Sozialgericht Kassel – Beschluss vom 11.07.2022 – Az.: S 6 AS 553/20

BESCHLUSS

In dem Rechtsstreit

1. xxx,

Klägerin,

2. xxx,

Kläger,

Prozessbevollm.: zu 1-2:
Rechtsanwalt Sven Adam,
Lange Geismarstraße 55, 37073 Göttingen,

gegen

Jobcenter Werra-Meißner, vertreten durch den/die Geschäftsführer/in,
Fuldaer Straße 6, 37269 Eschwege,

Beklagter,

hat die 6. Kammer des Sozialgerichts Kassel am 11. Juli 2022 durch die Vorsitzende, Richterin xxx, beschlossen:

Der Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Kläger zu tragen.

GRÜNDE

Der zulässige Antrag auf Erstattung der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Kläger durch den Beklagten ist begründet.

Gemäß § 193 Abs. 1 S. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheidet das Gericht auf Antrag durch Beschluss, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben, wenn das Verfahren anders beendet wird als durch Urteil oder Beschluss.
Das SGG bindet die Kostenentscheidung nicht an den Ausgang des Verfahrens (B. Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG Sozialgerichtsgesetz Kommentar, 13. Auflage 2020, § 193 Rn. 1a m.w.N., 12). Das Gericht entscheidet unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen. Es müssen alle Umstände des Einzelfalles berücksichtigt werden.
Maßgebend für die Entscheidung sind insbesondere die Erfolgsaussichten der Klage.
Danach gilt, dass im Falle unstreitiger Erledigung derjenige die Kosten zu tragen hat, der im Falle streitiger Entscheidung nach summarischer Prüfung des Sach- und Streitstandes im Zeitpunkt der Erledigung unterlegen wäre. Bei Ungewissheit kommt Teilung in Betracht (B. Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG Sozialgerichtsgesetz Kommentar, 13. Auflage 2020, § 193 Rn. 13 m.w.N.; Wehrhahn in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Auflage, § 193 SGG (Stand: 26.05.2021) Rn. 41).
Maßgebend für die Entscheidung ist aber auch das „Veranlassungsprinzip“.
Danach gilt, dass derjenige die Kosten zu tragen hat, der den Anlass für den Rechtsstreit gegeben hat. Deshalb gilt es auch immer zu prüfen, ob es sich um einen von vorneherein vermeidbaren oder überflüssigen Prozess gehandelt hat und wem dieser gegebenenfalls zur Last zu legen ist.
Bei der Erledigung einer Untätigkeitsklage i.S.d 88 SGG gilt, ist die Klage vor Ablauf der Sperrfrist erhoben worden und ergeht der Verwaltungsakt vor deren Ablauf, werden die Kläger in der Regel keinen Kostenersatz erhalten. Ist die Klage nach Sperrfristablauf erhoben worden, muss der Beklagte in der Regel die Kosten ersetzen, weil die Kläger mit einem Bescheid vor dem Fristablauf rechnen durften. Keine Kostenerstattung erfolgt, wenn der Beklagte einen zureichenden Grund für seine Untätigkeit hatte und diesen den Klägern mitgeteilt hat oder er ihnen bekannt war; die bloß formelhafte Mitteilung genügt grundsätzlich nicht, kann aber eine Pflicht der Kläger zur Nachfrage begründen. In der Regel nicht ausreichen wird Arbeitsüberlastung (B. Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG Sozialgerichtsgesetz Kommentar, 13. Auflage 2020, § 193 Rn. 13c m.w.N.).

Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze ist es vorliegend billig, dass der Beklagten die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Kläger zu tragen hat.

Die Klage ist nach Sperrfristablauf erhoben worden. Gem. § 88 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 SGG ist, wenn ein Widerspruch ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht beschieden worden ist, die Klage nicht vor Ablauf von drei Monaten seit dem Widerspruch zulässig. Die Klägerseite hat gegen die Bescheide vom 01.04.2020 am 18.04.2020 Widerspruch eingelegt. Sie hat mangels Bescheidung sodann am 17.10.2020, nach Ablauf von nahezu sechs Monaten seit dem Widerspruch, Untätigkeitsklage erhoben.
Für die Nichtbescheidung ist kein zureichender Grund ersichtlich. Da nach derzeitiger Auffassung des Gerichts die Bescheide vom 01.04.2020 gem. § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Klageverfahrens S 6 AS 548/19 geworden sind, hat für die Klägerseite kein Anlass bestanden, das Widerspruchsverfahren ruhend zu stellen, sondern der Beklagte hätte den Widerspruch als unzulässig zurückweisen müssen, was er letztlich auch getan hat. Arbeitsüberlastung wird in der Regel nicht ausreichen als Grund für die Nichtbescheidung bis dahin. Das Gericht sieht keinen Anlass, dies während der Coronavirus-Pandemie, die auch andere öffentliche Einrichtungen getroffen hat, anders zu beurteilen, dies auch, da der letztlich erlassene Widerspruchsbescheid nur wenige Zeilen umfasst hat.
Die Kläger durften mit einem Bescheid vor dem Fristablauf rechnen. Darauf, ob der Widerspruch zulässig ist, kommt es nicht an. Die Kläger haben einen Anspruch auf einen Bescheid (B. Schmidt in:  Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Sozialgerichtsgesetz, 13. Auflage 2020, § 88 SGG Rn. 3).

Vor diesem Hintergrund ist es vorliegend billig, dass der Beklagten die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Kläger zu tragen hat.

Die Beschwerde gegen diesen Beschluss ist ausgeschlossen, § 172 Abs. 3 SGG.