit bekannte freie Journalistin mit dem Themenschwerpunkt „Rechtsextremismus“. Weitere Anzeigen von betroffener Seite sind demnach erwartbar.
Vorliegend sind Eintragungen in der bei dem Bundeskriminalamt (BKA) geführten Verbunddatei „INPOL Fall Innere Sicherheit“ (vgl. Deutscher Bundestag, Drucksache 17/14810, Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke, Heidrun Dittrich, Jens Petermann, Frank Tempel und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 17/14723 – Strafverfolgungsdateien der Bundessicherheitsbehörden, Anlage 1, lfd.-Nr. 51) streitgegenständlich. Diese Datei ist eine auf der Grundlage von § 13 iVm. §§ 29, 30 BKAG errichtete Verbunddatei des einheitlichen polizeilichen Informationsverbunds. Das BKA führt diese Verbunddatei als sog. Zentralstelle für den elektronischen Datenverbund zwischen Bund und Ländern nach § 2 Abs. 3 BKAG gem. §§ 29 ff. BKAG.
Zum polizeilichen Informationsverbund gehören neben dem BKA, der Bundespolizei und weiterer öffentlicher Stellen des Bundes insbesondere auch die Landeskriminalämter und sonstigen Polizeibehörden der Länder (vgl. Schenke/Graulich/Ruthig/Graulich, 2. Aufl. 2018, BKAG § 13 Rn. 3). Dieses Informationssystem unterscheidet sich von anderen Dateien des BKA durch ihre „Genese“ und die Verantwortung für die Richtigkeit der darin gespeicherten Daten. Bei Verbunddateien (vgl. BVerwG, Urteil vom 09. Juni 2010 – 6 C 5/09 –, BVerwGE 137, 113-123, Rn. 18) werden die jeweils von den Ländern oder auch Bundespolizeibehörden in eigener Zuständigkeit und auf polizeirechtlicher oder strafprozessualer Rechtsgrundlage erhobenen Daten von diesen dezentral und unmittelbar in das Verbundsystem eingegeben (Datenspeicherung i. S. v. § 46 Nr. 2 BDSG) und diese Daten im System für alle Verbundteilnehmer zum Abruf (Datenübermittlung i. S. v. § 46 Abs. Nr. 2 BDSG) bereitgehalten.
Die am polizeilichen Informationsverbund teilnehmenden Stellen verarbeiten im polizeilichen Informationsverbund ausschließlich personenbezogene Daten nach der Maßgabe von § 30 BKAG.
Die Datei „INPOL-Fall Innere Sicherheit“ dient u.a. dem Zweck der Verhütung und Aufklärung von politisch motivierten Straftaten mit länderübergreifender, internationaler oder erheblicher Bedeutung (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 09.07.2019 – 11 LA 29/18 -; Deutscher Bundestag, Drucksache 17/14810, aaO.). Gem. § 9 Abs. 1 Nr. 1 der Verordnung über die Art der Daten, die nach den §§ 8 und 9 des Bundeskriminalamtgesetzes gespeichert werden dürfen (BKADV) führt das Bundeskriminalamt auf der Grundlage von § 8 BKAG a.F. zur Erfüllung seiner Aufgaben Dateien der Zentralstelle, die der Sammlung und Auswertung von Informationen zu Straftaten mit länderübergreifender, internationaler oder erheblicher Bedeutung dienen und die vor allem das Erkennen von Zusammenhängen zwischen Taten untereinander und zu Tätern sowie von Täterorganisationen ermöglichen (delikts- und phänomenbezogene Dateien) (vgl. auch Nds. OVG, Beschluss vom 09.07.2019 – 11 LA 29/18 -).
Bei in Dateien des polizeilichen Informationssystems gespeicherten personenbezogenen Daten obliegt die Pflicht zur Löschung im Sinne von § 75 des Bundesdatenschutzgesetzes (i.d.F. von Art. 1 des Gesetzes v. 30.6.2017, BGBl. I, S. 2097 – BDSG -) iVm. § 77 BKAG (i.d.F. von Art. 1 des Gesetzes v. 1.6.2017, BGBl. I, S. 1354) (vgl. hierzu für die Rechtslage nach Inkrafttreten der DSGVO Nds. OVG, Beschluss vom 09.07.2019 – 11 LA 29/18) der Stelle, welche die datenschutzrechtliche Verantwortung nach § 31 Abs. 2 Satz 1 BKAG trägt, § 77 Abs. 1 und 6 BKAG. Dementsprechend hat nur diese Behörde die Befugnis zur Änderung, Berichtigung oder Löschung von Daten (vgl. BVerwG, Urteil vom 09. Juni 2010 – 6 C 5/09 –, BVerwGE 137, 113-123, Rn. 19; Schenke/Graulich/Ruthig, BKAG § 18 Rn. 52, beck-online; anders bei Speicherungen in projektbezogenen gemeinsamen Dateien nach § 17 BKAG, da dort in Abweichung von § 31 Abs. 1 BKAG die landesrechtlichen Regeln gelten (vgl. Schenke/Graulich/Ruthig/Graulich, 2. Aufl. 2018, BKAG § 17 Rn. 21, 22; für Datenbanken auf Landesebene vgl. Nds. OVG, Urteil vom 10. Oktober 2019 – 11 LC 148/15 –, juris (Arbeitsdatei Szenekundige Beamte) bzw. Nds. OVG, Urteil vom 14. Januar 2020 – 11 LC 191/17 –, juris (NIVADIS)). Aus diesem Grund ist auch der Beklagte und nicht das BKA passivlegitimiert (vgl. BVerwG, Urteil vom 09. Juni 2010 – 6 C 5/09 –, BVerwGE 137, 113-123, Rn. 17; Nds. OVG, Beschluss vom 09.07.2019 – 11 LA 29/18).
Nach § 75 BDSG hat der Verantwortliche personenbezogene Daten unverzüglich zu löschen, wenn ihre Verarbeitung unzulässig ist, sie zur Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung gelöscht werden müssen oder ihre Kenntnis für seine Aufgabenerfüllung nicht mehr erforderlich ist. Gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 BKAG prüft die verantwortliche Stelle nach § 75 BDSG bei der Einzelfallbearbeitung und nach festgesetzten Fristen, ob gespeicherte personenbezogene Daten zu berichtigen oder zu löschen sind.
Nach dieser Maßgabe bestand ein Löschungsanspruch zum maßgeblichen Zeitpunkt. Bereits die ursprüngliche Datenspeicherung war rechtswidrig.
Es fehlte an der Verbundrelevanz der streitgegenständlichen Daten nach § 30 Abs. 1 BKAG. Gem. § 30 Abs. 1 Nr. BKAG verarbeiten die am polizeilichen Informationsverbund teilnehmenden Stellen im polizeilichen Informationsverbund ausschließlich personenbezogene Daten, deren Verarbeitung für die Verhütung und Verfolgung von Straftaten mit länderübergreifender, internationaler oder erheblicher Bedeutung erforderlich ist. Gem. § 30 Abs. 2 BKAG legen die am polizeilichen Informationsverbund teilnehmenden Stellen unter Beteiligung der jeweils zuständigen obersten Bundes- oder Landesbehörden Kriterien fest, die bestimmen, welche Straftaten nach allgemeiner kriminalistischer Erfahrung die Voraussetzungen nach Absatz 1 Nummer 1 erfüllen. Die Kriterien können sich an den unterschiedlichen kriminalistischen Phänomenbereichen orientieren. Die Kriterien sind in angemessenen Abständen und, soweit erforderlich, zu aktualisieren. Die Festlegung und Aktualisierung dieser Kriterien erfolgen im Benehmen mit der oder dem Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit.
An einem solchen öffentlichen und transparenten (vgl. BVerfG, Urteil vom 20. April 2016 – 1 BvR 966/09 –, BVerfGE 141, 220-378 (LT 1-3), Rn. 134 ff.) Kriterienkatalog fehlte es zum insoweit maßgeblichen Zeitpunkt der Speicherung der Daten im Jahr 2018. Das BKA hat auf einen Antrag nach dem Informationsfreiheitsgesetz zu Unterlagen nach den Kriterien nach § 30 Abs. 2 BKAG mit Schreiben vom 02.04.2019 mitgeteilt (vgl. https://fragdenstaat.de/anfrage/unterlagen-zu-kriterien-nach-30-abs-2-bkag-verbundrelevanz-zweiter-versuch/365143/anhang/ifg_bka_20190402_geschwaerzt.pdf), dass zu diesem Zeitpunkt die „Festlegung der in § 30 Abs. 2 BKAG normierten Relevanzkriterien […] noch nicht abgeschlossen“ war. Auch heute sind diese Kriterien soweit ersichtlich entweder nicht existent oder nicht veröffentlicht (vgl. Schenke/Graulich/Ruthig/Graulich, 2. Aufl. 2018, BKAG § 30 Rn. 9). Diese Kriterien konnten auch nicht im Rahmen einer Einzelfallentscheidung durch den Beklagten ersetzt werden, da der Gesetzgeber die besondere Bedeutung dieses Prozederes mit der Beteiligung verschiedener Stellen ausdrücklich festgehalten hat (vgl. BT-Drs. 18/11163, S. 110). Selbst wenn eine solche Einzelfallentscheidung getroffen werden könnte, ist im vorliegenden Fall – mangels vorliegender allgemeiner und die Kammer bindender Kriterien – durch die Kammer festzustellen, dass hier die Erfassung der klägerischen Daten für die Verhütung und Verfolgung von Straftaten mit länderübergreifender, internationaler oder erheblicher Bedeutung nicht erforderlich war. Die streitgegenständliche Äußerung erfolgte in einem journalistischen Text offen unter Verwendung des Klarnamens der Klägerin. Selbst wenn sich diese Äußerung als rechtswidrig darstellen würde, wäre die Speicherung der Daten nicht zur Verhütung von zukünftigen, gleichgelagerten Handlungen geeignet. Auch die Verfolgung von – möglichen – Straftaten ist wegen der journalistisch-offenen Begehungsweise leicht auf andere Weise möglich.
Zudem bestand in der juristischen Sekunde vor der wegen Zeitablauf erfolgten Löschung der Daten ein Löschungsanspruch gem. § 18 Abs. 5 BKAG. Hiernach ist die Weiterverarbeitung personenbezogener Daten unzulässig, wenn der Beschuldigte rechtskräftig freigesprochen, die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen ihn unanfechtbar abgelehnt oder das Verfahren nicht nur vorläufig eingestellt worden ist und sich aus den Gründen der Entscheidung ergibt, dass die betroffene Person die Tat nicht oder nicht rechtswidrig begangen hat. Diese Voraussetzungen waren hier im Einzelfall – im Lichte der sich aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG ergebenden Schutzwirkung iVm. Art. 19 Abs. 4 GG – erfüllt.
Der Wortlaut des § 18 Abs. 5 BKAG zeigt, dass die Speicherung grds. nur unzulässig ist, wenn sich aus den Gründen der Entscheidung positiv ergibt, dass der Betroffene die Tat nicht oder nicht rechtswidrig begangen hat. Das Gesetz stellt nicht darauf ab, ob sich aus der Entscheidung ergibt, dass Anhaltspunkte dafür gegeben sind, dass ein Restverdacht besteht. Ergibt sich aus den Gründen der Einstellungsverfügung nicht, dass die Einstellung positiv deshalb erfolgt ist, weil der Kläger die Tat nicht oder nicht rechtswidrig begangen hat, so ist der Tatbestand des § 18 Abs. 5 BKAG grds. nicht erfüllt (vgl. BVerwG, Urteil vom 09. Juni 2010 – 6 C 5/09 –, BVerwGE 137, 113-123, Rn. 26; Nds. OVG, Beschluss vom 09.07.2019 – 11 LA 29/18).
Vorliegend kann aus der staatsanwaltschaftlichen Akte nicht nachvollzogen werden, dass dort ein Resttatverdacht angenommen wurde (anders: BA 001, S. 5). Bei Einstellungen nach § 170 Abs. 2 StPO ist jeweils zu prüfen, ob die Einstellung wegen erwiesener Unschuld erfolgt ist, oder ob ein „Restverdacht“ fortbesteht, wenn etwa ein Tatnachweis vor Gericht nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit geführt werden kann (vgl. Nds. OVG, Urteil vom 16.12.2008 – 11 LC 229/08 -; vgl. BVerwG, Beschluss vom 12.11.1992 – 1 B 164/92 –, juris; BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 16. Mai 2002 – 1 BvR 2257/01 –, juris; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 30.01.2020 – 10 C 20.10 –, Rn. 8, juris, mwN.; VG Ansbach, Urteil vom 24. August 2021 – AN 15 K 18.01958 –, Rn. 30 – 31, juris, mwN.). Die staatsanwaltschaftliche Rechtspraxis der Handhabung und Begründung einer Einstellung nach § 170 Abs. 2 StPO beruht auf den Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV). Maßgeblich kommt es nicht auf die Mitteilung der Staatsanwaltschaft an den Beschuldigten, sondern vielmehr auf die Mitteilung der Staatsanwaltschaft an die Polizeibehörde an (vgl. BVerwG, Urteil vom 09. Juni 2010 – 6 C 5/09 –, BVerwGE 137, 113-123, Rn. 30). Zu den vom BVerwG angemahnten Rechtsänderungen (vgl. BVerwG, Urteil vom 09. Juni 2010 – 6 C 5/09 –, BVerwGE 137, 113-123, Rn. 29) ist es bislang noch nicht gekommen.
Hier ist in der staatsanwaltschaftlichen Akte lediglich „H7 (Darex)“ verfügt worden. Bei der Datenbank Darex handelt es sich um eine beim BKA geführte „Datenbank Rechtsextremismus“ (vornehmlich Tonträger, aber auch Druckerzeugnisse; vgl. Deutscher Bundestag, Drucksache 17/14753; Abgeordnetenhaus Berlin, Drucksache 17/2422, Umsetzung der Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses im Land Berlin Drucksache 17/1693 und – Schlussbericht, S. 38). Diese unterscheidet sich von der Datei „INPOL Fall – Innere Sicherheit“. Mithin ist von der Staatsanwaltschaft an die Polizeibehörde keine Aufnahme von Daten der Klägerin in die Datei „INPOL Fall – Innere Sicherheit“ verfügt worden.
Auch wenn man berücksichtigt, dass die Klägerin gem. Nr. 88 Satz 2 RiStBV keine ausdrücklich positive Einstellungsmitteilung erhalten hat, ergibt sich nichts Anderes. Es ist zu berücksichtigen, dass der Klägerin als Betroffene im Hinblick auf die Einstellungsverfügung kein Rechtsmittel zur Verfügung stand. Dennoch ist sie von dieser staatlichen Maßnahme – wie der Fall zeigt – längerfristig betroffen. Dies kann dazu führen, dass die Arbeit von Journalistinnen und Journalisten durch vielfaches Einleiten von Strafanzeigen im Bereich der Taten des 14. Abschnitts des StGB bei Nicht-Stellen eines erforderlichen Strafantrags nach § 194 StGB (vgl. BeckOK StGB/Valerius, 53. Ed. 1.5.2022, StGB § 194 Rn. 1) erheblich behindert wird (vgl. https://www.deutschlandfunk.de/daten-ohne-akten-rueckhalt-warum-staatsschutzdateien-oft-100.html; https://learngerman.dw.com/de/bka-entschuldigt-sich-f%C3%BCr-fehler-bei-g20-akkreditierungen/a-40329063; https://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/zapp/G20-Aufarbeitung-Urteil-gibt-Journalisten-recht,akkreditierung140.html; https://netzpolitik.org/2017/datenskandal-bei-der-polizei-offenbar-zehntausende-ungerechtfertigt-gespeichert). In diesem Fall gebieten Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG iVm. Art. 19 Abs. 4 GG, § 18 Abs. 5 BKAG erweiternd so auszulegen, dass auch das angerufene Gericht zumindest zu der Kontrolle berufen ist, ob das eingeleitete Ermittlungsverfahren durch den unterlassenen Strafantrag des mutmaßlich Geschädigten eingestellt wurde. In diesem Fall dürfen die Erkenntnisse zumindest gegenüber Journalistinnen und Journalisten nicht ohne positiv-Überprüfung der objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale sowie möglicher Rechtfertigungsgründe (vgl. MüKoStGB/Regge/Pegel, 4. Aufl. 2021, StGB § 193 Rn. 1) weiter in der beim BKA geführten Verbunddatei „INPOL Fall Innere Sicherheit“ gespeichert werden. Dies ist hier der Fall, da die mutmaßlich Geschädigten trotz Erinnerung auf das Stellen eines formal wirksamen Strafantrages verzichtet haben.
Im Übrigen ist der objektive Tatbestand des § 188 StGB – zu Lasten des betroffenen Kommunalpolitikers – offensichtlich nicht erfüllt (vgl. MüKoStGB/Regge/Pegel, 4. Aufl. 2021, StGB § 188 Rn. 9; BayObLG, NJW 1982, 2511; Kühl, in: Lackner/Kühl, StGB, § 188 Rn. 2). Gleiches gilt für den „Hamburger NPD-Vorsitzenden aus dem Eichsfeld“ (die NPD erzielte 0,3 % der Stimmen bei Bürgerschaftswahl 2015 und ist bei Bürgerschaftswahl 2020 nicht angetreten) sowie den „nds. NPD-Chef“ (die NPD ist in Niedersachsen nicht zur Landtagswahl 2017 angetreten).
Die Erfüllung der objektiven Tatbestandsmerkmale der §§ 186 f. StGB erscheint nach den vorliegenden Unterlagen nicht zwingend. Der streitgegenständliche Satz unterfällt in zwei Teile. Im ersten Halbsatz formuliert die Klägerin vorsichtig, dass verschiedene erkennbare Personen die (Facebook-)Gruppe Nordadler gekannt haben („kannten offenbar viele die Gruppe“). Ein Konnex zum 2. Halbsatz dergestalt, dass die zuvor genannten Personen die Facebook-Gruppe auch „geliked“ haben, ist nach dem objektiven Aussagegehalt nicht zwingend. Vielmehr enthält der 2. Halbsatz ein eigenes Subjekt („1600 User“). Die Kammer braucht nicht zu prüfen, ob die Wahrheit der Behauptung erweislich ist (objektive Bedingung der Strafbarkeit/Strafausschließungsgrund, vgl. MüKoStGB/Regge/Pegel, 4. Aufl. 2021, StGB § 186 Rn. 24 ff.). Die Kammer weist jedoch darauf hin, dass dem Beklagten die weiteren Ermittlungen nach der Razzia gegen Nordadler übertragen worden sind und dort ggf. das Setzen der Likes aufgeklärt werden konnte (vgl. https://blog.zeit.de/stoerungsmelder/2018/04/17/nordadler-bundesanwaltschaft-razzia_26123; https://de.wikipedia.org/wiki/Nordadler#Ermittlungen).
Die Klägerin hatte zudem zum Zeitpunkt der Antragstellung einen Anspruch auf unverzügliche Löschung der Daten gem. § 77 Abs. 1 und 6 BKAG iVm. § 75 Abs. 2 BDSG (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 09.07.2019 – 11 LA 29/18 -).
Gem. § 75 Abs. 2 3. Alt. BDSG hat der Verantwortliche personenbezogene Daten unverzüglich zu löschen, wenn ihre Kenntnis für seine Aufgabenerfüllung nicht mehr erforderlich ist. Zweck der Speicherung der Daten ist die Verhütung und Aufklärung von politisch motivierten Straftaten, die länderübergreifende, internationale oder erhebliche Bedeutung haben. Die erforderliche Einzelfallprüfung setzt vor allem bei einem konkreten Löschungsantrag des Betroffenen eine detaillierte Prüfung der konkreten Umstände des Einzelfalles voraus, wobei eine Prognoseentscheidung zu treffen ist (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 09.07.2019 – 11 LA 29/18). Hierbei kann von Bedeutung sein, ob es nach Person und Lebensumfeld des Betroffenen ausgeschlossen erscheint, dass dieser erneut strafrechtlich in Erscheinung treten wird. Jedoch sind auch grundrechtliche Vorgaben mit besonderem Gewicht zu berücksichtigen.
Das aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG hergeleitete Recht auf informationelle Selbstbestimmung steht im Regelfall einer weiteren Speicherung personenbezogener Daten aus strafrechtlichen Ermittlungsverfahren in einer polizeilichen Datei zum Zwecke der vorbeugenden Verbrechensbekämpfung entgegen, wenn nichts dafür spricht, dass der Betroffene erneut einschlägig oder ähnlich strafrechtlich in Erscheinung treten wird und deshalb ausgeschlossen ist, dass die vorhandenen Daten die Arbeit der Polizei noch fördern können (vgl. BVerwG, Beschluss vom 12. November 1992 – 1 B 164/92 –, Rn. 3, juris).
So liegt der Fall hier. Die Kammer verweist insofern auf die vorstehenden Ausführungen zur fehlenden Verbundrelevanz der Eintragungen sowie die Bedeutung der Pressefreiheit im Zusammenspiel mit der verhinderten strafrechtlichen Vollprüfung durch Nicht-Stellen des erforderlichen Strafantrags. In Abwägung mit der Bedeutung der Daten für die Arbeit des Beklagten ist festzustellen, dass die Schwere des zugrundeliegenden Speicheranlasses die Einschränkungen der grundrechtlich geschützten Position der Klägerin als Journalistin nicht rechtfertigt. Tatsächlich strafbare Fälle in gleicher Tatausführung (Texte in frei zugänglichen Online-Medien) könnten auch ohne diese Daten aufgeklärt und bestraft werden. Grundsätzlich sind dann auch ggf. vorhergehende journalistische Texte noch recherchier- und abrufbar. Die bloße Begehung im Internet genügt zumindest bei Journalisten nicht für die Annahme der Verbundrelevanz.
Vor diesem Hintergrund ist es auch ohne Belang, dass ggf. vier weitere Eintragungen über die Klägerin im NIVADIS (Niedersächsisches Vorgangsbearbeitungs-, Analyse-, Dokumentations- und Informations-System) vorhanden waren.
Somit stand der Klägerin bei Beantragung ein Löschungsanspruch zur Seite, der hiermit festgestellt wird.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Gründe für eine Zulassung der Berufung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3, 4 i.V.m. § 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO) liegen nicht vor.
Es folgt die Rechtsmittelbelehrung.