Tacheles Rechtsprechungsticker KW 14/2023

1. Entscheidungen des Bundessozialgerichts zur Grundsicherung nach dem (SGB II)

1.1 – BSG, Urt. v. 08.12.2022 – B 7/14 AS 25/21 R

Grundsicherung für Arbeitsuchende – gemeinsame Einrichtung – Aufgabenwahrnehmung – Zuständigkeit – Wahrnehmung einzelner Aufgaben durch die Träger – Übertragungsbeschluss der Trägerversammlung des Jobcenters – Verwaltungsvereinbarung – Durchführung des Forderungseinzugs durch die Bundesagentur für Arbeit – Erlass von Widerspruchsbescheiden in eigenem Namen

Orientierungshilfe Redakteur v. Tacheles e. V.
Kein Erlass von Widerspruchsbescheiden in eigenem Namen durch die Bundesagentur für Arbeit.

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1.2 – BSG, Urteil v. 27.09.2022 – B 7/14 AS 59/21 R

Grundsicherung für Arbeitsuchende – Übergangsfähigkeit des Leistungsanspruchs – Erbe – Einkommensberücksichtigung und -berechnung – Zusammentreffen von Unfallrenten mit Einkünften aus ehrenamtlicher Tätigkeit – Einkommensbereinigung

Bundessozialgericht klärt Hartz-IV-Freibeträge bei Ehrenamt

Hartz-IV-Bezieher können neben dem erhöhten Freibetrag für eine ehrenamtliche Tätigkeit nicht zusätzlich weitere Freibeträge für eine Versicherungspauschale und die Kfz-Versicherung geltend machen. In dem erhöhten Freibetrag für Einkünfte aus einer ehrenamtlichen Tätigkeit sind die anderen Absetzbeträge bereits enthalten.

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Volltext: www.sozialgerichtsbarkeit.de

Hinweis:
S. a. dazu: Keine zusätzlichen Absetzbeträge zu Hartz-IV-Freibetrag für Ehrenamt – von Autor: Rechtsanwalt Sebastian Einbock

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2. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung nach dem (SGB II)

2.1 – LSG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 15.07.2022 – L 2 AS 344/21

Leitsätze
1. Sofern es, zB aufgrund eines Überprüfungsantrages, noch möglich erscheint, dass die bereits auf Antrag des Grundsicherungsträgers gewährte Altersrente mit Abschlägen noch zugunsten des Leistungsberechtigten in eine abschlagsfreie Rentengewährung umgewandelt werden könnte, besteht ein Rechtsschutzinteresse für eine Klage wegen der Aufforderung zur Beantragung der vorzeitigen Altersrente.

2. Die Regelung zur Unbilligkeit in § 6 UnbilligkeitsV für den Fall der Inanspruchnahme der vorzeitigen Altersrente und dabei zu erwartender Hilfebedürftigkeit in der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII ist erst zum 1. Januar 2017 in Kraft getreten und entfaltet keine Wirkung für die Vergangenheit (Anschluss an BSG, Urteil vom 24. Juni 2020 – B 4 AS 12/20 R – juris RN 25).

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2.2 – LSG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 09.02.2023 – L 4 AS 340/21

Leitsätze
1. Die ab 1. Mai 2014 geltende KdUH-Richtlinie der Stadt Dessau-Roßlau auf der Grundlage des Methoden- und Ergebnisberichts aus März 2014 in der Fassung der Neuberechnung im Gewichtungsverfahren, Methodenbericht von Oktober 2022 beruht für einen Zweipersonenhaushalt auf einem schlüssigen Konzept.

2. Um die Repräsentativität der erhobenen Daten für ein KdUH-Konzept sicherzustellen, ist der (lokale) Mietwohnungsmarkt wirklichkeitsgetreu abzubilden. Die Datenerhebung muss in ihrer Zusammensetzung und in der Struktur der relevanten Merkmale der Grundgesamtheit möglichst ähnlich sein.

