Tacheles Rechtsprechungsticker KW 17/2023

1. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung nach dem (SGB II)

1.1 – LSG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 09.02.2023 – L 4 AS 164/19

Leitsätze
Die ab 1. Mai 2014 geltende KdUH-Richtlinie der Stadt Dessau-Roßlau auf der Grundlage des Methoden- und Ergebnisberichts aus März 2014 in der Fassung der Neuberechnung im Gewichtungsverfahren, Methodenbericht von Oktober 2022, beruht für einen Einpersonenhaushalt auf einem schlüssigen Konzept.

Um die Repräsentativität der erhobenen Daten für ein KdUH-Konzept sicherzustellen, ist der (lokale) Mietwohnungsmarkt wirklichkeitsgetreu abzubilden. Die Datenerhebung muss in ihrer Zusammensetzung und in der Struktur der relevanten Merkmale der Grundgesamtheit möglichst ähnlich sein.

Ein KdUH-Konzept ist nicht repräsentativ, wenn institutionelle Vermieter nicht entsprechend ihrem Marktanteil, sondern deutlich überproportional im Verhältnis zu den privaten Vermietern in der Mietwerterhebung vertreten sind. Dieser Mangel kann durch eine gewichtete Neuberechnung – differenziert nach Nettokaltmieten und Betriebskosten – korrigiert werden, in der private Kleinvermieter einerseits und institutionelle Großvermieter andererseits sowie geförderter Wohnraum (sog Sozialwohnungen) nach ihrem tatsächlichen Anteil auf dem Mietwohnungsmarkt berücksichtigt werden.

Auch wenn die “Hochrechnung” der Neuvertragsmieten im Konzept mangels Angabe des Referenzwerts (bislang) nicht nachvollziehbar ist, wird das Konzept dadurch nicht unschlüssig. Um sicherzustellen, dass die aus den Bestandsmieten ermittelten Mietpreise es den Grundsicherungsempfängern erlauben, zu den angegebenen Preisen auch tatsächlich Wohnraum anmieten zu können, ist eine Ergebniskontrolle durch Gegenüberstellung der Angebotsmieten möglich.

Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de

1.2 – LSG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 21.12.2022 – L 5 AS 283/22 – Revision zugelassen

Orientierungshilfe Redakteur v. Tacheles e. V.
Zur Frage, ob an der bisherigen Rechtsprechung des BSG zur Anrechnung eines Guthabens aus einer Betriebs- und Heizkostenabrechnung auf die tatsächlichen KdUH im Anrechnungsmonat auch nach der Neuregelung in § 22 Abs. 3 SGB II ab 1. August 2016 festzuhalten ist. Diese Frage ist auch weiterhin klärungsbedürftig, da § 22 Abs. 3 SGB II nach dem Zwölften Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze – Einführung eines Bürgergeldes (Bürgergeld-Gesetz) ab 1. Januar 2023 unverändert weiter gilt, hier verneint.

Leitsätze
Die KdU-Richtlinie des Landkreises Salzlandkreis auf der Grundlage des Berichts Dezember 2016 in der Auswertung des Korrekturberichts Februar 2022 beruht auf einem schlüssigen Konzept. Der Senat hält insoweit an seiner Rechtsprechung fest (Urteil vom 11.08.2022, L 5 AS 592/21).

Ein Guthaben aus einer Betriebskostenabrechnung ist im Folgemonat des Zuflusses auf die Kosten der Unterkunft und Heizung anzurechnen (§ 22 Abs 3 SGB II). 3. Dabei erfolgt die Anrechnung auf die im Folgemonat vom Leistungsträger berücksichtigten Kosten. Die Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 12.12.2013, B 14 AS 83/12 R) zur Anrechnung auf die tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung ist nach der Änderung des § 22 Abs 3 SGB II ab dem 01.08.2016 nicht mehr anwendbar.

Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de

1.3 – Sächsisches LSG, Urt. v. 14.02.2023 – L 4 AS 55/20

Leitsätze
Die Aufteilung einer einmaligen Einnahme gemäß § 11 Abs. 3 Satz 4 SGB II auf sechs Monate erfolgt auch dann, wenn dadurch in diesen Monaten die Hilfebedürftigkeit insgesamt entfällt. Der Anrechnungszeitraum endet grundsätzlich nicht deswegen vorzeitig, weil der Bewilligungszeitraum abläuft.

Steht nach Ablauf des Bewilligungszeitraumes die einmalige Einnahme infolge Verbrauchs vor Ablauf des Anrechnungszeitraumes tatsächlich nicht mehr zur Verfügung und beantragt der Hilfebedürftige Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes, so hat der Leistungsträger seit dem 01.01.2017 gemäß § 24 Abs. 4 Satz 2 SGB II eine Ermessensentscheidung darüber zu treffen, ob er die beantragten Leistungen als Darlehen oder als Zuschuss erbringt.

Der Verbrauch einer einmaligen Einnahme ist auch dann vorzeitig i.S.d. § 24 Abs. 4 Satz 2 SGB II, wenn die einmalige Einnahme “sozialadäquat” verwendet wird. Der Verwendungszweck und alle damit zusammenhängenden Umstände sind in die Ermessenserwägungen des Leistungsträgers einzustellen.

Der Erwerb eines Fahrzeuges und die damit verbundenen Kosten für Anmeldung, Haftpflichtversicherung und Kfz-Steuer dienen in der Regel nicht der Existenzsicherung.

Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de

2. Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung nach dem (SGB II)

2.1 – SG Detmold, Urt. v. 27.03.2023 – S 35 AS 856/19

Leitsätze
Der unbestimmte Rechtsbegriff des selbst genutzten Hausgrundstücks von angemessener Größe gemäß § 12 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 SGB II in der bis zum 31.12.2022 geltenden Fassung ist bei einem 1-Personen-Haushalt dahingehend auszulegen, dass eine angemessene Größe und damit nicht zu berücksichtigendes Schonvermögen nur dann vorliegt, wenn die Gesamtwohnfläche einen Wert in Höhe von 99m² nicht überschreitet.

Vorhandener Wohnraum, der die Anforderungen des Bauordnungsrechts nicht erfüllt, ist bei der Berechnung der Wohnfläche nicht zu berücksichtigen.

Überschrift:
Urteil | Grundsicherung für Arbeitsuchende – Einkommens- und Vermögensberücksichtigung – selbst genutztes Hausgrundstück – angemessene Größe – Wohnflächengrenze – Wohnflächenverordnung – Berücksichtigungsfähigkeit einzelner Räume – besondere Härte | § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, § 9 Abs. 1, § 12 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 SGB II

Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de

3. Entscheidungen der Landessozialgerichte und Sozialgerichte zur Sozialhilfe (SGB XII)

3.1 – LSG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 23.02.2023 – L 8 SO 24/21

Leitsatz
Auch nach den Regelungen zur Eingliederungshilfe im SGB XII vor Inkrafttreten des BTHG bestand keine Verpflichtung für den Hilfebedürftigen, vom Sozialhilfeträger für geeignet gehaltene stationäre Eingliederungshilfe bei nachgewiesenem Bedarf der Hilfe zur Pflege in Anspruch zu nehmen (hier: ein vom Sozialhilfeträger gegen amtsärztlichen Rat eingeleiteter Umzug von einem Pflegeheim in eine Einrichtung der Eingliederungshilfe für einen Hilfebedürftigen mit einer Alkoholkrankheit im Endstadium).

Quelle: www.landesrecht.sachsen-anhalt.de

3.2 – SG Detmold, Gerichtsbescheid v. 18.04.2023 – S 35 SO 138/22

Leitsätze
Die Behörde hat gegenüber dem Leistungsberechtigten grundsätzlich zu gewährleisten, dass ihre Abläufe so organisiert sind, dass eine Bescheidung eines Widerspruchs innerhalb der dreimonatigen Frist des § 88 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 SGG erfolgen kann. Ein zureichender Grund für die Nichtbescheidung eines Widerspruchs liegt dann nicht vor, wenn bei der Behörde dauerhaft eine unzureichende sachliche oder personelle Ausstattung vorliegt und eine zeitgerechte Erledigung deshalb nicht möglich ist.

Überschrift:
Gerichtsbescheid | Sozialhilfe – Untätigkeitsklage – Voraussetzungen für das Vorliegen eines zureichenden Grunds für die Nichtbescheidung eines Widerspruchs – unzureichende Ausstattung mit sachlichen oder personellen Mitteln – Personalmangel | § 88 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 SGG

Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de

3.3 – SG Dortmund, Urteil vom 25.01.2023 – S 43 SO 169/21

Leitsatz Redakteur v. Tacheles e. V.
Über 70-jährige Sozialhilfeempfängerin mit Pflegegrad 5 hat keinen Anspruch auf einen Wäschetrockner.

Quelle: openjur.de

Hinweis Redakteur v. Tacheles e. V.:
Da bei der Hilfebedürftigen ein erhöhter Wäschebedarf vorliegt (an heißen Tagen bis zu 5 Waschmaschinen täglich – Krankheit und erhöhten Wäschebedarf attestieren lassen vom Arzt), würde ich beim Sozialamt einen Mehrbedarf an Stromkosten beantragen (§ 27a Abs. 4 Nr. 2 SGB XII), denn ein erhöhter Strombedarf kann medizinisch begründet sein im Einzelfall (vgl. hierzu LSG NSB, Urt. v. 23.02.2011 – L 13 AS 90/08 – zur Übernahme eines Mehrbedarfs an Stromkosten bei Waschzwang)

4. Entscheidungen zum Asylrecht und AsylbLG

4.1 – SG Hamburg, Gerichtsbescheid v. 07.03.2023 – S 28 AY 53/17

Kürzung von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz wegen Vortäuschung falscher Identität

Orientierungshilfe Redakteur v. Tacheles e. V.
§ 1a AsylbLG begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Verhaltensbedingte Leistungsabsenkungen sind im Fürsorgerecht zulässig und im Rahmen der Verhältnismäßigkeit auch mit der Menschenwürde vereinbar (vgl. Landessozialgericht Hamburg, Urteil vom 3. August 2016 – L 4 AY 1/14; vgl. auch BSG, Beschluss vom 10. Februar 2017 – B 7 AY 9/16 B).

Die Angabe eines falschen oder mehrerer unterschiedlicher Namen ist geeignet, typischerweise die Aufenthaltsdauer im Bundesgebiet zu verlängern (vgl. BSG, Urteil vom 17. Juni 2008 – B 8 AY 9/07 R –). Hat der Leistungsberechtigte bewusst über seine Identität getäuscht, um seinen Aufenthalt in Deutschland zu verlängern, so sind die für eine Leistungsabsenkung nach § 1a AsybLG erforderlichen Voraussetzungen erfüllt (vgl. LSG Urteil vom 3. August 2016 – L 4 AY 1/14).

Quelle: www.landesrecht-hamburg.de

4.2 – Sozialgericht Magdeburg – Beschluss vom 12.04.2023 – Az.: S 25 AY 42/22 ER

Normen: § 3 AsylbLG, § 3a AsylbLG, § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG – Schlagworte: Regelbedarfsstufe 1, Leistungen nach den §§ 3, 3a AsylbLG, Sozialgericht Magdeburg

Leitsatz Redakteur v. Tacheles e. V.
Auch bei Grundleistungen (§ 3a AsylbLG) ist für Alleinstehende Regelbedarfsstufe 1 zu gewähren.

Quelle: anwaltskanzlei-adam.de

Hinweis:
Ebenso Sozialgericht Magdeburg – Beschluss vom 13.04.2023 – Az.: S 25 AY 20/23 ER

Normen: § 3 AsylbLG, § 3a AsylbLG, § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG – Schlagworte: Regelbedarfsstufe 1, Leistungen nach den §§ 3, 3a AsylbLG, Sozialgericht Magdeburg

weiter bei RA Sven Adam

und
Sozialgericht Stuttgart – Beschluss vom 13.04.2023 – Az.: S 11 AY 755/23 ER

Normen: § 3 AsylbLG, § 3a AsylbLG, § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG – Schlagworte: Regelbedarfsstufe 1, Leistungen nach den §§ 3, 3a AsylbLG, Sozialgericht Stuttgart

weiter bei RA Sven Adam

Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock
Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker