Tacheles Rechtsprechungsticker KW 18/2023

1. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung nach dem (SGB II)

1.1 – LSG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 22.09.2022 – L 37 SF 55/21 EK AS – Revision zugelassen

Leitsätze
Ein während der Anhängigkeit eines Hauptsacheverfahrens eingeleitetes Prozesskostenhilfe-Verfahren ist entschädigungsrechtlich nur während der Dauer des Hauptsacheverfahrens als dessen Annex anzusehen. Von dem Moment an, in dem es das erledigte Hauptsacheverfahren überdauert, sind bis zu seinem Abschluss Inaktivitätszeiten wie bei jedem anderen Verfahren zu berücksichtigen, wobei allerdings eine gleichzeitige Entschädigung von Hauptsache- und Prozesskostenhilfe-Verfahren nach der Zielsetzung des § 198 GVG zu vermeiden ist.

Die Verbindung von Verfahren nach § 113 SGG führt nicht dazu, dass die einzelnen Verfahren ihre Eigenständigkeit verlieren und entschädigungsrechtlich (nur noch) als Einheit zu betrachten sind (Bestätigung des Senatsurteils vom 16.03.2017 – L 37 SF 6/16 EK AS – Rn. 41 f., juris).

Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de

1.2 – LSG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 17.03.2021 – L 37 SF 161/21 EK AS

Leitsätze
1. Eine Verzögerungsrüge erweist sich jedenfalls dann als rechtsmissbräuchlich und damit unwirksam, wenn sie erst zu einem Zeitpunkt erhoben wird, zu dem das Ausgangsgericht bereits einen Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt und den Beteiligten darüber hinaus einen Vergleichsvorschlag unterbreitet hat, der von der Gegenseite bereits angenommen worden ist und kurz darauf auch vom Kläger selbst angenommen wird.

2. Die Entscheidung des Ausgangsgerichts, auf die Anforderung eines anderen Gerichts oder eines anderen Spruchkörpers desselben Gerichts hin diesem (kurzzeitig) die angeforderten Akten zu überlassen, kann sich als sachlich gerechtfertigt darstellen (hier: Übersendung der Gerichtsakte an Vorinstanz wegen eines dort anhängigen Kostenfestsetzungsverfahrens).

3. Soweit der Senat in der Vergangenheit den Monat zwischen Ladung zum Termin und Durchführung der mündlichen Verhandlung / des Erörterungstermins noch per se als Aktivitätszeit gewertet hat (siehe etwa Senatsurteil vom 25.02.2016 – L 37 SF 128/14 EK AL – juris Rn. 52) hält er hieran nicht mehr fest (Anschluss an BSG, Urteil vom 24.03.2022 – B 10 ÜG 4/21 R – juris Rn. 38).

Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de

1.3 – LSG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss v. 28.03.2023 – L 14 AS 260/22 ER

Leitsatz
Für die darlehensweise Übernahme von Energieschulden ist das Ausschöpfen vorrangiger Selbsthilfemöglichkeiten vorauszusetzen.

Quelle: www.landesrecht-mv.de

1.4 – Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urt. v. 07.03.2023, Az.: L 9 AS 69/19

Instandhaltung; Kleinreparatur; Kleinreparaturklausel; Streitgegenstand; Zuschuss; Kosten für Kleinreparaturen und Instandhaltung

Amtlicher Leitsatz
1. Kosten für Kleinreparaturen und Instandhaltung sind im Regelbedarf enthalten.

2. Derartige Kosten zählen nicht zu den Kosten der Unterkunft (§ 22 SGB II), auch nicht bei einer sog. Kleinreparaturklausel im Mietvertrag.

3. In Betracht kommt allein die Gewährung eines Darlehens nach § 24 SGB II. Deshalb handelt es sich um einen eigenständigen Streitgegenstand.

Quelle: voris.wolterskluwer-online.de

Anmerkung:
Sehr fragwürdige und auch rechtssystematisch falsche Entscheidung, den Kleinreparaturen sind eindeutig den Unterkunftskosten zu zuordnen und daher als KdU zu übernehmen.

Rechtstipp:
vgl. Sächsisches LSG, Urt. v. 21.04.2016 – L 3 AS 419/12 – Zur Frage, ob die Aufwendungen für notwendige Kleinreparaturen den Aufwendungen für die Unterkunft und Heizung im Sinne von § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II zuzurechnen sind.

2. Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung nach dem (SGB II)

2.1 – SG Nürnberg, Urt. v. 26.11.2021 – S 11 AS 78/20

Leitsätze
Die Bestätigung der zuständigen Agentur für Arbeit i.S.d. § 2 Abs. 3 FreizügG/EU betrifft nur die Arbeitslosigkeit, nicht aber deren Frei- bzw. Unfreiwilligkeit.

Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de

2.2 – SG Altenburg, Urt. v. 20.03.2023 – S 42 AS 1098/19

Leitsätze
1. Der Nachweis einer überwiegend betrieblichen Nutzung eines privaten Kfz iSv § 3 Abs. 7 Alg II-V kann in Anlehnung an die steuerrechtliche Praxis durch ein Fahrtenbuch oder in anderer geeigneter Form erfolgen. Im Einzelfall sind die Art der konkret ausgeübten selbständigen Tätigkeit und die behördliche Verwaltungspraxis der Nachweiserhebung und -verwertung in die Bewertung einzubeziehen.

2. Bei der Beurteilung der Vermeidbarkeit von Betriebsausgaben im Rahmen einer selbständigen Tätigkeit nach § 3 Abs. 3 Satz 1 Alg II-V ist zu berücksichtigen, dass ein nicht im Leistungsbezug nach dem SGB II stehendes Mitglied einer gemischten Bedarfsgemeinschaft nicht verpflichtet ist, seine Betriebsausgaben streng am Maßstab des § 3 Abs. 3 Satz 1 Alg II-V zu orientieren. In Kenntnis des SGB II-Leistungsbezuges seines Ehepartners kann von ihm lediglich erwartet werden, dass er sein Ausgabeverhalten an den üblicherweise geltenden Wirtschaftlichkeitskriterien orientiert und keine offensichtlich unnötigen oder überhöhten Betriebsausgaben tätigt.

Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de

2.3 – SG Nordhausen, Urt. v. 22.03.2023 – S 13 AS 1534/21

Leitsatz Redakteur v. Tacheles e. V.
SGB II-Angemessenheitsprüfung in Pandemie ist nicht nur auf 6 Monate beschränkt (a. A. LSG Nordrhein-Westfalen, 12.05.2022 – L 2 AS 468/22 B ER).

Leitsätze
Die sechsmonatige Befristung der Fiktion der Angemessenheit der tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung in § 67 Abs. 3 Satz 1 SGB II läuft in dem durch § 67 Abs. 1 und 5 SGB II i.V.m. § 1 VZVV bestimmten Geltungszeitraum nicht ab.

Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de

3. Entscheidungen der Sozialgerichte zum Arbeitsförderungsrecht (SGB III)

3.1 – SG Darmstadt, Urt. v. 30.01.2023 – S 8 AL 277/20

Leitsätze
Aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und des Übermaßgebotes hat die Bundesagentur für Arbeit eine Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe zu verkürzen, wenn dem Arbeitslosen von seinem Arbeitgeber vor Abschluss des Aufhebungsvertrages eine Kündigung mit Bestimmtheit in Aussicht gestellt wurde und bei Ausspruch dieser Kündigung das Arbeitsverhältnis in den nächsten sechs bzw. zwölf Wochen dadurch beendet worden wäre.

Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de

4. Entscheidungen zum Asylrecht und AsylbLG

4.1 – Sozialgericht Stuttgart – Beschluss vom 19.04.2023 – Az.: S 11 AY 526/23 ER

Normen: § 3 AsylbLG, § 3a AsylbLG, § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG – Schlagworte: Regelbedarfsstufe 1, Leistungen nach den §§ 3, 3a AsylbLG, Sozialgericht Stuttgart

Leitsatz Redakteur v. Tacheles e. V.
1. Auch bei Grundleistungen (§ 3a AsylbLG) ist für Alleinstehende Regelbedarfsstufe 1 zu gewähren.

Quelle: RA Sven Adam

5. Verschiedenes zu Hartz IV, zur Sozialhilfe, zum Asylrecht, Wohngeldrecht und anderen Gesetzesbüchern

5.1 – Keine Vergütung an das Krankenhaus für Nothilfe

Krankenhäuser haben nach dem BSG Anspruch auf Vergütung für Leistungen als Nothelfer gem. § 25 SGB XII nur solange der Sozialhilfeträger keine Kenntnis vom Leistungsfall hat.

Rechtsanwalt Prof. Dr. Hermann Plagemann, Plagemann Rechtsanwälte Partnerschaft mbB, Frankfurt am Main

Aus beck-fachdienst Sozialversicherungsrecht 07/2023 vom 14.04.2023

5.2 – Newsletter von RA Volker Gerloff 05/2023

hier entlang: www.ra-gerloff.de

Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock
Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker