Amtsgericht Eschwege – Urteil vom 25.10.2022 – Az.: 71 Cs – 1622 Js 23138/21

URTEIL

In der Strafsache

gegen

xxx,

Verteidiger:
Rechtsanwalt Sven Adam, Lange Geismarstraße 55, 37073 Göttingen

wegen Nötigung

hat das Amtsgericht Eschwege — Strafrichterin — in der öffentlichen Sitzung vom 20.09.2022, vom 06.10.2022 und vom 25.10.2022, an der teilgenommen haben:

Richterin xxx
als Strafrichterin

Amtsanwältin xxx
als Beamtin der Staatsanwaltschaft

Rechtsanwalt Sven Adam
als Verteidiger

Justizangestellte xxx
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

für Recht erkannt:

Der Angeklagte wird freigesprochen.

Die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen des Angeklagten fallen der Staatskasse zur Last.

Angewendete Vorschriften: § 467 StPO

GRÜNDE
I.

Der im Zeitpunkt der Hauptverhandlung 32 Jahre alte Angeklagte xxx ist ledig und deutscher Staatsangehöriger. Der Angeklagte ist in xxx geboren und in xxx wohnhaft.

Strafrechtlich ist der Angeklagte ausweislich des Bundeszentralregisterauszugs vom 19.08.2022 bislang nicht in Erscheinung getreten.

II.

Dem Angeklagten wurde in dem auf Antrag der Staatsanwaltschaft Kassel erlassenen Strafbefehl des Amtsgerichts Eschwege vom 19.10.2021 vorgeworfen, durch zwei selbstständige Handlungen

1.-2.
Menschen rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung genötigt zu haben.

Am Tattag, dem 31.03.2021, kam es in Witzenhausen gegen 00:15 Uhr an der Gemeinschaftsunterkunft 11A zu einer polizeilichen Maßnahme, welche eine Abschiebung der Frau xxx zum Zweck hatte.

1.
Gegen 00:20. Uhr soll der Angeklagte mit seinem PKW (amtliches Kennzeichen: xxx) den Zufahrtsweg zum Haupteingang der Gemeinschaftsunterkunft befahren und am oberen Ende der Zufahrt diese blockiert haben, indem der Angeklagte seinen PKW quer vor dem sich unmittelbar vor der Eingangstür befindenden Zivilwagen abgestellt, seine Türen verriegelt sowie Licht und Motor hierbei ausgestellt haben soll. Der Angeklagte habe damit verhindern wollen, dass die auf dem Gelände befindlichen Personen, insbesondere die eingesetzten Polizeikräfte POK’in xxx, PK’in xxx, POK xxx, PHK xxx und PK xxx das Gelände der Gemeinschaftsunterkunft mit ihrem Zivilwagen wieder verlassen konnten. Auch nach mehrmaliger Aufforderung durch die Polizeibeamten, seinen PKW zu entfernen und seine Personalien mitzuteilen, sei der Angeklagte dieser Aufforderung zunächst nicht nachgekommen. Erst auf Androhung einer Ersatzvornahme (Abschleppen) habe der Angeklagte gegen 00:35 Uhr durch einen Spalt im Fahrzeugfenster seinen Personalausweis an die Polizeibeamten ausgehändigt.

2.
Erst nach erfolgter Feststellung der Personalien des Angeklagten habe dieser sein Fahrzeug vom oberen Ende des Zufahrtsweges entfernt, jedoch habe er im Anschluss hieran den unteren Teil der Einfahrt erneut durch Querstellen seines Fahrzeuges blockiert, sodass zusätzlich ein weiterer Streifenwagen von der Blockade betroffen gewesen sei. Die Blockade habe nunmehr ca. .15-20 Minuten gedauert. Auf erneute polizeiliche Aufforderungen habe der Angeklagte schließlich sein Fahrzeug entfernt, jedoch erst, als. der Angeklagte von dem negativen Ausgang der Abschiebemaßnahme erfahren habe.

Dies seien Vergehen strafbar nach §§ 240 Abs. 1, 53 StGB.

III.

Der Angeklagte war hinsichtlich der Tat zu 1) aus rechtlichen und hinsichtlich der Tat zu 2) aus tatsächlichen sowie aus rechtlichen Gründen freizusprechen.

Das Gericht konnte sich nach der durchgeführten Beweisaufnahme nicht von der Schuld des Angeklagten überzeugen. Das Verhalten des Angeklagten am Tattag des 31.03.2021 stellte eine massive Behinderung der polizeilichen Maßnahme, jedoch nicht den Straftatbestand der Nötigung dar. Der nicht vorbestrafte Angeklagte hat sich zu den Tatvorwürfen nicht eingelassen und von seinem Schweigerecht Gebrauch gemacht.

Die ausweislich der Sitzungsniederschrift durchgeführte Beweisaufnahme hat im Hinblick auf die Tat zu 1) ergeben, dass bereits der objektive Tatbestand der Nötigung (§ 240 StGB) nicht gegeben war. Zwar ist anerkannt, dass der Gewaltbegriff auch dann als erfüllt gilt, wenn ein Weg — vorliegend somit die Ein- und Ausfahrt zur Gemeinschaftsunterkunft — mit einem Fahrzeug versperrt wird, um auf diese Weise die Weiterfahrt eines anderen zu verhindern. Auch hätte durch das Querstellen des von dem Angeklagten gesteuerten Fahrzeuges grundsätzlich ein Nötigungserfolg erreicht werden können, welcher in der Verhinderung des Wegfahrens des Einsatzfahrzeugs zu sehen gewesen wäre.

Die Beweisaufnahme hat jedoch ergeben, dass ein Nötigungserfolg nicht vorgelegen hat. Unter Nötigen versteht man das Aufzwingen eines Verhaltens gegen den Willen des Opfers. Denn geschütztes Rechtsgut dieser Vorschrift ist die Freiheit der Willensentschließung bzw. -betätigung. Die Verwirklichung des Straftatbestands der Nötigung setzt somit voraus, dass ein entgegenstehender Wille vorhanden ist und dieser entgegenstehende Wille vom Täter durch Gewalt oder Drohung mit einem empfindlichen Übel gebrochen wird.

Die Beweisaufnahme hat nicht zur Überzeugung des erkennenden Gerichts ergeben, dass es in dem Zeitraum von ca. 15 Minuten, in welchem der Angeklagte mit seinem Fahrzeug die Abfahrt der Gemeinschaftsunterkunft blockiert hat, den entgegenstehenden Willen der eingesetzten Polizeibeamten, nämlich das Areal mit dem dafür vorgesehenen Zivilwagen zu verlassen, gab, geschweige denn dass dieser Wille dem Angeklagten gegenüber kommuniziert wurde. Der Zeuge xxx hat in diesem Zusammenhang ausgesagt, er habe dem Angeklagten in lauter Stimme und mindestens dreimal mitgeteilt; er solle sein Fahrzeug wegfahren, da dieses sonst abgeschleppt werde. Auch habe er dem Angeklagten gesagt, dass er mit seinem Verhalten gerade eine polizeiliche Maßnahme behindern würde.

Dass man jedoch dem Angeklagten gegenüber kommuniziert hat, dass man innerhalb der ca. 15-minütigen Blockade wegfahren wollte, sodass er dies verhindert hätte, hat die durchgeführte Beweisaufnahme gerade nicht ergeben. Weder der Zeuge xxx noch die anderen vernommenen Zeugen haben dies ausgesagt.

Zur Überzeugung des Gerichts steht hingegen — nach den glaubhaften Aussagen der glaubwürdigen Zeugen xx und xxx – fest, dass in dem Moment, als der Wille der Polizeibeamten bestanden hat, das Gelände nun wieder mit dem Einsatzwagen zu verlassen, der Angeklagte zuvor mit seinem Fahrzeug weggefahren. war. Dies haben beide Zeugen unabhängig voneinander bestätigt. Die Zeugin xxx, welche den Zivilwagen gefahren hat, hat ausgesagt, dass das Fahrzeug des Angeklagten nicht mehr da war, als sie sich wieder in den Zivilwagen gesetzt hatte, um das Fahrzeug die Einfahrt hinunter zu fahren. Somit war der objektive Tatbestand der Nötigung nach § 240 Abs 1 StGB nicht erfüllt.

Auf die sich darüber hinaus stellende Frage nach der Zweck-Mittel-Relation (Verwerflichkeitsprüfung) gemäß § 240 Abs. 2 StGB im Rahmen der Prüfung der Rechtswidrigkeit brauchte somit nicht mehr eingegangen zu werden.

Auch eine versuchte Nötigung kam nach dem Vorstehenden nicht in Betracht. Der Angeklagte hat nach den Feststellungen keinen Tatentschluss zur Nötigung gehabt. Es konnte ihm nicht nachgewiesen werden, ob es ihm tatsächlich darauf ankam, die Polizeibeamten an dem Verlassen der Gemeinschaftsunterkunft mit ihrem Zivilwagen zu hindern und diese durch die Blockade somit „einzusperren” oder ob der Angeklagte durch das Querstellen seines Fahrzeuges und seiner Präsenz vor der Gemeinschaftsunterkunft lediglich seinen Unmut über die geplante Abschiebung kundtun wollte.

Die Feststellungen hinsichtlich der Tat zu 2) haben ergeben, dass der Angeklagte sowohl aus tatsächlichen als auch aus rechtlichen Gründen vom Vorwurf der Nötigung nach §§ 240 Abs 1, Abs. 2 StGB freizusprechen war.

Die Beweisaufnahme hat zwar bestätigt, dass das Fahrzeug des Angeklagten auch den unteren Teil der Einfahrt hinauf zur Gemeinschaftsunterkunft unmittelbar vor der Straße „Am Frauenmarkt” durch Querstellen zeitweilig blockiert hat.

Allerdings handelte es sich hierbei nach Aussage der Zeugin xxx um eine Zeitspanne von nur ca. drei bis fünf Minuten. Dass die zweite „Blockade” durch das Fahrzeug des Angeklagten wesentlich kürzer ausgefallen war als die erste, haben auch die anderen Zeugen, soweit sie sich noch erinnern konnten, bestätigt. Zum einen war somit nach Auffassung des Gerichts die soeben angegebene Zeitspanne zu kurz, sodass es dem Gericht an der Erheblichkeit der Nötigungshandlung in Form der Gewalt fehlte. Zum anderen sind für das Gericht in tatsächlicher Hinsicht trotz der insgesamt fünf Zeugen, die vernommen wurden, zu viele Unklarheiten geblieben, welche nicht weiter aufgeklärt werden konnten. Denn die Beweisaufnahme hat nicht mit der erforderlichen Sicherheit ergeben, dass es überhaupt der Angeklagte war, der sich noch in dem quergestellten Fahrzeug befunden hat. Auch konnte nicht geklärt -werden, ob – sofern sich der Angeklagte noch hinter dem Steuer des betreffenden Fahrzeuges befunden hat – dieser das Fahrzeug überhaupt noch wegfahren konnte, da in der Zwischenzeit eine Menschenansammlung auf dem Areal der Gemeinschaftsunterkunft vorzufinden war und sich die in der Zwischenzeit eingetroffenen Personen auch um die Fahrzeuge der Polizeibeamten und um das Fahrzeug des Angeklagten gestellt hatten. Keiner der Zeugen konnte bestätigen, dass der Angeklagte sein Fahrzeug früher wegfahren konnte, ohne dass andere Personen hierdurch an Leib und Leben geschädigt worden wären.

Aufgrund des Tumults und der insgesamt aufgeheizten Stimmung in dieser Nacht konnte der Sachverhalt im Hinblick auf die zweite, dem Angeklagten vorgeworfenen Nötigungshandlung somit nur teilweise aufgeklärt werden. So ist auch unklar geblieben, ob der Angeklagte überhaupt den erforderlichen Nötigungsvorsatz gehabt hat, oder ob er selber, wegen der vielen anderen Personen, die hinzugekommen waren, daran gehindert war, sein Fahrzeug früher zu entfernen.

Nach alldem konnte der Angeklagte der ihm vorgeworfenen Taten — der Nötigung in zwei Fällen – nicht überführt werden, sodass ein Freispruch zu erfolgen hatte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 StPO.