Thüringer Oberverwaltungsgericht – Urteil vom 29.08.2022 – Az.: 3 KO 759/19

URTEIL

In dem Verwaltungsstreitverfahren

der Frau xxx,

Klägerin und Berufungsklägerin

bevollmächtigt:
Rechtsanwalt Sven Adam,
Lange Geismarstraße 55, 37073 Göttingen

gegen

den Freistaat Thüringen,
vertreten durch den Präsidenten der Thüringer Landespolizeidirektion,
Andreasstraße 38, 99084 Erfurt

Beklagter und Berufungsbeklagter

wegen
Polizeirechts,
hier: Berufung

hat der 3. Senat des Thüringer Oberverwaltungsgerichts durch den Vizepräsidenten des Oberverwaltungsgerichts, den Richter am Oberverwaltungsgericht xxx und den Richter am Oberverwaltungsgericht xxx

ohne mündliche Verhandlung am 29. August 2022

für Recht erkannt:

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Weimar vom 21. März 2017 – Az.: 1 K 597/16 We – geändert.

Auf das Anerkenntnis des Beklagten hin wird festgestellt, dass der der Klägerin von einem Beamten des Beklagten am 28. Mai 2016 gegen 16 Uhr in Leinefelde erteilte Platzverweis rechtswidrig war.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

TATBESTAND

Die Klägerin begehrt im Wege des Anerkenntnisurteils die Feststellung der Rechtswidrigkeit eines ihr erteilten polizeirechtlichen Platzverweises.

Die Klägerin ist als Journalistin mit dem Themenschwerpunkt Rechtsextremismus tätig und befand sich am 28. Mai 2016 gegen 16 Uhr auf einem Wall in Leinefelde, von dem aus sie und weitere Journalistinnen und Journalisten Foto- und Filmaufnahmen von der Bühne einer NPD-Demonstration anfertigten. Ein Polizeibeamter des Beklagten erteilte ihr einen Platzverweis.

Hiergegen hat die Klägerin am 7. Juni 2016 Klage beim Verwaltungsgericht Weimar auf Feststellung der Rechtswidrigkeit des Platzverweises erhoben.

Am 28. Oktober 2016 hat der Beklagte in diesem Verfahren erklärt:

[In der Verwaltungsstreitsache xxx ./. Freistaat Thüringen, Az.: 1 K 597/16 We] teilen wir nach eingehender Prüfung der Sach- und Rechtslage mit, dass die Voraussetzungen für den Erlass des streitgegenständlichen Platzverweises nicht vorgelegen haben. Einer zu erwartenden Erledigungserklärung schließen wir uns bereits an dieser Stelle an und erklären die Übernahme der Verfahrenskosten.

Daraufhin hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 18. November 2016 erklärt, das Anerkenntnis des Beklagten anzunehmen, und hat den Erlass eines Anerkenntnisurteils beantragt.

Mit richterlichem Hinweis vom 29. November 2016 hat das Verwaltungsgericht die Erklärung des Beklagten nicht als Ausspruch eines Anerkenntnisses, sondern als Aufhebung des Bescheids eingeordnet. Es hat ausgeführt, dass insoweit weder Raum für ein Anerkenntnisurteil bestehe, noch habe die Klägerin Anspruch auf ein solches. Es werde daher gebeten, mitzuteilen, ob eine verfahrensbeendigende Erklärung abgegeben oder- trotz Aufhebung des Bescheides – das Verfahren fortgesetzt werden solle.

Mit Urteil vom 21. März 2017 hat das Verwaltungsgericht Weimar die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht im Wesentlichen ausgeführt, dass der Klägerin kein besonderes Feststellungsinteresse zukomme, den Umstand- der Rechtswidrigkeit durch (Anerkenntnis-)Urteil bestätigt zu erhalten, nachdem die Behörde bereits die Rechtswidrigkeit des erteilten Platzverweises ausdrücklich anerkannt und dies mit Schriftsatz dem Gericht mitgeteilt habe.

Gegen das ihr am 2. Mai 2017 zugestellte Urteil hat die Klägerin die Zulassung der Berufung beantragt, die der Senat mit Beschluss vom 7. November 2019, der Klägerin am 15. November 2019 zugestellt, zugelassen hat.

Die Klägerin begründet die Berufung mit beim Gericht am 17. November 2019 unter Verweis auf ihr Zulassungsvorbringen im Wesentlichen damit, dass das Verwaltungsgericht zu Unrecht kein Anerkenntnisurteil erlassen habe. Die Erklärung des Beklagten sei als Anerkenntnis auszulegen. Das Rechtsschutzinteresse an einem Anerkenntnisurteil entfalle aber nicht bereits aufgrund dieser Erklärung.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Weimar vom 21. März 2017 aufzuheben und festzustellen, dass der gegenüber der Klägerin durch Polizeibeamte des Beklagten ausgesprochene Platzverweis vom 28. Mai 2016 rechtswidrig war.

Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Er meint, dass der Klägerin kein Rechtsschutzinteresse am Erlass eines Anerkenntnisurteils zusteht, nachdem er die verbindliche Erklärung abgegeben habe, dass die streitgegenständliche Maßnahme rechtswidrig gewesen sei.

Wegen weiterer Einzelheiten wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte sowie die hinzugezogene Behördenakte des Beklagten, die Gegenstand der Beratung waren.

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE

Es kann dahinstehen, ob die Entscheidung bereits nach § 173 VwGO i. V. m. § 307 Satz 2 ZPO im schriftlichen Verfahren ergehen kann, da die Beteiligten jedenfalls gemäß § 101 Abs. 2 VwGO darauf verzichtet haben. Über die Berufung entscheidet der Senat, da die Entscheidung im Berufungsverfahren, in dem im Wesentlichen um die Zulässigkeit eines Anerkenntnisurteils gestritten wird, nicht im vorbereitenden Verfahren im Sinne des § 125 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 87a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 VwGO ergeht.

Die zulässige Berufung hat in der Sache Erfolg.

Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts war der Beklagte gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m § 307 Satz 1 ZPO seinem Anerkenntnis gemäß zu verurteilen.

Erkennt der Beklagte den im Rahmen einer Fortsetzungsfeststellungsklage im gerichtlichen Verfahren geltend gemachten Klageanspruch an, so sind die Regelungen der Zivilprozessordnung über die Zulässigkeit eines Anerkenntnisurteils insoweit im Verwaltungsprozess entsprechend anzuwenden (s. nur BVerwG, Urteil vom 27.09.2017 – 8 C 21.16 – juris Rn. 4 m. w. N.; Bayrischer VGH, Urteil vom 08.04.2019 – 10 B 18.483 – juris Rn. 11; VG Freiburg, Urteil vom 23.02.2012 – 4 K 2649/10 – – NVwZ-RR 2012, 535, 536; VG München, Urteil v. 24.04.2015 – M 1 K 15.554 – juris; Clausing, in: Schoch/Schneider, VwGO, Stand Februar 2022, § 107 Rn. 8; Wolff, in: Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 5. Aufl. 2018, § 107 Rn. 22; Neumann, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 156 Rn. 5, 8). Zum einen wird in § 87a Abs. 1 Nr. 2 und § 156 VwGO die Möglichkeit eines Anerkenntnisses vorausgesetzt, zum anderen entspricht § 307 ZPO auch der im Verwaltungsprozess geltenden Dispositionsmaxime, die den Parteien die Befugnis sichert, über den Streitgegenstand zu verfügen. Das Anerkenntnis stellt neben anderen Prozesshandlungen im Falle der Streitbeilegung ein geeignetes Mittel dar, um den Kläger ganz oder teilweise klaglos zu stellen (BVerwG, Gerichtsbescheid vom 07.01.1997 – 4 A 20.95 – juris Rn. 5). Er muss sich im Falle des Anerkenntnisses jedenfalls im Rahmen einer Fortsetzungsfeststellungsklage nicht allein auf die Möglichkeit der Erledigungserklärung verweisen lassen. Ob für den Fall einer – nicht erledigten – Anfechtungsklage etwas anderes zu gelten hat, bedarf hier keiner Entscheidung. Das von der gegenteiligen Ansicht (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 08.08.2012 – 1 L 94.12 -; Sächsisches OVG, Beschluss vom 06.03.2015 – 5 A 119/12 – juris) herangezogene ältere Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Urteil vom 26.02.1981 – 3 C 6.80 – BVerwGE 62, 18, 19) bezieht sich auf eine andere Konstellation, in der in einer Anfechtungssituation nicht durch ein Anerkenntnisurteil, sondern nur durch ein Sachurteil der fortwährenden Beschwer des Klägers abgeholfen werden konnte.

Der Beklagte hat das Anerkenntnis des streitgegenständlichen Klagebegehrens am 28.10.2016 auch wirksam erklärt. In der Mitteilung, dass die Voraussetzungen für den Erlass des streitgegenständlichen Platzverweises nicht vorgelegen haben, ist ein Anerkenntnis zu sehen und nicht eine Aufhebung des Platzverweises. Diese würde schon wegen der schon vorher eingetretenen Erledigung ins Leere gehen. Zudem kann die Erklärung des Anschlusses an eine „zu erwartende”, aber nicht erfolgte Erledigungserklärung der Klägerin nicht als (unbedingte) Erledigungserklärung verstanden werden.

Ferner liegen die auch für den Erlass eines Anerkenntnisurteils erforderlichen Sachurteilsvoraussetzungen der von der Klägerin erhobenen Fortsetzungsfeststellungsklage vor. Insbesondere hat die Klägerin ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung. Dieses folgt hier daraus, dass sich ein Platzverweis typischerweise so kurzfristig erledigt, dass er ohne Annahme eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses regelmäßig keiner Überprüfung im gerichtlichen Hauptsacheverfahren zugänglich wäre. Die kurzfristige, eine Anfechtungs- und Verpflichtungsklage ausschließende Erledigung ergibt sich dabei aus der Eigenart des Verwaltungsakts selbst (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 16.05.2013 – 8 C 14/12 – BVerwGE 146, 303, Rn. 32 m. w. N.). Dabei kann dahinstehen, ob auch leichtere Grundrechtseingriffe wie Platzverweise ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse allein deshalb begründen, weil Rechtsschutz bei solchen sich typischerweise schnell erledigenden Verwaltungsakten sonst gar nicht zu erlangen wäre (Riese, in Schoch/Schneider VwGO § 113 Rn. 142; Buchberger, in: . Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 7. Aufl. 2021, Rn. 110, auch m. N. zur (uneinheitlichen) Vorgehensweise des Bundesverwaltungsgerichts; Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht mit Verwaltungsprozessrecht, 19. Aufl. 2021, Rn. 1427 m. w. N.; Schenke, Verwaltungsprozessrecht, 17. Aufl. 2021, Rn. 630). Der Platzverweis ist im Fall der Klägerin nicht auf einen leichteren Grundrechtseingriff beschränkt. Vielmehr liegt ein gewichtiger Eingriff in das Grundrecht der Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG) darin, dass die Klägerin infolge des Platzverweises ihrer journalistischen Arbeit nicht weiter nachgehen konnte (vgl. zum Eingriff in die Pressefreiheit als schwerwiegendem erledigten Hoheitsakt auch OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 22.06.2011 – OVG 10 B 1/11 – juris Rn. 37).

Dieses berechtigte Interesse der Klägerin entfällt auch nicht infolge des Anerkenntnisses des Beklagten in einem Schriftsatz (Schenke/Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 27. Aufl. 2021, § 113 Rn. 130; anders für den Fall der Feststellung der Rechtswidrigkeit durch Verwaltungsakt oder Widerspruchsbescheid ebd. Rn. 133). Vielmehr besteht dieses ungeachtet der Anerkenntniserklärung aus den genannten Gründen uneingeschränkt fort (vgl. VG Freiburg, Urteil vom 23.02.2012 – 4 K 2649/10 – NVwZ-RR 2012, 535).

Eine weitergehende Sachprüfung findet gemäß § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 307, § 313b Abs. 1 ZPO nicht statt (vgl. BVerwG, Urteil vom 27.09.2017 – 8 C 21.16 – juris Rn. 7; BGH, Urteil vom 08.10.1953 – III ZR 206/51 – juris Rn. 18; Saenger, in: Saenger, ZPO, 9. Aufl. 2021, § 307 Rn. 9).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO in entsprechender Anwendung.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 132 Abs. 2 VwGO).

Es folgt die Rechtsmittelbelehrung.