3. Ein KdUH-Konzept ist nicht repräsentativ, wenn institutionelle Vermieter nicht entsprechend ihrem Marktanteil, sondern deutlich überproportional im Verhältnis zu den privaten Vermietern in der Mietwerterhebung vertreten sind. Dieser Mangel kann durch eine gewichtete Neuberechnung – differenziert nach Nettokaltmieten und Betriebskosten – korrigiert werden, in der private Kleinvermieter einerseits und institutionelle Großvermieter andererseits sowie geförderter Wohnraum (sog Sozialwohnungen) nach ihrem tatsächlichen Anteil auf dem Mietwohnungsmarkt berücksichtigt werden.

4. Auch wenn die “Hochrechnung” der Neuvertragsmieten im Konzept mangels Angabe des Referenzwerts (bislang) nicht nachvollziehbar ist, wird das Konzept dadurch nicht unschlüssig. Um sicherzustellen, dass die aus den Bestandsmieten ermittelten Mietpreise es den Grundsicherungsempfängern erlauben, zu den angegebenen Preisen auch tatsächlich Wohnraum anmieten zu können, ist eine Ergebniskontrolle durch Gegenübergestellung der Angebotsmieten möglich.

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2.3 – LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss v. 28.12.2022 – L 5 AS 549/22 B ER

Leitsätze
Der Mehrbedarf nach § 21 Abs 4 Satz 1 SGB II setzt die Leistungserbringung im Rahmen einer strukturierten regelförmigen Maßnahme iSv § 21 Abs 4 Satz 2 SGB II voraus, die innerhalb eines organisatorischen Rahmens erbracht werden muss. Reine Vermittlungs- und Beratungsleistungen (hier der gesetzlichen Unfallversicherung) sind nicht ausreichend.

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2.4 – LSG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 22.12.2022 – L 4 AS 293/15

Leitsätze
1. Die ab 1. April 2012 geltende KdUH-Richtlinie des Landkreises Anhalt-Bitterfeld auf der Grundlage der Mietwerterhebung 2012 in der Fassung des Korrekturberichts von Oktober 2019 und der Neuberechnung im Gewichtungsverfahren vom 3. Dezember 2021 beruht auf einem schlüssigen Konzept.

2. Die vom Landkreis Anhalt-Bitterfeld gebildeten drei Vergleichsräume sind nicht zu beanstanden. Die früheren Mittelzentren des Landkreises und jetzigen sog zentralen Orte, die Städte Bitterfeld-Wolfen, Köthen und Zerbst/Anhalt, sind die Versorgungskerne in ihrem Einzugsgebiet für die Daseinsvorsorge. Sie stellen mit ihren Einzugsgebieten jeweils homogene Wohn- und Lebensräume dar.

3. Um die Repräsentativität der erhobenen Daten für ein KdUH-Konzept sicherzustellen, ist der (lokale) Mietwohnungsmarkt wirklichkeitsgetreu abzubilden. Die Datenerhebung muss in ihrer Zusammensetzung und in der Struktur der relevanten Merkmale der Grundgesamtheit möglichst ähnlich sein.

4. Ein KdUH-Konzept ist nicht repräsentativ, wenn institutionelle Vermieter nicht entsprechend ihrem Marktanteil, sondern deutlich überproportional im Verhältnis zu den sog Kleinvermietern in der Mietwerterhebung vertreten sind, und bei einer gesonderten Auswertung der Mieten nach Vermietertyp erhebliche Preisunterschiede bei den Nettokaltmieten festzustellen sind. Es ist methodisch unplausibel, eine Stichprobe bei privaten Kleinvermietern mit einer (annähernden) Vollerhebung bei Großvermietern zu vermischen. Dieser Mangel kann durch eine gewichtete Neuberechnung – differenziert nach Nettokaltmieten und Betriebskosten – korrigiert werden, in der private Kleinvermieter einerseits und institutionelle Großvermieter andererseits nach ihrem Anteil auf dem Mietwohnungsmarkt berücksichtigt werden.

Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de

2.5 – LSG Baden-Württemberg Urteil vom 25.1.2023, L 3 AS 3922/20

Leitsätze
1. Einem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II kann zugunsten einer Unionsbürgerin ein in entsprechender Anwendung von § 11 Abs. 1 Satz 11 FreizügG/EU a.F. i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG und Art. 18 Abs. 1 AEUV bestehendes materielles Aufenthaltsrecht entgegenstehen, wenn ihrem minderjährigen freizügigkeitsberechtigten Kind mit Unionsstaatsbürgerschaft unter Berücksichtigung von dessen in Art. 6 GG und Art. 8 EMRK garantierten Grundrechten der Ausschluss von der Erziehungsleistung eines seiner leiblichen Elternteile nicht zumutbar ist.

2. Im Einzelfall können solche Umstände jedenfalls dann vorliegen, wenn das freizügigkeitsberechtigte Kind mit Unionsbürgerschaft während des Bewilligungszeitraums das erste Lebensjahr vollendet und sich noch im frühkindlichen Entwicklungsstadium befunden hat.

Quelle: lrbw.juris.de

3. Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung nach dem (SGB II)

3.1 – SG Trier, Beschluss v. 24.02.2023 – S 4 AS 131/22 ER

Anforderungen an den Nachweis erheblichen Vermögens (§ 67 Abs 2 SGB 2)

Leitsatz
1. Ist aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte das Vorliegen eines “erheblichen Vermögens” nicht unwahrscheinlich erscheint, darf die Behörde trotz der Erklärung des Antragstellers, dass solches Vermögen nicht vorhanden sei, den Sachverhalt von Amts wegen aufklären.

2. Die Amtsermittlungsbefugnis erstreckt sich auf alle Maßnahmen, die die Behörde nach pflichtgemäßem Ermessen für erforderlich hält. Daher kann neben Auskünften zu Konten und Guthaben insbesondere auch die Vorlage der Anlage Vermögen (VM) gefordert werden.

3. Stellt sich während der Ermittlungsmaßnahme heraus, dass aufgrund der bekannt gewordenen Vermögensgegenstände bislang erhebliches nicht vorliegt, darf das Jobcenter die Anlage Vermögen (VM) gleichwohl weiterhin anfordern, um die Aufklärung des Sachverhalts abzuschließen. Wurde die Vorlage verweigert, kann hinsichtlich der Vermutung nach § 67 Abs 2 Satz 2 SGB 2 eine Beweislastumkehr in Betracht kommen.

Quelle: www.landesrecht.rlp.de

Hinweis:
Ebenso LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss v. 15.09.2022 – L 13 AS 151/22 B ER (n. v.)

4. Entscheidungen der Landessozialgerichte zum Arbeitsförderungsrecht (SGB III)

4.1 – LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss v. 14.03.2022 – L 2 AL 2/19

Leitsätze
Verzugsschäden sind im Rahmen des Insolvenzgeldes nicht mitversichert. Daran ändert es nichts, wenn solche Ausgleichsansprüche für verspätete Lohnzahlungen arbeitsvertraglich vereinbart sind.

Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de

4.2 – LSG Baden-Württemberg Urteil vom 25.1.2023, L 3 AL 1521/22

Leitsätze
Die Bundesagentur für Arbeit (BA) hat bei der Aufforderung einer nach ihrer Auffassung leistungsgeminderten Person zur Beantragung von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation nach § 145 Abs. 2 SGB III keinen Ermessensspielraum, anders als etwa Krankenkassen (vgl. § 51 Abs. 1 SGB V).

Nach Umdeutung eines von der BA veranlassten Antrages auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation in einen Antrag auf Rente durch den Träger der gesetzlichen Rentenversicherung hat ein Versicherter gegen die BA keinen Anspruch auf Einräumung eines Dispositionsrechts hinsichtlich des Zeitpunkts des Beginns seiner Erwerbsminderungsrente.

Quelle: lrbw.juris.de

5. Entscheidungen der Landessozialgerichte und Sozialgerichte zur Sozialhilfe (SGB XII)

5.1 – LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 06.03.2023 – L 7 SO 2466/22

Leitsätze
Hat sich die Vorläufigkeit einer Leistungsbewilligung durch Zeitablauf (§ 44a Abs. 6 Satz 1 SGB XII) erledigt, darf die Vorläufigkeit der Bewilligung im gerichtlichen Verfahren unabhängig davon, ob sie ursprünglich rechtswidrig war, nicht mehr aufgehoben werden.

Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de

Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock
Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker