1. Entscheidungen des Bundessozialgerichts zur Sozialhilfe nach dem (SGB XII)
1.1 – BSG, Urt. v. 08.12.2022 – B 8 SO 4/21 R
Sozialhilfe – Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung – Unterhaltszahlungen
Leitsatz Redakteur v. Tacheles e. V.
Tatsächlich zufließenden Unterhaltszahlungen sind als Einkommen zu berücksichtigen.
Orientierungshilfe Redakteur v. Tacheles e. V.
1. Im Recht der Grundsicherung (bzw ab dem 1.1.2020 in der Sozialhilfe allgemein) sind lediglich die Ansprüche von Kindern gegenüber den Eltern auf Unterhalt (und Unterhaltsansprüche von Eltern gegenüber ihren Kindern) im Grundsatz nicht zu berücksichtigen. Ein allgemeiner Vorrang von Grundsicherungsleistungen gegenüber Unterhalt besteht aber nicht.
2. Setzt das erwachsene Kind seinen Unterhaltsanspruch erfolgreich durch und fließt Unterhalt zu, ist sein Grundsicherungsanspruch insoweit gemindert bzw ausgeschlossen.
Quelle: www.bsg.bund.de
2. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung nach dem (SGB II)
2.1 – Sächsisches LSG, Urt. v. 07.12.2022 – L 6 AS 353/21
Leitsätze
1. Ein Datumsstempel auf dem Widerspruchsbescheid, der nur den Zeitpunkt der Abgabe an die innerbehördliche Poststelle dokumentiert, stellt keinen ausreichenden Nachweis für das Datum der Aufgabe zur Post i.S.v. § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB 10 dar.
2. Bei fehlendem Absendevermerk der Poststelle hat das Gericht den tatsächlichen Zeitpunkt der Aufgabe zur Post nicht zu ermitteln. In diesem Fall bestehen Zweifel i.S.v. § 37 Abs. 3 2. Halbsatz SGB 10 mit der Folge, dass die Behörde den Zugang des Verwaltungsaktes und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen hat.
Bemerkung
Zur Anwendung der Zugangsfiktion des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB 10
Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de
2.2 – LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 25.11.2022 – L 3 AS 2890/22 NZB
Leitsätze
1. Ein tragender Rechtssatz im Sinne des § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG liegt nur bei einer fallübergreifenden, nicht lediglich auf die Würdigung des Einzelfalls bezogenen rechtlichen Aussage vor (Anschluss an BSG, Beschluss vom 01.12.2017 – B 11 AL 66/17 B, juris).
2. Für die Annahme einer Divergenz genügt es nicht, wenn die angefochtene Entscheidung nicht den Kriterien entspricht, die die in § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Gerichte aufgestellt haben oder wenn das Gericht, dessen Entscheidung angefochten wird, die Rechtsprechung der genannten Gerichte nicht gekannt hat, übersehen oder verkannt hat.
3. Erforderlich ist vielmehr, dass das Gericht bewusst einen abweichenden Rechtssatz aufgestellt hat. Die Begründung des Gerichts muss erkennen lassen, dass es den in § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Gerichten widersprochen und von deren rechtlichen Aussagen abweichende, das heißt mit diesen unvereinbare, rechtliche Maßstäbe aufgestellt hat (Anschluss an BSG, Beschluss vom 23.06.2015 – B 14 AS 345/14 B, juris Rn. 3, 5).
Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de
3. Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung nach dem (SGB II)
3.1 – SG Karlsruhe, Urt. v. 08.12.2022 – S 3 AS 1456/22
Nachforderung von Betriebskosten für die ehemals bewohnte Wohnung sind zu übernehmen (Anschluss an SG Detmold, Urt. v. 30.11.2017 – S 23 AS 1759/16 – rechtskräftig, veröffentlicht im Tacheles Rechtsprechungsticker KW 10/2018).
Leitsatz Redakteur v. Tacheles e. V.
1. Die vom BSG gebildeten Fallgruppen, die eine Übernahme von Kosten für eine nicht mehr bewohnte Wohnung ermöglichen (Erfüllung einer Kostensenkungsobliegenheit bzw. Zusicherung hinsichtlich des Umzugs), sind indes nicht als abschließend anzusehen (Anschluss an LSG NRW, Urteil vom 23.05.2019 – L 7 AS 1440/18, veröffentlicht im Tacheles Rechtsprechungsticker KW 28/2019).
2. Ein Umzug steht einer grundsicherungsrechtlichen Berücksichtigung einer Nebenkostennachforderung nicht entgegen.
Orientierungshilfe Redakteur v. Tacheles e. V.
1. Nebenkostennachforderungen für eine Wohnung, die erst fällig geworden sind, nachdem diese nicht mehr bewohnt wird, sind ein anzuerkennender Bedarf für Unterkunft und Heizung, wenn die leistungsberechtigte Person durchgehend von der tatsächlichen Entstehung der Nachforderung bis zur deren Fälligkeit hilfebedürftig nach dem SGB II war, und die Aufgabe der bisherigen Wohnung in Erfüllung einer Kostensenkungsobliegenheit gegenüber dem Leistungsträger erfolgt und keine andere Bedarfsdeckung eingetreten ist (BSG, Urteil vom 30.03.2017, Az.: B 14 AS 13/16) oder wenn der Leistungsberechtigte durchgehend seit dem Zeitraum, für den die Nebenkostennachforderung erhoben wird, bis zu deren Geltendmachung und Fälligkeit im Leistungsbezug nach dem SGB II und eine Zusicherung hinsichtlich des Umzugs während des Bezugs von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II vorlag.
2. Die genannten gebildeten Fallgruppen des BSG sind nicht abschließend zu sehen (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 23.05.2019, Az.: L 7 AS 1440/18).
3. Entscheidend ist zunächst, dass die Entstehung der Nachforderungen und ihre Fälligkeit in einen Zeitraum ununterbrochener Hilfebedürftigkeit liegt. Auch ohne die Erfüllung einer Kostensenkungsobliegenheit bzw. nach Umzugssicherung bewirkt die Nichtübernahme der Nebenkostennachforderung eine faktische Umzugssperre, da sich ein Leistungsbezieher dann dem Risiko ausgesetzte sähe, nur wegen nicht in ausreichender Höhe festgesetzter Nebenkostenvorauszahlungen mit Schulden belastet zu werden.
4. Spiegelbildlich hierzu würde eine Erstattung der Nebenkosten auch in der vorliegenden Situation eine Minderung für die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung nach sich ziehen. Weiterhin sind Folgeprobleme für die aktuelle Wohnsituation denkbar, sei es, dass die neue Wohnung beim Vermieter der früheren Wohnung angemietet ist, oder sei es, dass für die Heizenergieversorgung derselbe Energielieferant zuständig ist, und aufgrund dessen Zahlungsschwierigkeiten aus dem früheren Miet- oder Versorgungsverhältnis auf die gegenwärtigen Rechtsbeziehungen durchschlagen. Diese Folgeprobleme können unabhängig von einer vorherigen Kostensenkungsaufforderung oder Umzugszusicherung auftreten (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 23.05.2019, Az.: L 7 AS 1440/18; SG Detmold, Urteil vom 30.11.2017, Az.: S 23 AS 1759/16).
Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de
4. Entscheidungen der Landessozialgerichte und Sozialgerichte zur Sozialhilfe (SGB XII)
4.1 – LSG Hessen, Urt. v. 28.09.2022 – L 4 SO 184/20
Leitsätze
Beschreibt ein Beklagter in einem Bewilligungsbescheid die zu gewährenden Leistungen der Eingliederungshilfe unter Bezugnahme auf eine im Leistungserbringerrecht geregelte Hilfebedarfsgruppe, so ist darin eine verwaltungsaktförmige Regelung zu sehen. Sachleistungen im Umfang der genannten Hilfebedarfsgruppe werden gewährt, weitergehende Sachleistungen, die vom Kläger unter Bezugnahme auf eine höhere Bedarfsgruppe beantragt wurden, werden abgelehnt.
Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de
4.2 – LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 17.11.2022 – L 7 SO 2709/21
Leitsätze
Die normative Zuflussbestimmung des § 82 Abs. 7 Satz 1 SGB XII, wonach einmalige Einnahmen, bei denen für den Monat des Zuflusses bereits Leistungen erbracht worden sind, im Folgemonat berücksichtigt werden, ist sowohl nach dem Wortlaut als auch nach der Gesetzesbegründung zwingend. Hiervon kann auch nicht aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung abgewichen werden.
Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de
5. Entscheidungen zum Asylrecht und AsylbLG
5.1 – Sächsisches LSG, Urt. v. 30.11.2022 – L 8 AY 15/21
Leitsätze
Ein Betroffener, der einen auf eine höhere Leistung gerichteten Überprüfungsantrag stellt, strebt regelmäßig außer dem Maximalziel, die begehrte Leistung rückwirkend zu erhalten, auch das weniger weitreichende Ziel an, die Leistung wenigstens vom Zeitpunkt seines Neuprüfungsantrages an zu beziehen (Bezug auf BSG, Urteil vom 5. November 1997 – 9 RV 4/96).
Ob die Maßnahme einer Behörde die Merkmale eines Verwaltungsakts erfüllt, ist nicht nach dem Willen der Behörde, sondern nach ihrem objektiven Erklärungswert zu beurteilen. Maßgebend ist, wie der Empfänger sie unter Berücksichtigung der ihm erkennbaren Umstände bei objektiver Würdigung verstehen muss; Unklarheiten gehen zu Lasten der Verwaltung (Bezug auf BVerwG, Urteil vom 17. August 1995 – 1 C 15/94).
Nach § 9 Abs. 4 Satz 1 AsylbLG in Verbindung mit § 44 Abs. 1 SGB X ist der Leistungsträger – abweichend von § 51 VwVfG – dazu verpflichtet, auch bei wiederholten Anträgen über die Rücknahme entgegenstehender Verwaltungsakte und die Gewährung der beanspruchten Sozialleistung zu entscheiden (Bezug auf BSG, Urteil vom 11. November 2003 – B 2 U 32/02 R).
Die Ausländerbehörde darf nicht ohne weitere Aufklärung des Sachverhalts davon ausgehen, dass die Betroffenen flüchtig seien, weil sie zur unangekündigten Überstellung nach Polen in der Gemeinschaftsunterkunft nicht angetroffen worden sind. Die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet wird von einem Betroffenen nicht aufgrund bloßer Zuschreibung eines Sachbearbeiters rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst.
Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de
Wir wünschen allen Lesern und Menschen ein frohes und besinnliches Weihnachtsfest!
Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock
Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker