BESCHLUSS
In dem Rechtsstreit
xxx,
Klägerin,
Prozessbevollm.: Rechtsanwalt Sven Adam
Lange Geismarstraße 55, 37073 Göttingen,
gegen
Regierungspräsidium Gießen,
Abt. VII / Dezernat 73,
vertreten durch den Regierungspräsidenten,
Lilienthalstraße 2, 35394 Gießen,
Beklagte,
hat die 30. Kammer des Sozialgerichts Frankfurt am Main am 13. März 2023 durch den Vorsitzenden, Richter am Sozialgericht xxx, beschlossen:
Der Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
GRÜNDE
Gemäß § 193 Abs. 1 S. 3 SGG entscheidet das Gericht auf Antrag durch Beschluss, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben, wenn das Verfahren anders als durch Urteil beendet wird. Vorliegend wurde das Verfahren durch angenommenes Anerkenntnis der Klägerin vom 26.01.2023 beendet und ein entsprechender Kostenantrag gestellt.
Die Kostengrundentscheidung richtet sich unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen des Gerichts (Rechtsgedanke des § 91a ZPO) und des § 161 Abs. 2 VwGO). Für die auf der Grundlage einer summarischen Prüfung des Sach- und Streitstandes im Zeitpunkt der Erledigung im Rahmen von § 193 Abs. 1 SGG nach sachgemäßem Ermessen zu treffende Entscheidung ist in erster Linie der vermutliche Verfahrensausgang von Bedeutung (BSG Beschl. v. 09.01.1997 – 4 RA 116/95, BeckRS 1997, 30766267, beck-online). Grundsätzlich sind die Verfahrenskosten demjenigen aufzuerlegen, der im Verfahren unterliegt.
Allerdings sind die Erfolgsaussichten sowie der tatsächliche Ausgang des Verfahrens keine alleinigen Kriterien für die Kostenentscheidung. Vielmehr hat das Gericht neben dem Ergebnis des Rechtsstreits billigerweise alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen. Ein möglicher Aspekt ist dabei das sog. Veranlassungsprinzip. Grundlage für die Heranziehung des sogenannten „Veranlassungsprinzips“ als Ermessensgesichtspunkt ist die Vorstellung, dass die Kosten des Gerichtsverfahrens demjenigen aufzuerlegen sind, der Anlass für den Rechtsstreit gegeben hat (vgl. HLSG, Beschl. v. 30. Januar 1996, Az. L 4 B 24/95, juris-Rn. 8; Beschl. v. 13. Mai 1996, Az. L 5 B 64/94, juris-Rn. 23; Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 13. Auflage 2020, § 193, Rn. 12b). Es gilt also zu prüfen, ob es sich etwa um einen von vornherein vermeidbaren oder überflüssigen Prozess gehandelt hat und wem dieses ggf. zur Last zu legen ist. Insoweit kommt es insbesondere darauf an, ob im Verlaufe des Verwaltungsverfahrens der Leistungsträger seiner Amtsermittlungspflicht und der Leistungsberechtigte seiner Mitwirkungspflicht in hinreichendem Maße nachgekommen sind. Bleibt bei der unstreitigen Beendigung des Rechtsstreits offen, ob der Leistungsträger Anlass für den Rechtsstreit gegeben hat, der Leistungsberechtigte sich jedoch letztendlich mit seinem ursprünglichen Begehren, wenn auch in geringerer Höhe durchsetzen kann, entspricht es in Abwägung des Erfolgs- und Veranlassungsprinzips im Allgemeinen billigem Ermessen eine Kostenquotelung vorzunehmen (vgl. insb. HLSG, Beschl. v. 07. Februar 2003, Az. L 12 B 93/02 RJ, juris-Rn. 18; Leitherer in: a.a.O., § 193 Rn. 12 ff.).
Das Gericht hält unter Beachtung dieser Grundsätze in Ausübung seines Ermessens eine Kostenübernahme durch den Beklagten für sachgerecht.
Gegenstand der am 19.07.2022 erhobenen Klage war der Anspruch der Klägerin auf Gewährung von Leistungen nach §§ 3, 3a AsylbLG in der Regelbedarfsstufe 1.
Diesem Streitgegenstand hat der Beklagte durch sein Anerkenntnis vom 11.01.2023 Rechnung getragen. Die Klage wäre auch nach summarischer Prüfung der Rechtslage vermutlich auch bei streitiger Entscheidung erfolgreich gewesen.
Das BVerfG hat in seinem Beschluss vom 19. Oktober 2022 in dem Verfahren mit dem Aktenzeichen 1 BvL 3/21 festgestellt, dass § 2 Abs. 1 S. 4 Nr. 1 AsylbLG in der Fassung des Artikel 1 Nummer 3 des Dritten Gesetzes zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes vom 13. August 2019 (Bundesgesetzblatt I Seite 1290) mit Artikel 1 Abs. 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip aus Artikel 20 Abs. 1 des Grundgesetzes unvereinbar ist, soweit für eine alleinstehende erwachsene Person ein Regelbedarf lediglich in Höhe der Regelbedarfsstufe 2 anerkannt wird (BVerfG Beschl. v. 19. Oktober 2022 – 1 BvL 3/21, BeckRS 2022, 32661, beck-online). Es hat insoweit bis zum Inkrafttreten einer Neuregelung angeordnet, dass auf Leistungsberechtigte nach § 2 Abs. 1 S. 1 AsylbLG § 28 SGB XII in Verbindung mit dem Regelbedarfsermittlungsgesetz und §§ 28a, 40 SGB XII mit der Maßgabe entsprechende Anwendung findet, dass bei der Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft im Sinne von § 53 Abs. 1 des AsylG oder in einer Aufnahmeeinrichtung nach § 44 Abs. 1 des AsylG für jede alleinstehende erwachsene Person der Leistungsbemessung ein Regelbedarf in Höhe der jeweils aktuellen Regelbedarfsstufe 1 zugrunde gelegt wird (BVerfG aaO).
Zwar bezieht sich die Entscheidung des BVerfG zu § 2 Abs. 1 S.1 und S. 4 Nr. 1 AsylbLG noch deren Übergangsregelung auf die Sonderbedarfsstufe 2 für Leistungsberechtigte in Sammelunterkünften nach § 3a AsylbLG. Im Hinblick auf Leistungsberechtigte nach § 3, 3a AsylbLG hat das LSG Hessen in seinem Beschluss vom 20. Dezember 2022 – L 4 AY 28/22 B ER/ L 4 AY 29/22 B ER aber ausgeführt:
„Soweit das Bundesverfassungsgericht seine Anordnung auf Leistungsberechtigte nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AsylbLG beschränkt hat und Leistungsberechtigte nach § 3, 3a Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe b) und Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe b) AsylbLG von der Anordnung nicht umfasst sind, stellt sich die verfassungsrechtliche Problematik der Regelungen in § 3a AsylbLG als vergleichbar dar, denn auch insoweit bestehen keine tragfähigen Anhaltspunkte dafür, dass in den Sammelunterkünften regelmäßig tatsächlich Einsparungen durch gemeinsames Wirtschaften erzielt werden oder werden können, die eine Absenkung der Leistungen um 10% rechtfertigen würden. […] der Senta [geht] daher davon aus, dass auch im Anwendungsbereich der Grundleistungen nach §§ 3, 3a AsylbLG die Anordnung des Bundesverfassungsgerichts entsprechend umzusetzen ist.“
Dieser Auffassung schließt sich die erkennende Kammer an. Das BVerfG hat in seinem Beschluss vom 19. Oktober 2022 ausgeführt, dass nicht davon ausgegangen werden könne, dass Alleinstehende in den Sammelunterkünften, weil sie typischerweise gemeinsam mit anderen dort Wohnenden wirtschaften und dadurch für den Regelbedarf relevante Einsparungen erzielen, tatsächlich im Regelfall einen geringeren Bedarf haben als Alleinstehende in einer eigenen Wohnung (BVerfG, Beschluss vom 19. Oktober 2022 – 1 BvL 3/21 –, Rn. 70, juris). Tragfähige Erkenntnisse dazu lägen nicht vor und der der Gesetzgeber könne auch nicht die pauschale Annahme zugrunde legen, dass in Sammelunterkünften so wie in Paarhaushalten gemeinsam gewirtschaftet wird und deshalb ein gegenüber der Regelbedarfsstufe 1 geringerer Bedarf bestehe (BVerfG, Beschluss vom 19. Oktober 2022 – 1 BvL 3/21 –, Rn. 70, juris).
Diese zu § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AsylbLG vom BVerfG vorgebrachten Argumente lassen sich nach Auffassung der Kammer zwanglos auf § 3a AsylbLG übertragen, da auch diesbezüglich nicht – ohne tragfähige Begründung – davon ausgegangen werden kann, dass Alleinstehende in den Sammelunterkünften typischerweise gemeinsam wirtschaften und deshalb einen geringen Bedarf haben.
Insoweit sprechen aus Sicht der Kammer gute Gründe dafür, dass auch die § 3a Abs. 1 Nr. 2b) AsylbLG bzw. § 3a Abs. 2 Nr. 2b) AsylbLG verfassungswidrig sein könnten (weitergehend Frerichs in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3. Aufl., § 3a AsylbLG (Stand: 28.12.2022), Rn. 44.18: „Aus der Entscheidung des BVerfG v. 19.10.2022 (- 1 BvL 3/21 -) ergibt sich ohne Zweifel auch die Verfassungswidrigkeit des § 3a Abs. 1 Nr. 2b) AsylbLG bzw. § 3a Abs. 2 Nr. 2 b) AsylbLG“) und dem Antragsteller Leistungen der Regelbedarfsstufe 1 zu gewähren sind.
Insofern wäre die Klägerin vermutlich bei einer streitigen Entscheidung – gegebenenfalls nach einer Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG – erfolgreich gewesen.
Gründe, der Klägerin aus Veranlassungsgesichtspunkten einen Teil der Kosten aufzuerlegen, sind nicht ersichtlich.
Die Beschwerde gegen diesen Beschluss ist ausgeschlossen § 172 Abs. 3 SGG.