1. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung nach dem (SGB II)
1.1 – LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 20.07.2022 – L 13 AS 1162/22
Höhere Regelleistung aufgrund Pandemie und Inflation abgelehnt – Hartz IV Sätze trotz Inflation weiter verfassungsgemäß
Leitsätze
Trotz des erheblichen Anstiegs der Inflation spätestens seit März 2022 liegt eine Unterschreitung des menschenwürdigen Existenzminimums durch die gesetzliche Höhe des Regelbedarfs (Stufe 1) jedenfalls für Leistungsbezieher, die in den Anwendungsbereich des § 73 SGB II fallen, in dem den Monat Juli 2022 umfassenden Bewilligungszeitraum nicht vor. Ob bereits eine offensichtliche und erhebliche Diskrepanz zwischen der tatsächlichen Preisentwicklung und der bei der Fortschreibung der Regelbedarfsstufen berücksichtigten Entwicklung der Preise für regelbedarfsrelevante Güter besteht, kann dann dahinstehen, da die Schaffung des § 73 SGB II jedenfalls eine hinreichende zeitnahe Reaktion des Gesetzgebers im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 23.07.2014 – 1 BvL 10/12 –, BVerfGE 137, 34-103, Rn. 144) darstellt.
Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de
Hinweis Redakteur von Tacheles e. V.: zum SGB XII:
LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss v. 24.08.2022 – L 8 SO 56/22 B ER – Die gegenwärtige Regelsatzhöhe ist aber in Anbetracht der erfolgten und angekündigten („Drittes Entlastungspaket“) Entlastungsmaßnahmen des Gesetzgebers auch nicht evident unzureichend, ein menschenwürdiges Existenzminimum zu sichern.
Und hier:
Vor Gericht zu höheren Leistungen? Beschluss vom LSG Niedersachsen-Bremen und Vorlageverfahren von VdK und SoVD: tacheles-sozialhilfe.de
1.2 – LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 16.06.2022 – L 29 AS 520/22 B ER
Grundsicherung für Arbeitsuchende – keine Versagung von Leistungen wegen Unzumutbarkeit der Mitwirkung – Anforderungen an Beibringung von Nachweisen – Grenze der Mitwirkungspflicht – Klägerin hat Betriebs- und Heizkostenabrechnung von ihrem Vater nicht erhalten
Orientierungssatz Redakteur von Tacheles e. V.
1. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Leistungsentziehung bestehen insoweit, als die Antragstellerin lediglich Untermieterin ist und die Betriebs- und Heizkostenabrechnungen gegenüber dem Hauptmieter (ihrem Vater) erfolgen.
2. Wenn von einem Leistungsempfänger oder einer Leistungsempfängerin etwas subjektiv Unmögliches verlangt wird, kann von einer Mitwirkungsobliegenheit im Sinne des § 60 Abs. 1 SGB I nicht ausgegangen werden (vgl. Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 14. Januar 2008 – L 7 AS 772/07 ER).
Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de
1.3 – LSG NRW, Urt. v. 03.02.2022 – L 6 AS 1867/20 – anhängig BSG B 7 AS 17/22 R
Zur Frage, unter welchen Voraussetzungen die Fiktion der abschließenden Festsetzung vorläufig bewilligter Leistungen nach § 41a Absatz 5 SGB II nicht gilt.
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2. Entscheidungen der Sozialgerichte zum Arbeitsförderungsrecht nach dem (SGB III)
2.1 – SG Gießen, Urt. v. 15.08.2022 – S 14 AL 32/22
Leitsätze
1. In formeller Hinsicht erfordert eine vorläufige Entscheidung nach § 328 Abs. 1 SGB III bereits nach den allgemeinen Vorgaben des § 33 Abs. 1 SGB X einen Verfügungssatz, der für den Empfänger ohne Zweifel die Vorläufigkeit des Bescheides deutlich macht.
2. Der alleinige Hinweis auf die Vorläufigkeit der Leistungsbewilligung im zweiten Absatz „ergänzender Hinweise“ im Anschluss an die Rechtsbehelfsbelehrung eines Bescheides kann nach seiner Begrifflichkeit und Stellung eine Vorläufigkeit nicht begründen.
Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de
2.2 – SG Landshut, Urt. v. 18.07.2022 – S 16 AL 135/20
Leitsätze
I. Wird das Beschäftigungsverhältnis durch Abschluss eines Aufhebungsvertrages gelöst, liegt ein wichtiger Grund i. S. d § 159 Abs. 1 S. 1 SGB III vor, wenn der Arbeitgeber mit einer objektiv rechtmäßigen betriebsbedingten Kündigung zu dem Zeitpunkt droht, zu dem das Arbeitsverhältnis gelöst wird, und dem Arbeitnehmer die Hinnahme dieser Kündigung nicht zuzumuten ist (Anschluss an BSG, Urteil vom 12.07.206, Az. B 11a AL 47/05 R).
II. Im Falle einer drohenden, rechtmäßigen Arbeitergeberkündigung zum selben Zeitpunkt kann eine höhere Abfindung, die im Fall eines Aufhebungsvertrages gezahlt wird, ein schützenswertes Interesse darstellen, und zwar auch dann, wenn die Abfindung nicht um mindestens 10 % höher ist als im Falle einer Kündigung.
Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de
3. Entscheidungen der Landesozialgerichte und Sozialgerichte zur Sozialhilfe (SGB XII)
3.1 – LSG Hamburg, Urt. v. 13.06.2022 – L 4 SO 67/19
Voraussetzungen eines Kostenerstattungsanspruchs des Krankenhauses als sog. Nothelfer gegenüber dem Sozialhilfeträger
Orientierungssatz
1. Der Kostenerstattungsanspruch des sog. Nothelfers nach § 25 SGB 12 setzt die Leistungserbringung in einem Eilfall voraus, die bei rechtzeitigem Einsetzen der Sozialhilfe nicht von diesem zu leisten gewesen wäre, es sei denn, es habe dazu eine rechtliche oder sittliche Pflicht bestanden. (Rn.32)
2. Hat es das Krankenhaus während einer stationären Behandlung des Patienten versäumt, dessen Hilfebedürftigkeit zu klären, so ist es mit einem Erstattungsanspruch gegenüber dem Sozialhilfeträger ausgeschlossen. (Rn.34)
Quelle: www.landesrecht-hamburg.de
3.2 – SG Karlsruhe, Urt. v. 27.07.2022 – S 10 SO 2576/21
Leitsätze
Auch dann, wenn heilpädagogische Leistungen als Einzelleistung gemäß § 79 Abs. 1 SGB IX beantragt wurden ist eine interdisziplinäre Eingangsdiagnostik zur Abgrenzung zu Komplexleistungen gemäß § 79 Abs. 3 iVm § 46 SGB IX zwingend notwendig.
Die Komplexleistung ist der Regelfall und gegenüber der heilpädagogischen Frühförderung als Einzelleistung vorrangig zu prüfen.
Eine ärztliche Verordnung reicht zur Erlangung der „fachlichen Erkenntnis“ im Sinne von § 79 Abs. 1 SGB IX nicht aus.
Eine Leistungserbringung ist erst mit dem Vorliegen aller Voraussetzungen möglich (§ 108 Abs. 1 SGB IX); mithin bedarf es zunächst einer interdisziplinären Eingangsdiagnostik.
Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de
4. Verschiedenes zu Hartz IV, zur Sozialhilfe, zum Asylrecht, Wohngeldrecht und anderen Gesetzesbüchern
4.1 – Hartz-IV-Studie Sanktionen bei Hartz IV verfehlen ihr Ziel
Verstoßen Menschen, die Hartz IV oder zukünftig Bürgergeld erhalten, gegen Auflagen, werden ihre Leistungen gekürzt. Eine Studie zeigt nun, dass solche Maßnahmen ihr Ziel verfehlen
Experten fordern höhere Leistungen.
weiter: www.tagesschau.de
4.2 – Führt eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit im Bundesfreiwilligendienst zur Unbilligkeit der Pflicht zur Beantragung einer vorzeitigen Altersrente?
B 4 AS 60/21 R (voraussichtlicher Termin 22.09.2022)
Vorinstanz:
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, L 25 AS 590/20 WA, 06.08.2021
Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock
Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker